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Wo. 44. PAPIER-ZEITUNG. 1037 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme; Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Buchgewerbliche Ausstellung im Deutschen Buchhändlerhause zu Leipzig. Seit dem berühmten Buchhändler-Abrechnungstage, dem Sonntag Kantate, ist in dem eben so reizvoll wie unzweckmässig gebauten Buchhändlerhause am Johannisthal zu Leipzig eine buch gewerbliche Ausstellung eröffnet. Ihr nächster Zweck war die Vorführung der letzten buchhändlerischen Jahres-Erzeugung an künstlerisch, wissen schaftlich und graphisch interessanten Werken von Anfang 1889 bis Ostern 1890 gerechnet, zur Belehrung der zur Jahresversammlung in Leipzig anwesenden Buchhändler. Im Anschluss daran sollte eine Sammlung ausgewählter Arbeiten der photochemischen Wiedergabe verfahren den hohen Stand dieser Techniken bekunden und die Be sucher mit der Herstellungsweise der Negative, Platten und Abzüge bekannt machen. Nachdem die Börsenvereinsmitglieder Leipzig längst wieder ver lassen haben, bleibt dennoch die Ausstellung bis auf weiteres ge öffnet, und wegen des Fortfalls übergrossen Besucher-Andrangs bietet sie gerade jetzt vortreffliche Gelegenheit zum Studium. Im rechten Flügel des Buchhändlerhauses, im ersten Stockwerk, liegen die Bäume des Buchgewerbemuseums, welche gegenwärtig fast vollständig zu Ausstellungszwecken benutzt sind. Fremde Be sucher, die viel vom Leipziger Buchgewerbemuseum gelesen und sich nach der Bedeutung der ihm anvertrauten Bücherschätze eine Vor stellung von seinem räumlichen Umfang gebildet haben, staunen über die Beschränktheit seiner Räume. Ein Saal links, ein Saal rechts, zwei kleine Zimmer für Verwaltungszwecke in der Mitte, — das ist alles. Wenn Sonderausstellungen veranstaltet werden, müssen die »Standard«-Artikel des Museums in den Bücherspinden unterge bracht werden, die auf umlaufenden Galerieen des rechtsliegenden Saales aufgestellt sind, oder sonstwo in Kisten oder Schiänken. So geschah es auch diesmal. Nur auf einem langgestreckten, mit Glaskästen versehenen Tischgestell ist im rechtsseitigen Saale eine Anzahl von Perlen der ehemals Klemm’schen Inkunabelnsamm lung untergebracht. Als ich die verdienstvollen nnd sehr entgegen kommenden Leiter der Ausstellung und des Museums, Herrn Konsul Lorck und Herrn Bibliothekar Burger nach den Ursachen dieses unwürdigen Zustandes fragte, zuckten sie wehmüthig die Achseln: — »Es fehlt am Nöthigsten, — am Geld und am Raum!« Das Museum gehört dem Centralverein für Deutsches Buch gewerbe, hat einen Jahresetat von 9000 M., der für laufende Aus gaben, Beamten-Gehälter und Neuanschaffungen ausreichen soll; die Stadt Leipzig zahlt nur den kleinen Jahreszuschuss von 2000 M, der Leipziger Buchhändler-Verein einen Beitrag von 1000 M.; die Räume im Buchhändlerhaus sind vom Börsenverein hergegeben, und seit dem Tode des alten braven bücherfreundlichen Schneidermeisters Heinrich Klemm hat sich kein edler Wohlthäter mehr gefunden, der nennenswerthe Beträge für das Museum geopfert hätte. Aus dem Klemmschen Nachlass ist freilich noch eine Summe von 50 000 M. vorhanden, sie darf aber nur für Neuanschaffungen verwendet werden, und die Verwaltung hütet dies Kapitälchen mit begreiflicher Sorgfalt. Die Klemm’sche Sammlung selbst wurde seiner Zeit vom Sächsischen Staate für 400000 M. angekauft und in der liberalsten Weise dem Centralverein als Leihgabe übergeben. Die Museumsleiter hatten die Wahl: entweder eine dürftige Neu heiten-Ausstellung und ein dürftiger historischer Theil, oder: eine gute, ausreichende Neubeiten-Ausstellung und so gut wie garkein historischer Theil. Nach dem Grundsätze: »ordentlich oder garnicht« zogen sie den ersten Ausweg vor. Nun ist allerdings das eigent liche Buchgewerbemuseum nahezu verschwunden, dafür ist aber wenigstens die Neuheiten - Ausstellung sehr vollständig, sehr be deutend und lehrreich. Die beiden Theile der Ausstellung sind auch räumlich gesondert: links liegen und stehen auf Tischen und Gestellen die im Vorjahr erschienenen Bücher, rechts die Erzeugnisse der photochemischen Wiedergabeverfahren. Beide sind gleich bedeutend, gleich interessant; und sie ergänzen einander, indem man rechts die Herstellung des Bilderschmucks, links seine Anwendung im fertigen Erzeugniss beob achten kann. Der Katalog-Eintheilung folgend, will ich mit der Bücher-Abthei- lung beginnen. Sie umfasst etwa 1300 Nummern und ist in 7 Gruppen getheilt. Die erste Gruppe »Prachtwerke« umfasst allein 220 Nummern, darunter viele ausserordentlich werthvolle Stücke. Es ist natürlich hier unmöglich, all diese prächtigen Erzeug nisse, in welchen das Buchgewerbe seine besten Leistungen aufbot, ihrer Bedeutung nach zu würdigen. Ich greife daher nur einzelne Prachtstücke heraus. Da ist vor allem die »Goldene Chronik der Wettiner« in 3 Ausgaben, darunter eine in der Ausstattung, wie sie dem König von Sachsen und dem Deutschen Kaiser überreicht wurde, — ein Riesenwerk in fürstlichem Gewände. Ich habe das Format nicht nachgemessen; es mag aber etwa 60 zu 100 cm betragen. Dieses Exemplar liegt in einem Glaskasten und wird nur in Gegen wart eines der Museumsvorsteher gezeigt. Die »Goldne Chronik« enthält eine werthvolle Sammlung aller wichtigeren Urkunden, Miniaturen, Bildwerke, mittelalterlichen Dichtungen usw., die auf das Haus Wettin Bezug haben. Die Nachbildungen erfolgten in Licht druck, meist durch Römmler & Jonas und Stengel & Marquardt in Dresden. Der schwere, gediegene Band ist in Lederschnitt mit Edelmetallbeschlag von Hübel & Denck in Leipzig ausgeführt. Unter den hervorragenden Bilderwerken verdienen zunächst die systematischen Wiedergaben von Galeriewerken und Arbeiten be deutender Maler Erwähnung. »Die Gemäldegalerie des Grafen Schack« in Heliogravüre-Wiedergabe mit Text und verstreuten autotypischen Bildern (München, Dr. Albert & Co.) ist ein Prachtwerk grössten Stils mit ausgezeichneten Bildern, zu dem Graf Schack selbst den Text geschrieben hat. Aehnliche Tendenz verfolgt »Das Werk Adolf Menzels« (München, V.-A. f. K. u. W.). Der Ausdruck »Das Werk« soll hier den Gesammtbegriff des Menzelschen Schaffens ausdrücken, und demgemäss finden sich im Innern Wiedergaben von Skizzen, Studien und ausgeführten Bildern unsres Menzel. Der Text ist von M. Jordan und M. Dohme geschrieben. V. Angerer-Wien legte eine Sammlung von Wiedergaben Makartscher Werke, in trefflichen, von Biechinger in Wien ausgeführten Heliogravüren, aus; Grote-Berlin zeigte sein grosses Weik »Gemäldegalerie der Königlichen Museen,« Wiskott-Breslau seine »Studienmappen deutscher Meister.« In diese Gruppe gehören auch die zahlreichen, theils bei Wiskott - Breslau, theils bei Dahlström-Hamburg, Boysen & Co.-Hamburg und F. & P. Lehmann in Berlin erschienenen Lichtdrucke nach Zeichnungen von C. W. Allers, die prächtigen Radirungen von Mannfeld, und die riesigen Photographieen nach englischen Meistern aus dem Verlage der Photogr. Union in' München. Von illustrirten Dichterwerken ragt besonders eine neue Pracht ausgabe von Goethe’s Hermann und Dorothea (Grote-Berlin) mit herr lichen, von Riffarth-Berlin ausgeführten Photogravüren hervor. In Gruppe II, Nachschlagebücher und Zeitschriften, finden sich fast alle bedeutenderen deutschen Zeitschriften, darunter auch viele graphische Fachblätter. Besondeis umfangreich und interessant ist Gruppe III, Literatur-, Kultur- und Kunstgeschichte und Kunstgewerbe. Hier finden sich ver schiedene neue Werke, die für Angehörige der in der Papier-Zeitung vertretenen graphischen Fächer Interesse haben. Ich erwähne: J. Reimers, Peter Flötner nach seinen Handzeichnungen (München, G. Hirth); Brinckmann, Kunst und Handwerk in Japan (Berlin, R. Wagner); Grenser, Zunftwappen und Handwerker - Insignien (Frankfurt a. M., W. Rommel); Häuselmann, Studien über Ursprung, Wesen und Stil des Ornaments (Zürich, Orell, Füssli & Co.); Hirths Formenschatz 1889; Meyer, Handbuch der Ornamentik, (Leipzig, E. A. Seemann.); Michel, l’Ornementation des reliures modernes (Paris, Michel); Ortwein-Scheffler, Deutsche Renaissance (Leipzig, Seemann). In diese Gruppe gehören auch verschiedene Werke, die auf Grund ihrer Formatgrösse in Gruppe I untergebracht sind; so z. B. die neue Ausgabe von Allegorieen und Embleme (Wien, Gerlach & Schenck); das Musterbuch für graphische Gewerbe (Stuttgart, Engelhorn), und der Motivenschafz für die Graphischen Künste (Wien, Thiel & Schkerl), sämmtlich Werke, die gleich andern vorerwähnten Büchern in der Papier-Zeitung bereits Würdigung fanden. Von den übrigen Gruppen ist für uns besonders Gruppe VII, (Geschichte, Länder- und Völkerkunde) noch insofern bemerkens- werth, als in derselben der Einfluss der deutschen Kolonialpolitik auf buchgewerbliche Veröffentlichungen sehr deutlich vortritt. Nicht allein eine Menge von Reisewerken, die hauptsächlich Deutsch- Ostafrika betreffen, sondern auch zahlreiche grosse Karten von Afrika lassen diesen Einfluss erkennen. Ich zählte im ganzen 18 Nummern »afrikanische Literatur«. Danach kann man sich einen ungefähren Begriff machen, welche Rolle der dunkle, jetzt aber immer heller werdende Erdtheil in der buchhändlerischen Spekulation spielt. (Fortsetzung folgt.) Drucksacnenporto. Wie wir in Nr. 43, Seite 1024 mittheilten, hat der Bundesrath die Einrichtung jener Zwischenstufe in dem Drucksachentarif ver fügt, gegen deren Einführung der Staatssekretär im Reichspostamt, Herr v. Stephan, sich bisher mit grosser Ausdauer, trotz aller Peti tionen, gesträubt hat.