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nur nicht durchdringenden Elemente zu stärken, zugleich aber die berufnen Hüter deutscher Sitte, die sich schon allzulange mit der Rolle bloßer Klageweiber be gnügen, zur Antheilnahme an der Dramen-Auslese aufzurütteln, damit nicht fortwährend in die lauschende Provinz Nachrichten von Erfolgen hineingetutet werden können, die selbst in Berlin niemals hätten zustande kommen dürfen. Doch mit alledem sind die Schwierigkeiten der Wahl des Stoffes keineswegs erschöpft. Sehen wir ganz ab von Berlin und Provinz: auch jedes Menschenalter hat seine besondere Ideale. Die Verkünder des liberalen Gedankens im Lauf der vierziger und fünfziger Jahre mußten, wenn sie auf ihr Publikum wirken wollten, andre Motive, andre Charaktere verwcrthen als ihre romantischen Vorgänger, und es kann des halb einem Ueberschlauen nur zu leicht passieren, daß er nach sorgfältigstem Studium der maßgebenden Gaumen diesen eine Kost bietet, für die der Geschmack gerade gewechselt hat. Es darf nicht mißverstanden werden, wenn ich jetzt ein paar Meister vom Fach erwähne; denn einem Neuling, der die Bretter erst erobern will, sind ganz andre Aufgaben, und zwanzigmal schwerere gestellt als einem Veteranen. Aber wer sich unter diesem Vorbehalt überzeugen will, mit wie verschiednen Mitteln in verschiednen Epochen z. B. der Gedanke einer Mischheirath erläutert wurde, der vergleiche Gustav Freytags „Grafen Waldemar" mit der „Haubenlerche" des Ernst von Wildcn- bruch. Den Grafen sicht man heute noch, weil er eine so schöne Rolle abgiebt; sonst würde selbst Freytags klangvoller Name nicht vermögen, dem altmodischen Stücke Zuhörer anzu- lockcn, und wer seit einem Lustrum in seine Fußstapfen zu treten versuchte, dürfte zu seinem Mißvergnügen erfahren haben, daß die Zeit solcher Vollblut-Aristokraten vorüber ist, daß sie und ihre „milisr^ nicht mehr interessieren. Ernst v. Wilden-