Volltext Seite (XML)
mer'r Gedichle in einer Nußschale Platz fanden. Kamen wir auch einmal aus die Poliiik zu sprechen, so begriffe» wir nicht, wie das geistreichste Volk der Erde beständig die Poffe: „Viel Lärm um nichts" aufführen konnte. Wir wußten bloß, daß die Depulirlen-Kammer ein Denkmal ist, welches die Bestimmung hat, dem Möbel-Magazin der Krone als Seilenstück zu dienen. Wir überzeugten uns nur, daß der Palast des Luxembourg sehr nützlich durch den schönen Garten sey, in welchem so viel Flie der blüht. Und was für schöne Spaziergänge würden wir noch unter diesen herrlichen Bäumen machen, wenn uns nur die Her zogin von Dccazcs erlauben wollte, unsere Hunde frei umher- laufcn zu lassen. In unserer Jugendzeit unter Herrn von Seinon- ville, diesem leutseligen Ldelmanne, konnten Azur und Phan sich ungehindert im Luxembourg ergehen. Wozu hat nun, frage ich, die Juli-Revolution gedient, da unsere Hunde diese wichtige Freiheit cingebüßl haben. Ich sehe Dich schon, wie Du, über meine Schultern gebeugt und mit der Entzifferung dieser Zeilen beschäftigt, welche ich an Dich richte, mich zwingen würdest, sie auszustreichen, wenn ich sie nicht im Geheimen schriebe. Du würdest mir sagen, daß das nicht klug sey, und daß man mit mehr Zurückhaltung von der Depulirlen-Kammer, von der Pairs-Kammer und der Juli-Revv- luiion sprechen müsse; Du würdest hinzufügcn, daß ich in Deiner Abwesenheit die Vorrede zum „Usrnavo" geschrieben habe. Du magst indeß sagen, was Du willst, ich kann meine Sympalhicen mit dem elenden Zustande, in welchem wir leben, welcher weder Krieg noch Frieden, weder Freiheit noch Sklaverei, weder Kampf noch Ruhe ist, nicht in Ucbereinstimmung bringen. Ich bin vor allen Dingen der Mann der ruhigen Zeilen, in welchen man sich mit glatter Prosa, schönen Versen, edlen Seelenregungen, mit den glänzenden Ansprüchen des Geistes, den schönen Künsten, welche da« Leben verschönern, mit den zärtlichen Leidenschaften des Herzens beschäftigen kann. Wie viel Mühe ich mir auch gegeben habe, so habe ich doch dem rohen Drama der Gewalt und der Unordnung nie rechte Theilnahme abgewinnen können, und doch habe ich eine Revolution ausbrechcn und ein Volk sich erheben sehen, habe gesehen, wie eine Monarchie zusammenstürzle, und wie das Schiff, von dem Boffuel spricht, gleichsam erstaunt, sich unter so verschiedenen Umständen betreten zu sehen, sich in Cherbourg vor Anker gelegt hat zur Verfügung der abgehenden Könige. Wozu führen alle diese Veränderungen? sie verwirren bloß den Sinn des Zuschauers, der, nach allen Richtungen umher- geschleuderl, nicht mehr weiß, wohin er sich wenden soll, um die Wahrheit zu entdecken. Wie viel Lärm und welche Resul tate! Meiner Treu, und desto schlimmer, wenn ich lästere! ich gebe alle wahnsinnige Declamationen und den ganzen Plunder, den man die Theoricen von 1789 nennt, für eine Scene von „-Nin-liv". für die ersten Bücher der „Oonloinuonz", oder für noch weniger, für den „vsnäiäe". Hört man das schreckliche Kauder welsch, in welchem die Angelegenheiten de« Lande« abgehandelt werden, sicht man den schrecklichen Styl, der jetzt an der Tages ordnung ist, so könnte man, ich wenigstens, einen Tyrannen, wie Ludwig XIV., mit den herrlichsten Meisterwerken, welche je die Französische Sprache oder dec menschliche Geist hcrvorgebrachl hat, zurückwünschen. Damals wenigstens haue man Zeil zum Schreiben. Der Styl war damals, wenn auch nicht der ganze Mensch, doch ein Theil des Menschen, oder mindestens etwas Menschliches. Damals beschäftigte man sich eben so sehr mit einer Leichenrede des Bischofs von Meaux, einem Kapitel des Herrn von Retz, oder einer Epistel Boileau'«, oder einer Fabel La Fontaine'«, oder einem Briefe der Frau von Sövignö, wie mit der Schlacht bei Rocroy. Damals war es eine Ehre, Geschichtsschreiber, Dichter, Kri tiker, ja selbst Kritiker, zu seyn; dennoch Hane die Kritik damals noch nicht alle ihre Proben bestanden' Um eine Stellung einzu nehmen, mußte sie zuvor durch das sprühende Witzfeuer Voliaire's hindurchgehen und mußte dieses sprühende Witzfcue^ mit dem Muche Freron's aushalien. Damals gewann sic ihre Sporen und wurde eine von den anderen Mächten unabhängige Macht. End lich ist ihr sogar die Herrschaft zugefallen. Au« diesem Grunde hast Du, mein Richler, mein Rathgeber, c-mäiäo suäei. ungeachtet Deiner Besorgnisse, mir die freie und unabhängige Ausübung dieser bei uns ganz neuen Gewalt gestat tet- Freilich ging cs Dir etwas nahe, daß ich das, was Du meinen Styl und mein Talent nanntest, so verschleudern sollte. Aber, sagtest Du zu Dir selbst: Alles wohlerwogen, wel ches Werk darf sich denn jetzt wohl eine Dauer von mehr als vierundzwanzig Stunden versprechen? Leben wir nicht Alle in einer Zeil der Jmprovisaiion? Der Roman, da« Drama, die Komödie, die polnische Rede sind die Schöpfungen eines Tage«. Ist die Juli-Revolution, weil sie in drei Tagen improvisirl wurde, darum weniger eine Revolution? Also hast Du mich nach reiflichem Nachdenken in den bodenlosen Abgrund der periodischen Literatur, in welchem sich der Geist eines jeden Tages verliert, untertauchen lassen. In diesen gähnenden Schlund, welcher noch das ganze Jahrhundert verschlingen wird, hätte man Vollaire, Rousseau, Momesquieu werfen können, und da« Ungeheuer würde „Mehr!" gebrülli haben. Die ganze encyklopädistischc Schule würde nicht länger als einen Monat vorgehalien haben, und dennoch tröstetest Du Dich damit, daß Du sagtest: „Zum Wenigsten Hal er eine mächrige und starke Stellung, um welche er beneidet wird." Aber, ich bitte Dich, welche Stellung wäre nick« mit Muth und Ausdauer zu halten? Besonders die eines Mannes, der alle Tage der aufmerkjamcn Menge sagen kann, was er auf dem Herzen hat, der Tadel und Lob auscheilt, auf dessen Wort man achtel, nach dessen Unheil man verlangt. Ein solcher Mann ist eben jo sehr gesucht, wie derjenige, der über den Slaasschatz ver fügt, denn er veriheili den Ruhm. Er ist von Feinden und Schmeichlern umgeben, welche nicht weniger gefährlich sind, wie die eines einflußreichen Mannes. Er verdient gewiß die Theil nahme, denn wer sich lange Gehör verschaffen will, der muß wenigstens etwas Styl, etwas Geist, viel Much, viel Gewissen haftigkeit in seinen Urcheilen und eine außerordentliche Selbstver leugnung haben. Er muß gerecht und wahr, aufrichtig und ehren haft, nachsichtig in seinem Tadel, strenge in seinem Lobe seyn. Mil sicherer Hand muß er die Waagschale hallen zwischen zwei gleichen Berühmtheiten, eifersüchtigen Ansprüchen und diesen Schützlingen des vorigen Tages, diesen Beschützern des folgenden Tages, diesen reizbaren Celebrilälen, welche sich gegenseitig be neiden und jedes Lob, das ihnen nicht gespendet wird, für einen Raub halten. Dies ist das Leben des Kritikers, ein Leben voller Kampfe und Arbeiten, und wie viel Ruhm er auch verlheilen möge, für sich behäll er fast gar nichts übrig. Diejenigen, die er ladell, befehden ihn, und diejenigen, die er nicht genug lobt. Wo giebt cs aber einen Menschen in der Welt, den man icmals genug loben könnte. Der unglückliche Kritiker! Wie fern er sich von iedem Ehrgeize hält, er ist allen Verleumdungen und An schwärzungen ausgesetzt. Sein Leben liegt offen da; er bewohnt ein Haus von Glas. Jeder kann hinterrücks einen vergifteten Pfeil auf ihn abschießen, und unter jedem Lächeln ist für ihn eine Verhöhnung, unter jedem Händedruck ein Vcrraih verborgen. Er Hai mehr als jeder Ändere die anonymen Briese zu fürchten, und wie sollte er mit diesen fertig werden, wenn sein Kammer diener sie nicht läse. Du hast doch indeß Recht; die Stellung eines Kritikers hat, wie viel sich auch dagegen einwendcn läßt, immer viel für sich, und man kann selbst in dieser von Haß und Neid geschwängerten Atmosphäre glücklich, frei, geliebt seyn. Die Freundschaft über windet alle diese Armseligkeiten. Und übrigens kommen auch so schöne Tage, und die Strahlen der Sonne durchbrechen von Zeit zu Zeil das Gewölk. Heule emdeckst Du ein unbekannles Talent, ein Kind, welche» sich in einem leeren Saale erkältete, und dem Du zurufst: „Muth! das ist die Tragödie!" Ein andermal trifft man einen verzweifelnden Dichter, dem man auf die Schultern klopft und zu dem man sagt: „Gruß Dir, Dichter!" Oder man stößt auch auf ein unbekannte« Buch, dem man plötzlich, vermöge seiner kritischen Allmacht, die Menge und das Glück zuführr; oder das Parterre klatscht einem schauerlichen Melodrama aus Leibeskräften Beifall zu, und man erhebt sich allein zur Verthei- digung der Vernunft, der Sprache, der Hoheit der Kunst. Oder man sieht auch plötzlich eines Morgens Herrn von Chateaubriand bei sich eintrclen, der zu uns guten Morgen sagt, als wenn er uns erst am vorigen Tage gesehen hätte. Oder Lamartine, der so schön von Go» und der Liebe spricht, setzt sich an Deinen Heerd, oder Meycrbecr erzählt von den neuen Leidenschaften, mit welchen er die Künstler erfüllen wird, die nur durch ihn siegen. Das sind die großen Fest- und Freudcn-Tagc. Und welches Glück, an die Hände zu denken, die man uns reicht, an die beredten Stimmen, die uns vertbcidigen, an die Leser, deren Hoffnungen und Wünsche wir kennen, nur nicht die Namen. Ja, Du hast Recht, mein Freund, mich auszumuntern; cs ist eine schöne und edle Thättgkeu. Welcher Advokat, wie berühmt er auch seyn möge, Hai eine so schöne Aufgabe, spricht zu einem solchen Publikum und ist in dem Maße der Vcrchcidiger der höchsten gesellschaftlichen Interessen, des Schönen, Guten, Nütz lichen? Welcker Königliche Prokurawr ciiiri vor seinen Gerichts hof größere Verbrechen? Welcher Philosoph lehrt in einer größe ren Schule? Welcher Soldat vcrcheidigl, mit dem Schweine in der Hand, einen weiteren Raum? Welcher Geldmann verbreitet mehr Goldstücke, als der Kritiker Ideen? Äbcr wie soll dennoch, wenn jede Autorität gebrochen ist, die Kritik die ihrige bewahren? Wie soll in dem unglücklichen Reiche, in dem keine Siimme mehr beachtet wird, auf die der Kritik gehört werden? Wie soll end lich, während man von nah und fern Wonmachcr hcrbcizieh«, um über die politischen Angelegenheiten zu sprechen, der Schrift steller, der nur Schriftsteller ist, mit der unaufmerksamen Menge von Romanen und Geschichten, von Schauspielern und Schau spielen sprechen? Das ist das Unglück derjenigen, welche sich mit der Literatur um der Literatur willen beschäftigen, welche keinen anderen Ergeiz kennen, als an dem Platz zu bleiben, an d^n sie der Himmel gestellt Hai; das war unser Unglück, daß wir Schrift steller blieben, als alle unsere Genossen Staatsmänner wurden. In der Thal, von dieser Phalanx von jungen Talenien, welche im Jahre 1836 kaum die literarische Laufbahn betreten hatten, sind sehr wenige an ihrem Platze geblieben. Sie sind alle Prä fekten, Gesandten, Capiiaine, S>aaieministcr geworden. Der Eine von ihnen besonder«, der mächtigste von Allen, eine Art Mirabeau, der seine Rolle schon längst eingelcrm Hane, er, der jetzt das Geschick des Landes in Händen hält, gehörte zu uns, war ein Schriftsteller wie wir. Das liieraniche Joch Hal er zerbrochen und legi nun Frankreich das politiicbe auf. Wie sollen nach diesem glänzenden Vorgänge die Schriftsteller sich innerhalb ihrer natürlichen Gränzcn hatten? Die Ehrsucht Hal sie Alle erfaßt, und auf diejenigen, die bloße Schriftsteller geblieben sind, zeigt man mit dem Finger und sagt, indem man die Achseln zuckt: das sind bloße Schriftsteller. Dennoch sollte man mit mehr Schommg von ihnen sprechen und wäre es auch nur aus Achtung für das Ta lent ihrer ehemaligen Genossen, die zur Politik übcrgelrclen sind.