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Wöchentlich erschein!» drei Nummern. PränumermionS- Preis 22z Sgr. Thlr.) vierteljährlich/ 3 Thlr. für dos ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staat«. Zeitung in Berlin in der Expedition (Zriedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohilöbl. Pcst-Aemtern. Literatur des Auslandes. 56. Berlin, Freitag den 10. Mai 1839. Frankreich. Rückblicke, von I. Janin.") An Theodose Burelte. Da sind nun wieder sechs Bckndchcn, welche zu sehr unge legener Zeit kommen dürften, inmitten zweier Emeuien, oder vielleicht gar zweier Revolutionen! — Ich stelle sie, mein Freund, unter den Schug Deiner Freundschaft und Deines Namens. Je naher wir den bösen Tagen rücken, desto mehr fühle ich das Bedürfnis, mich auf Deine Kraft und Deinen Muth zu stützen. Standest Du nicht immer an meiner Seile, strahlend vor Freude, wenn Du Gelegenheit zu loben findest, so betrübt, wenn Du tadelst, wie sollte ich dann etwas ihun, wie etwas sagens Du bist mein alter Freund, Du mein fast immer beachteter Rath geber, Du mein Venhcidigcr aus Ueberzeugung; Du bist mein treuer Wachter, und in Deiner Nahe fühle ich mich immer stark. Findest Du eine Idee, so giebst Du sic mir; entdeckst Du etwas Schönes, so theilst Du es mir mit. Ist cs nöthig, einem ver kannten Genius zu Hülfe zu kommen, so faßt Du meine Hand und führst mich zu ihm. Ist es an der Zeit, eine der glänzenden Berühmtheiten, welche nur die Kunst des Zerstörens kennen, mit aufgezogenem Visir anzugreifen, so sagst Du: „Vorwärts!" zu mir und ich lege die Lanze ein. Wie oft auch haben wir, ohne uns ein Wort zu sagen, dasselbe Gefühl der Bewunderung, dasselbe Gefühl der Abneigung empfunden! An einem solchen Tage bin ich sehr glücklich, sehr stolz! Die sechs Bändchen, welche ich jetzt unter den Schutz Deiner wohlwollenden und aufmerksamen Freundschaft setze, hast Du schon Seite vor Seile, wie sie aus meiner Feder hervorgiugen, gelesen und mehr als einmal hast Du zu einem der abgerissenen Kapitel gesagt: „Ich bin zufrieden!" Mil Ausnahme des ersten Kapitels, welches die Zeit unserer ersten Jugend schildert, als wir so glücklich und so arm waren, als Du noch der reichste dieses Schwarms von Singvögeln warst, ist alles Ucbrige für das Bedürfniß des Tages seil der Juli-Rcvolukion geschrieben. Ich habe dies erste Kapitel darum wieder abdrucken lassen, weil es mich glücklich machte, mich in die Zeil zurückzuversetzen, welche so reich war an Hoffnungen, an unschuldigen Freuden, ungesuch« len Vergnügungen und poetischen Entzückungen, welche aber be sonders so ganz von unserer Freundschaft auegefüllt wurde, denn unsere Generation hat das zum Voraus gehabt, daß Alle gute junge Leute ohne die mindeste Afscctalion waren; wir haben nii mil Byronschcr Lebcnsverachlung und düsterer Schwermuth ge spielt, wir haben nie gefürchtet, unsere munteren und lebensfrohen Gesichter zu zeigen, nie von Revolutionen und Stürmen geträumt, sondern ganz einfach vom blüthenreichen Frühling, von sonnen- erhellten Landschaften und Spaziergängen im schönes Thale von Montmorency. Du und ich, wir können uns Beide die Gerech tigkeit widerfahren lassen, daß wir allen unseren Jugendfreund- schafien ireu geblieben sind, welchen Weg auch unsere Freunde eingeschlagen haben. Wenn sie nach fernen Ländern reisten, ge leiteten wir sie zum offenen Meere und riefen ihnen: „Lebewohl!" zu, indem wir die Stunde der Rückkehr herbeisehmen; wenn sie ihre erste Messe lasen, fanden sie uns am Fuße des Altars knieend. — Wir saßen unter der Kanzel und horchten auf ihre erste Predigt, und mit welcher Bewegung und Thcilnahme folg ten wir nicht ihrer ersten Venheidigüngsrede zu Gunsten irgend eines schrecklichen^Räuberg, der ihnen den ersten Anlaß gab, ihre Beredsamkeit zu über. In der Deputincn-Kammer folgten wir ihnen bis zur Rednerbuhne und verloren uns in der Menge, mit dem Wunsche, ihnen die schonverschlungenen Perioden Cicero's, die uns noch aus der Schule im Gedächtnisse waren, zuflüstern zu können. Wer von uns in den Stand der Ehe «rat, der wählte »ns zu Zeugen, und wir cnisalteien immer den Ernst, den eine solche feierliche Handlung erfordert. In kurzem wirst Du der Paihe des dritten Kindes unseres Königlichen Prokuralors seyn, und ich werde die erste Tochter unseres Nomrius zu Villcrs- Coitercis über die Taufe halten. Wenn Einer von uns den Doktorgrad erhielt, haben wir cs daun jemals unterlassen, ihn zu unserem Leibärzte zu machen, damit er seine Kunst in »ulma ') Diele Widmung an Theodose Bürette, Professor der Geschickte an der Paruer umverjmtt, bilde, die Vorrede zu den eben erscheinenden gesammel ten Kritiken und FeuMcton. Artikeln I. Ianin's- Wl üben könne? Wir haben ihnen die Freundschaft bewahrt, selbst wenn sie reich, selbst wenn sie mächtige Männer wurden, um so mehr, wenn sie unglücklich oder arin waren. Wir haben uns ihren Besorgnissen, wir haben uns ihren ehrgeizigen Bestre bungen zugcsclll, wir, die wir den Ehrgeiz doch selbst nicht kannten- Wie oft haben wir nicht bei der Prüfung des Einen, bei der Preisbewcrbung des Anderen gezittert! Schien es nicht oft, ich wolle Doktor werden, oder Du strebtest nach der Ehre, in der Rechtsschule der Kollege von Demante oder Ducaurroy zu werden! Endlich unsere abgeschiedenen Freunde, der im Duell geiödicl, Jener in sich selbst untergegaugcu, ein Anderer von Liebesgram verzehrt, haben uns immer an ihren Kiffen gefunden, um ihnen die Augen zu schließen. Erinnerst Du Dich noch des schönen Jünglings, von dem wir alle Tage sprechen, unseres Stolzes und unseres Ruhmes, der, obgleich jünger an Jahren, wie ein Adoptiv-Vater uns mit seinem Rache beistand, uns mit seinem Beispiele voranging? Erinnerst Du Dich noch an Boiiard, die Hoffnung der Schule, der plötzlich eines Sonntags dahin starb, als wir aus dem Gehölz von Vincennes zurückkchncn, ohne eine Ahnung von dem unersetzlichen Verlust zu haben, der uns bedrohte? So hat, theurcr Theodosius, im Laufe von fünfzehn Jahren das Geschick, die Verbannung, der Ehrgeiz, der Tod uns von unseren cheuersten Freunden getrennt; allmalig ist unser heiterer Frcundesbund gelichtet worden. Sie sind Einer nach dem Ande ren hinweggcgangen, diese Feuerseelen, diese edlen Herzen, diese jungen Enthusiasten, diese fünfundzwanzigjährigen Gelehrten, diese jungen Thoren, welche Alles, selbst ihren mauerfarbigen Mantel, verpfändet hallen. Rufz ist auf Maninique, und schon kennen die Sklaven den Namen des guten Doktors. Der junge, liebenswürdige Schölcher wurde in seinem zwanzigsten Jahre er schossen. Und so viele Andere sind weit weg. Dieser ist in seine Häuslichkeit gebannt, Jener vom Ehrgeiz verzehrt oder gar, der Unglückliche! den politischen Leidenschaften verfallen. Wir Beide sind allein von allen diesen gelösten Frcundesbündnissen übrig ge blieben, um als Zeugen so vieler schönen, hingeschwundenen Stunden zu dienen. In diesem Augenblicke sind wir fast ganz allein, Einer beim Anderen, ohne uns einen Tag aus den Augen zu verlieren, gleichsam ein gemeinschaftliches Leben führend, die selben Bücher lesend, frei von denselben ehrgeizigen Bestre bungen, mit Wenigem zufrieden, immer zufrieden. Unser Glück ha> sich geändert; cs ist weniger stürmisch geworden, unsere Hoffnungen sind erstorben. In je weitere Ferne aber die alten Freundschaften gerückt sind, desto enger haben wir unseren Bund geschlossen, und wir begreifen jetzt gar nicht mehr, wie Einer ohne den Anderen leben könnte. Von uns Beiden warst Du indeß doch der Weiseste, weil der Bescheidenste. Du fürchtetest das Helle Tageslicht und wähltest den Wahlspruch: „Verbirg Dein Leben" zur Richtschnur Deines Betragens. Du hast mit der größten Sorgfalt Deinen Geist und Dein Talent und diesen Schwung der Seele, um welchen Dich die Berühmtesten beneiden würden, verheimlicht. Du hast weder Aufsehen noch Ruf gesucht, ja, ich glaube, Du würdest sogar den Ruhm verschmäht haben. Mich wurde cs nicht wundern, wenn Du Dich ganz in den Schatten stelltest, um mir Platz zu machen und mir den Weg zu bahnen. Du schreibst besser als ich und hast mich schreiben lassen. Dein Geschmack ist sicherer, geübter, aufgeklärter als der meinige, und Du hast mich die Anderen be- urtheilen lassen. Du hast Dich niedrig und klein gemacht und selbst mir die tiefen geschichtlichen Forschungen verborgen ge halten, aus denen so interessante Bucher hervorgegangcn sind. Du bist so ein gelehrter Geschichtsschreiber geworden, ohne es mir zu sagen; Du standest Morgens frühe auf, um in den alten Chroniken umherzuwühlen, und ich schlief noch, wenn Du schon Deine Aufgabe beendet hallest. Dann sah ich Dich kommen, so frisch, als ob Du noch nichls gelhan hättest, und wenn Du mich dann bei der Arben fandest, sagtest Du, Heuchler! zu mir: „Du arbeilest zu viel!" Wir sprachen hierauf von den Dingen, die mich inlcressirlcn und an denen Du nur meinelwcgcn Theil nähmest. Wir sprachen von den Meisterwerken des Tages ohne Leidenschaft, aber auch ohne Liebe. Wir gestanden uns, daß die berühmten Männer der Gegenwart, welche mit aller Gewalt so viel produziren, sehr Unrecht hätten, und wir belächelten oft die Fruchlbarkeit unserer Zeitgenossen, wenn wir bedachten, daß Ho-