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936 PAPIER-ZEITUNG. No. 40. mag für sich selbst sprechen, wie der Umstand, dass die Kalan- drirung eher besser statt geringer wurde, seit Herr Lange, auf pünkt licher Einhaltung der Vertragsbedingungen beharrend, eine Wagen ladung geringwerthigeren Papieres rundweg ablehnte. Da ein so ge diegenes Blatt wie die »Abendschule« im Zeitalter der Druckgrippe nicht die Hälfte der Abonnenten hat, die es bei einem weniger ver dorbenen Geschmack des lesenden Publikums haben sollte und könnte, so ist dieser Preis noch keineswegs der äusserste. Illustrationsdruck von dieser Beschaffenheit würde zu 53/ oder 51/2 Cents (46—44 Pf. das Kilo) in Schiffsladungen »mit Handkuss« losgeschlagen werden. Angesichts solcher Preise wird es niemanden wundern, dass wir hier seit einigen Jahren einen förmlichen Bücher- und Zeitungs- krieg haben. Die Auflagen werden nicht mehr nach Tausend oder Zehntausend, sondern nach Hunderttausend und Millionen bemessen. Wo ein legitimer Verleger unter Mithilfe einer bemittelten Papier fabrik und einer leistungsfähigen Druckerei und Binderei mit der Herausgabe eines populären Werkes bei 100 000 Auflage einen guten Erfolg hatte, darf man sicher sein, dass ein Schleuderer-Trio sich zusammenthut um eine Raub-Ausgabe zum halben Preise, aber bei 2 bis 500 000 Auflage herauszugeben, da ja die Menge es bringen muss (!). Nur diesem Raubsystem war es zuzuschreiben, dass eine so rührige und erfolgreiche Verlagsfirma wie Belford, Clarke & Co. in Chicago und New York mit über 200 000 Dollar Verbindlichkeiten ihre Zahlungen einstellen musste. Es lag so sehr im Interesse der Papierindustrie, dass ein solches Unternehmen nicht untergehe, dass der Firma von allen Seiten beigesprungen und sie in den Stand gesetzt wurde, ihre Thätigkeit sehr bald wieder aufzunehmen. Von den Verlagswerken dieser Firma werde ich meiner nächsten Sendung einige Probehefte beilegen. Wenn ich nun noch beifüge, dass man sich in Amerika eher zwingen lässt, »Etwas Gedrucktes« zu kaufen, als dass man sich zwingen lässt, es zu lesen, so muss es auch für europäische Auf fassung erklärlich sein, dass Tausende und Abertausende von Zeitungen nicht einmal aufgeschlagen, geschweige gelesen werden. Bücher bis zu 20 Dollar werden auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege weiblicher Agentenunwiderstehlichkeit und monatlicher Abzahlungen in Menge gekauft und — bleiben ungelesen. In den Hallen der Postämter müssen wohl täglich 25 000 Centner von »Gedrucktem« — frisch angekommene, den Postfächern entnommene Zeitungen, Broschüren, Probenummern, Fachblätter, Kataloge, Preislisten, billige Reklame, unbedeutende Briefe und Postkarten — zusammengekehrt werden. Der intelligente Neger, der dieses Geschäft im hiesigen Postamt früh morgens um 5 Uhr besorgt, sagt, dass er im Süden nicht so viel Papier verwenden, als hier im Norden verschwenden gesehen habe. Die Sache ist schon so weit gekommen, dass die Druck-Industrie zu ganz fabelhaften Mitteln greift. Den Anwälten im ganzen Gebiete der Vereinigten Staaten wurde ein Anerbieten gemacht, einen gemeinschaftlichen Briefbogen drucken zu lassen, auf dessen Rückseite ein allgemeines Anwaltsverzeichniss mit immer nur einem Anwalt aus einer Stadt angebracht werden soll. Die Zeit wird lehren, ob die gute Idee ausgeführt oder geraubt wird. Ein anderer Unternehmer hat damit begonnen, Rechtsanwälten ge druckte »Schlüssel« zu liefern, mit deren Hilfe sie sich auf der Suche nach Präzedenzfällen durch das Labyrinth der dickleibigen Gesetzessammlungen spielend hindurchwinden können, da ihnen der Schlüssel ganz genau sagt, in welchen Bänden und auf welchen Seiten dieser Bände ein bestimmter Präzedenzfall enthalten ist Solche Ideen sind ihres Erfolges meist sicher; stets sicher ist aber, dass sofort die Raubproduktion sich der Idee bemächtigt, dasselbe Anerbieten zum halben Preise an dieselbe Adresse richtet und so den Werth des geistigen Eigenthums schon von vornherein in Frage stellt, ohne dass der Urheber des Gedankens an den bestehenden Gesetzen eine ausreichende Waffe besitzt, um sich gegen solchen Diebstahl zu schützen. Das amerikanische Copy Right ist ein wirk samer Schutz gegen Nachdruck von fertig vorliegenden Verlags werken, dagegen ist es machtlos, wo es sich um den Schutz eines erst noch im Drucke auszuführenden Gedankens handelt. In den Hotels fallen jedem zunächst die mustergiltig und vom besten Material hergestellten Fremdenbücher auf, die zugleich als Hotelrechnungsbücher dienen und mehr der letzteren Eigenschaft wegen geführt werden, da man niemanden zwingen kann, sich in ein Fremdenbuch einzutragen, wo so viele der werthen Gäste des Schreibens unkundig sind, wie im Lande der hundertjährigen Vor- angeschrittenheit. Ein derartiges Fremdenbuch ist nach allen Regeln der Druck-, Liniir- und Bindekunst gearbeitet, aber seine 250 mit recht gutem Löschkarton durchschossenen Blätter besten Ledger Papers sind nicht weniger nach allen Regeln der Reklamekunst mit Anzeigen gefüllt, und zwar so, dass der zum Einschreiben bestimmte Raum von allen Seiten so dicht von Reklame eingeengt ist, dass von einer Schreibseite nur der vierte Theil »wirkliches Fremden ¬ buch« ist. Wer so unamerikanisch wäre, nach dem Preis eines solchen hauptbuchartigen Fremdenbuches zu fragen, würde erfahren, dass der Hotelbesitzer nicht nur nichts für das unter 25 bis 30 Dollar kaum herzustellende Buch bezahlt hat, sondern erst noch recht höf lich gefragt werden musste, ob er etwas dagegen einzuwenden habe, wenn ihm ein solches franko gegen Empfangschein auf seinen Zahltisch gelegt werde. Die Anzeigen in dem Buche stammen näm lich zum grösseren Theile von des Hotelbesitzers Schuster, Schneider und Handschuhmacher, Tischler, Sattler und Gewürzkrämer her, und wehe einem jeden, der da sich weigern wollte, dem reichen Hotelbesitzer und guten Kunden ein Fremdenbuch schenken zu helfen. Der Gastwirth könnte ja seine getrockneten Nelken und den unge spaltenen Kümmel auch wo anders holen lassen. So wird die in direkte Steuerpolitik von oben bis unten ad absurdum getrieben. Dass das Fremdenbuch den Hotelbesitzer statt 30 mindestens 60, vielleicht 100 Dollar kostet, weiss er meist, sagt sich aber, dass er bis zur letzten der 500 Seiten mindestens 500 Gelegenheiten habe, sich seinerseits für die gepfefferten Preise seiner Fremdenbuch- Donatoren anderweitig zu erholen. Ganz dasselbe ist mit Wein- und Speisenkarten der Fall. Nur sehr feine Hotel- und Restaurantbesitzer sind selbständig genug, sich von ihren Lieferanten um den Preis einer geschenkten Speisenkarte nicht abhängig zu machen. Leitende Mitglieder reicher Vereine finden es mit ihren geschäftlichen Ansichten vereinbar, sich bei Ver gnügungen und Bällen vom Weinlieferanten die Ballprogramme mit Weinliste schenken zu lassen. Buchdrucker und Lithographen haben längst aufgehört, bei Drucklieferung an Händler auch nur 1/4 Prozent Nutzen auf das Papier oder sonstiges Material zu schlagen. Ja, während sie selbst am ersten des Monats bezahlen sollen, darf es vielen nicht darauf ankommen, Papier und Druck zwei Monate zu kreditiren. Das Beste sind aber doch wohl die Hemdenbänder. Eine feine Hemdenfabrik hatte angefangen, je zwei schlichtelegante, zollbreite Streifbänder um die gefalteten Herrenhemden zu befestigen, was bekanntlich sehr gut aussieht. Kaum gedacht, ward der Idee ein End’ gemacht! Seit einigen Jahren werden allen Waschanstalten solche Streifbänder mit ihrer Firma (im Verein mit anderen An zeigen) gratis ins Haus geliefert. Man nimmt an, dass eine mittlere Waschanstalt 1000 bis 1500 Streifbänder in der Woche braucht. Könnte sie indessen das Zehnfache gebrauchen, so wäre es dem Unternehmer um so lieber. Während aber die ursprüngliche Idee der Verwendung dieser Streifbänder bei Aufmachung neuer Hemden einen Sinn hatte, weil Handelsmarke, Halsweite und Bezeichnungs nummer auf den ersten Blick sichtbar waren, ohne dass das sorg fältig gefaltete Hemd aufgethan zu werden brauchte, ist das Anzeige streifband nur eine der vielen Eintagsfliegen, zumal kein vernünftiger Mensch auf die Dauer an die Kraft dieser Anzeige glaubt, die vom Kunden so schnell weggerissen, wie sie von der Waschmamsell um gelegt wird. So sehen wir deutlich, dass die Raubindustrie, unter welchem Aushängeschild sie immer auftreten mag, dem natur gemässen Papierverbrauch entgegenarbeitet, statt ihn zu fördern. Anzeige-Agenten und Bücherreisende, die noch vor zehn Jahren als Geschäftsfreunde empfangen wurden, sind schon so äusser Kurs, dass sie durch Verbottafeln und Anschläge von den Schreibstuben ferngehalten werden. »No Book Agents admitted here!« (Hier werden keine Bücher-Agenten zugelassen). »We don’t believe in advertising agents!« (Wir halten nichts von Anzeigen-Agenten). Als ich kürzlich mit einem Paket Drucksachen und Papiermuster in der Hand eine Schreibstube betrat, wurde mir schon von weitem entgegengerufen: »Kommen Sie uns nicht mit Büchern! wir empfangen keine Buch agenten mehr!« Als ich dem etwas Voreiligen klar gemacht, dass ich ihm nicht ein Buch, sondern »ein Geschäft« ins Haus bringe, entschuldigte er sich mit der Versicherung, dass Tag für Tag männliche und weibliche Bücheragenten sich ablösen, und dass dieses Massenangebot von »Etwas Gedrucktem« zu einer der sieben Plagen Amerikas geworden sei, die vermuthlich ein Ende mit Schrecken nehmen werde. G. Kraft. (Schluss folgt.) Sieler & Vogel, Papier-Lager, Hamburg. Leipzig. Berlin SW. Eigene Fabriken in Gölzern u. Böhlen i. Sachsen feinste und mittelfeine Druck- und Notendruckpapiere, Bunt-, Licht- u. Kupferdruckpapiere, farbige Umschlag- u. Prospect papiere, Post-, Schreib- u. Conceptpapiere, Spitzenpapiere Export. +—- [45950