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Gasbeleuchtung gegen elektrisches Licht. Von Dr. Casimir Wurster. Im'Laufe der" letzten" Jahre wurde wiederholt von wissenschaftlichen Autoritäten aus verschiedenen Gründen die elektrische Beleuchtung ver worfen, Gaslicht empfohlen. Dies ist besonders in hygienischer Beziehung sehr zu bedauern. Elektrisches Glühlicht lässt die Luft durchaus unver ändert, elektrisches Bogenlicht bildet etwas Kohlensäure und Ozon, welch letzteres die riechenden Bestandtheile der menschlichen Ausdünstung rasch zum Verschwinden bringt. Eine Gasflamme dagegen verbraucht und ent zieht der Luft mehr des zum Athmen nöthigen Sauerstoffs, als acht bis vierzehn Menschen und erzeugt im Verhältniss ebensoviel Kohlensäure. Der schädliche Einfluss des Gaslichts auf Menschen, Gemälde, Ge webe und Bücher war früher genau bekannt, vor zwanzig Jahren wurde noch an technischen Hochschulen gelehrt, dass man Gaslicht zwar in Korridoren, Esszimmern, aber weder im Wohnzimmer noch Schlafzimmer anbringen solle. Während für die schädliche Wirkung der Gasbeleuchtung hauptsäch lich der grosse Sauerstoffverbrauch und die gebildete Kohlensäure in Be tracht gezogen wurde, konnte Pettenkofer in verschiedenen Fällen nach weisen, dass Gas als solches in ganz geringen, kaum nachweisbaren Mengen, besonders während des Schlafes eingeathmet, schleichende Krankheiten mit Typhus ähnlichem Charakter erzeugt. Es ist Pettenkofer gelungen, zu zeigen, dass derartige lokale Epidemieen sogar in Häusern auftraten, die gar keine Gasleitung hatten- Das Gas strömte aus zerbrochenen Gas leitungen der Strasse in den Boden, von diesem aus mit der Bodenluft in die als Schornsteine wirkenden Häuser und Wohnräume und erzeugte dort Unwohlsein, Krankheit und Tod unter den Bewohnern. Der giftige Bestandtheil des Leuchtgases ist das Kohlenoxyd, von welchem das gewöhnliche Gas 6 bis 8 pCt. enthält. Es gelang auch in manchen Fällen, Kohlenoxyd in dem Blutader durch Gas-Ausströmung Getödteten direkt nachzuweisen. Von wissenschaftlicher Seite wird vielfach die Einführung des Wassergases befürwortet. Dieses durch Zersetzung von Wasser durch glühenden Koks gewonnene, nicht leuchtende Gas enthält über 30 pCt. des tödtlichen Kohlenoxyds, die Leuchtkraft wird erzielt durch Beladen mit leichten Kohlenwasserstoffen, besonders durch Petröleumaether. Da dieses Gas wesentlich billiger zu stehen kommt als das aus Kohlen ge wonnene Leuchtgas, so wurde schon vor 30 Jahren in Paris das Wassergas be nützt. Von den Behörden musste aber die Anwendung verboten werden, da die Erfahrungen, die man in gesundheitlicher Beziehung machte, zu traurig waren. Obwohl dieses Wassergas 30 pCt., also 4 bis 5 mal mehr des tödt lichen Kohlenoxyds enthält, als das von Pettenkofer angegebene Maximum im gewöhnlichen Leuchtgas, und obwohl es bekannt ist, dass auch bei guten Gasleitungen 6 bis 14 pCt. durch Verbindungen, schlechte Dichtungen und Hähne in die Luft der Räume entweichen, so wird heute doch für dieses allerdings billigere Gas von wissenschaftlicher Seite Propaganda gemacht. In Amerika sind sogar grosse Städte wie New-York, Jonkers und Brooklyn ganz mit Wassergas versehen worden, weil die wissenschaftlichen Experten in New-York ihr Gutachten dahin abgegeben haben, dass Wasser gas mit 30 pCt. Kohlenoxyd nicht gefährlicher sei als Leuchtgas mit 8 pCt. Kohlenoxyd. Die Behörden der Stadt Boston haben sich trotz aller Bemühungen der einflussreichen Gasgesellschaften durchaus geweigert, die Einführung des Wassergases zu gestatten. Äusser Kohlenoxyd ist noch der gefährliche Umstand zu berücksichtigen, dass geringes Ausströmen von Wassergas nicht bemerkt wird, da sich die zum Karburiren benützten Kohlenwasserstoffe durch den Geruch kaum bemerkbar machen, während Leuchtgas aus Steinkohlen an seinem Geruch sofort erkannt wird. Der von verschiedenen wissenschaftlichen Autoritäten gemachte Vor schlag, das Wassergas und andere zur Einathmung gelangende Dämpfe mit ekelhaft riechenden Substanzen zu beladen, ist wohl kaum ernst zu nehmen, denn nichts ist schädlicher und gefährlicher für die Gesundheit, als das Einathmen von ekelerregenden Dünsten, wenn dieselben auch nur in kleiner Menge vorhanden sind. Jedes Ekelgefühl hat eine hochgradige Erschlaffung des gesammten Organismus zur Folge, begleitet von Uebel- keit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Ohnmächten, welche oft zu schlimmen Erkrankungen führen. Das Volk hat dies von jeher richtig gefühlt; so schützen sich z. B. die Italiener gegen schlecht riechende Gase zur Malariazeit durch Einathmen von Terpentindämpfen. Die Aufmerksamkeit der Hygieniker war bisher besonders auf die oben besprochenen Verhältnisse gerichtet, während die Verbrennungs produkte des Leuchtgases in anderer Hinsicht viel schädlicher wirken. Mit Hilfe des Griess’schen Reagens’, dem Metaphenylendiamin, welches als untrüglicher Nachweis der salpetrigen Säure angenommen wird, gelingt es, salpetrige Säure auch in den Verbrennungsgasen bei den meisten mit leuchtender Flamme brennenden Körpern nachzuweisen. Selbst die unschuldige Stearinkerze5’entwickelt salpetrige Säure in bemerkbarer Menge. Beim Kohlenleuchtgas befindet sich unter den Verbrennungsprodukten Schwefelsäure, welche bei gut gereinigtem Gas etwas zurücktritt, sich aber in dem Wasser-Beschlag der Fenster in der Regel nachweisen lässt. Äusser der Schwefelsäure werden aber ganz bedeutende Mengen salpetriger Säure und deren Salze gebildet. Ob wohl von meinen Reagentien auf aktiven Sauerstoff das „Dipapier“ hauptsächlich durch Salpetrigsäure und salpetrigsaures Ammoniak roth gefärbt wird, so ist zum Nachweis der Salpetrigsäure und deren Salze in der Verbrennungsluft doch das „Tetrapapier“ vorzuziehen. Letzteres ist viel empfindlicher und wird durch die oxydirende Kraft eines Tropfens einer hunderttausendstel Normal - Jodlösung noch"L deutlich blau-violett gefärbt, während das Dipapier erst durch einen Tropfen einer zweitau sendstel Normal-Jodlösung rosa Färbung annimmt. Das Tetrapapier lässt sich zum quantitativen Nachweis der Salpetrig säure in der Luft der Wohnräume benützen, da das ebenfalls in Betracht kommende Ozon bis jetzt in Räumen, welche mit Ausathmungsluft von Menschen beladen sind, nicht nachgewiesen werden konnte. Das Verfahren ist sehr einfach. Das Tetrapapier wird in doppelter Lage auf ein 0,6 bis 1 cm weites Glasrohr gestülpt, mit einem Kautschukbändchen festgehalten und mit Glycerin befeuchtet. Dann zieht man mit einem Saugapparat, etwa einem Kautschukballon mit starker elastischer Wand, der saugt, anstatt zu blasen, eine gewisse Anzahl Liter der Luft des Zimmers hin durch und vergleicht die entstehende blau-violette Färbung mit einer Farbenskala. Obwohl dieser quantitative Nachweis der salpetrigen Säure in der Verbrennungsluft rasch und sicher gelingt, habe ich die Methode bis jetzt noch nicht veröffentlicht, weil es Herrn Dr. Schuchardt in Görlitz noch nicht gelungen ist, die blau-violette Tönung der Farbenskala ganz lichtecht her- zustellen. Die jetzige von ihm hergestellte Skala kann jedoch bei Abschluss von Licht längere Zeit benützt werden. Natürlich kann auf dieselbe Art und Weise rasch eine Bestimmung der oxydirenden Kraft der Luft im Freien, die hauptsächlich durch Ozon bewirkt wird, ebenfalls quantitativ vorgenommen werden. Die Tetraskala zeigt die oxydirende Kraft eines Tropfens einer fünfhundertstel Normal-Jodlösung bis zu einem Tropfen einer hundert tausendstel Normal - Jodlösung an. Man kann mit Hilfe der Skala in einem Tropfen Flüssigkeit die oxydirende Kraft vieler oxydirenden Flüssigkeiten quantitativ messen, so besonders von Chlorkalklösungen, chromsauerm Kali, übermangansauerm Kali, Ozon-Wasser, Speichel, gut artigem Eiter u. s.'w. Die Bildung von salpetriger Säure und salpetrig- sauerm Ammoniak ist von allen Forschern, die sich mit dieser Frage be schäftigt haben, bei Verbrennungen in Luft nachgewiesen worden. Ich habe schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der rohe Holzschliff alle Reaktionen der salpetrigen Säure giebt, so besonders mit Metaphenylendiamin, Sulfanilsäure, Bromamidobenzol, Dimethylparaphenylen diamin, Indol und Salzsäure u. s. w. Die Salpetrigsäure kommt jedoch im Holzschliff nicht im freien Zustande vor, sondern wahrscheinlich in Verbindung mit dem Eiweiss des Zellinhaltes. Die Entstehung der Salpetrigsäure in den Zellen wird durch die Beobachtung erklärt, dass mit Hilfe des Tetrapapiers in vielen Pflanzensäften Wasserstoffsuperoxyd in reichlicher Menge nachgewiesen werden kann. Letzteres entsteht, wie es scheint, immer bei der Thätigkeit des Protoplasmas. Auch die Beob achtungen von Pringsheim, sowie von Löw und Bokorny machen die Bil dung des Wasserstoffsuperoxyds in dem Zellinhalte wahrscheinlich. Wasserstoffsuperoxyd oxydirt nun Ammoniak, welches als Zersetzungs produkt des Eiweiss der Pflanzenzelle auftritt, zu Salpetrigsäure oder nur die Ammoniakgruppen in dem Eiweiss. Es gelingt zwar durch dreimaliges Kochen mit Alkohol, das Harz, aber nicht die Salpetrigsäure zu entfernen, die Reaktion mit den oben angegebenen Mitteln zeigt nach solchem Kochen dieselbe Intensität. Dagegen verschwindet die Färbung, sobald man die Salpetrigsäure mit Reduktionsmitteln wie Schwefligsäure, Schwefelnatrium reduzirt, oder mit starken Oxydationsmitteln zu Salpetersäure oxydirt. Da somit durch die Reduktion der Salpetrigsäure zur Amidogruppe oder die Oxydation zur Nitrogruppe die Fähigkeit des Holzschliffs rasch zu Vergilben verschwindet, so darf man wohl annehmen, dass dies Salpetrig derivat im Holzschliff die Ursache des Vergilbens ist. Die schädliche Wirkung des Holzschliffs in Papier ist seit nahezu zwanzig Jahren bekannt. Noch länger ist es her, dass Kommerzienrath Behrend in Varzin schon eine Methode angegeben hat, Holzschliff im Papier nachzuweisen. Seit jener Zeit sind viele Mittel zur Erkennung von Holzschliff in Papier in Vorschlag gebracht worden, und werden von Jedem, der Papier in grösserer Menge verbraucht, benützt. Mit Hilfe des Dipapiers ist der qualitative Nachweis; noch mehr erleichtert, es gelingt sogar, in 10 Minuten die Holzschliffmenge in 20 Papieren quantitativ zu bestimmen mit einer Genauigkeit von 5 bis 10 pCt. Da seit langen Jahren für alle Bücher, die des Auf bewahrens würdig sind, holzschlifffreie Papiere verwendet werden, so ist die Frage des Ver gilbens der Holzschliffpapiere für die Staatsbibliotheken gegenstandslos. Wenn nun auf Grund exakter wissenschaftlicher Versuche nachgewiesen wird, dass das elektrische Licht den Holzschliff so viel rascher zum Ver gilben bringt als Gaslicht, so ist dies wohl eine interessante wissenschaft liche, allerdings längst bekannte Thatsache, die Nutzanwendung auf die Bibliotheken und Wohnräume jedoch zu verwerfen. Jede Säure zerstört die Faser, des reinen Leinenpapiers in kurzer Zeit, besonders wenn die Temperatur etwas höher steigt. Ich habe seit langen Jahren regelmässige Temperatur-Messungen in Räumen vorgenommen, die mit Gaslicht beleuchtet waren und fand in den obern Luftschichten und nahe der Decke häufig im Winter über 30° 0., im Sommer sogar über 40° C. Das Gaslicht entwickelt, wie ausgeführt, sowohl Schwefelsäure, als salpetrige Säure. Diese saure stark oxydirende Luft wird bei Gas beleuchtung fortwährend in die Bücher eindringen und im Laufe der Zeit nicht nur holzschliffhaltiges Papier, sondern auch das beste Papier schwächen, vielleicht zerstören. Elektrisches Glühlicht verändert die Luft garnicht. Wegen erneuter Ermittlung der längst bekannten Thatsache, dass Holzschliff unter Einfluss von Licht mit aktiven Strahlen rascher ver gilbt als bei Gaslicht, will man jetzt die Bestände der Bibliotheken der Gefahr der Zerstörung aussetzen. Es ist wohl möglich 1 , dass Schwefelsäure und Salpetrigsäure auch bei einem monatelangen exakten Versuch reines Papier nicht verändern, und doch weiss Jeder, der praktisch mit Säuren und Filtrirpapier gearbeitet hat, wie rasch bei verhältnissmässig niedrigen Temperaturen das Papier brüchig wird, sich sogar zu Pulver zerreiben lässt. Da hiernach freie und oxydirende Säuren schon für aus ungebleichten