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Der Kakao oder die Schokolade. Von vr. Waeber, Professor der deutschen Sprache am aargauischen Lehrerseminar Mettingen. Unter den für Nahrung und Erquickung des Menschen ge eigneten Erzeugnissen der Tropenwelt nimmt der Kakao eine höchst wichtige Stelle ein. Derselbe ward in früheren Zeiten von manchen für ein „Schweinefutter", von anderen für Am brosia erklärt. Der berühmte Naturforscher und Botaniker Linns, der ein besonderer Liebhaber der Schokolade war, nannte den Kakao eine „Götterspeise, Nbsobroma Oasao" und dieser Ehren name ist ihm auch als Taufname in der technischen Sprache verblieben. Zuerst machten die Krieger des Mexiko-Eroberers Cortez mit diesem vorzüglichen Getränke Bekanntschaft, im Jahre 1520. Sie fanden den Kaiser Montezuma in seinem glänzenden Palaste, wie er gerade ans einem goldenen Becher einen Trank schlürfte, der, mit Vanille und andern Gewürzen versetzt, mit einem gol denen Löffel gequirlt, und zu Schaum geschlagen, dem kaiser lichen Gaumen nicht schlecht zu behagen schien und den die Mexikaner Oacaolmoguu buitl nannten, ein Wort das sich die Spanier erst mundgerecht machen mußten und in OllosolM ver wandelten. Wie hoch die Kakaobohnen bei den Mexikanern im Werthe standen, läßt sich daran erkennen, daß dieselben bei ihnen die Rolle einer Münze spielten. Im Jahre 1528 hatte der Mönch Franz v. Bobadilla im Dorfe Teola, unweit der heutigen Stadt Leon, eine lange Unterredung in Fragen und Antworten über Sitten und Gebräuche des Volkes mit dem Kaziken Chichoytona. Der Inhalt dieser Unterredung ist durch den Geschichtschreiber Oviedo vollständig auf unsere Tage gekommen und wenigstens der Anfang derselben ist für uns nicht un interessant. Der Mönch fragte: „Wie bezahlt ihr die Arbeiter und womit kauft ihr das, was sie verfertigen? Der Kazike ant wortete: „Wir bezahlen sie mit Mais, Kakaobohnen, Mänteln und andern Waaren". Dasselbe war in Nicaragua Sitte. Die Kakaobohne, welche man als Patlachtli oder Patlastl (von xatw, d. h. wechseln, tauschen) bezeichnete, ging als Scheidemünze von Hand zu Hand und wurde nach Mquipilli oder 24,000 Bohnen gezählt. Man erinnert sich, daß der Pfeffer im Mittelalter bei uns in der Schweiz dieselbe Rolle spielte. Wie heute noch bei den Chinesen alle Steuern in Reis, so wurden sie bei den Mexikanern in Kakaobohnen entrichtet und noch gegenwärtig dienen dieselben in Nicaragua stellenweise statt der mangelnden Scheidemünze. Bald nach, der Eroberung des mexikanischen Landes durch die Spanier galten 1000 Bohnen 5 Realen oder 2,-° Mark, im Anfänge des 19. Jahrhunderts sogar 3,so Mark. Im allgemeinen wußten die goldgierigen spanischen Conquista- dores den Werth dieser edlen Frucht wenig zu schätzen; hätten sie es aber gewußt, hätten sie die Vanille, den Indigo, die Chinarinde, den Kakao als die wahren Schätze erkannt, so würde vielleicht ihr König, Philipp II. bei seinem Absterben nicht 140 Millionen Dukaten Schulden hinterlassen haben. Wir Pflichten vollständig dem Wackern Populärphysiologen Brillat- Savarin bei, wo er behauptet: Wenn die Entdeckungen dieser organischen pflanzlichen Schätze trotz der Hindernisse stattfanden, ^ie eine eifersüchtige und habsüchtige Nation der Wißbegierde entgegenstellte, so darf man glauben, daß sie in nächster Zeit verzehnfacht werden und daß die Mchforschungen, die die Natur forscher des alten Europa in so vielen noch unbekannten Län dern machen werden, uns mit einer Unzahl von Substanzen be reichern werden, welche uns entweder nene Genüsse kennen lehren, wie dies die Vanille that, oder nene Nahrnngsstoffe, lvie den Kakao." Der Kakao hat, wie alles Bedeutende auf der Welt, ein Wechselndes Schicksal gehabt: die einen riefen Hosiannah! — die anderen kreuzige, kreuzige ihn! Auch er hat, wie seine Brü der, der Thee und Kaffee, seine Leidens- und Ruhmesgeschichte. Aber schon im 16. Jahrhundert, noch bevor Kaffee aus Arabien oder Thee aus China gebracht wurde, war der Kakao ein be vorzugter Bestaudtheil der Kost der feinen und luxuriösen Klassen w Europa. Könige bewirthetcn Gesandte mit diesem Getränke. Nach der Restauration in England gab es Buden für den Schoko ladenverkauf und das Pfund galt 85—125 Pfennige. Die Aus allen Welttheilen. VI. Jahrg. englischen Schauspiele, die leichten, satyrischen Essays, die Denk schriften und Privatbriefe dieser Zeit nehmen von der Schokolade die häufigste Notiz. Die Gewohnheit, Schokolade zu trinken, ward für das Zeichen eines feinen und guten Geschmackes ge halten. „Der Kakaobaum" in St. James-Street zu London, auch sonst berühmt als Haus sür politische Zusammenkünfte, ist bekannt in der englischen Geschichte als Bereinigungshaus po litischer Parteien. Wegen seines köstlichen Reizes ward der Kakao namentlich in den Zeiten der Königin Anna und Georg's I. von den Hofleuten hochgeschätzt und die gelehrten Naturforscher dieser Zeit erheben seine offizinellen Vorzüge, vr. Friedrich Hoffmann in Halle verfaßte eine lateinische Abhandlung „über das Getränk Schokolade", indem er es als ein Heilmittel empfahl für alle nervösen Verstimmungen, niedergeschlagene und hy pochondrische Gemüthsstimmung, Geistesschwäche oder allgemeine Erschlaffung. Der gute Gelehrte hat speziell den Fall Richelieu notirt, welche berühmte Persönlichkeit durch die Schokolade ihren Lebensfaden, der am Brechen war, noch lange Zeit hindurch hat fortspinnen können. Der berühmte Voltaire hat der Schoko lade alle Ehre erwiesen; man traf ihn oft im Cafs Procop, wie er seine Mischung von Schokolade und Milch schlürfte. Einen erheblichen Handelsartikel bildet indessen der Kakao erst, seitdem er vor etwa 145 Jahren auf der Nerra tirms, d. h. im heutigen Venezuela und dann auf den Antillen an gebaut wurde. Am schnellsten verbreitete sich die Schokolade in Spanien, wo sie gegen das 17. Jahrhundert eingeführt wurde. Zwar eiferten auch gegen dieses Getränk die besorgten Bischöfe, indessen ließen auch sie sich endlich herbei, zu Gunsten der schö nen Büßerinnen den Satz: Illgaickum Iwa IranAit jsjuninm, d. h. „Flüssiges bricht Fasten nicht", zu erweitern und schließ lich fanden gerade Vie Mönche und namentlich auch die spa nischen Frauen an dem aromatischen Getränke einen ganz be- sondern Gefallen. Die spanischen Kreolinnen lieben die Schoko lade bis zum Exzeß so zwar, daß sie nicht nur täglich mehrmals Schokolade trinken, sondern sich auch noch solche in die Kirche nachtragen lassen. Die Schokolade überschritt die Pyrenäen mit Anna von Oesterreich, Tochter Philipps des Zweiten nnd Gemahlin Lud wigs des Dreizehnten. Auch trugen die spanischen Mönche zu ihrer Kenntniß bei, indem sie den französischen Kollegen Ge schenke damit machten. Ueberhaupt haben sich die Mönche ein besondres und gewiß nicht das kleinste ihrer Verdienste durch ihre Befürwortung der Schokolade erworben. Der Kakaobaum ist ein echter Sohn des Südens, ein Freund der Wärme, die auch seine Frucht in so reichem Maße genießt. Er ist nicht einer tsrra llrmo, sondern einem vulkanisch bewegten, heißen Boden entsprossen und wirkt durch seine Frucht auch physiologisch wie eine Feuerspeise. Er liebt ein heißes Klima von 24—28° C.; die nördlichsten Pflanzungen befinden sich in den Thälern des Alta mira, in Georgia und im südlichsten Gebiete des Mississippi, häufiger am Meerbusen von Mexiko, ebenso in Guatemala und an der Westküste von Mexiko, wo die beste Sorte (von Soconusco) erzeugt wird. Je näher dem Aequator, desto besser der Kakao: Honduras, Mexiko, Costarica, Nicaragua, Columbia, Guayana haben zahlreiche Plantagen, Brasilien liefert dagegen nur wilden Kakao, Westindien war früher reich an Pflanzungen; seitdem dieselben aber durch Orkane zerstört wur den — wenn ein Orkan sämtliche Bäume umbricht, geht auf mindestens sechs Jahre die Aussicht auf eine Ernte verloren! — sind sie nur an wenigen Punkten wieder aufgekommen, so auf Martinique, Granada und Trinidad. Derjenige Kakao, welcher nach Deutschland gelangt, stammt zum größten Theil aus Guayaquil, einem Departement des Freistaates Ecuador; schwei zerische Schokoladefabriken beziehen ihn meines Wissens haupt sächlich aus Venezuela. Betrachten wir den interessanten Baum etwas näher! Der Kakaobaum ist vou mittlerer Größe, 4—12 Meter hoch und 30 bis 45 sm. im Durchmesser haltend. Dem äußern Ansehen nach hält er die Mitte zwischen der Orange und einer groß- g?