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99 nicht weit kommen, wird an der Oberfläche haften bleiben. Diese Sehnsucht, der Ibsen einen mitunter bis zur Drolligkeit bizarren Ausdruck gegeben hat, bedeutet ja Nichts weiter als das dunkle Gefühl, daß Helmer die ganzen acht Jahre der Ehe hindurch an Nora doch mehr die Befriedigung seiner eignen Instinkte, als ihr Wesen um dessen selbst willen geliebt hat, und sie verlangt aus ihrer echt weiblichen Bildung heraus nach einem romantischen Zwischenfall, der ihren Gatten einmal mit selbstvergessner Hingabe an sie und ihre Natur handeln ließe. Der große Augenblick kommt. Jetzt könnte Helmer be weisen, daß sie nicht blos immer ihm, sondern daß er auch ihr einmal zu genügen wüßte. Und siehe da: statt wie ein fein fühliger und hochherziger Freund benimmt er sich nicht blos mit männischem, sondern geradeswegs viehischem Egoismus- Nur an sich, sein Behagen und sein Fortkommen vermag er zu denken. Er hat kein Auge für die Welt, die da im Herzen Noras in Trümmer geht. Daß sie sich nach solchem Erlebniß verschüchtert, erkältet zurückzieht, ist selbstverständlich. Aber sie kleidet sich um, kommt wieder, und während Helmer jetzt gute Worte giebt, beginnt sie ihm schneidende Sarkasmen um die Ohren zu schlagen. Nachdem sie ihn acht Jahre hindurch schrankenlos verwöhnt und ihm in Allem nachgegeben hat, bläst sie sich plötzlich vor ihm auf, ganz Rachsucht und unerbittliche Doktrin. Sie wird nicht blos, was sie noch niemals war, logisch, sondern sie wird geschäftsmäßig; nicht blos kühl gegen Helmers Versprechungen und Bitten, sondern höhnisch. „Ich seh cs, ich seh es", sagte Helmer, „ein Abgrund hat sich zwischen uns aufgethan! Aber Nora, sollte der sich nicht überbrücken lassen?" Bei diesen Worten beginnen die Herzen des Publikums nach Helmers Seite hinüberzuflattern, die Partei Nora's wird schwächer und schwächer, bis diese zu guterletzt den Abschied nach Art einer praktischen Hausfrau gestaltet, die einen Ausflug über Land machen will und beim