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Mder aus dem untern Weichselgebiete. Von Hnstav Jaquet. Vic Mnrmckmrg. In den westpreußischen Werdern verweilt und die „Marien burg" nicht besucht zu haben, hieße so viel als in „Rom ge wesen zu sein und den Papst nicht gesehen zu haben"; eine Unterlassungssünde, deren sich bekanntlich selten nur ein Tourist schuldig machen dürfte. So ist es denn wohl nur in der Ord nung, wenn wir unserer Schilderung der westpreußischen Werder und ihrer Bewohner (S. 70 bis 72) zunächst eine Beschreibung der „Marienburg", dieses uoch immer nicht nach Verdienst ge würdigten und außerhalb der Provinz Preußen immer uoch viel zu wenig gekannten Prachtbaues der Ritterzeit, folge« lassen. In nicht vollen drei Viertelstunden trägt von Dirschau, dem immer mehr in Aufnahme kommenden, hart an der Grenze zweierWerder belegenen Knotenpunkte der Ostbahn, dasDampf- wß uns nach Marienburg, einer freundlichen Stadt von beiläufig achttausend Bewohnern, welche durch Bevölkerung wie durch merkantile und gewerbliche Thätigkeit sich ansehnlich über das Niveau gewöhnlicher Ackerstädte erhebt und als Sitz des Landrathsamts, des Kreisgerichts und der Superintendentur die administrative, gerichtliche und parochiale Hauptstadt des uach ihr benannten Kreises und Werders ist. Unmittelbar neben dieser Stadt erhebt sich die Burg, welche der Stadt den Namen gab und nm welche herum dieselbe im letzten Viertel des drei zehnten Jahrhunderts entstand. Anderthalb Jahrhunderte war sie die Residenz jener ritterlichen Priesterfürsten, die unter dem Namen der „Hochmeister des Deutschherren- Ordens" (auch »St. Marien-" oder „Deutschen" Ritterordens) einen Staat beherrschten, der an Umfang manches heutige europäische König reich ansehnlich übertraf. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung, iw Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts, umfaßte derselbe nicht nur die heutige Provinz Preußen, sondern auch die Neu wark Brandenburg, Samogitien, Kurland und Livland, reichte also von der Mittelodcr bis zur Südgrenzc Esthlands. Es war im Jahre 1230, als die Ritter des „Deutschen Ordens" — des jüngsten unter den drei zur Zeit der Kreuzzüge iw Gelobten Lande entstandenen geistlichen Ritterorden — zuerst den Fuß in das Land der heidnischen, zwischen Weichsel und Niemen seßhaften Preußen setzten, welches ihnen der Papst Gregor IX. und der Herzog Konrad von Masowien, denen es sreilich beiden nicht gehörte, geschenkt hatten. Die Eroberung des Landes schritt bei der Volksmenge und dem tapferen Wider- Hande seiner Bewohner langsam nur, doch stetig vorwärts. So war denn nach vierzig Jahren fast unausgesetzten Kampfes die größere westliche Halbscheid des Landes im Besitz der Ritter und zum großen Theile auch bereits christianisirt und germani- ßrt. Um den wiederholten Einbrüchen der kriegerischen Be wohner des noch freien östlichen Landestheils nachhaltig Wider stand leisten zu können, legte man überall Bürgen an, so auch 1274 am östlichen Ufer der Nogat die „Marienburg", also benannt nach der Schutzpatronin des Ordens, der Jungfrau Maria. Solches geschah durch den Ritter Konrad von Thierenberg, welcher damals als „Landmeister" — d. h. Stellvertreter des im Morgenlande weilenden Hochmeisters — w Preußen gebot. Um ihrer Lage willen (so ziemlich in der Mitte des bereits eroberten Landestheils) wurde die Burg zum Atze des Landmeisters und somit zur Hauptstadt des Preußen- tandes bestimmt. Sie vor andern Ordensburgen auch durch ben Namen auszuzeichnen, wurde sie „das Hochschloß" oder »das Ordens-Haupthaus" genannt. Doch war die Burg trotz dieses Titels mehr fest als wohnlich angelegt, mehr Festung als -Herrensitz. Dies änderte sich jedoch gar sehr, als im Jahre 1309 — nachdem der Orden inzwischen die geringen Landbesitzungen, welche er im Morgenlande gehabt, an die Sarazenen gänzlich verloren hatte — der Hochmeister Siegfried von Feucht wangen seinen fürstlichen Sitz nach dem inzwischen gänzlich eroberten Preußenlande und in die Marienburg verlegte. Schon für den Ordens-Statthalter, den „Landmeister", waren die Räumlichkeiten des Hochschlosses etwas zu beschränkt gewesen; für den gefürsteten Hochmeister und seine Hofhaltung waren sie völlig unzureichend und auch zu wenig glanzvoll. . So ließ denn Siegfried von Feuchtwangen, welcher am 14. September 1309 mit stattlichem Gefolge seinen Einzug in die Marienburg hielt, dem Hochschlosse das mit großer Pracht ausgeführte „Mittelschloß", und diesem wieder die „Vorburg" hinzufügen; jenes als hochmeisterliche Residenz, diese als Wohnung der niederen Hofbeamten, eines Theiles der Knechte und des ge- sammten reisigen Trosses. Damit erhielt denn die Marienburg einen Umfang, wie vielleicht kein zweiter Fürstensitz jener Zeit sie hatte. Gleichzeitig entfaltete sich in ihr auch eine architek tonische Pracht und Großartigkeit, welche Staunen erregte. Nach Siegfried von Feuchtwangen, dem zweiten und vor nehmsten Gründer der Marienburg, haben in derselben noch sechzehn Hochmeister mit fürstlicher Pracht, die meisten auch mit fürstlichem Sinne, gewaltet. Am längsten und ruhmreich sten Winrich von Kniprode (von 1351 bis 1382), unter welchem der Orden und das Ordensland ihr goldenes Zeitalter hatten. Dreiviertel Jahrhundert danach, am 6. Juni 1457, mußte sein neunter Nachfolger im Hochmeisteramt, der un glückliche Ludwig von Erlichshausen, bei Nacht und Nebel als Flüchtling die Hochmeisterburg verlassen, um Leben und Freiheit vor einer Rotte meuterischer böhmischer Landsknechte zu retten, welche der bedrängte Orden in seinen Sold und in die Burg ausgenommen hatte. Von diesen ward bald darauf Stadt und Schloß Marienburg an König Kasimir von Polen verkauft. Es war dieses zur Zeit jenes schweren zwölfjährigen Krieges (von 1454 bis 1466), welchen der Deutschherren-Orden gegen den „Preußischen Bund" und den Herrscher von Polen zu führen hatte und in welchem er schließlich den kürzeren zog. Durch schnöden Verrath habgieriger und meuterischer Söld ner war die schöne Marienburg in polnischen Besitz gekommen und sank nun von einer Fürstenburg zum Wohnsitze polnischer Starosten herab. Diese verzwickten und zerstückten um ihrer Bequemlichkeit willen den Prachtbau des Hoch- und Mittelschlosses durch allerhand geschmacklose Aus-, An- und Einbauten, während die nun nicht mehr benutzte „Vorburg" allmählich ganz in Trümmer sank. Doch schlimmer noch als in der polnischen Zeit erging es der Marienburg, als bei der ersten Theilung Polens (1772) mit dem übrigen Westpreußen auch Stadt und Schloß Marienburg unter dieHerrschaft Friedrich's des Großen gekommen war. Dieser Monarch hatte, gleich seinem über sparsamen Vater, auch nicht die kleinste romantische Ader. Einzig was nützte, fand vor seinen Augen Gnade, und ganz wie er dachten seine Minister. Um die „alte unnütze Burg" nutzbar zu machen, wurden in ihren Räumen Werkstätten für Weber, ein Getreidemagazin, eine Moutirungskammer, ein Pferdestall und eine Reitbahn angelegt. Dadurch verfiel der Prachtbau natürlich immer mehr und sollte schließlich (1804) gar „zum sofortigen Abbruch" öffentlich verkauft werden. Da, so zu sagen „in der elften Stunde", nahten ihm zwei Retter. Es waren dies Max von Schenkendorf, der begeisterte Sänger altdeutscher Herrlichkeit, und Heinrich Theodor von Schön, der freisinnige, um Preußens gleich namige Stammprovinz hochverdiente Staatsmann. Sie waren es, die in Wort und Schrift auf die große historische wie archi tektonische Bedeutung der Marienburg hinwiesen. Dem ersteren verdankt man die fernere Erhaltung desjenigen, was dem Zahne der Zeit und den Zerstörungen durch Menschenhand noch nicht erlegen war; dem zweiten aber die Wiederherstellung eines großen Theils der vorhandenen Burgreste in ihrer alten Pracht. Denn nur von Resten können wir bei der Marien burg noch reden. Von dem umfangreichsten, aber freilich archi tektonisch auch unbedeutendsten Theile des einstigen Ordenssitzes, von der Vorburg, ist nämlich fast gar nichts mehr übrig, und Aus allen Welttheilen. II. Jahrg. 29