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Kapitel XV. (Unmoderne und „moderne" Technik. Kann SHakespe re jemals veralten? Was Kenntnis der Menschenseele und Bau der Handlung anlangt, bezeichnen seme^rämen einen Höhepunkt, zu dem man noch Jahrhunderte lang immer nur aufschauen wird. Dowden hat es vortreff lich ausgeführt, weshalb gerade die lebensfreudige und that- kräftige Kultur des Elisabethanischen Englands der Entwickelung eines dramatischen Genius so günstig war, und wer mit der deutschen Geschichte nur einigermaßen vertraut ist, wird sich nicht wundern, daß unsre Heimath bis zur Zeit des Alten Fritz jeder großen dramatischen Hervorbringung bar blieb. Unser klassisches Lustspiel, „Minna von Barnhelm", fußt auf dem siebenjährigen Kriege und würde ohne ihn nie ge schrieben worden sein; Major v. Tellheim ist der nur wenig idealisierte Dichter Ewald v. Kleist, dem Lessing in Leipzig näher getreten war und der in der Schlacht bei Kunersdorf fiel- Dann wurde der Name Shakespere zum Schibboleth für das literarische Deutschland. Entwickelungsfähig erschien nur, wer zu Shakespere schwor. Diese tiefgeheime Sehnsucht zum größten Dramatiker teutonischer Abkunft, durch Lessing' S Kritik gegen den französischen Klassizismus vorbereitet, durch Goethe'S