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No. 4. Sonnabend, den 23. Januar 1904. VI. Jahrgang DerJiande/sgärfner. • waemm piz Handels-Zeitung für den deutschen Gartenbau, -"ötza"thaatomta Leipzig, Sudstrasse 33. Verlag von Bernhard Thalacker, Leipzig = Gohlis. Leipzig-Gohlis. Organ des „Gartenbau=Verbandes für das Königreich Sachsen E. Q.“ „Der Handelsgärtner“ kann direkt durch die Post unter No. 3222a der Postzeitungsliste bezogen werden. Der Abonnementspreis beträgt pro Jahr: für Deutschland und Oesterreich^Ungarn Mark 5.—; für das übrige Ausland Mark 8.—. Das Blatt erscheint wöchentlich einmal Sonnabends. Inserate kosten im „Handelsgärtner“ 30 Pfg. für die fünfgespaltene Petitzeile. Sollen die selbstäadigen Gärtner Anschluss an die staatliche Invaliden versicherung suchen? Die gesetzliche Versicherung gegen Alter und Invalidität erstreckt sich nach dem Invaliden- Versicherungsgesetz nur auf Arbeitnehmer mit einem Jahresgehalt bis zu 2000 Mk. Daneben haben Arbeiter und Gewerbetreibende, deren Verdienst 3000 Mk. im Jahre nicht übersteigt, das Recht, sich freiwillig zu versichern. Ausgeschlossen von der Versicherung sind bislang aile selbständigen Handel- und Ge- werbtreibenden mit mehr als zwei Gehilfen und alle unselbständigen, soweit ihr Gehalt sich, wenn auch nur vorübergehend, auf mehr als 3000 Mk. jährlich beläuft. Unter den Selb ständigen befinden sich aber zahlreiche Gewerb- treibende, deren Lage schlechter ist als die mancher angestellter Arbeiter. Wir wohnten gelegentlich einem Vortrag bei, den der Landesrat Dr. Schröder in Kassel über die Frage der Ausdehnung des Invaliden- Versicherungsgesetzes auf Grund statistischen Materials hielt. Er führte dabei aus, dass die Zahl der selbständigen Gewerbetreibenden auf 3 400 000 angegeben werde. Das Einkommen derselben stehe teilweise unter dem eines besser bezahlten Angestellten, für den durch die Invaliden- und Altersversicherung gesorgt sei. Die Nachweise hätten ergeben, dass nur 5 % aller selbständigen Gewerbetreibenden in Lübeck über 4000 Mk. Einkommen hatten. In Meiningen waren es 25. in Dortmund 40, in Siegmaringen und Baden je 20 %• Dagegen hatten in Preussen 88% aller selbständigen Gewerbetreibenden nur ein durchschnittliches Einkommen von 900 bis 3000 Mk. und 81/2°/0 nur 3000—4000 Mk. Und 930 000 selbständige Gewerbetreibenden konnten bis 2000 Mk. Einkommen pro Jahr angeben. Ebenso interessant ist eine Aufstellung der preussischen „Statistischen Korrespondenz“, aus welcher hervorgeht, dass 3 500 000 Selbständige in Preussen, darunter etwa 1 700 000 Land wirtschaft und Gartenbau Treibende, ein Jahres einkommen unter 1500 Mk., zum Teil wenigstens unter 2000 Mk. hatten, und dabei Frau und Kinder ernähren und alle Lasten tragen mussten, welche eben die Selbständigkeit mit sich bringt. Hugo Lissonier weist in einer neueren Schrift über die Ausdehnung der Invaliden- und Altersversicherung darauf hin, dass 93% der in Frage kommenden Gewerbetreibenden ein Einkommen unter 2000 Mk., 3,6 % ein solches zwischen 2000 und 3000 Mk. und nur 3.4% ein solches über 3000 Mk. hätten und bemerkt dazu sehr treffend: „Es ist nicht recht ver ständlich, weshalb die Selbständigen mit jenem niedrigen Einkommen ein geringeres Anrecht auf die Fürsorge des Staates, die doch in der Zwangs Versicherung zum Ausdruck kommt, haben sollten, als die Unselbständigen“. In der Gärtnerei liegen die Verhältnisse ebenfalls nicht besser als in anderen Branchen. Es gibt mittlere und kleine Gärtner, die sich mit einem ausserordentlich bescheidenen Ein kommen begnügen müssen und mehr Existenz sorgen haben, als die Gärtnergehilfen in Lohn und Brot. Sie sind nicht imstande, für Alter und Invalidität etwas zurückzulegen und die Wohltat der staatlichen Versicherung ist ihnen verschlossen, wenn sie mehr als zwei Lohn arbeiter beschäftigen. HabensieeinenGehilfen und vielleicht noch zwei Gartenarbeiter, so ist ihm nämlich die Selbstversicherung nicht gestattet, da nur der Gewerbetreibende zur Selbstver sicherung zugeiassen ist, der nicht mehr als zwei Lohnarbeiter beschäftigt. Bei einer derartigen Sachlage muss man sich auch in der Gärtnerei die Frage vorlegen, ob nicht ein Anschluss der kleinen Gärtner an die staatliche Versicherung erwünscht erscheint. Mit ihrem Einkommen können sie kein sorgen freies Leben führen und etwaigen wirtschaft lichen Rückschlägen, wie sie nach jeder Invalidität eintreten, trotzen. Wer die Verhältnisse kennt, der erkennt auch die Notwendigkeit einer staat lichen Fürsorge für sie nach dem Muster der Invaliditäts-Versicherung. Wie aber soll das geschehen? Heute sagt § 2 des Invaliden-Versicherungsgesetzes : „Die jenigen selbständigen Gewerbetreibenden, die nur einen oder höchstens zwei versicherungspflichtige Arbeiter vorübergehend oder dauernd beschäf tigen, können verpflichtet werden, für sich Marken der Invaliditäts- und Altersversicherung zu kleben.“ Man brauchte danach das „Können“ einfach in ein „Müssen“ umwandeln. Aber Landesrat Dr. Schröder hat sehr richtig darauf hingewiesen, dass dann an die 10 Millionen Versicherter unter diesen Zwang fallen würden und auch Lissonier gibt die Zahl auf 5,5 Millionen lediglich bei Handwerkern an. Es kommen aber noch ebensoviel aus Landwirtschaft und Garten bau hinzu. Das würde dem Staat ganz enorme Kosten bereiten und wir glauben deshalb nicht, dass der Bundesrat sofort dafür zu haben sein würde. Man hat aber noch eine zweite Möglichkeit, nämlich die, dass alle Gewerbetreibenden mit einem Einkommen bis zu 3000 Mk. unter diesen Ver sicherungszwang kämen. Diese Möglichkeit wäre erreichbar, da auch der Bundesrat gegen sie nichts einwenden würde, da die Kosten hier nicht mehr als ein Schreckgespenst vor seinen Augen ständen. Die dritte Möglichkeit, welche der Hand werks- und Gewerbekammertag in München vorgeschlagen hat, ist die, sämtliche Gewerb- treibenden, gleichviel, welche Einkünfte sie haben, unter den Versicherungszwang zu stellen. Diese Anforderung erscheint uns ebenfalls als zu weitgehend, und würde schon deshalb an massgebender Stelle keine Gegenliebe finden, weil nach ihr auch diejenigen von der Ver- sicherungspflicht betroffen werden sollen, welche sich in gar keiner Notlage befinden und von ihrem reichlichen Einkommen sich für Alter und Invalidität etwas zurücklegen konnten. Schliesslich kommt noch eine vierte Mög lichkeit in Frage, nämlich die Beschränkungen der Selbstversicherung einer Reformation zu unterwerfen und diese Selbstversicherung zu erleichtern. Wenn heute nur derjenige Gärtner z. B. sich selbst versichern kann, der auch vorübergehend nicht mehr als zwei Lohn arbeiter hält, so ist, wie wir schon zeigten, für Garmnereibesitzer diese ganze Selbstversicherung heute unbrauchbar. In der Zeit der Ernte werden vorübergehend auch in mittleren und kleineren Gärtnereien, wo sonst der Gärtner mit einem Gehilfen und seinen Familiengliedern die Arbeit allein verrichtet, mehr als zwei Lohnarbeiter aufzufind n sein. Das sind die Wege, welche offenstehen. Dass etwas geschehen muss, darüber dürften sich auch die gärtnerischen Kreise einig sein. Freilich in der Reichstagssitzung vom 14. Jan. hat der Regierungsvertreter Graf v. Posadowsky eine Rede gehalten, die auf wenig Entgegen kommen schliessen lässt. Er betont, dass sich die Kaiserliche Botschaft nur auf unselbständige Personen bezogen habe. Nur der Reichstag habe ein einziges Mal diesen Boden verlassen. Das ist nicht einmal richtig, denn nicht nur im Invaliditätsgesetz, sondern auch im Unfall versicherungsgesetz ist den Selbständigen Ge legenheit zur Versicherung gegeben. Und dann, was will das sagen, ob jene Kaiserliche Bot schaft nicht an die Ausdehnung der Wohlfahrts gesetzgebung auf Selbständige gedacht hat? Ist denn die in jener edlen, menschenfreundlichen Botschaft, dem schönsten Ehrendenkmal, das Kaiser Wilhelm I. sich selbst gesetzt hat, ent haltene Idee etwa nicht fortbildungsfähig? Selbst verständlich soll diese Versicherung nicht nur dem eigentlichen Handwerker zugute kommen, sondern auch dem kleinen Bauern, wie dem kleinen Gärtner, überhaupt dem selbständigen werktätigen Volke. Dass die Versicherung auf einer anderen Grundlage aufgebaut werden müsste, geben wir dem Minister ohne weiteres zu. Ist das aber ein Hindernis ? Gewiss nicht. Inder Schrift Lissoniers, der auch alle land wirtschaftlichen und gärtnerischen Selbstständigen einbegriffen wissen will, wird vorgeschlagen, dass für die Einkommen über 2000 Mk. neue Gruppen gebildet werden, bei denen sich der Wochenbeitrag wie folgt, stellt: bei Einkommen von 2— 3 000 Mk. = 50 Pf. „ „ „ 3— 5 000 „ — 75 „ „ „ „ 5— 8000 „ — 100 „ „ „ „ 8—12000 „ — 150 „ „ „ „ 12—20 000 „ = 250 „ Lissonier will, wie wir schon sagten, über haupt die Höhe des Gehaltes nicht ausschlag gebend für die Zugehörigkeit zur Versicherung sein lassen. Er meint, dass dadurch, wenn auch die höheren Einkommen zur Invaliden- und Altersversicherung herargezogen werden, einer grösseren Zahl Minderbemittelter eine sorgenfreie Existenz gesichert werden könne. Wenn man bedenkt, dass von den 23,2 Mil lionen erwerbstätiger Personen im Deutschen Reiche nur 340 000 ein Einkommen von über 4 000 Mk. haben und dass bei Verheirateten mit mehreren Kindern doch erst bei dieser Einkommensgrenze, soweit der bürgerliche Mittelstand in Frage kommt, von einer behag lichen Lebensführung die Rede sein kann, und die Möglichheit geboten ist, etwas für schlechte Zeiten zu sparen, so wird man dem Verfasser recht geben, und seinen Vorschlag als einen Fortschritt auf dem Kulturwege bezeichnen, weil er zur Verbesserung der Lebensbedingungen der wirtschaftlich Schwächeren führt. Des Vaters Vermächtnis. Aus dem Leben einer Gärtnerstochter. Erzählung von A. Burg. (3. Fortsetzung). Naohrduck untersagt. Durch das grüne Blättergewirr der Laube huschten die Sonnenstrahlen; leises Summen liess sich in der Luft hören und aus den Baumwipfeln ertönte vielstimmiges Vogeljubilieren. Lange schwiegen die beiden Frauen, ihren Gedanken nachhängend. Margarete unterbrach endlich die Stille mit den Worten: „Unser Herr Welser hat die Nachricht erhalten, dass sein Sohn in kurzer Zeit nach Deutschland zurückkehren will. Was meinst Du, Tante, wenn ich Dietrich in unserer Gärtnerei neben seinem Vater anstellen würde? Ich möchte gern Wel ser ein wenig meine Erkenntlichkeit beweisen und ihn ander seits auch entlasten.“ Die alte Dame überlegte einen Augenblick, dann sagte sie kopinickend: „Ja, ich glaube, dass Du daran Recht tun würdest. Welser verdient es wohl, dass man ihm etwas Rücksicht be weist. Wenn Du auch immer in bewundernswerter Weise Deinen Platz ausgeiüllt hast, — ohne seinen Rat, seine Hilfe, wer weiss, ob Du die Kulturen so auf der Höhe hättest hal ten können.“ Margarete freute sich, dass die Tante ihrem Plan bei stimmte. Am liebsten wäre sie gleich zu Welser gegangen, um ihm ihren Entschluss mitzuteilen. Aber die Vorsicht be hielt die Oberhand. „Ich werde mir den Dietrich erst einmal genau ansehen und prüfen, welchen Eindruck er macht; wenn er erst hier ist, lässt sich ja die Sache immer noch machen.“ Tante Verena war auch dieser Meinung und die beiden Frauen plauderten noch lange über diese Neuerung — über die Freude des alten Welser — über Dietrich Welser. V. Es gelang Doktor Kenzius, dem vielgereisten und ver wöhnten Weltmann, in kurzer Zeit sich durch die Empfehlung seiner Fakultät der Universität Heidelberg, wo er vor zwölf Jahren sich den Doktorhut erworben hatte, einen Platz als Privatdozent an der Universität der kleinen Stadt X. zu erringen. So liess er sich denn seine Effekten, die noch auf dem gräflich Lengenschen Gut lagen, kommen, mietete dann eine freundliche Wohnung in der Villen Vorstadt, und sah sich nun, nach einem langjährigen Nomadenleben plötzlich als Einwohner in eine gemütliche Kleinstadt versetzt. Als er mit der Einrichtung seiner Wohnung zu Ende war, und sich wieder umgeben sah von all den vielen Un- nötigkeiten, die ihm unentbehrlich geworden waren, trat er ans Fenster und sah auf die Strasse hinaus. Ein seltsames Gefühl überschlich ihn plötzlich. Es kam ihn eine Lust an, zu lachen, unbändig zu lachen über sich selbst. So lange er im Hause des gräflichen Schwiegervaters zu Besuch gewesen, das durch das stete Hin und Her eleganter Gäste, durch den Komfort und Luxus, die dort herrschten, leicht die Illusion, in der Grosstadt zu sein, aufkommen liess, war es ihm durchaus natürlich erschienen, sich hier für ein paar Jahre festzusetzen und die längst geplanten Arbeiten zu beginnen. Nun aber, in der Stille dieser vier Wände, mit dem Aus blick auf die menschenleere Strasse fragte er sich plötzlich: „Warum in aller Welt sitze ich denn eigentlich in diesem Nest? Ueberall sonstwo hätte ich mich niederlassen können. Es stand mir frei, zu wählen, und ich, der ich die ganze Welt gesehen, ich wähle gerade diesen Ort — um der schönen Augen ein Gärtnerstochter willen!“ Da seine Gedanken bei Margarete Halt machten, wurde er wieder ernst. Nein, nein, das war ja kein gewöhnliches hübsches Mädchen wie man sie täglich sieht. Er hatte es mit dem Blick des Kenners gleich erfasst, dass es sich lohnen würde, ihretwegen länger als nötig hier zu bleiben. Seltsam! Etwas wie Schmerz beklemmte ihm die Brust. War das schon Liebe? Unsinn! Er, der Vielbegehrte, der so viel Frauenschönheit bewundert, so viel Frauengunst ge nossen, er sollte sich von einer so plötzlichen Neigung, dem unbequemen Gefühl „Liebe“ überrumpeln lassen? Nein! nein! das war nur die Sentimentalität der Kleinstadt, die ihn ergriffen hatte, und die er wohl im stände sein würde, zu bemeistern. Er wollte sich nur an dem Anblicke des reizen den seltenen Mädchens, mit der er öfter in Berührung ge kommen, freuen, das war alles. Einstweilen aber gestand er sich, dass er]sich langweilte — in ganz unerlaubter Weise langweilte. In den letzten Tagen hatte ihn die Bewerbung um den Dozentenstuhl, dann sein Umzug aus der Villa des Bankiers in seine neue Wohnung, die Einreihung seiner Bücher und Effekten, angenehm beschäftigt. Nun aber gähnte ihn die Leere des Alleinseins an. Er wusste durchaus nicht, wie er es einrichten sollte, in der Gärtnerei Winternitz abermals vorzusprechen. Voll Taktgefühl, wie er war, konnte er eine solche Gelegenheit nicht ohne weiteres vom Zaune brechen, nachdem ihn Mar garete bei seinem damaligen Besuch ziemlich kühl verab schiedet hatte. Er hoffte auf den Zufall, der ihm schon oft zu Hülfe gekommen. Inzwischen aber konnte er fortfahren, sich zu langweilen. Zwar hatte er schon eine ganze Anzahl Be kannte und manche Beziehungen durch die Familie des Ban kiers angeknüpft, auch hatten sie ihn dringend eingeladen, sie zu besuchen; es waren auch Familien mit heiratsfähigen Töchtern dabei, denen die fremdartig vornehme Erscheinung des Doktors das Herz höher klopfen machte. Aber er hatte das konventionelle Geplauder satt. Mit Seufzen suchte er unter seinen Büchern diejenigen hervor, die ihm zur Vorbereitung auf seine Vorträge in der Hochschule dienen mussten. Dann machte er sichs bequem an dem grossen eichenen Schreibtisch und vertiefte sich so gut es gehen wollte, in seine Studien. Aber immer und immer wieder gaukelten vor dem Gelesenen wie exotische Schmet terlinge zwei ernste glänzende Mädchenaugen her. Kam es von dem Sträusschen, das er im Knopfloch trug, und das er heute früh in dem Marktstande der Winternitz schen Gärtnerei gekauft hatte? Es duftete so stark. Er löste es von dem Rock und stellte es in eine kleine Vase von antiker Form, die er selbst einmal von einer Reise aus Italiens Gefilden mitgebracht hatte. Mit Gewalt bezwang er sich nun und richtete sein In teresse auf die vor ihm liegenden Bücher. Nach und nach begann auch die langvernachlässigte Wissenschaft ihn zu fesseln und die Langeweile zog sich sachte zurück.