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No. 34. PAPI ER-ZEITUNG. 865 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiterund Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Eingesandte Werke finden Besprechung. Kleinverläge. »Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu,« — und wer im Buchdruckerleben steht, der wird’s auch schon vernommen haben, nicht einmal, sondern dutzendmal: Bekommt ein Druckergesell den Einfall, ein paar ererbte oder erheirathete Hundertmarkscheine zur Selbständigmachung am kleinen Orte zu verwenden, dann ist der zweite Einfall nicht fern: es mit einem Konkurrenzblatt gegen die im Ort schon bestehende, seit Jahrzehnten eingebürgerte Zeitung zu versuchen. Wie viele Existenzen sind durch diesen unglückseligen Gedanken vernichtet worden! Wieviel strebsame, ehrliche Männer haben ihre Kräfte erschöpft, einem Phantom nachzujagen, das ihnen selten länger als über das erste Vierteljahr hinaus in schillerndem Glanze erschien, dann aber seine gespenstischen Sorgenfittiche zu schlagen anfing und sie dem Aermsten so lange um die Ohren peitschte, bis er entweder das bischen Verstand, das ihm der Herrgott auf den Lebensweg ge geben, ganz eingebüsst, oder als brotloser Habenichts dem herzlosen Geklatsch des Winkelnestes entfloh, in das ihn sein Unglücksstern geführt hatte. Und doch liess es sich zuerst so glückverheissend an, das neue Unternehmen! Die ersten Nummern brachten einen so hübschen Ertrag an Anzeigen-Geldern: die Vereins vorstände, die Stadtver waltung, die Kaufmannschaft, die Gastwirthe und Tanzlokalinhaber, — kurz, alles, was Anzeigen am Orte zu vergeben hatte oder einmal zu vergeben haben konnte, — alles hatte das neue Blatt mit Freuden begrüsst und zu unterstützen versprochen. »Ein wahrer Segen, dass Sie uns von den Daumschrauben befreien, die uns der alte Blatt drucker seit soviel Jahren hat ansetzen können! Jetzt brauchen wir ihm die theuren Preise, die er verlangt, nicht mehr so ohne weiteres zu zahlen. Will er’s nicht machen, nun, dann machen Sie’s!« So war dem neuen Drucker xmal gesagt worden. . . Aber — der alte Drucker machte’s eben auch, so wie’s die Leute nun haben wollten! Er sass ja im warmen Bett; und was machte’s ihm aus, wenn er ‘mal ein Jahr — (wer konnte wissen, ob die Konkurrenz so lange noch blieb!) — auf den halben Gewinn verzichtete? Und dann war er doch mit den Leuten gut bekannt, mit vielen verwandt, hatte vielleicht im Stadtrathskollegium ein paar Jahre mit als »Herr Rath« gesessen; kurz: alle die bekannten Hebel, ein neues Geschäft nicht auf die Beine kommen zu lassen, wurden angesetzt, die Anzeigen billiger aufgenommen, die hohe Stadtobrigkeit bearbeitet, dem neuen Blatte die amtlichen Anzeigen nicht zu geben, sondern nur das alte Blatt für den Abdruck derselben als berechtigt zu erklären, usw. usw. Und da war’s denn nach den ersten zwei, drei Nummern für das neue Blatt auch mit den Privat-Anzeigen vor bei. Die liefen dem alten Blatte, »das überall der behördlichen Anzeigen wegen gelesen werden muss«, wieder zu — und der neue Drucker hatte das Nachsehen und konnte zusehen, wie er weiter kam! Alle Anstrengungn, durch umfangreicheren und besseren Lesestoff Abonnenten zu erringen, erwiesen sich als vergeblich: »man fand ja eben keine Anzeigen im Blatte«; — und nach einem halben, drei viertel Jahr war’s zu Ende mit dem Traume! Das Geld war ver druckt, der Kredit erschöpft, und die Schrift-, Papier- und Maschinen lieferanten, die womöglich nur Theilzahlungen bekommen hatten, rückten heran mit ihren Rechnungen, kamen, nachdem sie vier Wochen auf Geld gewartet hatten, persönlich angedampft — und machten dem Kram ein rasches Ende! Sie verkauften dem armen Schlucker das junge Geschäft, an dem so viel blutsaurer Sch weiss klebte, über den Kopf hinweg und warfen ihn auf die Strasse hinaus, ohne zu fragen, ob er mit Frau und Kindern hungern müsse, oder nicht. Sie hatten ja doch noch genug eingebüsst! Was konnten sie für die Dummheit des Mannes? Für ihn würde sich schon ’was Neues, Anderes wieder finden. Der arme Teufel kann von Glück sagen, wenn er nicht noch einen Haufen Schulden, äusser dem Verlust seines Vermögens und der nutzlos vergeudeten Arbeitskraft, als Extra-Benefiz auf dem Halse behält, sondern wenigstens so wieder aus dem Winkelnest heraus gelangt ist, dass er den Kopf für die neuen Sorgen völlig frei hat, mit denen das liebe Leben im Nu wieder an ihn herantreten wird. Wie gesagt, ’s ist eine alte Geschichte! Aber immer und immer wieder wollen die jungen Druckerleute sie miterleben — bis es mit der Druckerei schliesslich soweit gekommen sein wird, dass eben nirgends mehr ein Fleckchen übrig ist im ganzen deutschen Reiche, wo sich ein Druckertempel aufschlagen liesse. Lange dauern wird’s damit nicht mehl’! Nun aber fort mit dem Pessimismus, denn geglaubt wird’s doch schwerlich von einem, der’s noch nicht selbst erfahren hat. Es dünkt sich eben jeder gescheidter als der andere, und was dem einen missglückt ist, das kann dem andern doch glücken. Das Gehilfen leben ist heutzutage auch kein Freudenleben, die Löhne reichen kaum aus, um die Bedürfnisse für den Einzelnen, geschweige für eine Familie zu decken, — was Wunder, dass immer und immer wieder versucht wird, das va banque der Existenz zu spielen! — Du wirst’s wohl merken, freundlicher Leser: der den Artikel hier schreibt, ist selber vom Leben bös herumgezaust worden, ist in den schönsten Mannesjahren nicht herausgekommen aus den Kämpfen und Sorgen und weiss ein Lied zu singen vom Kampf ums Dasein! Aber »die Courage« hat er doch nie verloren, und so mach Du’s auch! Packt Dich ein Wettersturm, dann verlier das Vertrauen nicht zu Dir selbst! »Duck Dich und lass vorübergahn, das Wetter will seinen Willen ha’n!« Es hört schon wieder auf, wenn’s genug geregnet hat! Und wer scharf ausblickt im Druckfelde, und die Augen und den Kopf offen hält, der findet, so schlecht es zur Zeit mit dem Druckgeschäfte auch stehen mag, doch noch so viel, wie ihm zur Lebensfristung noth thut, vielleicht auch noch was zum Erübrigen, wenn’s auch nicht gerade viel wird. Ein Weg hierzu ist die Rückkehr zu dem Brauche unserer alten Drucker-Ahnen, es mit dem Druck von Büchern für den eigenen Handel zu versuchen. Die Drucker versäumen es leider zuviel, sich mit dem Buchhandel vertraut zu machen. Und doch giebt’s der Beispiele im modernen Druckerleben so viele, dass jene Drucker, die für den eignen Verlag zu drucken anfingen, noch immer auf einen einiger maassen grünen Zweig gekommen sind. Es fällt nicht schwer, solche Beispiele herzuzählen. Einen der sprechendsten liefern zwei weit über die deutschen Buchverlagspfähle hinaus bekannte Firmen: König in Guben und Prochaska in Teschen. Guben in Schlesien ist doch wahrlich nichts weniger als günstig gelegen für die Entwickelung eines Verlagsgeschäfts, und Teschen, am letzten Zipfel des Deutschthums, mitten zwischen polnischem, mährischem, tschechischem Sprachgebiet, erst recht nicht. Und doch haben’s beide Firmen zu hohem Ansehen im deutschen Buchverlag gebracht. Wer auf der Eisenbahn fährt, ob im Norden, ob im Süden Deutschlands, der kennt das kleine rothe 50-Pfennig-Büchlein, das Reise-Kursbuch von König in Guben. In unzähligen Tausenden wird’s im Jahr in die Welt hinaus verkauft und bringt seinem Ver leger ein stattliches Sümmchen in jedem Jahre. Und die genannte Teschener Firma hat sich durch zahlreiche gediegene Verlagsunter nehmungen einen hochangesehenen Namen im österreichischen und deutschen Buchhandel gemacht. Prochaska’s Ausgaben von Schiller, Lessing, Goethe in je einem Bande (Goethe in einem Bande war ein typographisches Kunst-, wenn auch nicht Meisterstück) erregten Auf sehen, hatten Erfolg und regten zu neuen Unternehmungen an. Man darf sagen, dass Prochaska unter den österreichischen Firmen mit an allererster Stelle steht. Und das will gewiss viel sagen, wenn man die Grössenverhältnisse zwischen der Kaiserstadt Wien, den verschiedenen volkreichen Provinzhauptstädten des mächtigen Reiches und dem kleinen, kaum 10 000 Einwohner zählen den, ungünstig an der Eisenbahn gelegenen, halbpolnischen, kaum anders als durch den Teschener Frieden und die nach ihm benannten »Teschins« (kurze Flinten) bekannten Städtchen in Betracht zieht. Eine dritte Firma, die auch von einem unbedeutenden kleinen Plätzchen aus, einem kaum 5000 Einwohner zählenden, ebenfalls fernab vom Weltgetümmel gelegenen Marktflecken, in anderer Richtung ein Weltgeschäft betreibt, ist die Kolportage-Buchhandlung von Hermann Oeser in Neusalza in der sächsischen Oberlausitz. Noch im Jahre 1868 führte keine Eisenbahn dorthin. Alles musste über Löbau auf der Dresden-Görlitzer Eisenbahn oder über Ober- Oderwitz auf der Löbau-Zittauer Linie verfrachtet werden, und doch war der Export von Kolportage-Romanen von der Neusalzaer Handlung schon damals nicht unbedeutend, denn der Vater des jetzigen Be sitzers hatte es schon 1848 in der reichbevölkerten sächsischen Ober lausitz durch Kolportiren von Romanen zum Besitz einer eigenen Druckerei gebracht, die aber unter den damals ungünstigen politischen und Verkehrsverhältnissen jahrelang nur in sehr kleinen Verhältnissen zu arbeiten imstande war. Nicht alle Buchdrucker freilich, die sich auf die Pflege eines eignen Verlags legten, haben so günstige Erfolge aufzuweisen, wie die vorstehend genannten Firmen. Dass man aber durch einen Selbstverlag zu ganz anderen Ergebnissen, wenn auch vielleicht heute nur langsam, gelangen kann, als durch die leichtfertige Gründung einer neuen Zeitung oder die Hetzerei nach der Accidenzkundschaft im Orte, die zum weitaus grössten Theile durch die Reisenden von den grossen Accidenzdruckereien Leipzigs, Berlins usw. längst an weit billigere Druckpreise gewöhnt ist, das zeigt ja die einfache Rechnung! Nehmen wir beispielsweise an, es richtet sich ein