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No. 42 PAPIER-ZEITUNG. 897 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Helmaspergers Instrument. In der Erfindungsgeschichte der Buchdruckerkunst spielt das sogenannte Helmasperger’sche Notariatsinstrument eine grosse Rolle. Es enthält ein amtliches Protokoll über eine Eidesleistung, durch welche Johann Fust am 6. November 1455 seine Ansprüche an Johann Gutenberg vor Gericht darlegte. Die Urkunde wurde zuerst in Senckenbergs »Manipulus documentorum« im Jahr 1734 veröffentlicht und ist fast in allen Werken über Erfindung der Buch druckerkunst dem Wortlaute nacli abgedruckt. Joh. David Köhler hatte 1741 die wichtige Urkunde noch selbst in Händen, späteren Forschern dagegen gelang es nicht mehr sie aufzutreiben, und obgleich der überlieferte Text ganz dem zu Guten bergs Zeiten üblichen Kanzleistil entsprach, tauchten allmälig Zweifel an der Echtheit des Schriftstücks auf. Karl Faulmann z. B. erklärt sie in seiner, übrigens von oberflächlichen Urtheilen strotzenden »Illustrirten Geschichte der Buchdruckerkunst« schlechthin für un echt, und auch Friedr. Kapp in seiner Geschichte des deutschen Buchhandels spricht Bedenken gegen ihre Echtheit aus. All diesen Zweifeln ist jetzt dadurch ein Ende gemacht worden, dass Prof. Karl Dziatzko die Urschrift in der Universitätsbibliothek zu Göttingen entdeckt hat. Er berichtet über den hochwichtigen Fund in einer kleinen Schrift Beiträge zur Gutenbergfrage«, welche im Verlag von A. Asher & Co. in Berlin soeben erschienen ist und eine Lichtdrucknachbiklung der Urkunde enthält. Wie aus diesem interessanten Werk hervorgeht, befindet sich das Helmaspergersche Instrument seit 1741 in der Göttinger Biblio thek. Es liegt gefaltet in einem eigens dazu hergestellten Blech- kästchen, in dessen Deckel eine Denkmünze auf Gutenbergs Erfindung- eingelassen ist, welche Prof. Köhler zur 300jährigen Jubelfeier der Buchdruckerkunst 1740 selbst entworfen hatte. Bei der Urkunde liegt ein Zettel, welcher besagt, dass Köhler sie der Universitäts bibliothek geschenkt hat, gleich nachdem er sie zu seinem Buch »Ehrenrettung Jo. Gutenbergs« benutzt hatte. Das Blatt ist gut er halten und die Schrift vollkommen leserlich. Nur die linke obere Ecke ist durch Beschneiden abgerundet, wobei der obere Theil des geschnörkelten Initial-I fortfiel. Die Schlüsse, welche aus den, nunmehr als echt erwiesenen Ausführungen der Urkunde gezogen werden können, sind folgende: 1. Die geschäftliche Verbindung zwischen Gutenberg und Fust, welche 1455 gelöst wurde, galt der Herstellung gedruckter Bücher. 2. Gutenberg war dabei allein die leitende Person. 3. Seine geschäftliche Verbindung mit Fust reicht etwa bis zum Anfang des Jahres 1450 zurück. 4. Schon bei Beginn der Vereinigung stand für Gutenberg Wesen und Ziel der Typographie nebst den zu ihrer Durchführung erforderlichen Einrichtungen im wesentlichen fest. Wenn Guten berg nicht imstande gewesen wäre, Proben der neuen Erfindung zu geben und den Nutzen derselben klarzulegen, so hätte der vor sichtige Fust schwerlich die verhältnissmässig hohe Summe von 1500 Gulden hergegeben. Es kann daher als feststehend gelten, dass Gutenberg schon um 1450 brauchbare Buchdruckleistungen liefern konnte. Fliegender Buchhandel in Berlin im Jahre 1848. Geschichtliches Erinnerungsbild von Dr. Gustav Eberti. Die Berliner Tagesliteratur war bis zur Gewährung der Press freiheit im März 1848 äusserst dürftig. Äusser den beiden alten Berliner Zeitungen, die der Volksmund »Tante Voss« und »Onkel Spener« nannte, erschienen seit 1844 wöchentlich einmal die »Ber liner-Pfennig-Blätter« mit harmlosen Novellen, Erzählungen, Buntem Allerlei, Nachtischkörbchen und Räthseln verschiedener Art, und nebenbei für den »gemeinen Mann« der »Beobachter an der Spree«, der mit seinem Januskopf in der Titelvignette etwas im Wider spruch stand; denn er erzählte einseitig nur das, was die Polizei erlaubte. Hierzu gehörten lange und langweilige Romane, Berliner Stadtklatsch, augenscheinlich meist erfunden und auf das Verständ- niss seichter Köpfe zugeschnitten. Äusser diesen reizlosen Käseblättern suchten A. Hopf, Ernst Kossak und Glassbrenner zuweilen dem Humor und der Satire durch »Berliner-Genre-Bilder« Geltung zu verschaffen, die sich aber natürlich auch innerhalb der engen Grenzen halten mussten, welche die Censur ihnen zog, und die daher, weil ausserdem auf die grosse Masse des Volkes berechnet, nicht allzu geistreich werden durften. Vielfach musste der damalige »Guckkästner« an der Königs-Brücke zu einer Karrikirung in Wort und Bild und die noch nicht vorhan dene »Roochfreiheit« zu guten und schlechten Witzen herhalten und diese Literatur, die meist zum Fastel- oder zum Sylvester-Abend er schien, ging denn auch wegen Mangels an Besserem so reissend ab, wie an diesen Abenden die warmen Pfannkuchen. Bei Lindow unter den Königskolonnaden war die Hauptniederlage jener Literatur, und dort prangten allerlei Bilder aus dem Volksleben jahraus jahrein in Ge meinschaft mit Traumbüchlein, Planeten, Liebes - Briefstellern und anderem Unsinn. Der Buchhandel auf offener Strasse lag einigen Ausschreiern ob, die von Hof zu Hof gingen und dort die »Neue Beschreibung einer schrecklichen Mordthat, wodurch ein junger Schneidergeselle seine Frau und 27 Gesellen ermordet« u. dergl. ausriefen. Bei dem um jene Zeit selbstverständlich noch vorherrschenden Mangel an Eisenbahnen erfuhr man auch in der »Vossischen« oder der »Spenerschen« Zeitung die neuesten Nachrichten in der Regel erst nach acht bis vierzehn Tagen und war damit, da man es nicht anders gewöhnt war, auch garnicht unzufrieden. Vom elektrischen Telegraphen hatte man noch keine Ahnung; höchstens dass der op tische Telegraph hier und da behördlichen Zwecken diente. Mit dem 18. März, dem Beginn der »Pressfreiheit«, änderte sich dieses Verhältniss. Neben der Vossischen und der Spenerschen Zei tung erschienen bald die demokratische »Urwähler- (spätere Volks-) Zeitung«, die reaktionäre »Neue Preussische- oder Kreuz-Zeitung« und die gemässigt liberale oder konstitutionelle »National-Zeitung«, sowie andere bald eingeschlummerte oder ausgelöschte Zeitschriften. Dar unter befand sich auch die »Ewige Lampe«, die der bekannte Gast- wirth Carl Siechen in Verlag genommen hatte. Er verlor deshalb die Schankkonzession, erhielt sie aber später wieder. Humor und Satire fanden ihre Vertreter in dem damals noch jugendfrischen Kladderadatsch«, und für die tägliche Unterhaltung der Berliner sorgten zahlreiche Flugblätter, Karikaturen, Gelegenheits-Gedichte und Extra blätter aller Art, die in mehr oder minder geistreicher Weise die Vor kommnisse des Tages beurtheilten und verspotteten. Mit dieser Art Literatur entstand auch der »fliegende Buch handel«; denn die täglich einander überstürzenden neuen Erschei nungen mussten doch unter das Volk gebracht und verkauft werden, und Hunderte, wenn nicht Tausende beschäftigungsloser Jungen und Arbeiter ernährten damals sich und ihre Familien vom Verkauf dieser »Eintags-Literatur«. Fast alle paar Stunden erschien etwas Neues, und wer sich auf dem Laufenden erhalten wollte, musste natürlich einen Sechser, einen Groschen oder auch sechs Dreier anwenden und sich ein solches Blatt kaufen. Mehr wie sechs Dreier durfte aber so ein Blatt in der Regel nicht kosten, wenn es Absatz haben sollte. Selbst der sehr schön mit Holzschnitten illustrirte »Kladderadatsch« erschien zu diesem Preise. Unter anderen Blättern kam damals auch August Buddelmeiers Zeitung »Das Berliner Grossmaul« — ebenso geistreich wie sein Titel, die viel geistreichere »Ewige Lampe« von Arthur Müller und sehr viel andres, was werth gewesen wäre, der Nach- weit aufbewahrt zu werden. Die fliegenden Buchhändler hatten theils feste, eigenmächtig in Besitz genommene Standplätze, theils zogen sie von einer Ecke zur andern, ihre Waare den Vorübergehenden durch oft überlaute An preisung feilbietend. Nebenher fand man an allen Buchhändler- und Buchbinder-Läden Bilder und Karikaturen theils ernster, theils komischer Art — kurz und gut — der Buchhandel war vielleicht das einzige Geschäft, was in jenen Tagen flott ging. Kein Wunder daher, wenn sich viele Beschäftigungslose auf diesen Erwerbs zweig warfen. Er war ja immerhin sehr lohnend, denn Neuigkeiten auf Oktavblättern konnte der arme Mann schon 25 Stück für 30 Pf., 50 Stück für 60 Pf. usw. bekommen und so seine 30 Pf. in das Zwanzigfache dieses Betrages umsetzen. Die baaren Auslagen hatte er bald heraus, und alles Uebrige war reiner Verdienst. Freilich jagte oft eine Literaturerscheinung die andere, und wer seinen Vor rath zu gross bemessen und nicht bald abgesetzt hatte, der konnte eine tüchtige Menge Makulatur übrig behalten; aber gross war der Verlust doch nicht. Viele Buchhändler wählten auch feste Stand plätze und wurden dadurch noch später manches veraltete Blatt, wenn auch zum halben Preise, an Solche los, denen es noch neu oder sonstwie begehrenswerth erschien. Unter den Linden sah man von solchen »Fliegenden« Leinen von einem Baume zum andern gezogen, so dass ein solcher Standplatz fast wie ein Wäschetrockenplatz aus sah. Diese Händler hatten auch ihre festen Kunden, die sich täglich bei ihnen nach neuen Flugblättern umsahen, so dass auf diese Art beiden Theilen geholfen war. Zu diesen Kunden gehörten vor allem auch die Minister, die dem Volkswitz damaliger Zeit als Hauptstich blätter dienten. Einer der besten Kunden dieser »Fliegenden« war der Finanz minister David Hansemann, der sich auch besonderer Popularität