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'Nö»,nu:ch ers»«intn kni Nunimern. Pränumeration«' Preil 22 z Sgr. (j Tdlrg vierlellöbrtich. Z Wr. für Las ganze zgabr, ohne Sr> VSdung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für d«e Man prZnumerlrt ans tiefe! Beiblatt ter Allg. Pr. Staal»- Aeililng in Berlin in ter Expedition (Mohren - Straß« No. 3H; in der Provinz so wie im Aullande bei den Wohtlöbt. Post > llemtern. Literatur des Auslandes. -W' ISO. Berlin, Mittwoch den 16. Dezember 1833. Belgien. Das Franc»-Irrenhaus in Gent. Mit Rccht rühmt ma» die polizeilichen inid WohltbätigkcitS-Iiisti- <uke der Statt Gent. Zwei Etablissements unter Anderem »eben die Aufmerksamkeit des Reisenden ans sich — jedes Reisenden, könne» wir sagen, namentlich aber desjenigen, der für die betreffenden Gegenstände gar ein besonderes Interesse nulbringt; das eine gebürt der allgemeinen Eivilisalion des Landes an, dessen zweite Stadt Gent ist; das andere ist ihr durchaus rizenthümlich. Jene» ist das Hanpi-Gcfangcncnhaus; das zweite: das Frauen-Irrenhaus. Die Gegenstände, um die es sich Haude», sind Unglück und Verbrechen, wie wir sehen; aber wo ist für den Reisenden, sein Geschäft süßer, wo nimmt er das Bild der Elvili- salio» mit wä mcrcr Bewunderung auf, als in Stiftungen, die den Zweck haben, das Unglück zu verstehen, in seine Tiefe cinzudringen und seinen Jammer zu mildern, und das Verbrechen zu bestrafen, nicht aber zu rächen und zu vergelten? Machen wir denn zuerst einen Gang in das Irrenhaus, uns mit dem Unglücke vertraut zu machen, das dort herrscht; ein Unglück, das ost die Verbrechen des anderen Hauses er klärt — deuu sehen wir nicht hier und dort zerrüttete Vernunft; hier für kurze Zeit, dort für immer! Ein Mörder ist mehr immer verrückt, ich weiß es wohi; aber wer Beide an demselben Tage siebt, den Wahn witzigen und den Verbrecher, überträgt unwillkürlich auf den Zweiten etwas von dem Erbarmen, das ihm der Erste cingcstösft Hal. Wir klopften an eine gewöhnliche Thür, über der sich keine In schrift, kein Schild, gar kein äußere« Zeichen der Bestimmung des Hauses befand. Die Stadt hat es verschmäht, ihre Wunder zur Schul zu tragen, sic in goldenen Buchstaben gleich dem Fremden in die Augen leuchten zu lassen, der vielleicht gleichgültig rörüberfährt im eitlen Siolz aus diese Vernunft, deren Existenz von einem Fieber oder einem Ver lust, einem Geldverlust abhängt. Eine bejahrte Schwester mit einer Brille öffnete. Sie liest uns in einen niedrigen Saal eintrettn, an dessen Wänden Nepositoricn herumliescn, aus denen Phiolen und Büchsen, mit EliquctS versehen, standen. Wir befanden unS in der Armen- Apolbckr. Hier erhallen sie die uötbigen Medikamente umsonst; eben die Austbeilung dieser Arzneien war das Amt der Schwester, die uns -empfangen Halle. So ist dasselbe Haus zugleich die Zusluchlsställc für die armen Kranken am Körper wie für die am Geiste. Sic erhallen ihre Arzneien umsonst, so lauge sie ihren Verstand haben, und verlieren sie auch den, so gicbt ihnen die milde Stadl auch »och Dach unk Fach, Belt und Kost und ärzllichc Behandlung dazu. Obgleich mit unserem Besuch i» der Anstalt zugleich ein amsticher Zweck verbunden war, den einer der Herren, die mir die Ebre erwiesen, in ich hinzuführeu, sie zugleich zu inspiziren haNc, so war doch deutlich zu sehen, das, wir die guten Nonuen — die das ganze Jahr lang säst nur mil Armen und Narren zu thun haben und höchstens durch den Arzt der Anstalt erfahre», wie die, so nicht arm und nicht geistesabwe send sind, leben und sich tragen und gcbcrden — in vielfache Verle genheit gebracht hauen. Sie rrrölhelem siouencn ängstlich uuocrucbm- licke Wor e; cs schien, als fürchteten sic von nuftrem Besuch eine üble Wirkung auf ihre arme» Schützlinge, als s kämteu sic sich im Voraus in die unglücklichen Seelen jener Armen hinein, deren licscs Elend wir zu betrachten kamen. Wir unsererseits lickten cs dagegen au dem nicht schien, was allein geeignet ist, der Neugier das Widerwärtige und Be leidigende, was sie ha«, zu benehmen: unser Ernst und unser achtungs volles Bezeigen verfehlten die günstige Wirkung nickt. Die Jüngste unter ihnen wurde beauftragt, uns die Anstalt zu zeigen. Sie nahm ein Bund Schlüssel, und eine zweite Thür, die sic uns auslhat, führte -u»S in s Innere des Hauses. Keiner dieser achluitgswerlhcn Inngsraucn wird daS, was ich hicr schreibe, in die Hände kommen; de? Ruhm selber würde in jene Stätte der Abgeschiedenheit und Einsamkeit nicht tinzndringcn vermögen, wo sich Engel in irdischer Hülle die Pflege Unglücklicher, die von den Mensche,i nicht mehr und von Go» noch nicht gemocht werden, zum Geschäft machen. Wenn es weltliche Ausdrücke sind, die mir in die Feder fließen, indem ich eine von ihnen schildern will, so habe ich nicht zu fürchten, daß solches Bild von ibr in weltlichen Farben sic in dem stillen Frieden ihres Dasevus stören könnte, und die Röthc verschämter Bescheidenheit auf ihre Wange» locke» unter dem weinen Schleier, der ihr reizende« Gesicht zur Hälfte verdickt. Und weshalb mich vcribeidi- qen, daß ich meinen Lesern die Größe ihres Opfer« zu bcwtmdcrn gebe, sie veranlasse, derjenigen einen Scukzcr der Ehrfurcht zu weihen, die e« über sich vermocht hat, Geist, Anmuch und Schönheit in die Wohnung de« Jammer« zu begraben. Die junge NonNc, die uns führte, ist es, von der ich rede. Ich müßte einer Sprache mächtig sehn, die keusch ltud glühend, streng und zärtlichsüs; zugleich wäre, wollt' ich ihr Antlitz schildern, ohne cs'zu entweihen. Ihr schwarze« Auge, ihr flüchtiger Blick, der über die Gegenstände nur leicht dahmglitt; ihre feinen blassen Lippcn, die ein Paar Reihen hübscher, aber vernachlässigter Zähne sehen ließen; ihre Wangen, auf denen die strengen Klostcrpflichtc» noch nicht die Jugend zerstört hatten, wo aber von Tag zu Tage von de» Rosen ein Paar dahinwclkicn, die der Sommcrhauch der Weit wie bald wieder frisch gcküßt hätte; ibr lieblicher Gang, nachlässig und gleichgültig wie er war; die reizenden Formen ihrer Gestalt, die selbst die steife ge schmacklose Ordenstracht nicht verdecken konnte; ihre zarte, feine, aber klanglose Stimme, die, wie ihr Auge die Gegenstände, so leise die Seele berührte; ihre seine» mageren Händchen, wie Schnee so weiß, die ans den weiten Aermcln hervorfahcu, die schweren Schlüssel tragend — all diese Schönheiten, die von sich selber nicht« wußten, »lackten die junge Nonne zum vollkommensten Typus feuer Frauen, die zwischen Himmel und Erde leben, der Erde durch die Barmherzigkeit, die sic üben, an- gebörend, und dem Himmel durch den geistigen Tod de« Körper«; Geschöpfe, die hicnicdc» schon die Läuterung bestehen, die sie dem Pa radiese zuführcn soll; weibliche Wesen, die nicht krank und nicht ge sund, nicht alt und nicht jung zu neunen sind, die die Jahre durch- walle i, ohne sie zu fühlen, und sterben, ohne gelebt zu haben. So wie ich sie nur hcreinlreien sah, ibr Bund Schlüssel in der Hand, und sie uns mit der Hand bedeutet halte, ihr zu folgen, mit einem leise» Lächeln, ohne uns anzuschcn. empötte sich mein ganze« Herz. Gedanken an Tvrannci, an erzwungene Gelübde, cm tbörichtc, verblen dete Aclicr.i, stiegen in mir auf, und der Zorn de« achtzehnten Jahrhun derts gegen die geistlichen Gelübde sing an, sich in meiner Brust zu re gen. Ich dichtete mir eiucn Roman zusammen; ich entriß dies reizende Wesen dem düster» Aufenthalte, der cs umfing; ich gab sie der Welt wieder, fah sie im Geiste als Gatlin und Muller, al« die Freude und den Stolz zweier Familien, und war auf diese Weise schon nabe daran, über meine Einbildungen da« Mädchen selbst und ibr wabrc« eigcu- lkümliches Wesen aus den A lgen zu verlieren, an ihrer Seile zu gehe», ohne dtli Dusl dieser holden fremden Blütbc in mich cinzualhmen. Doch eilt genauerer Blick auf sie, und mein Roman war verschwunden. DaS crstc'Wvrt, das sie sprach, belcbrlc mich, daß sie nicht beklagt, sondern veistandcn sehn wollte. Alle romanbaslc Vorstellungen mußte ich von mir tbun und förmlich erst besser werden in mir selber, wenig stens sür einen Moment, nm die« jungfräuliche Leben zu fasse», in welchem das größte Opfer selbst etwa« Mechanische«, zur Natur gewor dene«, und die unendlichste Hingebung kaum cin Bcwußiseyn darüber bat, was sie eigentlich ist und sagen will. Ich ging neben ihr brr und tbat eil!« Menge Fragen an Sc, ansangs mit der albernen Neugier eines Ungläubigen, der durchaus hinter aller dieser Entsagung die Spu ren eines weltlichen Schmerze« entdecken wollte, nach und nach aber mit süßem Geistcsstaunen und heiliger Ehrfurcht,'mit einem Gefühl und einem Interesse, da« weder mein noch ihr Herz bcunrnhiglc oder ver wirrte." Alle ihre Antworten waren verständig, richtig und sicher, ohne alle Scheu oder Zaghaftigkeit; sic ließ sich ost von mir ansehen, ruhig duldete sie'« bei jeder Frage, ohne ihr Antlitz zu wenden; daß darin eine andere Schönheit zu finden seh als in dem Gesicht der Alten in der Apotheke, davon wußte sie nicht«. Die Religion batte diese Seele bei ihrem Austritt aus der Kindbcit, ehe sie sich de» Leidenschaften ge öffnet, ergriffen; kein Wort der Versuchung war je zu ihr gedrungen, ihr Herz batte tkic gesprochen; ihr Herz mit allen Keimen der Leiden- schaflcn batte sie in ibrer Familie gelassen und den Schleier genommen, wie cin schöne« Wcltkind. Sic zeigte un« zuerst die verschiedenen Abtbeilungcn de« Hause« — die Schlafzimmer, die inneren Säle, die Küche, das Krankenzimmer. Alle diese Pieycn sind im höchsten Grade nett und sauber. Die Betten sind gut, weich und bequem; eine Menge armer Frauen, die, so lange sie bei Verstände waren, kaum einen Stroksack zum Lager batten, finden hier noch zuletzt ein Bett, wo sie sich sanft niederlegcn und sorgen frei schlafen können bi« zum Hellen Morgen; o, heiliges gesegnete« Er barmen, das schon auf Erden die bimmliscben Versprechungen wahr macht und göttlich heilt und auSgleicht! All' diese Wesen, die die Kraft, sich selber zu leiten, verloren baden, werden hier gepflegt, wie man Kinder pflegt, die jene Kraft erst bekommen sollen. Sie haben Luft, Licht und Sonne, haben den freien Gebrauch ihrer Glieder, we nigsten« diejenigen, die von Wuthansällcn verschont sind, haben Speise und Trank im Ueberfluß, die nämliche Kost, die die frommen Nonnen genießen, die sic ihnen zubcrciten und reichen. Ein geschickter Arzt, der