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195 könnte, wenn er nur nicht diesen schrecklichen Humor besäße, d. h. also, wenn er etwas von einem Einfaltspinsel gehabt und vor dem Getriebe der Welt etwas dümmer dagestanden hätte. Seine Augen hätten schwächer sein müssen, dann meinen die Frauen, würde er besser gesehn und richtiger ge zeichnet haben. Shakespere begnügt sich eben niemals mit der Ab schilderung der hübschen Vorderfront, er zeigt uns immer auch die Kehrseite. Er geht um die Dinge herum und gewinnt oft erst von rückwärts den richtigen Standpunkt zu ihrer Be- urtheilung. Der Vathetiker stellt sich vor eine Wand und deklamiert: da, welche Festigkeit, welche Stärke, welch ein Boll werk ! Der Humorist sieht genauer hin, geht kopfschüttelnd zur Seite, blickt wieher^nd sagt lächelnd: es ist ja garkeine Wand; es ist nur eine bemalte Kulisse. Nun gibt es eine Minderheit, die, durch Erfahrung damit vertraut gemacht, daß fast jedes Ding auf der Welt seine schwache, seine komische Seite habe, sich entschließt, Alles, was auch vorkomme, fortan nur von dieser Seite zu nehmen. Solche Leute haben dann eine „humoristische Weltanschauung." Sie sprechen anscheinend nie mehr ganz ernsthaft; sie sprechen wie der gute Thomas in Anzengrubers prächtigem Volksstücke „Heimgefunden" von seiner alten Mutter- „I geb ihr a Busserl, und sie gibt mir a Watsch'n; dös nennen wir den Austausch unsrer Gfühli". Es ist ihm keinesfalls lustig dabei zu Muthe, wenn er das sagt; ja die Sache ist eigentlich recht traurig. Die Alte, voller Eitelkeit vernarrt in ihren „bessern Herrn Sohn" (einen Advokaten, der sich seiner Herkunft schämt und das Elternhaus meidet, aber im Bankerott es sich dort gern wieder behaglich machen läßt) weiß den gutherzigen Thomas garnicht zu schätzen, behandelt ihn wie einen dummen Jungen und ohrfeigt ihn, wenn ihr gerade danach zu Sinn ist. Vielleicht blutet Thomas dabei das Herz, aber er wird nicht