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No. 47. PAPIER-ZEITUNG. 1591 Buchgewerbe. Druckindustrie, Buchbinderei, Buchhandel. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme, Mitarbeiter und Korrespondenten erhalten angemessenes Honorar. Eingesandte Werke finden Besprechung. Zaehnsdorf’s Anforderungen an moderne Einbände. Wenn ein Meister der Technik seine Erfahrungen öffentlich darlegt und Nutzanwendungen daraus zieht, darf er immer auf das Interesse seiner Berufsgenossen und Berufsverwandten rechnen. Der Vortrag, welchen der berühmte Buchbindermeister Zaehnsdorf kürzlich vor der Library Association of the United Kingdom zu London gehalten hat, verdient daher auch in Deutschland Beachtung, obgleich er vorzugsweise englische Verhältnisse in Betracht zog. Wir entnehmen demselben in freier Ueber- setzung nach The Br. & Col. Pr. & St. Eolgendes: Die Gewähr für den dauernden Bestand eines Gebäudes, so sagte Herr Zaehnsdorf, liegt in der guten Beschaffenheit der Grundmauern. So liegt auch die Gewähr für die Haltbarkeit eines gebundenen Buches in der Grundlage aller buchbinderischen Technik im Heften. Pressen und Walzen ist dem äusseren Ansehen des Buches förderlich, aber es hat nichts zu thun mit der Haltbarkeit. Betrachtet man ein vor etwa 200 Jahren gebundenes Buch, so be merkt man, dass dir Buchbinder sein ganzes Können auf gute Ausführung des Heftens zusammer gedrängt hat. Der Faden war von gutem Hanf oder Flachs, jeder Bogen war auf erhabene Bünde geheftet, und von diesen waren nie weniger als vier vorhanden, in manchen Fällen aber auch sechs, acht, und selbst noch mehr. Wenn jetzt ein Buch mit schlechtem Faden auf drei mangelhafte Bünde geheftet ist, so glaubt der Buchbinder seine Schuldigkeit vollkommen gethan zu haben, und wenn in kurzer Zeit die Lagen des Buches auseinanderfallen, so ist das nichts Andres, als was er erwartet hatte. Er bekommt dann das Buch zum Umbinden; zu seinem Vortheil, und des Besitzers Schaden. Guter Hanffaden ist beinahe doppelt so theuer, als der gewöhnliche Heftfaden, hält aber auch lange aus. Früher gab es hierüber sehr strenge Innungsgesetze. Von einem solchen erwähnt Arnett in seinem Buche „Alt of Bookbinding“, dass Mängel an Heftfäden und Bünden mit 30 Lstrl. Busse für den Band geahndet wurden. Einen wesentlichen Antheil an der unübertroffenen Haltbarkeit der alten Bände hat freilich auch das alte Hadernpapier, welches den Buch binder in Stand setzte, den Rücken des Buches so steif zu machen, wie ein hölzernes Brett, und das trotzdem so dünn und biegsam war, dass es sich flach legte und den Rücken wenig oder garnicht anstrengte. Heute ist das Papier oft so dick, dass es durch keinerlei Behandlung zum Glatt liegen gebracht werden kann. Die erste Forderung an ein gut gebundenes Buch ist daher, dass Faden und Bünde von kester Beschaffenheit sind. Die zweite wäre, dass jede Lage ganz entlang genäht wird, so weit es angeht, dass also jede Lage ihr eigenen Faden hat. Es ist desshalb verwerflich, so wie es oft geschieht, durch „Ineinderschiessen" zweier Bogen die Lagenzahl zu ver mindern. Es i t nur zu verwundern, dass solch ein Buch nicht schon aus einanderfällt, bevor es auf’s Bücherbrett gestellt wird. Als zulässig kann das Ineinanderschiessen gelten, wenn das Papier dünn ist, oder wenn die Lage aus acht statt aus sechszehn Seiten besteht, also bei Quart- und Folioformat oder halben Bogen Oktav. In den letztgenannten Fällen ist es sogar nöthig, falls nicht der Rücken eine unförmliche Dicke erhalten soll. Wenn die Bestimmung des Werks die Mehrausgabe gestattet, sollte immer biegsam oder mit erhabenen Bünden geheftet werden. Dies wäre die dritte Forderung. Beim „biegsamen“ Heften läuft der Faden um jede Bundschnur herum, so dass bei Anwendung des Kettenstichs jeder Bogen sieben Heftstellen aufweist, statt wie gewöhnlich zwei, und noch an sechs Stellen festgenäht bleibt, wenn eine reisst. Diese Heftmethode ist die beste von allen. Sie erfordert aber Zeit und sorgsame Arbeiter, Vorbedingungen, die nur selten vorhanden sind, so dass sie in vielen Werkstätten nur ausnahmsweise, in manchen gar nicht geübt wird. Mancher wird erstaunt sein zu hören, dass einige Verleger ihre Bücher garnicht heften lassen. Von der Kautschukmethode kann dabei ab gesehen werden, denn sie ist vielleicht im Begriff eines natürlichen Todes zu sterben. Weit verbreitet ist aber noch die Anwendung der „Leim bünde“, d. h. kräftiger Einschnitte in den Rücken, die man mit zähem Leim und Schnur füllt. Es ist erstaunlich, wie weit diese leichtfertige Manier verbreitet ist, und es wird kaum Jemanden geben, der nicht in seinem Bücherspind einige Beispiele davon entdecken könnte. Der vierte Wunsch bezieht sich auf die Deckel. Strohdeckel mögen für ganz geringe Bände, für die dauernder Schutz nicht beansprucht wird, genügen. Werke aber, welche oft gebraucht und in einer Bibliothek untergebracht werden sollen, müssten stets Deckel von bestem Stoff erhalten. Eine andere schwache Seite des Bindens ist das Einhängen. Oft bricht das geringwerthige Vorsatzpapier, die Bünde lösen sich und das Buch fällt auseinander. Die beste Verfahrungsweise des Einhängens wird in Deutschland ge übt. Dieselbe besteht darin, dass man die Enden der Vorsatzpapiere um die erste und die letzte Lage herumfalzt und mit ihnen zugleich heftet. Besser noch ist ein Scharnier von Leinwand, welches Deckel und End lagen fest verbindet. Wenn es jedoch für seine Leistung auf Kleister an gewiesen ist, löst es sich früher oder später vom Papier ab und ist dann ebenso schlecht, wie ein papiernes Scharnier. Nach meiner Erfahrung muss vor allem dafür gesorgt werden, dass die Decke nicht am Buche zerrt. In den letzten Jahren ist es mir erst gelungen, eine Verbindung herzustellen, die ich für die beste halte. Die Leinwand wird hierbei um die einzelnen Lagen gelegt, damit vernäht und dann erst an die Deckel befestigt. (Dieser Theil der Beschreibung ist leider ohne das von Herrn Zaehnsdorf bei seinem Vortrag gezeigte Muster nicht klar genug. D. Red.) Die so befestigten Deckel können sich weder ablösen, noch an den Heften zerren. Von grosser Wichtigkeit ist die Beschaffenheit des Leders für Rücken und Band. Das beste ist levantinisches, sogenanntes „Maroquin“, doch sollte die grüne Sorte möglichst vermieden werden, denn der beim Färben verwendete Aetzstoff greift das Leder an und beeinträchtigt die Haltbar keit. Nicht zu empfehlen ist auch das gegenwärtige russische Leder, welches nicht mehr so haltbar ist, wie das frühere. Der Vortragende hat in den letzten Jahren vielfache Versuche mit Schweinsleder gemacht, für welches er stets eine Vorliebe gehabt, und es hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen. Abzurathen ist aber von der Anwendung gefärbter Sorten, da das im Innern des Schweinsleders noch haftende Fett mit der Zeit den Farbeton dunkler werden lässt. Alle Bücher sollten an den Ecken mit Schutzstücken von Pergament versehen sein, welches vermöge seiner Steifheit noch besser schützt als Leder. Solche Bände befinden sich seit Jahren im British Museum- (Auch im Kunstgewerbe-Musaum zu Berlin. D. Red.) Alle für Bibliotheken bestimmten Bücher sollten mit Leinwand be kleidet sein, wie es jetzt auch meist schon geschieht. Mittelstarke Webart des Stoffes ist besser als grobe. Zarte Stoffe und Farben sind für solche Zwecke nicht geeignet, wie die Fingerabdrücke an einzelnen Bänden lehren. Sehr wichtig ist ein kräftiger, fester Rücken. Vortragender will das Leder unmittelbar am Rücken befestigt haben, ohne Zwischenlage von Papier. Wenn das Leder unmittelbar auf den Rücken geleimt ist, so giebt es nach, je mehr man aber Papier darunter anwendet, desto mehr wird das Bucli beim Aufschlagen gezerrt. Fast alle Bücher werden jetzt mit „hohlem Rücken“ gebunden, der jedenfalls eingeführt wurde, um den Anforderungen des steifen Papiers zu entsprechen. Er erfüllt auch diesen Zweck, wenn es aber mehr auf un bedingte Haltbarkeit ankommt, als auf bestechendes Aussehen, versieht man die Bücher besser mit festem Rücken. Seltene und kostbare Bücher sollten in geeigneten Behältern aufbe wahrt werden, nicht allein, um die Einflüsse der Zeit zu vermindern, sondern auch als Schutz gegen Feuer und (den Londoner) Nebel. Aus welchem Stoff dieser Behälter besteht, ist gleichgiltig, sofern er nur diesen Zweck erfüllt. Das Vorurtheil, dass Bücher am besten bei ungehindertem Luftzutritt ausdauern, theilt Redner nicht, sondern schützt seine Bände nach Kräften gegen den Einfluss, besonders der Londoner Luft. Einige Buchbehälter der vorgennannten Art waren zur Stelle- Der Vortragende schilderte sie als feuerfest, glaubte aber von näheren Angaben über die Herstellung absehen zu sollen. Nur soviel theilte er mit, dass jeder Buch binder, welchem das Verfahren auseinandergesetzt wird, im Stande ist, solche Schutzbehälter herzustellen. Diesen Ausführungen des Herrn Zaehnsdorf fügte Herr Cedric Chivers aus Bath, ebenfalls ein angesehener Buchbinder, über dessen „Duroflexile-Binding" wir in voriger Nummer eine Mittheilung brachten, noch einige Bemerkungen zu: Was die Thätigkeit des Buchbinders anlangt, sagte er, so hat Herr Zaehnsdorf vollkommen Recht, aber die eigentliche Stärke und das Wesen des Buches beruht doch auf dem Papier, dem Körper des Buches selbst. Der Buchbinder kann viel beitragen, um das Buch zu schützen, aber er ist äusser Stande, mehr zu thun, als durch Heften und Binden Sorge zu tragen, dass das Buch fest zusammenhält und beim Aufschlagen nicht spannt. Die Frage, ob der Rücken fest oder lose sein soll, ist, abgesehen von den Kosten, welche den Leser nichts angehen, eine Angelegenheit, welche lediglich durch die Beschaffenheit des Papiers entschieden werden sollte. Ist es steif und unnachgiebig, so wird ein loser Rücken bessere Dienste leisten als ein biegsamer. In den öffentlichen Bibliotheken sind die Bücher grösseren Strapazen ausgesetzt, als anderswo, und es wäre Aufgabe der Buchhändler, bei jeder Auflage immer einige Exemplare auf besseres und zäheres Papier abziehen zu lassen, welche den dort gestellten Anforderungen Genüge thun. Der Preisunterschied kann in diesem Falle nicht in Betracht kommen, sofern nur beachtet wird, dass das Papier lediglich haltbarer, nicht dicker gewählt, wird, so dass ein zweites „Aufmachen“ erspart bleibt. Die Aufgabe des Buchbinders besteht allerdings darin, aus dem ihm übergebenen Stoff so viel wie möglich zu machen, ohne an der Be schaffenheit desselben zu mäkeln, aber die Gelegenheit schien geeignet, einige Wünsche auszusprechen, deren Erfüllung dem ganzen Buchgewerbe nur zum Vortheil gereichen könnte. Ehe der vorstehende Artikel zur Presse befördert war, kam uns die betrübende Nachricht, dass Altmeister Zaehnsdorf am 7. November ge storben ist. Der Vortrag vor der „Library Association“ dürfte daher sein letzter gewesen sein und als eine Art von künstlerisch-technischem Vermächtniss des emsigen, kunstbegeisterten Mannes erhöhtes Interesse gewinnen. Zaehnsdorf ist 1816 in Pest geboren, besuchte dort bis zu seinem 14. Jahre das Gymnasium, wo er sich durch Zeichentalent und Sprachkenntnisse hervorthat, dann lernte er beim Buchbindermeister Rupp in Wien sein Handwerk. Nach den üblichen Wanderjahren, welche ihn nach Basel, Zürich und Paris führten, wollte er sich 1839 in Athen niederlassen, wurde aber durch seinen Bruder bestimmt, nach London zu kommen und dort Arbeit zu nehmen. Erst bei Westler & Co. thätig, kam er 1841 zu Mackenzie, der damals als bester Buchbinder Londons