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174 England. Die städtische Verwaltung der City von London. (Schluß.) Es erhellt aus dem Gesagten, daß die Zünfte ein faktisches Besteuerungs. recht ausüben, weil es nöthig ist, liver>msn zu se-n, um an den Corpora- tionS-Wahlen theilzunehmen — und dieses Besteucrungsrecht ist noch dazu ein willkürliches, da es keiner Kontrole unterworfen ist. Aus welchem Gesichts punkt man aber auch die Privilegien der Zünfte betrachtet, so dürften sie doch die Fonds, die zum Theil aus den von ihren Mitgliedern cingezahlten Prämien, zum Theil aus den Ueberschüfsen der ihnen zu wohlthätigen Zwecken anver- trauten Legate erwachsen sind, in keinem Fall als ihr Privat-Eigenthum an sehen. Will man übrigens erfahren, auf welche Art diese Ueberschüffe ent standen find? Die Erklärung ist einfach. Zur Gründung oder zum Unterhalt einer Frcischule oder irgend eines anderen Instituts wird der Compagnie ein Grundstück als Fideicommis hinterlassen, dessen Ertrag fich zu Lebzeiten des Eigenthümers auf 100 Thaler jährlich belief. Wenn nun jenes Grundstück, in Folge des erhöhten WertHS der liegenden Güter, heutzutage eine Revenüe von MOV Thalern abwirfl, so ist eS klar, daß der hieraus entspringende Vor theil der Schule zukommen müßte. Unglücklicher Weise hat aber der Erblasser die Steigerung im Werthc seines Eigcnthums oder den Scharfsinn der Kura toren nicht vorausgeschen, und in seinem Testamente steht nur: „Ich habe ein Grundstück, das mir 100 Thaler einbringt; ich vermache hieraus SO Thlr. an die Schule tL. und eben so viel an die Schule U." Zieht man also jetzt aus diesem Grundstück eine Rente von 2000 Thalern, so giebt die Compagnie den beiden Schulen 100 Thaler und behält den Ueberschuß von 1900 Thalern für fich. Aus solchen Quellen find größtentheilS die Einkünfte der Compagnieen geflossen, die mau gegenwärtig zu nicht weniger als 2S0,000 Pfv. Sterl, (etwa 1,700,000 Thaler) jährlich anschlägt. Und worauf wird diese Summe ver wendet? Auf unnütze Medaillen und Tabatieren, auf prächtige Zestgelage, zu denen man nur die Auserwählten ladet, auf die Unterhaltung einer müßigen Beamten- und Dicnerschaar — in den seltensten Fällen auf nützliche Arbeiten und patriotische Unternehmungen. Es darf unter solchen Umständen nicht be fremden, daß die Zünfte, nach dem Muster der Corporation, ihre Rechnungen dem Blicke des Publikums entziehen; man kann also den Betrag der von ihnen erhobenen Steuern nur annähernd aus IS,000 Pfv. Sterl. (100,000 Thaler) jährlich berechnen. Nicht wenige unter ihnen, wie z. B. die Compagnieen der Goldschmiede, der Buchhändler (starioners), der Apotheker u. s. w. sind über dies im Besitz einer Menge lästiger und schädlicher Privilegien. Außer den neunundachtzig Compagenieen giebt es noch andere Gesellschaf ten oder Institute, die in unmittelbarer Verbindung mit der Corporation stehen und gewisse Vorrechte genießen, durch welche die Handelsfreiheit in hohem Grade beeinträchtigt wird. So hat z. B. jeder Karren oder Fracht- Wagen eine Abgabe an das Christ's Hospital zu entrichten; im Jahre 1836 mußte ein armer Fuhrmann für sein Patent die Summe von SO Pfd. Sterl. (340 Thlr.) einzahlen, die zum Theil von jener Anstalt, zum Theil von der City und der Kärrner-Zunft erhoben wurde. Jeder Karren oder Wagen, der nicht das Eigenthum eines kreem-m ist, muß bei seinem Eintritt in die City eine Tare von zwei Pence (I? Silbergroschen) entrichten; selbst der Wagen eines kreeman ist einer Steuer von einem Penny unterworfen, wenn er mit den Gütern eines Individuums beladen ist, das nicht zu dieser Körperschaft gehört. Die Corporation hat das Monopol aller Arbeiten, die mit dem Trans port, dem Messen, dem Ein- und Ausladen der in der City ankommenden Waarcn verbunden find und wozu sie gewisse von ihr ernannte Beamte und Werkleute autorifirt. Es ist unmöglich, die Mißbräuche herzuzählen, die aus einem System dieser Art entspringen; wir begnügen uns damit, einige Bei spiele vorzulegen. Es giebt vier Obst- und Kartoffelmesser, deren vereinigtes Gehalt fich auf 6000 Pfd. Sterl. (40,000 Thlr.) beläuft; sie lassen ihre Func tionen durch Stellvertreter besorgen, die ihnen kaum 1600 Pfv- kosten, so daß ihnen ein reiner Gewinn von 4400 Pfd. Sterl, jährlich bleibt. Auf das in den Londoner Hafen eingeführte Getraide erhebt die City gegen 240,000 Pfd. an Steuern und anderen Spesen, die größtentheilS zur Unterhaltung einer Menge unnützer Beamten verwendet werden; ein Austern-Messer oder der gleichen, der seine BerufSgeschäste unter seiner Würde findet, überträgt sie einem Stellvertreter, der sie wieder einem Substituten anvertraut — statt eines Beamten hat also das Publikum drei zu bezahlen, wo selbst jener ein zige überflüssig wäre. Die unglücklichen Fischer von Rochester hatten vor einigen Jahren die Frechheit, fich gegen diesen Mißbrauch aufzulehnen, der ihnen empfindlichen Schaden zufügte; das Resultat war ein Prozeß, der ihnen eine Kleinigkeit von gegen 3000 Pfv. Sterl, kostete und Alles beim Alten ließ, mit Ausnahme dessen, daß vierhundert arme Familien durch die Advokaten der City zu Grunde gerichtet wurden. — Die Anzahl der privilegirtcn Lastträger (cit^ porrers) beträgt 1200. Im Jahr 1833 wagten es die Gastwirthe der City, das Recht in Anspruch zu nehmen, ihre eigenen Wagen am Markt ausladen zu dürfen; der Loiumon Council wußte sie jedoch eines Besseren zu belehren, und sie mußten von ihrer Anmaßung abstehen, die sehr naiv als „ein Attentat gegen die Privilegien der Lastträger" bezeichnet wurde. Ein ähnliches Monopol üben cckch die Bootsleute (rvstermen) aus, deren man zwischen vier- und fünftau send zählt. Das Recht, Märkte zu halten und die Errichtung neuer innerhalb eines RayonS von sieben (engl.) Meilen um London zu verhindern, ist eines der Privilegien, die der Corporation am theucrsten find. Der Widerstaud, den sie vor nicht langer Zeit der Versetzung des Smiethsielder Viehmarktes und der Anlegung von Schlachthäusern in den Vorstädten entgegensetzte, hat den dabei intereffirten Parteien nicht weniger als 180,000 Pfd. (I Million Thaler) ge kostet. Die Corporation behielt die Oberhand (und zwar von Rechtswegen, da sie nur den gesunden Menschenverstand und das allgemeine Beste zu Geg nern hatte) — als Preis ihres Sieges hat sie jetzt die Genugthuung, Schaaren von Hornvieh am bellen Tage durch die dichtbevölkerten Straßen der City treiben zu lassen. Mit ähnlicher Hartnäckigkeit hat sie von jeher darauf be standen, den Ledermarkt vor den Fenstern des India-House in Leadenhall- Street abzuhalten, wodurch eine Seite dieses Gebäudes ganz verunstaltet wird. Und mit allen ihren Privilegien und Erpressungen besitzt die City doch keinen einzigen Markt, der fich in gehörigem Zustand befände. Eine andere höchst ansehnliche Steuer besteht aus den Sporteln oder per sönlichen Abgaben, die an verschiedene Beamte der Corporation entrichtet werden und die, nach einem von Lord Brougham angeführten Bericht, im Jahr 1833 die Summe von 74,440 Pfv. Sterl, erreichten. Diese Sporteln (kees) sind überhaupt der faule Fleck des englischen Verwaltungssystems,'; sie find mit ernsten Ungelegenheiten verknüpft, indem sie die Gewinnsucht an die Stelle des Pflichtgefühls setzen und nur zu leicht in ein Bestechungsmittel aus arten. Die Finanz-Kommission der City, der wir den erwähnten Bericht ver danken, erklärt jedoch, daß ihre Beamten, vom ersten bis zum letzten, unfähig seyen, das in sie gesetzte Vertrauen zu mißbrauchen. Wir müssen dieses als ein besonderes Glück betrachten und wollen es den Herren auf ihr Wort glauben. Die Abgaben, welche die City von den im Londoner Hafen ankommenden Steinkohlen zieht, beliefen fich im Jahr 1841 auf 132,660 Pfd. Sterl, (etwa 000,000 Thaler). Durch diese Taren, so wie durch die Coalition der großen Steinkohlengruben des Nordens und die mangelhaften Einrichtungen in Bezug auf dieses unentbehrliche Feuerungsmittel, wird der Preis desselben bedeutend erhöht, und die Ersparniß, die man auf diesen einzigen Artikel bewirken könnte, wird zu 400,000 Pfd. (2,700,000 Thaler) jährlich angeschlagen. Die Aussicht über die Themse-Schifffahrt befindet fich zum Theil in den Händen der Corporation, zum Theil in denen des sogenannten Trinity-House. Die Attribute dieser letzteren Behörde, die einen anderen unabhängigen Körper bildet, der fich mit den Zünften oder Compagnieen der City vergleichen läßt, bestehen in der Errichtung von Leuchtthürmen an gewissen Punkten der Küste, in der Bestimmung der Lootsengelder, in der Untersuchung einiger von den Offizieren und Matrosen der Kauffahrteischiffe vorgebrachten Klagen, in der Prüfung der mathematischen Zöglinge des Christ's Hospital u. s. w. Es ist fast überflüssig, hinzuzusügcn, daß es auch in diesem Institute, dessen Einkünfte im Jahr 1840 die Summe von 232,640 Pfv. erreichten, von Mißbräuchen wimmelt. Was die Polizei-Verwaltung der City betrifft, so ist sie eben so mangelhaft wie die übrigen Administrationszwcige. Die Errichtung der Metropolitan Police war eine der schönsten praktischen Reformen, die je in der englischen Hauptstadt bewerkstelligt wurden ; aber diese von Sir Robert Peel ausgcführte wohlthätige Maßregel ist durch den Einfluß der City-Behörden unvollständig geblieben. Die Polizei der ganzen Hauptstadt und ihres Weichbildes stellt nur einen einzigen Körper unter einer einzigen Verwaltung dar — die City allein hat fich hiervon abgesondert, und man merke fich den Erfolg. Das Kirchspiel Mary-le-Bone, welches volkreicher und schwerer zu beaufsichtigen ist als die City, entrichtete 1841 für Polizei-Unkosten 21,934 Pfv. Sterl. Zu derselben Zeit betrugen die der City nicht weniger als 48,130 Pfd. Aber hierauf be schränkt sich nicht der Unterschied. Ist in dem Kirchspiel Mary-le-Bone ein Aufruhr, eine Emeutc zu befürchten, versammelt sich dort unter den Auspizien eines neuen O'Connell irgend eine Monster-Meering, so kann das ganze, 4394 Mann starke Corps der Metropolitan Police auf einen einzigen Punkt ver einigt werden; findet in Mary-le-Bone eine burglar^ (ein gewaltsamer Ein bruch) statt, so ist solche in wenigen Stunden allen Polizei-Agenten der Haupt stadt bekannt — mit alleiniger Ausnahme der City-Konstabler. Die Polizei- Chefs (Police Magistrates) der City unterhalten mit denen der übrigen Stadt theile durchaus keine Verbindung; sie find gänzlich isolirt. Man kann die Gränzen der City mit einem Sanitäts-Kordon vergleichen, der alles Gute und Nützliche ausschließt. Der Lord-Mayor hat zwar das Recht, bei wichtigen An lässen die Metropolitan Police nach der City zu berufen, doch geschieht dies nur selten. Ein solcher Zustand veranlaßt von der einen Seite eine ungeheure Vermehrung der Administrationskosten, von der anderen aber eine ernste Ge fährdung der öffentlichen Sicherheit. Ein Dieb, der in der City domizilirt ist, degiebt sich nach Westminster, um dort sein Gewerbe zu betreiben, oder auch umgekehrt, und in beiden Fällen kann er mit vieler Zuversicht auf Straflosig keit rechnen. Die Zuchtpolizei befindet sich ganz in den Händen der Aldermen, d. h- von sechsundzwanzig Dilettanten im Richteramt, die eS, ohne Rücksicht auf ihre Fähigkeiten, der Reihe nach ausüben. Heute kann ein Solon, morgen ein Midas in Guildhall (dem Rathhause) zu Gerichte fitzen, und es ist sehr zu bezweifeln, ob man unter den Krämern und Professionistcn, die jene achtbare Körperschaft bilden, sehr oft einen Solo» antrifft. Daher zeigt fich auch die Willkühr in ihrem vollen Glanze. Jeder der sechsundzwanzig Aldermen hat ei» eigenes Gerechtigkeitsprinzip, und was heute der eine feststellt, wird mor gen von seinem Nachfolger umgestoßcn. Dieser ist ein strenger Verfolger des Pauperismus, jener hat eine Schwäche für Bettler, der dritte hält sich stets an den Buchstaben des Gesetzes, der vierte hört nur auf die Stimme des Herzens. Es entsteht aus allem diesem eine babylonische Sprachverwirrung und Vie kläglichste Justizverwaltung, die man sich denken kann. Welch ein trauriges Schauspiel bieten übrigens diese improvisirten Magistratspersonen dar, die über ihre ephemere Wichtigkeit ganz erstaunt scheinen, sich vor ihrem