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N:S 258 PAPIER-ZEITUNG. Buchhandel. Unter dieser Ueberschrift veröffentlichen wir Aufsätze und Mittheilungen, welche sich auf den Gesammtbuchhande 1 (Verlag, Sortiment, Antiquariat und Kolportage) beziehen. Sach liche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Korrespon denzen (aus grösseren Buchhandelplätzen) werden ange messen bezahlt. Eingesandte Werke finden Besprechung. Streiflichter auf den Deutschen Buchhandel der Jetztzeit. i. Der Verlags buchhandel konzentrirt sich in Deutschland nicht, wie es z. B. in Frankreich mit Paris und in England vorzugsweise mit London der Fall ist, auf die Reichshauptstadt, sondern diese steht als Verlagsplatz zur Zeit noch erst in dritter Reihe: Leipzig und Stutt gart gehen ihr voran und zwar beide sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Die Ursachen für dieses eigenthümliche Verhält- niss sind vornehmlich in der späten Entwicke lung Berlins, welche mit der endlichen Konso- lidirung der politischen Verhältnisse Deutsch lands Hand in Hand ging, zu suchen. Das im 16. und 17. Jahrhundert kommerziell bedeu tendere Leipzig verstand es, gestützt auf seine grossen Handelsmessen und gefördert durch kluge Maassnahmen der sächsischen Kurfürsten, seiner damaligen überlegenen Rivalin Frankfurt a. M., die sich besonders die fremdländischen Buchhändler zum Verkehrsplatz erkoren hatten, den Rang abzugewinnen. Die Vortheile, welche der einmal geschaffene Mittelpunkt buchhänd lerischer Geschäftstbätigkeit dar bot, haben zahl reiche, früher in kleinen Verhältnissen sich be wegende Handlungen nach und nach zu grossen Häusern entwickelt und viele Provinzfirmen veranlasst, ihr Domizil nach dieser Centrale zu verlegen, um ebenfalls Antheil an den von ihr gebotenen Vortheilen zu nehmen. Den ide alen Schwung, welcher im Verein mit hoher kaufmännischer Klugheit und unterstützt von einsichtigen Geldleuten, aus der vor drei Jahr zehnten nur als Sitz der berühmten Cotta’schen Buchhandlung genannten süddeutschen Residenz einen Verlagsplatz schuf, welcher Leipzig alles Ernstes den ersten Platz streitig macht, hat letzteres in so allgemeinem Maasse niemals be sessen. Ein solcher trat hier nun in verein zelten Zeiträumen und auch dann nur bei Einzelnen auf: er war z. B. einem Immanuel Breitkopf, einem Friedr. Arn. Brockhaus, einem Ernst Keil eigen. Der Verkauf der Schöpfung dieses letztgenannten Leipziger Buchhändlers: der altberühmten, mit Leipzig historisch ver wachsenen „Gartenlaube“ nach Stuttgart hat erst jüngst wieder einen deutlichen Beweis da für erbracht, dass man in Leipzig das Ideelle nicht zu suchen hat. Der Schwerpunkt der Leipziger Buchhandel-Grösse liegt heute noch in der nämlichen Sparsamkeit wie früher, in der nämlichen Ersparung jeglicher Fracht- und Kommissionärspesen, d. h. in dem leichten und billigen Vertrieb. Ein Unternehmen z. B., wie Reclams Universalbibliothek, wäre bei dem enorm billigen Verkaufspreise und bei den dem deutschen Büchermarkt im Vergleich zum fran zösischen und englischen gezogenen, engen Gren zen, an einem anderen Platze als in Leipzig vielleicht gar nicht durchführbar gewesen; in Leipzig aber ist, wenn auch langsam, ein Un ternehmen ersten Ranges daraus geworden. Ob aber die nächste Generation noch das selbe Missverhältniss vorfinden wird, in welchem zur Zeit noch Berlins Buchverlag zu demjenigen seiner beiden Rivalinnen steht, ist eine Frage, welche nur Leipziger Chauvinisten ohne Wei teres zu bejahen geneigt sein dürften. In den verflossenen zwei Jahrzehnten hat Berlins Buch verlag bedeutenden Aufschwung genommen, und es genügt zum Beweis dafür, drei Namen zu nennen: Lipperheide, Langenscheidt, Parey. In Berlin pulsirt die Nation! Die Wahrheit dieses Wortes wurde rasch von den Verlegern von Fachzeitschriften erkannt, die mit gering- I fügigen Ausnahmen ihren Sitz in Berlin haben. Viele unserer hervorragenderen Sehri ftsteller sind nach der neuen Kaiserstadt gezogen, einzelne graphische Industrieen, z. B. die Chromolitho graphie, der Oelbilderdruck, sind in Berlin zu grosser, dominirender Ausdehnung gelangt, und ebenso weiden auch weitere Verlagsbuchhändler aus der Provinz dem Beispiele jener folgen, welche bei einer Domizilverlegung Betlin schon jetzt den Vorzug gaben, (wie z. B. der bedeu tende G. Grote’sche Verlag von Hamm, A. B. Auerbach von Stuttgart etc.), oder Berlin für die Errichtung eines Filialgeschäftes wählten (wie der Stuttgarter Spemann). Den vornehmlichsten Zuwachs wird Berlin freilich wohl mit den Jahren auf dem Gebiete des Buchhandels aus sich selbst heraus er halten, da es einer Millionenstadt niemals an überschüssiger Intelligenz gebricht. {Fortsetzung folgt.) „La socit de Berlin.“ Eine von der Twietmeyer’schen Buchhandlung in Leipzig im Buchhändler-Börsenblatt er lassene Erklärung, wonach sie den Import dieses neuesten Produkts französischer Belle tristik, als dessen Verfasser ein russischer Graf Wassili genannt ist, nicht mehr besorgt, ist in vielfacher Hinsicht von Interesse. Das Buch behandelt bekanntlich das Fa milienleben der Berliner höheren Kreise und enthält skandalöse Schilderungen. Ob hinter dem jedenfalls pseudonymen Verfasser ein hasserfüllter Franzose zu suchen, ob nichts von all den hässlichen Dingen, welche in dem Buche der Berliner Frauenwelt nachgesagt werden, wahr sei u. s. w., geht uns hier nichts an. Wir wollen uns nur mit der geschäft lichen Frage beschäftigen, ob eine buch händlerische Kommissionsfirma in der Lage ist, dem Inhalte einer solchen Erklärung streng treu zu bleiben. Der Leipziger Kommissionsplatz versorgt nicht bloss deutsche Firmen, sondern nahezu die ganze Welt, mit Büchern. Angenommen nun, eine Rigaer oder Moskauer, eine Prager oder Triester Firma verlangen via Leipzig Exemplare des französischen Buches. Kann der Leipziger Kommissionär zurückschreiben: er besorge das Buch nicht, weil es über die deutsche Frauenwelt in skandalöser Weise herziehe? Freilich; — wird er’s aber zurück schreiben? Schwerlich! — ich möchte wenig stens auf den Versuch hin keine Wette wagen. Ein Leipziger Kommissionär lässt’s nicht so leicht darauf ankommen, dass ihm der Kommit tent die Alternative stellt: „Entweder du be sorgst mir meine Aufträge prompt, so lange ich nichts begehre, was dich mit den Gesetzen in Konflikt bringt; oder ich nehme mir einen andern Vertreter, der prompter sein wird.“ Anders liegen natürlich die Verhältnisse, wenn der Vertrieb eines solchen Buches in Deutsch land von der Polizei inhibirt ist. Dann macht sich jeder Kommissionärdabeistraffällig, und es hat’s keiner nöthig, eine solche Be stellung auszuführen. Ich möchte aber auch in diesem Falle noch immer nicht darauf hin eine Wette wagen: dass ein solches Buch via Leipzig „auf dem gewöhnlichen Beförderungs wege“ nicht erhältlich sei. In keinem Falle dürfte es aber, wenn ein Kommissionär ein verbotenes Buch (die Socit de Berlin ist in Deutschland verboten!) nicht besorgen will, nothwendig sein, dies öffentlich in dem Buch händlerfachblatt anzuzeigen; er darf es dann eben einfach nicht besorgen, und damit genug! Was der Eine oder Andere dann doch thut, das bat er persönlich zu verantworten. Er- lasser einer solchen öffentlichen Verwahrung haben immer zu gewärtigen, dass Beweih räucherungssucht gewittert oder der Vorwurf erhoben wird, über das Ziel hinausgeschossen zu haben, was beides im Geschäftsleben nicht I eben nützlich sein dürfte; zumal es noch un vergessen ist, dass die nämliche ausländische Sortimentsfirma Leipzigs Zola’s „Nana“ (doch auch kein sittenbesserndes, vielmehr in mindest ein Dutzend Fällen gerichtlich beschlagnahmtes und noch heute auf dem deutsch-polizeilichen Index befindliches Buch!) vor ca. 2 Jahren in täglichen Eilballen von Paris empfing und ver trieb. Dort wurde freilich die französische Gesellschaft heruntergekanzelt — das Motiv der Schmähung und die Wirkung derselben waren aber doch ganz und gar dieselben. Eine solche Verwahrung wäre, wenn man sie heute dem Wassili’schen Buch gegenüber geboten hält, dem Zola’schen gegenüber sicher ebenso sehr am Platze gewesen. Severus. Erscheinungen des Büchermarkts. Polygraphisches Kompendium (Deutsches), Encyklopädisches Hand- und Lehrbuch für Buch druck, Schriftgiesserei, Buchhandel und die ver wandten Fächer: Lithographie, Photochemie, Xylographie, Zinkätzung, Kupferstechkunst, Stereo typie u. Galvanotypie, Buchbinderei, Papierfabri- kation etc. Vom gegenwärtigen Standpunkte der Technik unter Berücksichtigung der neuesten Litteraturen und mit Unterstützung bewährter Fachmänner, herausgegeben von Faul Heichen, Buchhändler und Buchdrucker. Leipzig: Verlag von Moritz Schäfer, Buchhandlung. Schäfer If Koradi in Philadelphia. 1884. Der Verfasser, oder, wie er sich bescheiden nennt: „Herausgeber“, — ein gewiegter Prak tiker in der Technik der Bücher-Erzeugung sowie des Bücher-Vertriebs, — dürfte sich wohl bewusst sein, welch grosse Forderung er an seine Arbeitskraft stellte, indem er unternahm, das in Titel und Vorrede Versprochene zu schaffen. Sei dies Schaffen auch zum grossen Theil — wie der Herausgeber selbst deutlich bekennt — nur ein Aufsuchen, Sichten, Kürzen und Zusammenstellen, so verlangt es doch, nach Güte und Menge betrachtet, eine ausser ordentlich starke Leistung eines Mannes, der das Ganze einheitlich übersehen und modeln will. Denn so zahlreich und vielzweigig, wie die graphischen Künste heute geworden sind, und es stündlich noch mehr werden, ist es schon eine tüchtige Aufgabe für den jeweils einschlägigen Spezial-Fachmann, für einen ein zelnen Zweig dieses Gebiets alles darin Dage wesene und Bestehende finden und würdigen zu können. Die im Titel angegebene, und — wie wir annehmen — auch vorhandene, spezialfachmännischc „Unterstützung“ kann in- dess den Herausgeber allerdings der Mühe des Findens, nicht aber der Verantwortung des Würdigens, entheben. Dass der Herausgeber des „Polygraphischen Kompendiums“ die Schwierigkeit bezw. den Umfang seines Unternehmens nicht unter schätzen will, spricht er selbst in der Vorrede deutlich aus, und diese seine Erkenntniss der Sachlage darf bei den eventuellen Abonnenten des Buches Vertrauen erwecken. Die uns vorliegende erste Lieferung bietet, nebst Titel, Widmung an die „Graphischen Gesellschaften und Vereinigungen Deutsch lands und Oesterreichs“, Vorwort, Quellenver- zeichniss und Anzeigenbeilage mit „Korre spondenzblatt des Herausgebers“, noch 32 Grossoktavseiten des eigentlichen Werkes. Dasselbe ist lexikalisch geordnet; d. h. die einzelnen Artikel sind nicht in sachlicher Ver bindung, sondern in alphabetischer Reihe auf geführt. Somit ist es vorzugsweise ein Nach- schlagebuch. Diese Form ist unzweifelhaft für den in der Vorrede ausgesprochenen Zweck, „sämmtliche [poly] graphischen Geschäfts zweige wechselseitig übereinander zu infor- miren“, die angemessenste. Keiner der da selbst genannten »Buchhändler, Buchdrucker, Schriftgiesser, Lithographen, Xylographen, Chemigraphen, Buchbinder, Stereotypeure, Galvanoplastiker, Farbfabrikanten, Papierfabrikanten«