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sohn Jakub Kuschbegi in Ostturkestan ein gewaltiges mohammeda nisches Reich errichtet, welches von den Höhen der Pamir-Steppe bis zum fernen Kamul (Hami) reicht und wenigstens dreimal so groß wie Frankreich ist; trügen nicht alle Anzeichen, so wird diesem islamitischen Staate noch eine wichtige Rolle bei der Lösung der centralasiatischen Frage beschieden sein, denn in gleicher Weise von China und Rußland bedroht ist Jakub nichts andres übrig geblie ben, als sich um Englands Freundschaft zu bewerben, die ihm mit offenen Armen entgegcngebracht worden ist. Zu gleicher Zeit, als der kühne Abenteurer aus Chokand den Tunganen-Aufstand längs des Thian-Schan-Gcbirges bis zu den „Sechsstädten" (Alti-Schehr), jetzt „Siebenstädten" (Tschity-Schehr) organisirte, wüthete auch in Jünnan der Bürgerkrieg zwischen den Buddhisten und Moham medanern. Vambery, der berühmte turkestanische Reisende, ist ge neigt, einen inneren Zusammenhang zwischen diesen religiös-natio nalen Bewegungen anzunehmen. „Der Islam", sagte er, „dieser Erzfeind der buddhistischen Lehre, der von dem mächtigen Einfluß unserer abendländischen Kultur im Westen der alten Welt immer mehr und mehr verdrängt wird, dessen Machtperiode daselbst schon längst erlosch und der nur noch das Gnadenbrot genießt, dieser Mann will und muß durch den Druck im Westen im fernen Osten sich neues Gebiet erobern. Er weicht von hier zurück, um dort festen Fuß zu fassen, und es ist in der That äußerst merkwürdig, wie die Funken der Religionslehre des arabischen Propheten selbst auf dem fernen chinesischen Boden, wo Jndifferentismus in Religionssachen von jeher eingebürgert war, noch zu einer sengenden Flamme wer den können. Die Revolution der Taiping, welche das ohnehin morsche Staatsgcbäude China's schon bedeutend unterwühlt hatte, mußte auch anderen nichtbuddhistischen Unterthanen des chinesischen Kaisers als Ermunterung zum Aufstande dienen. In den Provin zen Kansu, Schensi gibt es kaum einen Ort von Bedeutung, wo die Mohammedaner als Vertreter des Wohlstandes, als emsige, fest zusammenhängende Leute nicht Bekannte wären, im südwestlichen Jünnan sind sie gar massenweise anzntreffen und machen den größten Theil der Bevölkerung aus. Daß bei einem Ausstande im Südwesten der eigentliche Herd desselben an Ausdehnung gewinnen mußte, und daß die Flammen nach Nordwesten, wo es ihnen an Stoff nicht fehlen konnte, hinüberlodern würden, war voraus zu sehen. Es hat von jeher eine geistige sowohl, als materielle Kom munikation zwischen den Mohammedanern Jünnans und den Mo hammedanern Kansu's und Schensi's bestanden." Die französische Mekhong-Expedition hat uns eine Fülle in teressanter Nachrichten über die Mohammedaner Jünnans gebracht, welche mit ihren Glaubensgenossen in anderen Theilen China's nach Bambery's Schätzung gegen 40 Millionen Seelen zählen. Schon in Semao, der örstcn chinesischen Stadt, welche De La- gröe und seine Begleiter betraten, erhielten sie ein Bild von den Verwüstungen des Bürgerkrieges. Indem sie die Vorstadt durch schritten, welche sie von dem Thore trennte, sahen sie überall die deutlichsten Spuren der Verheerungen, welche die mohammedanische Besitznahme im Gefolge gehabt hatte; eine große Anzahl von Ge bäuden war verlassen und halb zerstört, andere, welche man in aller Eile ausgebessert hatte, waren anstatt des Daches mit Matten oder Zweigen bedeckt. Ueberall herrschte ein reges militärisches Leben, Soldaten kamen und zogen ab, die Pagoden waren in Kasernen verwandelt, ihre Altäre dienten als Pferdekrippen; entweiht durch die mohammedanischen Empörer zeigten sie nur noch zertrümmerte Götterbilder und zerstörte Hallen. Hier wnrdc den Franzosen auch klar, daß dieser religiöse Ausstand einen stark ausgeprägten natio nalen Charakter trug. Der Süden von Jünnan ist erst am Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts von China erobert worden, und es ist diesem Staate noch nicht gelungen, das Volk, welches mit den Laotieru in enger Verwandtschaft steht, zu assimiliren und seine Autorität dort zu voller Geltung zu bringen. Man hat in Peking zugeben müssen, daß große Städte sich durch Behörden regierten, die von den Einwohnern selbst gewählt wurden, und so hat sich überall ein Geist der Unabhängigkeit erhalten, welcher auf die Los- reißung dieser Provinz vom chinesischen Reiche hinarbeitete. Drei bis vier Tagemärsche von Semar entfernt wüthete der Kampf. Der chinesische Gouverneur dieser Stadt entfaltete deshalb eine Thätigkeit, die man von einem Mandarin nicht hätte vermuthen fallen. Als er die Stadt etwa ein Jahr vor der Ankunft der fran zösischen Expedition besetzt hatte, waren zwei Drittel der Bevölkerung geflohen und er hatte ungemeine Anstrengungen gemacht, um den hier zusammengezogenen Truppen Munition und Lebensmittel zu verschaffen und den Ort, welcher jetzt einem großen Feldlager glich, durch Palissaden vor einem plötzlichen Ueberfall zu sichern. In Neng-Tong hatte er eine Menge Steinschloßflinten englischen Fa brikates gekauft. Diese Waffen, welche in Europa bald als Raritä ten gelten werden, bezeichneten in der chinesischen Armee einen be deutsamen Fortschritt. Die Luntenflinten bilden immer noch den Haupttheil der Be waffnung des chinesischen Militärs in Jünnan, und man kann sich beim Anblick solcher Truppen drei bis vier Jahrhunderte zurückver setzen. Die langen Feldschlangen von starkem Kaliber, die mit eiser nen Reifen beschlagenen Holzkanonen, die auf einer Gabel aufzu legenden Flinten scheinen aus den ersten Zeiten nach der Erfindung des Schießpulvers zu stammen. Weit mehr noch machten die Stoß waffen den Eindruck des Biittelalterlichen; die langen Hellebarden, die mit einer sichelförmigen Schneide endenden Lanzen, bestimmt den Körper des Feindes zu packen und zu zerschneiden , diese säge förmigen Spitzen, welche tödliche Verwundungen beibringen follen, alles dies erschien den Europäern mehr grotesk, als gefährlich. Massen flüchtiger Landleute verkündeten das Herannahen mo hammedanischer Truppen und De Lagree mußte die Abreise von der gastfreien Stadt beschleunigen, wenn er nicht befürchten wollte, durch die Rebellen von der Hauptstadt des Landes abgeschnitten zu werden. Man schlug einen nördlichen Weg ein, welcher immer weiter vom Mekhong abführte. Die nächsten Dörfer boten einen I trostlosen Anblick dar, sie waren menschenleer und theilweise zer stört. Die nächste Stadt, welche die Expedition erreichte, war Pueul, berühmt durch ihre Salinen. Es waren hier 18 Brunnen in voller Thätigkeit, einer von ihnen hatte eine Tiefe von 80 m. Aus denselben wird das Wasser durch Handpumpen gehoben, welche staffelförmig in Galerien aufgestellt sind, und dann durch Bambus röhren in Marmorbassins geleitet. Diese stehen wiederum mit Oefen in Verbindung, in denen in eisernen Kesseln die Soole verdampft wird. Während des Kochens wird die Mutterlauge fleißig abge schäumt. Der in dem Kessel zurückbleibende Salzblock wiegt unge fähr einen Pikul oder 60 Kilogramm. Das Brennmaterial besteht aus Steinkohle und Holz. (Vergl. Abbildung S. 20.) Inmitten dieser verheerten Landschaften gewährte der Salinenort mit seinen rauchgeschwärzten Häusern und fleißigen Bewohnern ein wohl- thuendes Bild der Civilisation. Die Urbevölkerung, welche von Francis Garnier, dem Bericht erstatter der Expedition mit dem Namen „Wilde" bezeichnet wird, hat sich auch in Jünnan in die Gebirge zurückgezogen. Zwischen j Semao und der Hauptstadt des Landes liegt auf einem reich kultivirten Plateau die Stadt Talan, deren Bevölkerung zum größten Theil aus dem wilden Stamme der Honhi besteht. In ihrer Tracht ähneln ^sie den südlicher wohnenden Kho, doch sind sie kräftiger und schöner und nähern sich in ihrer Gesichtsbildung dem abendländischen Typus, die Augenbrauen sind horizontal, die Augen schwarz, die Haut ist kupferfarbig. Die Frauen dieses Völkchens find außerordentlich kräftig, und das ! Auge ruht mit Wohlgefallen auf ihren beweglichen Gestalten. Die Honhi, welche fehr geschickt den Bogen zu handhaben wissen und sich vergifteter Pfeile bedienen, haben sich mit den Chinesen zur j Niederwerfung des mohammedanischen Aufstandes verbündet. In den benachbarten Bergen wird Gold gewonnen und in der Stadt Weberei getrieben; trotz des gebirgigen Charakters der Gegend steht der Ackerbau auf einer sehr hohen Stufe der Entwickelung, die Höhen sind weit hinauf kultivirt und mit großer Kunst Wasserleitungen angelegt. Der erste bedeutendere Ort aus dem weiten Plateau, welches die Hauptstadt des Landes trägt, war Iuen-Kiang, hingelagert zwischen den blauen Gewässern des Hoti-Kiang, welcher in süd östlicher Richtung Tong-king zuströmt und kahlen, sonnenverbrannten, rothbraunen Bergen, die steil zum Flusse absallen. Die graue Farbe der Gebäude, die Platten Dächer, die Gärten, welche innerhalb der Mauern liegen, verleihen der Stadt einen mehr arabischen als chinesischen Charakter. Die Ebene zwischen den westlichen Bergen und dem Strome war gelb und nackt, der Reis eingeerntet und seine goldenen Garben hier und dort aufgestellt. Nur einige An pflanzungen von Zuckerrohr und kleine Haine von Areka-Palmen j und Orangen unterbrachen die Eintönigkeit der Gegend. Der Empfang der Expedition in Iuen-Kiang war außerordent- Ilich würdevoll und feierlich. Die Mandarinen erwarteten die