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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt Nr. 22 — Donnerstag, den 26. Januar 1933 Sinnspruch. Zürnt, Freunde, nicht, wenn Spötter euch verlachen! Erwidert lächelnd ihren Spott und wißt: Der Spötter Witz kann nichts verächtlich machen, Was wirklich nicht verächtlich ist. Fr. Bodenstedt. LuMich ist Selbstschutz! Ein Aufruf der Technischen Nothilfe Nachdem das Ministerium des Innern die Geneh migung gegeben hat, daß die Technische Nothilfe für du Werbung der Kräfte, die in großer Anzahl für der zivilen Luftschutz bereitzustellen sind, die Unterstützung der Polizei im weitestgehenden Maße in Anspruch nehmen kann, soll nun sofort an diese wichtige Werbearbeit heran gegangen werden. Die Technische Rothilse legt zu diesen Zwecke in allen Polizeistetten entsprechende Luftschutz' Flugblätter aus und appelliert an die Mitwirkung dei Bevölkerung. In einem der betreffenden Aufrufe heiß! es unter anderem: Tie Luftgefahr ist von allen Gefahren, die Deutsch land umdrohen, die größte. Lausende von Flugzeugen der Nachbarstaaten stehen um die Grenzen startbereit, während Deutschland selbst keinen Schutz gegen Flieger angriffe besitzt. Was bleibt, ist der passive Schutz. Er iß unter diesen Umständen für Deutschland doppelt not wendig. Die Hauptträger des zivilen Lustschutzes sind wie bei Katastrophen des täglichen Lebens die Organe der öffent lichen Sicherheit und der ersten Hilfe: Polizei, Feuer wehr, Rettungsdienst und Technische Rothilfe. Sie bilden den Sicherheits- und Hilfsdienst, das Kernstück im Rahmen des zivilen Luftschutzes. Um diesen Sicherheits- und Hilfsdienst für den Luftschutz auf die notwendige Stärke zu bringen, ist die Technische Nothilfe beauftragt, alle hierfür geeigneten Kräfte aus der Bevölkerung zu sammeln. Außerdem soll sie technische Trupps verschie dener Art für den Luftschutz ausstellen. Zur Erfüllung dieser Ausgaben benötigt die Technische Rothilse über ihren .bisherigen Nahmen hinaus in großem Umfange technisch vorgebildete Kräfte aller Art. Es kommen ins besondere in Frage: Techniker, Mechaniker, Maschinen bauer, Schlosser, Schmiede, Maurer, Zimmerer, Klempner, Angehörige des Tiesbaugewetbes, Angehörige des Äb- bruchgewerbes, Angehörige des Rüstgewerbes, Angehörige der chemischen Industrie und Kraftwagenfübrer sowie körperlich rüstige Männer jeden Alters, die praktische Arbeit zu leisten verstehen. An sie ergeht der Ruf, sich zu diesem Dienst ungesäumt bei der nächsten Dienststelle der Technischen Rothilfe zu melden. Gegen Internationalisierung -er Zivilluftfahrt. Di« Teilnehmer der zum zweitenmal in Berlin tagenden (34.) Internationalen Luftfahrt- lonserenz waren Gäste des Neichsverkehrsministers. Fn seiner Begrüßungsansprache unterstrich Staatssekretär Koenigs als Vertreter des erkrankten Ministers, daß diese Konferenzen sich nicht in theoretischen Fragen -verloren, sondern stets ein praktisches Ziel im Auge gehabt und deshalb wertvolle Arbeit geleistet hätten. Während die Reichsregierung sich auch für die Zukunft bereit erkläre, die bisherige Art der Entwicklung aus dem internatio nalen Luftfahrtgebiet jederzeit zu fördern, würde sie sich ebenso sicher von Experimenten, wie sie z. B. die Grün - düng einer Internationalen Gesellschaft darstelleü würde, fernhalten. Nicht Jnternatio- nalisation, sondern Kooperation müsse die Parole sein. Der Staatssekretär schloß in der Hoffnung, daß die praktischen Auswirkungen der nunmehr durch die Genfer Fünfmächtevereinbarung für Deutschland an erkannten Gleichberechtigung auch hierbei fördernd wirken würden. Mrrencker Prott inganxkuropa In Deutschland bis minus 28 Gra'r. Ganz Europa starrt vor Frost: die Kältewelle, die von Nordosten kam, hat den ganzen Erdteil stberflutet. In Deutschland hat es so winterlich wie in diesen Tagen seit langem nicht mehr ausgesehen, wenn auch in ver schiedenen Landstrichen der zum Winter gehörende Schnee noch fehlt. In Berlin verzeichnete man Mittwoch in der Innenstadt 18 Grad unter Null. In den Außenbezirken sank die Quecksilbersäule sogar bis auf 20 Grad unter Null. Begünstigt wurde die Kälte durch die starke Ausstrahlung infolge völliger Wolkenlosigkeit des Himmels. Die Folgen der ungewöhnlichen Kälte machten sich recht fühlbar. In vielen Häusern sind die Wasserleitungen eingefroren. Auf den Wasserstraßen, die durch das Berliner Stadtgebiet führen, hat starke Eisbildung eingesetzt. Der Berliner Magistrat hat den Beschluß gefaßt, den Betrag von 500000 Mark den Bezirkswohl fahrtsämtern für Beihilfen an Bedürftige zur Beschaffung von Brennmaterial zur Verfügung zu stellen. Die höchsten Kältetemperaturen, die in Deutschland gemessen wurden, werden aus Kö nigsberg i. Pr. mit 28 Grad minus und aus Stettin mit 25 Grad minus gemeldet, während z. B. in großen Küstenstädten, in Hamburg und Bremen, „nur" 12 bis 13 Grad unter Null festgestellt wurden. In Westdeutschland machten sich die Folgen des Frostes vor allem dadurch be merkbar, daß auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen das Eistreiben immer stärker wurde. Auf den Rhein wagen sich nur ganz vereinzelt noch Schiffe zur Talfahrt. Im Mittelrheingebiet, von der Moselmündung abwärts, sieht der breite Rheinstrom wie eine einzige weiße Eisfläche aus. Es muß damit gerechnet werden, datz die Nhein- schiffahrt völlig st illgelegt wird. Schneeverwehungen in Württemberg. In Teilen des württembergischen Oberlandes, be sonders in der Gegend von Ravensburg, haben grotze Schneeverwehungen jeden Verkehr unmöglich gemacht. Auf einzelnen Verkehrsstratzen lag der Schnee meterhoch aufgetürmt. Ein den Verkehr zwischen zwei Ortschaften aufrechterhaltendes Postauto mußte regelrecht aus dem Schnee ausgeschaufelt werden. Eisbrecher auf -er Ltnierelbe. Der Verkehr im Hamburger Hafen hat unter dem zunehmenden Eis bereits sehr zu leiden. Die staat lichen Eisbrecher sind den ganzen Tag über an der Arbeit, um das Eis in Bewegung zu halten. Die gleiche Arbeit verrichten die Eisbrecher der Reichswasserstraßenoerwal- tung auf der Unterelbe. Auf der Oberelbe ist das Eis zuni Stehen gekommen, so daß die dort tätig gewesenen Eisbrecher vorläufig lahmgelegt sind. Der Eishilfsdtenst durch Flugzeuge für die vom Festland abgeschnittencn Nordseeinseln ist in vollem Gange. Von der Lufthansa zur Verfügung gestellte Flugzeuge versorgen die Inseln Wangeroog, Langeoog und Spiekeroog mit Lebensmitteln, Medikamen ten und Postsachen. Von Husum aus wird die Insel Eisbrecher im Stettiner Hasen, die bei dem strengen Frost die Fahrrinne ossen halten müssen Pellworm beliefert. Sobald es notwendig wird, wird der Dienst auch von Husum aus auf die Inseln Amrum, Föhr und Sylt und von Norderney aus auf die Inseln Juist und Borkum ausgedehnt werden. Gesamte Meinschissahri wegen Vereisung eingeftelli. Eine feste Eisbrücke an der Stromenge der Loreley. Das starke Treibeis des Rheins ist an der Stromenge der Loreley zum Stehen gekommen, so daß sich dort eine feste Eisbrücke gebildet hat. Die einheitliche Eisfläche, die den ganzen Rhein überdeckt, erstreckt sich bis in die Gegend von C a u b. Das Eistreiben wie auch die Vereisung des Rheins an der Loreley hat zur restlosen Einstellung der gesamten Rheinschiffahrt geführt. Die Schiff fahrt hatte schon in den letzten Tagen mit besonderer Eile danach getrachtet, schützende Häfen zu erreichen. Oie Kälte im übrigen Europa. In der ehemaligen Provinz Posen zeigte das Thermometer 20 bis 23 Grad unter Null. Auch inWar - schau wurden 23 Grad Kälte verzeichnet. Infolge der starken Fröste sind mehrere Telephonlinien zerstört worden, so die Linien von Warschau nach Posen, Brom berg und Gdingen. In Sowjetrußland leidet der gesamte Verkehr schwer unter dem Frost. In vielen Städten mußten die Schulen geschlossen werden. In Tscheljabinsk (West sibirien) ist das Thermometer auf 39 Grad unter Null ge sunken. Auch in Frankreich hat die Kälte noch zu- genommen. In einer kleineren Ortschaft wurden zwei Greisinnen erfroren aufgefunden. In Bar-le-Duc sind zwei Knechte an den Folgen der Kälte gestorben. Wölfe überfallen einen perfonenzug. In Rumänien mußte infolge außerordentlich starker Schneefälle auf etwa 20 Eisenbahnlinien der Ver kehr eingestellt werden. Ein im Schnee steckengebliebener Personeuzug wurde von einem Rudel Wölfe an gegriffen. Die Fahrgäste hatten Mühe, sich der Raubtiere zu erwehren. Vereiste Kanäle in Belgien. Infolge der Vereisung aller Kanäle zwischen Lüt tich und Antwerpen ist die Schiffahrt eingestellt worden. Die Kälte in Italien. Die außerordentliche Kälte in Italien hält an. So wurden in Triest neun Gr«d und in Adelsberg sogar 14 Grad unter Null gemessen. Der Küstendienst der Damvferlinie nnd der Kleinbahnverkehr in Istrien ist arößtenteils unterbrochen. Fn Mailand und B"loana schneit es. In Palermo sind zwei Personen erfroren, darunter eine Greisin im eigenen Heim. Starker Eisgang auf der Donau Der rasche Temveratursturz in Siidslawien dauert an. Am kältesten war es in Montenegro mit 23 Grad Kälte. Auch die Donau steht vor völliger Ver eisung. Ein rumänisches Tankschiff, das gegen die gewal tiaen Eisschollen ankämpfen wollte, wurde leck Fm Hafen stellte sich dann heraus, daß aus dem Schiff Benzin ber ansfloß. Da für die übrigen Schiffe im Hafen die arößtc Feuersgesahr bestand, mußte das Schiff wieder in der offenen Strom hinaus Es läuft Gefahr, die ganze Ladung zu verlieren und im Eis zerstört zu werden« Schneestürme in Bulgarien. In Bulgarien wüten seit drei Tagen uuunterbrochem Schneestürme, die auf allen Bahnlinien Verwehungen bis zu drei Meter Höbe verursachten. Fünf Linien haben 1er Betrieb unterbrochen. Zwei Personenzüge mußten ft mehrstündiger Arbeit sreigeschaufelt werden. Der Bahn Ovpxrigkt ölortin ksucbtvsnger, Uslls (Lssls) l6 Den ganzen Tag über war Magdalene Winter auf fallend still, ganz mit ihren Gedanken beschäftigt. Zwei mal hatte sie in eine Rechnung die Zahl 500 000 getippt; beide Male konnte sie es glücklicherweise selbst korrigieren, ohne sich eine Rüge Hippolyt Hoffmanns zuzuziehen. Um fünf Uhr ging sie fort, geradeswegs in das Lotteriegeschäft. Nicht einen Augenblick zögerte sie, als sie ein ganzes Los verlangte. Mit sicherer Hand zog sie das Los aus dem dargereichten Bündel. Ihren Monatsgehalt legte sie auf das Zahlbrett. Erst als sie wieder draußen stand, auf der Straße, kam ihr das Bewußtsein für das, was sie getan hatte. War sie den» wahnsinnig geworden? Jetzt besaß sic nun einen ganze» Monat lang keinen Pfennig! Zunächst handelte es sich darum, für Mutter Hahn eine Ausrede zu finden. Sie konnte ja die Miete nicht be zahle» ... „Mutter Hahn, ich bitte Sie, seien Sie nicht böse; Sie müße» diesen Monat noch ein paar Tage mit der Miete warten.' „Aber, Fräulein Lenchen, da brauchen Sie sich keine Sorge» z» machen. Ich weiß ja, daß Sie ordentlich sind und anständig, und daß Sie sonst immer pünktlich bezahlt haben. Natürlich warte ich gern, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann. Hoffentlich sind Sie nicht leicht sinnig gewesen mit Ihrem Geld?' „Wi« — wie meinen Sie oas, Mutter Hahn?" „Na — daß Sie vielleicht einem Kollegen ausgeholfen dabe» und das Geld nicht mehr zurückbekommen. Sie müGe» sich i» acht nehmen, Kindl Sie sind zu gutmütig, lassen sich leicht auSnützen. Machen Sie nur keine Dumm heiten! Sie müssen hart genug arbeiten für das bißchen Geld.« Eine tiefe Falte lag über Magdalenes Stirn, als sie hinüberging in ihr Zimmer. Eine plötzliche Scham hatte sie überkommen. Was hatte sie nur getan? Dann siegte wieder die Hoffnung. Sie zog das Los heraus, las immer wieder die Nummer: hundertacht- undzwanzigtausendsiebenhunderldrcizehn. Leise strich sie mit den Fingerspitzen über das Stückchen Papier. Hier hielt sie es in den Händen, das Glück! Tie Hoffnung, deren Erfüllung ihr den Weg ins Leben öffnen würde. Noch zwei Tage, zwei lange, bange Tage — dann be gann die Ziehung. Das Fieber hatte sie mit aller Wucht gepackt; sie dachte nicht mehr daran, wie sie früher über alle Menschen ge spottet hatte, die sich mit solchen Wunschträumen quälten, sie als Dummköpfe bezeichnet hatte. Jetzt war sie selbst mitten unter ihnen! Jetzt kam sie nicht mehr los von dem Dämon, der sie überfallen hatte. Fünfhunderttausend Mark — das Große Los! Sie — sie ganz allein würde es gewinnen! Sie war ein Vabanquespiel eingegangen, und sie würde siegen... * * * Schloß Löbbau war ehedem ein alter Rittersitz ge wesen. Aus der Chronik ging hervor, datz es aus dem Jahre 1346 stammte und von einem Erbherrn von Löbbau erbaut worden war. Dreihundert Jahre hindurch war es im Besitz der LöbbauS geblieben, bis 1622 der letzte Löbbauer starb und das Gut, mit Schulden belastet, seinen Erben aus der Nebenlinie hinterließ. Diese Erben waren froh, das Schloß mitsamt den um liegenden Gütern für neuntausend Taler an einen Grafen von Dingelhausen verkaufen zu können. Von da an wech selte Löbbau immer wieder seinen Besitzer, bis es — im Jahre 1820 — durch den Amtsrat Arbogast Richler über nommen wurde und seit dieser Zeit im Besitz der Familie Richter geblieben war. Schloß Löbbau oder das Schloßgut, wie es in der ganzen Umgebung hieß, stand auf märkischem Boden, um geben von einem alten und mächtigen Park. Das Schloß selbst waftein mächtiger, massiver Bau, an dem im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von den jeweiligen Be sitzern herumgebaui worden war. Die Vorderfront des Schlosses sah aus einen wunder voll gepflegten Nasen, durch den sich ein schnurgerader Weg bis zu dem großen Portal hinzog. Eine altersgraue, dicke Mauer umgab Schloß und Rittergut, die beide durch eine mächtige Kastanienallee miteinander verbunden waren. Früher wurde jeder Mensch gesiebt, der das grotze Tor der Schloßmauer passierte; kein Fremder hätte es wagen dürfen, die Kastanienallee unerlaubt zu durchschreiten. Selbst noch zu Lebzeiten des vor zwei Jahren verstorbenen Amtsrats Richter war es dem GutSpersonal streng ver boten, den Herrschastsweg durch die Allee und den Park zu benutzen. Jetzt hatte sich das gründlich geändert. Landarbeiter, Knechte und Mägde schlüpften durch das Portal, um sich den Weg abzukürzen; Dorsweiber wanderten breit und behäbig daher, um sich ihre Milch zu holen, Tagelöhner karrten ihre Schubwagen über den breiten Platz vor dem Schloß, und sie blieben mitten auf dem Kiesweg stehen, um sich auszuruhcn. Niemand kümmerte sich um diese Vorgänge. Der gegen wärtige Besitzer des Schlotzgutes, der junge Doktor August Richter, war ja nicht hier; er ging in Heidelberg seinen Studien nach und kümmerte sich nicht um seinen Besitz Er überließ alles seinem Verwalter und ließ ihn schalten und walten, ohne danach zu fragen, ob der in seine eigene Tasche wirtschaftete und Löbbau immer weiter herunter brachte. Es war August Richter ziemlich gleichgültig, wie es aus Löbbau ausschaute. Tie Hauptsache war, daß es so viel Geld abwarf, daß er sein fröhliches Heidelberger Leben ungestört fortsetzen konnte. (Fortsetzung folgt.)