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Natürlich erklärte sie sich sofort dazu be- reit, warf ein Tuch um die Schultern und eilte nach der bezeichneten Wohnung des Arztes. Seit diesem Abend wurde die Freund schäft zwischen den beiden jungen Leuten noch fester geknüpft. Nachdem der Kranke sich vM seinem Anfall einigermaßen erholt hatte, verlangte er danach, das junge Mäd chen zu fehen, von dem ihm sein Neffe er zählt hatte, und Sidonie betrat zum ersten- male die unteren Räume des Hauses. Die Augen des jungen Mannes leuchteten auf, als ihr Fuß über die Schwelle trat, und auch der Alte streckte ihr mit einfachem Dankes- wort die Hand entgegen. Welch' entsetzliches Ende," dachte Jo hannes, indem er weiterging. In dieser Zeit hatte Sidonie, ein ganz besonderes Erlebnis, das sie ihrem guten Freunde nicht vorenthielt. Sie erzählte es ihm bei einem seiner Besuche, als er wieder einmal an ihrem gedeckten Kafseetischchen saß. Sie hatte einen ernstgemeinten Antrag be kommen. Im besten Stockwerk des Hauses, das Sidonie mitbewohnte, lag der reiche Besitzer, der ehemalige Großkaufmann und jetzige Rentier Oliver Grandson totkrank darnie der. Kein Arzt konnte ihm helfen, und sein Leben zählte nur noch nach Wochen und Monaten. Wenn Sidonie aus dem Hause fortging oder heimkehrte und bis zu jenem Treppenabsatz kam, wo der Eingang zur Grandsonschen Wohnung war, trat sie immer besonders leise und behutsam auf, um den Kranken zu schonen. Eine Familie besaß er nicht, Wohl aber einen Neffen, der auf die Nachricht von der schweren Erkrankung her beigeeilt war und alle seine Zeit dem Lei denden widmete. Eine Pflegerin war ge mietet worden, eine robuste, stets finster blickende Frau, welcher Sidonie zuweilen be gegnete. Auf ihre teilnehmende Frage, wie es dem Kranken gehe, hatte sic mürrisch: „Schlecht" geantwortet uns erwies sich jedem Verkehr unzugänglich. Desto freundlicher und mitteilsamer war der Neffe, Fred Grandson. Als er zum erstenmal mit Sidonie zu fällig auf dem Treppenabsatz zusammenge troffen war, hatte er sie sehr höflich begrüßt und der schlanken, lieblichen Erscheinung mit mehr als gewöhnlichem Wohlgefallen be wundernd nachgeblickt. Später kamen sie in ein kurzes Gespräch, das sich öfter wieder holte, und bald verging kein Tag, an dem der junge Mann das Mädchen nicht an redete. Auch Sidonie konnte ihn wohl leiden. Er war ein kräftiger Mensch mit freundlichem Gesicht und ehrlichen blauen Augen. Daß ihn eine Leidenschaft für die junge Lehrerin gepackt haben konnte, daß er sehnsüchtig auf den Moment wartete, bis ihr leichter Schritt auf der Treppe hörbar wurde, das ahnte Sidonie nicht im entferntesten. Sie sollte es jedoch bald erfahren. Eines Abends stürmte jemand die Treppe herauf und pochte an ihre Tür. Sie öffnete und sah Fred Grandson vor sich stehen, er regt und bleich. Er teilte ihr sich entschuldi gend mit, daß sein Onkel soeben in einen so tranken Zustand verfallen sei, daß das Schlimmste zu befürchten stehe. Leider sei gerade an diesem Abend die Pflegerin ab wesend, und er dürfe seinen Onkel nicht ver lassen, um einen Arzt herbeizurufen. Ob sie ihm den Dienst erweisen wolle? „Wenn du bei Blohm und Winkler ge blieben wärest, hättest du mehr und konntest Prokurist sein wie dein Freund, der Herr . Vogel." Das war ihr ewiges Lied. „Du ^nißt dich reich verheiraten, Johannes, dann haben wir alle etwas davon." Der Sohn hatte solche Aeußerungen zu Mt gehört und regte sich nicht Mehr sonder lich darüber auf. Seine Mutter hatte eben für nichts anderes Sinn als sm die klein lichen Sorgen des Lebens, und kein anderes Trachten, als wie sie davon befreit wurde. Auch Batz hatte Johannes wiedergese- hen, aber es war sehr unerfreulich gewesen. W e es vorauszusehen war. sank der einst besser situierte, aber bodenlos leichtsinnige Mensch von Stufe zu Stufe, und Johannes entdeckte ihn eines Tages unter einer Schar von Schneeschippern, welche die Straße rei nigten. Auch Batz hatte ihn erkannt, und der Gruß, den er Johannes zusandte, be- srand in einer drohenden Bewegung der Schippe und einer halblaut gemurmelten Verwünschung. Er sah furchtbar herunter- ! gekommen und elend aus, und eine schreck liche Krankheit stand ihm aus dem Gesicht geschrieben. i gen Zwischenräumen nach Hamburg, und jeder seiner Besuche war jür Sidonie ein Freudenfest. Nur kurze Stunden waren sie beisammen, dann fuhr Johannes zu seiner Mutter, aber in diesen kurzbemessenen Stunden vertrauten sie sich gegenseitig ihre kleinen Erlebnisse an und unterhielten sich über Bedeutendes und Unbedeutendes. Aber die eine Frage, nach weicher Sidonie mit heimlicher Sehnsucht verlangte, die ihr lie bendes, vielgeprüftes Herz erhoffte, die tat er nicht. Auch mit Vogel traf Johannes zuweilen Zusammen. Der humorvolle kleine Herr hatte sich ausgebeten, daß er nicht vernachlässigt i werde. Auch er hatte Johannes am Ort sei- ! ner neuen Tätigkeit aufgciucht, aber nur ein einziges Mal. In dec Gesellschaft der Schulmänner hatte er sich nicht behaglich ge fühlt. „Ich passe da naht hin, Speerfeld. Neh men Sic mirs nicht übel, wenn ich nicht wie der komme. Ein solcher großer Haufen von Gelehrsamkeit beieinander ist nicht mein Fall." Im Hause bei Johannes Mutter war manches anders geworden Freilich Hermine mußte auch erst in ähnlicher Weise hereinfallen wie ihre Schwe ster Lilly damals mit Batz, bis die Mutter ihre Pläne seufzend aufgao. ihre Töchter an . den ersten besten zu verheiraten. Lilly sowohl wie Hermine waren ein vaar fleißige und nützliche Geschöpfe gewor. den, dank Sidoniens Fürsorge und Johan nes Ermahnungen. Der Bruder hatte sich's nicht verdrießen lassen, ihr Ehrgefühl zu Wecken und seine und seines verstorbenen Vaters Lcbensgrnndsätze in sie hineinzu pflanzen. Beide Schwestern hatten jetzt ihr gutes Auskommen, nicht in Hamburg, wo sie nur kurze Zeit geblieben waren, sondern die eine in Berlin, die andere in Goslar. Was sie anbetraf, konnte Johannes also zufrieden und ruhig sein. Mehr Sorge machten ihm seine kleinen Geschwister, die nun auch heranwuchscn. Er schickte seiner Mutter so viel Geld, wie ,r nach seinen Ab Zahlungen an Sidonie noch übrig hatte, und doch wollte es nimmer reichen. Die Mutter stöhnte und klagte in ihren Briefen, noch mehr aber, wenn er bei ihr war. , Diesem ersten Besuch folgten andere; Sidonie saß am Lager des Kranken und las ihm vor, oder erquickte mit ihrem Gespräch z seine schweren Stunden. Ihr Auge schweifte ! über die Zimmereinrichtung, die Möbel, die ! Bilder an den Wänden und die vielfachen ! Zierrate und Kunstgegenitände. Hier war alles gediegene Pracht und solider Reich tum. Und der Erbe aller dieser Schätze, der junge Fred Grandson, bot ihr eines Tages sein Herz und seine Hanoi Er bat sie, zu einer Unterredung mit ihr in ein anderes Zimmer zu treten und begann mit seiner wohlklingenden Stimme, wiewohl sichtlich erregt: „Vielleicht überrascht es Sie, Fräulein Feddersen, was ich Ihnen heute zu sagen mir vorgenommen habe, vielleicht auch nicht. Wie sehr ich Sie hochachte und schätze, das wissen Sie ja längst, aber ich bringe Ihnen noch mehr entgegen. Ich liebe Sie so stark und innig, daß ich glaube, nicht ohne Sie glücklich sein zu können. Darum frage ich Sie, wollen Sei die meine werden und das Leben mit mir teilen?" Stdonie war vollständig überrascht. Sie s vermochte nicht gleich zu reden. „Sie sollen mir nicht sofort antworten, liebes Fräulein," fuhr er sanft fort, „son- ! dern sich meine Worte reichlich überlegen. Ich bin Wohl doch zu voreilig gewesen und habe ! mein Herz nicht zähmen können. Mein On- kel weiß, was ich vorhabe, und ist mit allem einverstanden. Denn auch er hat Sie lieben j und achten gelernt und wird unserem Bunde s nicht entgegen sein." Er sah sie liebevoll an und faßte ihre - Hand, welche sie ihm aber entzog. „Ich kann nicht, Herr Grandson. Ich ehre rind schätze Sie hoch — aber die Ihre kann ich nicht werden." „Und warum nicht, Fräulein Sidonie? Ich verlange ja nicht sogleich die große Liebe und Hingebung, dis ich als Vorbedin gung der Ehe für nötig erachte. Aber ich glaube, Sie werden mich lieben können und lieben lernen, wenn wir im täglichen Ver kehr uns noch näher kennen." „O bitte, reden Sie nicht weiter, Herr Grandson, Sie tun mir weh." „Was hindert Sie, mein Fräulein, mir wenigstens eine geringe Hoffnung zu lassen, daß Ihr Wille und Herz sich dennoch für mich entscheide?" 'I Ick unä Du. Ich halte dich mit beiden Armen, Wie man sein Liebstes hält, An meiner Brust sollst du erwärmen Ein kalter Wind weht aus der Welt. Ich ivill dich halten aus den Wogen, Daß sie lischt netzen deinen Fuß, Daß nicht dein Herz, hinabgezogen, Im tiefen Grund erstarren muß. So laß' dich halten und dich küssen, Noch bin ich jung und stark und warm, Noch wird sich alles beugen müssen, Was dich bedroht, vor meinem Arm. Reinhold Braun.