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No eo. PAPIER-ZEITUNG. 2787 Pariser Lampenschirme. Nachdruck verboten Die langen Abende haben begonnen, und man sucht allerwärts, sie so traulich und gemüthlich wie möglich zu gestalten. Nichts ver leiht dem Zimmer abends mehr Behaglichkeit, als wenn ein zier licher bunter Lampenschleier uns das Licht angenehm gedämpft zukommen lässt. Dieses. Vergnügen können sich jetzt auch die am wenigsten Begüterten machen, denn einige Sorten Lampen schleier, die hier jetzt aufgetaucht sind, zeichnen sich durch erstaunliche Billigkeit aus, ohne dass dadurch der Zierlichkeit Abbruch geschehen wäre. Da sind zuerst die allereinfachsten aus gefälteltem Seidenpapier. Sie sind schwarz bedruckt — Schwalben in grosser Anzahl ziehen darauf hin und scheinen der schmalen Randborte zuzustreben. Das Futter der Schirme ist anders farbig, d. h. unter gelbes Papier legt sich noch ein grünes, unter rosa ein schwarzes usw. Den obern Abschluss bildet eine volle Doppel- Rüsche in beiden Farben. Sollte die Lampe eine Glocke aus Milchglas haben — bekanntlich bestehen die französischen meist nur aus dem Gestell nebst Cylinder — so genügt ein einfaches rothes oder blaues Gazetüchlein mit einem Loch in der Mitte zum Durchstecken des Glases, um das Licht traulich zu dämpfen. Gerade diese kleinen billigen Sachen, die zumeist gekauft werden, sind ausnehmend hübsch für den Preis. Die Muster sind zierlich; die Farben allerdings sehr bunt, aber die Mode will es so, und dagegen mag sich Niemand auf lehnen! Viel Gold- und Silber verzierung in Form von Ranken, Blüthen, Käfern und Schmetter lingen ist an der Tagesordnung. Gerade dadurch, dass sie diese durchaus nicht theuern Gegen stände mit solcher Sorgfalt ausstatten, beweisen die Franzosen grosse Klugheit. Jedermann kauft, und der tägliche Absatz darin ist ausserordentlich. Die theuern Sachen, die nicht alle Welt Sich leisten kann, sind natürlich aus viel besserm Stoff gefertigt, doch die Abwechslung im Muster und die graziösen Linien der Zeichnung kaum besser als bei den erstgenannten. Gleichfalls noch sehr billig sind Lampenschirme aus getolltem Kartonpapier, wo das Muster eine übergelegte schwarze Spitze imitirt; beson ders viel sind gelbe Schirme dieser Art zu sehen. Zu den vielen bereits bekannten Formen, den viereckigen, runden und thurm artigen, ist eine ganz neue getreten. Der Schirm fällt zuerst schräg ab und erhält dann noch als Ergänzung einen breiten, geraden Vorsprung. Ferner will es scheinen, als ob die Lampen schirme Lust zeigten, wieder zu mässigen Grössenverhältnissen zurückzukehren. Die riesigen Säulenlampen, die auf den Fuss boden gestellt werden, kann man sich ja nicht gut ohne ein Un geheuer von Schirm denken, die kleinern Tischlampen dagegen würden nur gewinnen, wenn das beschattende Dach weniger gross wäre. Eigenartig und hübsch erschien ein gelber Schirm, allerdings noch von ganz ansehnlichen Dimensionen, der mit Goldstaub wie gepudert aussah; sobald man ihn aber genauer betrachtete, bemerkte man, dass darauf ein kleines Rankenmuster sich abhob. Die Schirme »Empire« sind noch immer die Lieblinge der Mode. Ueber den glatten Karton ohne Randborte legen sich Gewinde und Sträusschen, bald eng zusammenstehend, bald in weiten Zwischenräumen. Riesige, voll entfaltete Blumen, wie Pel argonien, hundertblättrige Rosen usw. erscheinen auch in ver einzelten Exemplaren auf hellem Grunde. Daneben verbleibt das grosse Wort den Stillleben! Es scheint, dass, je unruhiger das moderne Leben sich gestaltet, desto grösser die Liebhaberei wird, ein Stillleben wenigstens im Bilde vor sich zu haben, und wäre es nur auf dem Lampenschirm. Da liegt ein welker Veilchen strauss am Boden; zerstreut, wie die Erinnerung, von der er Zeugniss ablegt, sind auch die einzelnen Blüthen, und daneben steht ein voller Wassereimer, und zwei durstige Kanarienvögel nippen daraus. Anderseits ist ein verlassener Frühstückstisch zu sehen und dem umgestürzten Becher entquillt rother Wein. Ein anderer Lampenschirm führt uns in fortlaufenden Bildern ein ganzes Frauenleben vor Augen, von dem Augenblick an, wo das junge Mädchen den ersten Ball besucht, bis zu der einsamen alten Jungfer, die am öden Herde trauert. Eine Variation der Empire-Schirme, wie sie anmuthiger, nicht gedacht werden kann, ist der glatte weisse Karton mit je zwei Goldstreifen als Abschlussborte. Vom untern Rande ab scheint das Muster emporzuwachsen: lange, schmale Blumenblätter, Ranken, die im Winde fliegen, und Schilfblumen mit geneigten .Kelchen. .Oft geht diese Malerei nicht einmal über den halben Schirm hinauf, sondern verziert nur einen ganz geringen Raum, oft auch beginnt am obern Rande eine andere, die der erstern entgegenzustreben scheint. Aneinandergereihte Blumen-Ornamente ergeben gleich falls eine graziöse Garnitur, stehen aber doch an Reiz hinter einer andern Art zurück, wo ein ganzer Blüthenregen auf dem hellen Karton niedergefallen zu sein scheint, sodass man kaum noch ein Fleckchen Papier sieht. Als Allerneuestes aber gelten Schäfer spiele, die Ton auf Ton ganz matt gemalt werden, sodass sich die Zeichnung nur undeutlich vom Grunde abhebt und gleichsam wie ein Schatten, eine Erinnerung vor unser Auge tritt. Wir sehen Illustrationen zu allen möglichen berühmten Dichterwerken auf den Lampenschirmen, und merkwürdiger Weise sind es nicht zum wenigsten — o Unschuld! — deutsche Liedersänger, deren Gedichten die Hauptscenen entnommen sind. Ein Lampenschirm zeigt Figuren in verschiedenen Trachten, und zwar immer abwechselnd ein Männlein und ein Fräulein, als wären sie aus der Arche Noah herausspaziert, ein anderer stellt in schwarzen Silhouetten eine' moderne Verfolgung dar. Die junge Dame geht ganz unbefangen spazieren, da folgt ihr mit Riesenschritten ein verliebter Unbekannter; bei der nächsten Strassenecke giebt’s schon einen raschen prüfenden Blick zurück, und gar vor dem grossen Spiegel-Schaufenster wird die fürs erste noch wortlose Bekanntschaft geschlossen, bis dann schliesslich zwischen Beiden die schönste Harmonie herrscht. Ueberhaupt sind sehr viel barocke Sachen vertreten; das Humoristische findet ausgiebigen Raum und geht bis zur Karri- katur. Merkwürdigerweise finden gerade Schirme dieser Art stets Liebhaber, gleichwie die Posse im Theater immer die meisten Zuschauer hat. Hübsch und fesselnd ist auch ein Lampenschirm, der mit kleinen Medaillons, die ein niedliches Bildchen einschliessen, ver ziert ist. Die Scheidewand dazwischen bilden winzige gemalte Goldschleifchen. Alle diese Schirme sind sehr hoch und vollständig rund, sehen wir uns nun die eckigen an. Da fällt zu allererst einer auf, der aus acht aneinander gereihten Platten besteht, von denen jede eine Gold - Einfassung aufweist und als mittleres Motiv eine kleine Landschaft, die mit einigen flüchtigen Pinsel strichen leicht hingeworfen ist. Die Parole scheint »Nichts Ausgeführtes« zu sein. Alles ist skizzenhaft, und mit Ausnahme der Blumen, denen ihre ganze Farbenpracht gelassen wurde, wird alles matt gehalten. Schemenhaft gleiten Landschaften, Thierstücke usw. in buntem Durcheinander an unserm Auge vorüber, das durchbrechende Lampenlicht verstärkt diesen Ein druck noch. Von wirklich künstlerischem Geschmack zeugt ein Schirm, der auf grau-grünlichem Grunde, Blättergewirr vorstellend, eine Reihe badender Kinder schauen lässt, die sich mit den kristallenen Wassertropfen neckisch bespritzen und sich sonst nach Kinderart belustigen. Gleichfalls schön ist ein anderer Riesen-Schirm, auf dessen weissem Karton ein grosses Medaillon- Bild in lithographischem Druck eine althistorische Szene darstellt. Gegenüber befindet sich eine ähnliche, und dazwischen flattern Bänder in allen Farben. Kleine Lithographieen, umrankt von bunten Blüthengewinden, machen sich auch sehr gut, besonders wenn letztere nur den untern Theil umgeben oder sich wie eine Krone oben herüberlegen. Die Herbstblumen, welche die Damen auf den Hüten tragen, erscheinen auch auf den Lampenschirmen, die sogenannten »fleurs ecrasees« erregen Aufsehen. Halbentblätterte Blüthen, Knospen, die vom kalten Hauch berührt zu sein scheinen, sind das Neueste auch auf unsern Schirmen und vollständig fin de siede. Bei den Schirmen, die einen Abschluss haben, bemerken wir vielfach Gold spitze zur Anwendung gebracht; ferner ausgeschnittene grössere Stoffblätter. Die einseitigen Schirme, d. h. solche, die nicht rund herum gehen, sondern nur die Lichtstrahlen dem Auge gegenüber ab halten, und die hier »ecrans« genannt werden, bieten nicht über mässig viel Neues. An Stelle der Schmetterlinge, die endgiltig bei Seite gelegt worden sind, treten Eulen aus plissirtem Papier. Zwei riesige schwarzgemalte Augen auf weissem Grunde, zwei Hörner aus gelbem Papier und schliesslich zwei lang herunter hängende Papierstreifen bilden diese neueste Spielerei. Die so beliebten Tänzerinnen sind zur Abwechslung einmal mitten durch geschnitten, d. h. es ist nur der Oberkörper vorhanden, der auf den Messinghalter geheftet wird. Ein riesiger Glorienschein aus buntem Papier mit Goldsternchen vergrössert die Figur genügend, um die Flamme zu verdecken. Sollte man auch hierbei Ueber- druss verspüren, so bleiben noch die Teufelchen, die mit aus geschnittenen Mund- und Augenhöhlen und hoch erhobenem Schwänzchen vor unserer Lampe schweben und uns Grimassen schneiden. An Auswahl fehlt’s also nicht. W.