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946 PAPIER-ZEITUNG. N:26 Druck-Industrie. Unter dieser Ueberschrift bringen wir Artikel und Mit- theilungen, welche sich auf die vervielfältigenden Künste: Buch-, Stein-, Kupfer-, Licht- etc. -Druck beziehen. Sachliche Mittheilungen finden stets kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter angemessene Bezahlung. Die Gutenberg-Ausstellung zu Berlin. Vom 29. Mai bis 20. Juni war im Berliner Konzerthaus der Grundstock der berühmten Klemm’schen Bücher - Sammlung ausgestellt, welche die Villa Augusta auf der Forststrasse in Dresden zu einem Wallfahrtsort für die Bibliographen aller Länder macht. Früher nur Fachleuten in ihrem vollen Werth bekannt, erfreut sich diese Sammlung jetzt in der ganzen gebildeten Welt eines verdienten Rufes, seit dem ihr Besitzer, der Kommissionsrath Hein rich Klemm, sich dazu entschlossen hat, Theile derselben auch an andern Orten zeitweilig aus zustellen und so den weitesten Kreisen zugäng lich zu machen. Von der vorletzten dieser Wanderausstellungen im Crystallpalast zu Leip zig hat der □-Mitarbeiter der Papierzeitung mit gewissenhaftester Würdigung des Kataloges bereits in Nr. 23 berichtet. Der unerquick lichen Pflicht nackter Aufzählungsthätigkeit ist Schreiber des Gegenwärtigen somit ent hoben. Um so eher kann er nunmehr, ohne Furcht vor dem Vorwurf der Oberflächlichkeit, die Glanzstellen herausheben, hie und da Schlagschatten andeuten, und so dem Gesammt- bilde etwas Körpergestalt geben. In dem weiten Saale herrscht die feierliche Stille der weltverschlossenen Bücherei. Auf langen Tafeln liegen die Zeugnisse jener rasch emporgeblühten Kunst aufgeschlagen, die jetzt Hunderttausende zu einem vielverzweigten Künstler-Bunde vereinigt. Als Vorläufer des Bücherdrucks ruhen auf der ersten Tafel in langer Reihe Handschriften verschiedenster Beschaffenheit, kleine unscheinbare Büchelchen in Westentaschenformat mit flüchtiger Brief schrift; daneben gewaltige metallbeschagene Codices mit zollhoher, streng ausgebildeter Schrift auf mattglänzendem Pergament. Die Zusammenstellung dieser Handschriften ist mehr auf eine Veranschaulichung der Ueber einstimmung zwischen geschriebener und ge druckter Bücherschrift des 15. Jahrhunderts berechnet, als auf eine Darstellung der Schrift- Entwickelung. In letzterer Hinsicht ist daher die Sammlung lückenhaft. Der älteste Codex ist vom Anfang des 9. Jahrhunderts; dann führt ein gewaltiger Sprung gleich ins 15. hinein. Die Zwischen glieder, deren freilich überhaupt nur wenige der heutigen Welt erhalten geblieben sind, fehlen hier. Jener alte Pergamentband in Klein-Quart, dessen geistiger Inhalt wenig In teresse bietet, ist indessen nicht unwichtig für das Verständniss der oft wellenförmig vor gehenden, an längst verlassene Formen wieder anknüpfenden Schrift-Entwicklung. Wir haben z. B. hier fränkische Minuskel vor uns; das ist eine Schrift, welche sich aus den Na tionalhandschriften entwickelte und welche den Urtypus unserer heutigen Antiqua bildet. Unschwer erkennt man all die uns heute geläufigen Formen wieder. Nur die vielen Kürzungen befremden; so auch die einfache Anwendung des langen f am Wortende, ferner das Auftreten der Ligatur „&“ auch inmitten von Wörtern: dermindur = determinetur. Hier ist die Form der Urbestandtheile des & schon ganz vom übrigen Schriftcharakter verschieden. Es ist dies & ein Ueberrest aus früherer Zeit, ein uralter Baustein, der beim Umbau wieder mitbenutzt wurde. Verständlich und in seinen Bestandtheilen deutlich erkennbar wird dieses Zeichen nur durch das Studium der zweiten römischen Cursive, in welcher die Urkun den von Ravenna geschrieben sind, und aus den Formen der abgeleiteten langobardischen und westgothischen Schrift. Die Mehrzahl der darauf folgenden Hand schriften bietet wenig Merkwürdiges. Wir sehen die Urkunden- und Briefschrift in ver schiedenen Abwandlungen. Die häufig auf tretenden Schleifen an (6h bekunden nieder deutschen Ursprung. 1 • M Die schönste und gleichmässigste Schrift spätgothischer Form zeigt ein Quartband as ketischen Inhalts. Diese Schrift ist für den Laien nicht vom Druck zu unterscheiden. Ihre Form ist fast ganz der von Gutenberg’s Bibel type gleich. Derselbe Quartband zeigt auch einige formvollendete Initialen. Durch die Barbarei irgend eines Gewerbsmannes hat er leider sehr gelitten. Von vorn bis hinten sind die Pergamentblätter von senkrecht laufenden Nadelstichen durchbohrt, die glücklicherweise meist die Schrift verschont haben, aber beide Ränder und den Spaltenzwischenraum wie eine Milchstrasse bedecken. Ausgezeichnet durch zahlreiche schöne Ini tialen ist namentlich der erste Theil eines riesenhaften zweibändigen Breviars. Die kunst fertige Jungfrau, die ihn geschrieben, — die Nonne Margarethe von den Nürnberger Kart häusern, — muss eine tüchtige kalligraphische Schule durchgemacht haben. Die Füllung des Innenraums der romanisch-gothischen Initialen, welche zu jener Zeit meist in die Ellipse kon- struirt wurden, ist eine geradezu meisterliche. Einzelne Motive wiederholen sich zwar, aber die Gesammt - Dispositionen sind fast immer neu, frisch, originell. Staunenswerth ist die Leuchtkraft der Farben. Solch ein Roth her vorzubringen , — von dieser Reinheit und Fülle, — fällt heutzutage schwer. Auch die Einbände dieses Breviars sind sehenswerth wegen der alterthümlichen, ziem lich rohen, gothischen Thier-Ornamentik; mehr aber noch wegen einer mit beweglichen Stempeln eingepressten Inschrift. Wir haben hier die Anwendung des Typensatzes in der Buchbinderei noch vor der Einführung von Gutenbergs Erfindung! Eine ganz ähnliche In schrift auf dem Deckel zeigt auch ein von der selben Hand gebundenes Öfficiale von 1436. Holztafeldrucke, jene sonderbaren Er zeugnisse einer vorahnenden Kunst, welcher aber das hohe Geheimniss sich noch nicht ent hüllte, leiten hinüber zu den Werken der klar und sicher Schauenden, der Geweihten vorn höchsten Grade: Gutenberg-Schöffer-Fust. Die 42zeilige Bibel, das Prachtwerk der Sammlung, hat ihren Ehrenplatz an der Spitze der mit Mainzer Druckwerken bedeckten Tafel. Hier staut sich an Tagen lebhaften Besuchs — leider sind deren nur wenige gewesen — das Publikum, so dass es schwer hält, nahe zu treten. Das Bibelwerk verdient aber auch ein mehr als oberflächliches Interesse. Wie ist da alles schon so vollendet: Schrift, Satz, Druck! Die schöne strenge spätgothische Type zeigt eine bewundernswürdige Regelmässigkeit, das Ausscbliessen der Zeilen erfolgte mit höchster Sorgfalt, — nicht durch Vergrösserung oder Verkleinerung der Wort-Zwischenräume, son dern durch Anwendung mehr oder weoiger zahlreicher Wort-Kürzungen. So wie die Räume im Innern der Buchstaben mit denen zwischen den Buchstaben streng harmoniren, so ist auch ein Wort - Zwischenraum gleich dem andern durch das ganze umfangreiche Werk hindurch. Der Druck ist von ausgezeichneter, in vielen Werken der Nachfolger nicht wieder erreichten Reinheit und Schärfe; ja sogar das „Register“ ist meist auffallend sicher durchgeführt. Das sehr schöne Papier ist vollkommen gut erhalten. Neben der Bibel liegt das Katholikon, weniger schön in Schrift, Satz und Druck, aber verziert mit sehr zart von Meisterhand gemalten Initialen, deren Ornamentik schon das übertriebene Relief des Blattwerks spät gothischer Zeit durchblicken lässt. Im Stil demnach unter denen des Breviars stehend, sind diese luitalen hingegen in der Manier die vollendetsten der ganzen Sammlung, und nur die vierbändige Strassburger Bibel des Adolf Rusch von 1480 zeigt noch eine ähnlich sichere Technik der Feder- und Pinselführung. Mit der 48zeiligen Bibel von 1462 und dem Rationale beginnen die Druckwerke der Schöffer-Fust’scben Pressen, welchen dann noch in langer Reihe Erzeugnisse der Schöffer'schen Nachkommen folgen. In den meisten dieser Werke herrscht schon die zur Antiquaform zurückstrebende halbgothische Schrift. Hier wimmelt es auch von Kürzungen, und während man den Text der Gutenberg-Bibel noch sehr gut ohne weiteres lesen kann, erfordert das Verständniss der Schöffer Bibel ein eingehendes Studium der spät-mittelalterlichen lateinischen Kürzungen. Auch die Ligaturen sind überaus zahlreich. d t p b und viele andere Konsonanten sind mit dem folgenden Vokal fest verbunden. Solch ein Schöffer'scher Setzkasten muss mit seinen vielen Ligaturen ganz verwirrend aus gesehen haben. Es folgen Breidenbach’s »Reise nach dem heiligen Lande“, — „der erste Bädeker“ — wie der König von Sachsen beim Besuch der Sammlung in Leipzig sagte —, dann die Sachsenchronik, interessant durch die alterthümliche Schwabacher Schrift und die häufige Anwendung derselben Bildnisse für verschiedene Personen; dann der„Hortus sani- tatis“ mit seinen phantastisch-monströsen Thier gestalten, deren Beschreibung meist dem Werke des Albertus Magnus entlehnt und durchaus ernst gemeint ist. Die schönste hochgothische Type zeigt ein kleines Werk des Joh. Numeister (Neumeister) von Mainz, — die „Meditationes des Cardinal Turrecremata" (Torquemada). Ich möchte sie wegen ihrer hohen Eleganz und angenehmen Verhältnisse sogar über die Bibeltype Guten berg’s stellen. In der Nähe liegt auch Schöffer’s berühmter Psalter, allerdings in einer spä teren, von Johann Schöffer veranstalteten Aus gabe. Die charaktervolle Schrift, das Initial-B mit dem Jagdhund, auch die Schlussschrift sind jedoch genau wie im ersten Druck von 1457. Vom Anfang des 16. Jahrhunderts an, wel chem die folgenden Werke angehören, dominirt schon die Schwabacher neben vereinzelten, zuerst in Ueberschriften auftretenden Fraktur formen. Wir sehen in Mentelin’s Bibel von 1463 die erste Antiqua-Druckschrift, in dem Lactantius von Pannartz & Sweynheim jene italienische Antiqua, die früher als erste galt; w'ir bewundern in Froben’s kleiner Bibel die Nonpareil-Gothisch und in dem zweifach vor handenen Theuerdank dessen wunderliche Schrift mit den flatternden, den Buchstaben wahrscheinlich angelötheten, Schnörkeln. Vieles wäre von den 600 Bänden noch an zuführen, was biblio-, paläo- und typographisch werthvoll ist. Wer aufmerksam durch die Reihen wanderte und von der Erlaubniss ein gehender Besichtigung im Lesezimmer Gebrauch machte, wird viele erinnerungswürdige Auf schlüsse erhalten haben. Es bot sich hier eine Gelegenheit zum Vergleichen und Ueber- schauen ganzer Gruppen, wie sie sonst nur dem mit allen Vollmachten ausgestatteten Biblio thekar geboten ist. Viele Fragen konnten gelöst, viele „missing links“ gefunden werden. Der Besuch der Ausstellung an den Wochen tagen war stets schwach, an Sonntagen etwas besser, aber lange nicht ihrer Bedeutung ent sprechend. Das lebhafteste Interesse nahmen noch die Lehranstalten. Wohl 10 000 Kinder der ersten Klassen der Gemeindeschulen Ber- lin’s, besuchten die Ausstellung in Begleitung ihrer Lehrer. Am Freitag den 20. Juni wurde die Aus stellung geschlossen. Schon vom frühen Mor gen an waren Arbeiter mit Einpacken beschäf tigt. Es wurden die werthvollsten Bände, fast die Hälfte der Sammlung, zum Zweck photo- chemigraphischer Wiedergabe einzelner Blätter, für die Reichsdruckerei zurückgestellt. Sie werden den ohnedies reichen Stoff für das grosse,