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Anlage zu Ar. 11 des „Wochenblattes für Witsdruß". Aus Sachsen. Wilsdruff. 23. Januar 1907. Ja dec letzten Kreisausckußsttzung z: Dresden wurde die Beschränkung der Montagstanzmusik im Bezirk Dresden auf 11 Uhr abends, die unter den Gast, wirten viel böses Blut wackle und, nach dem Gutachten dec Pslizsivicektisr, die gehofften Besserungen in sittlicher, wirtschaftlicher und hygienischer Beziehung nicht gebracht hat, aufgehoben. Das Hotel „Zur goldenen Sonne" in Zittau gelangte am Frenag abermals zur Zwangsversteigerung. Die letzte fand im September v. I. statt. Damals hatte der Hotelier Heiland aus Dressen das Höchstgebot von 205000 Mk. abgegeben. Da Heiland den Verpfl chtungen nicht nachkam, so machte sich wiederum eine Versteigerung nötig. Die auf dem Grundstück ruhmden Hypotheken- lasten sind festzestellt mit 205000 Mk Der Wert des Grundstücks beträgt 247350 Mk. Das Höchstgebot gab die ehemalige Besitzerin oiescs altrenommierten Hotels, verw. Schröter, mit 140300 Mk. Frau Schröter ist nunmehr wieder Besitzerin ihres früheren Hotels Der G istwirt Scholz aus Großschönau bei Zittau wurde unter folgenden Umständen in Haft genommen: Scholz holte für seine Frau 5 Pfund Schöpsenfleisch aus Warnsdorf. Auf dem Rückwege wurde Scholz vom Grenzaufseher angehalten und ihm bedeutet, daß er sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe, da nur 4 Pfund Schöpsenfleisch frei eingesührt werden dürfen. Der Oberzolleinnehmrr vrriügte die sofortige Ablieferung des beschlagnahmten Fleisches an das Am sgericht. Der Grenzbeamte ging nun mit dem Gastwin Sckolz auf bas Amtsgericht und meldete die Sache dem Wachtmeister. Da Sonnabends nur bis 3 Uhr Dienst ist, war kein Richter anwesend. Bis hierher dürfte korrekt gehandelt worven sein. Scholz wurde nun bis Sonntag in Haft behalten. Am Sonntag früh erst konnte Scholz wegen Mangels eines Haflgrundes freigelassen weiden. Nach Aussage des Grenzaufsehers will er dem Wachtmeister nur das Fleisch zur Ablieferung übergeben haben, der Wachtmeister habe aber auch den Gastwirt dort behalten. Der Wacht- meister hingegen gibt an, daß die schriftliche Anzeige des Grenzaufsehers besagte, daß Scholz und das beschlagnahmte Fleisch dem Amtsgericht eingesührt werden solle. Nach dieser Anzeige hin konnte der Wachtmeister über eine sofortige Freilassung nicht verfügen, sondern mußte warten, bis ein Richter zur Stelle war. Scholz hat Strafantrag gestellt wegen Freiheitsberaubung. Wahre Toleranz. Eine seltene kirchliche Begräbnis, feier fand dieser Tage in Wurzen statt. Ein Katholik, Eisendreher W., war am Herzzchlag plötzlich auf dem Wege zur Arbeitsstätte gestorben. Seine Frau und seine Stiefkinder sind evangelisch-lutherischer Konfesston. Der Verstorbene war mit dem Wunsche seiner evangelisch- lutherischen Familie bei Lebzeiten einverstanden, daß, wenn möglich, bei seinem ev. Hinscheiden auch der evangelische Geistliche ein Wort des Trostes za den Hinterbliebenen spreche. Der Wunsch des schnell Dahingeschiedenen ist nunmehr in Erfüllung gegangen. Das volle Recht des katholischen Pfarramtes, den Katholiken zu beerdigen, ist gewahrt worden. AVer zur Beerdigung am letzten Freitag gingen der funktionierende katholische Pfarrer Lange und der evangelisch-lutherisch: Archidiakonu« Lösche, beide im Ornat, hinter dem Sarge zyr Friedhofskapelle. Erst hielt, nach einem einleitenden Liede eines Männerchores, der zuständige katholische Gnstliche vom Altäre aus die Ein« segnung der Leiche nach katholischem Ritus und seine Leichen rede; hierauf betrat der evangelische Geistliche den Altar, um den evangelischen Hinterbliebenen seinen Trost zu spenden Nach einem Schlußliede begleiteten beide Geistliche die Leiche zur Grabstätte, wo d:r katholische Pfarrer die Beerdigung vornahm. — Der ganzen seltenen F:ier wohnte eine große Anzahl Männer und Andächtige bei. Die unselige Spielerei mit einer Schußwaffe hatte schlimme Folgen für zwei Knaben, den 14 jährigen Max Georg Ludwig aus Seidau bei Bautzen und den Schulknaben Zimmermann von ebendort. Der erstere hatte sich ein Tescking verschafft und trieb damit allerlei Unfug. ZUs er am 10 Oktooer vorigen Jahres den Zimmermann auf der Landstraße angeravelt kommen sah, rief er ihm zu, ich schieße nach Dir! Im nächsten Augenblick ertönte ein Knall und Zimmermann sank vom Rade. Die Kugel, die dicht an ihm vorübergehen und ihn nur erschrecken sollte, war ihm direkt in den Hinterkopf gedrungen. Das Geschoß steckt heute noch in der Gehirnmasse. Der arme Knabe klagt, obwohl er äußerlich wieder hergestellt ist, jetzt ständig über Kopfschmerz, Uebelkeit, Halluzinationen usw. Der frivole Schütz: hatte sich jetzt vor der Straf, kammer zu verantworten. Trotz seines jugendlichen Alters wurde er wegen der furchtbaren Folge der Tat auf vier Monate ins Gefängnis geschickt. Arrrze Lhrsnik. Lieber tot als krank. Nürnberg, 21. Januar. Der Magistratssekcetär Distler beging heute Selbstmord durch Erschießen. Grund: Nervenleiden. Luftmord. Nürnberg, 21. Jan. Die Köchin Elise Funk, die bei Kommerzienrat Berthold Bing in Stellung war, wurde heute früh im Schuppen des Anwesens er- mowet aufgefunden; es scheint Lustmord vorzuliegen. Der Verdacht lenkte sich auf den Bingschen Vorarbeiter Dargler, der verschwunden ist. Alte Leute. Am Freitag starb in Stolpe, im östlichen Holstein, die unter dem Namen „Mutter Harms" bekannte Witwe Magdalene Harms im 104. Lebensjahre. Die Greisin ist am 15. September 1803 in Diekhof g> boren, wo sie den größten Teil ihres L.bens als Arbeiterin tätig gewesen ist. Im Alter von 107 Jahren ist die in Masuren bekannte „Wahrsagerin" Jankowski gestorben, die zuletzt in Bogatzewen wohnte. Dic Frau war bis an ihr Lebensende so rüstig, daß sie noch weite Reisen unter- nehmen konnte. Bei ihrer „Zauberei" bediente sie sich ihrer zwölf Katzen, die immer vollzählig sein mußten. Der schießlustige Amerikaner. In der Grünen- straße in Altona wohnt der 75 Jahre alte Rentier S., der stark nervös zu sein scheint. Als nachmittags mehrere Kinder «uf der Straße vor seinem Hause spielten und lärmten feuerte er einen scharf geladenen Revolver zwischen die spielende Kindergruppe ab, glücklicherweise ohne zu treffen. Die Kinder stoben entsetzt auseinander. Auf erfolgte Anzeige hin wurde S. sestgenommen, er gab an, er habe lange in Süd-Amerika gelebt, dort sei es Sitte, wenn die Kinder so sehr lärmten, dazwischen zu schießen. Man wird ihm schon klar machen, daß in Deutschland derartige Schießereien verboten sind und bestraft werden. Neue Ervstöße. Jelissawetpol, 21. Jan. In der vorletzten Nackt um 1^/, Uhr wurden hier zwei 5 Sek. andauernde ziemlich starke Erdstöße wahrgcnommen. Zwischen beiden war eine Pause von zwei Sekunden. Ja dem Orte Kasack wurden in der letzten Nacht um 1 Uhr 10 Minuten zwei Ecstöße verspürt, worauf eine 1 Minute lange Erdschwankung folgte. Tod durchs Turnen. Mühlhausen i. Thür., 21. Januar. In der Turnhalle der Realschule ereignete sich em beklagenswerter Unfall, dem ein junges Menschenleben zum Opfer siel. Der dem Turnverein Jahn angehöccnde 18 Jahre alte Schlosser August Führ versuchte an den Ringen selbständig einige schwierige Hebungen zu machen. De« ihm angeborenen Beistand lehnte er ab. Ec konnte sich aber nicht in den Ringen halte« und stürzte so un glücklich mit dem Kopf auf den Boden, daß er das Genick brach. Der sofort herbeigerufene Arzt konnte nur noch den bereits eiagrtretenen Tod fMellm. In den Grund gebohrt. London, 21. Januar. Der griechische Dampfer „Patricia" wurde bei dem Laß- burough-Leuchtschlff vom Dampfer „Mchringen" in den Grund gebohrt. 25 Mann der Besatzung der „Patricia" landeten in Grimsby Raubmord. Oldenburg, 21. Jan. Bei Marien - siel im Ems-Javekanal wurde der Obermaschinist Hart ermordet und beraubt aufgefunden. Es fehlten Uhr und Barschaft. Das Erdbeben auf Jamaika. London, 21 Januar. Ueber die augenblicklichen Zustände in Kingston ist zu berichten: 25 bei dem Erdbeben verwuxdete Personen sind gestern gestorben 20000 sind ohne Mittel und Obdach. 30 hervorragende Kaufleute werden noch vermißt. Der - 40 — frühesten Jugend hatte er sie aus der Ferne verehrt; aber nie war ihm der kühne Gedanke gekommen, sich um sie zu bewerben. So hatte er seine hoffnungslose Leidenschaft genährt, und es mag sein, daß der Gedanke, ihr damit zu entfliehen und in reurn Verhältnissen ein neues Leben zu beginne«, ihn bestimmt hatte, die alte Heimstatt und das engbegrenzte Leben in Silverton aufzugeben und in der neuen Welt sein Glück zu suchen Gleich dem verlorenen Sohn wollte er „den Teil der Güter, der ihm gehörte, nehmen und einsam und allein ausziehen in ein fernes Land. Nun hatte er am Vorabend seiner Abreise dach noch gesprochen; aber Cynthia hatte ihn abgewiesen und gedemütigt, nnd verletzt hatte er seine Narrheit und seine Anmaßung verwünscht. Gehörte er nicht zum gewöhnlichen Erdengeschirr, und sie zum feinsten Porzellan? Die Geschichte des rothaarigen Dienstmädchen war ihm unbekannt, ob gleich sie ihm die Geliebte näher gebracht hätte. Nichts konnte die Gottähnlichkeit des Mädchens, das er liebte, beeinträchtigen. Am dritten Abend ihrer einsamen Wanderungen ain Fluß stand Cynthia plötzlich Dick Holders gegenüber. Sie wär so in ihre Ge danken vertieft, als sie mit gesenktem Haupt und verschlungenen Händen daherkam, daß sie ihn erst bemerkte, als er dicht vor ihr war. Er hatte ja seine Abweisung erhalten und wollte an ihr vorüber gehen; mit schuldbewußtem Erröten griff er an den Hut, ohne sie anzureden. Mehr durch Blick als durch Wort hielt sie ihn zurück und streckte ihm ihre Hand entgegen. Dann sagte sie sanft: „Verzeihen Sie mir, Dick! Vergeben Sie mir die Unfreundlichkeit, mit der ith Sie abwies, als Sie — als Sie mir eine Ehre erwiesen, für die ich Ihnen hätte danken sollen. Sie haben mich neulich überrascht, ich wußte nicht, was ich sprach — und — bin mittlerweile andrer Ansicht geworden." Dies sagte sie so ruhig uud einfach, ohne das mindeste Zögern oder die geringste Verlegenheit, daß er im ersten Augenblick gar nicht die ganze Tragweite ihrer Worte erfaßte. „O Fräulein Cynthia," stammelte er, „ist eS denn möglich? Lieben — lieben Sie mich wirklich!" War denn die Göttin zum Sterbliche» herabgestiegen? Bei seiner Frage wurde sie dunkelrot und erwiderte mit zittern den Lippen, aber in ruhigem Tone! „Nein, Dick, ich liebe Sie nicht; aber Sie haben davon gesprochen, fortzugehen in eine Welt, wo uns niemand kennt, wo niemand sich darüber wundert oder klatscht, und ich möchte mit Ihnen gehen, Dick! Wollen Sie mich mitnehmen?" Ob er sie mitnehmen wollte. Dick war ein breitschultriger, hellhaariger Angelsachse, ein Hühne von einem Mann; aber er erbebte am ganzen Leibe bei ihren Worten. - 37 - WeibeS und lustiges Kindergekreisch mochten ihm beschieden sein in seiner neuen Heimat über dem Ocean; aber seufzend wandte er sich ab, und heiße Tränen brannten in seinen Augen. Oben traf Cynthia mit Lätitia und ihrem Verlobten zu sammen. Basil führte seine Braut am Arm, uud die kleine, flinke Gestalt trippelte neben ihm her in dem raschen Schritt, den sie sich auf den eiligen Gängen zu ihren „lieben Armen" in Little Silver angewöhnt hatte." Cynthia hatte das so schlecht zusammenpassende Paar noch nie außerhalb des Hauses gesehen, und es kam über sie wie eine Offenbarung Sicherlich hatte die arme Lätitia noch nie so häßlich und alt ausgesehen, als in diesem Augenblick, wo sie in der Helle der Abend beleuchtung an der Seite des Geliebten ihrer Jugend den Hügel Hinaufstieg. Nun bemerkte Cynthia, was sie bisher nie bemerkt hatte, und wunderte sich, wie mager und verfallen dies teure, traute Wesen war Das plumpe, grobe Kleid, das kleine, viereckige Tuch, das die schmalen Schultern überflüssigerweise noch eckiger erscheinen ließ, der fuchsige, schwarze Hut, kurz, alles, was sie um und au sich hatte, diente nur dazu, die grausame Verschiedenheit des ungleichen Paares noch schärfer hervortreten zu lassen. „Sie ist das liebste, edelste Weib der Welt", sagte sie streng zu sich selbst, „und er ist ihrer gar nicht würdig!" Das liebste Weib der Welt blieb in der Mitte des Weges stehen, küßte sie, kniff sie in ihre glühenden Wangen und lenkte Basils Aufmerksamkeit darauf. „Wie herrlich du aussiehsi, mein Liebling, welch prächtige Farben du hast! Du mußt jeden Tag spazieren gehen, Cynthia, die Bewegung bekommt dir so gut. Sieh nur, Basil, wie gut sie aussieht!" Da der ehrenwerte Basil Haworth die ganze Zeit über Cynthia mit so verstohlener Bewundreung in seinen Blicken betrachtet hatte, daß ihre Wangen wie blühende Rosen erglühten, so wäre er ganz in der Lage gewesen, bejahend zu antworten; allein, er tat nichts Derartiges. Nur seufzte er, ließ Lätitias Arm fallen und schlug in der sinnlosesten Weise den harmlosen Heckenrosen die Köpfe ab, als empfinde er ihre Schönheit und Lieblichkeit wie eine persönliche Beleidigung. „Wir haben uuu alles ausgemacht, liebes Herz," erklärte Lätitia ihrer Schwester, während sie demütig hinter ihrem Bräutigam drein ging, „du mußt auch unsere Flitterwochen mit uns verleben." Cynthia errötete und krümmte sich innerlich, während das liebe Geschöpf weiterplauderte. „Weiß du, ohne dich wäre ich keinen Augenblick glücklich. Ich könnte dich unmöglich einen ganzen Monat entbehren, mein Liebling, und würde keine Nacht mehr schlafen können, weil ich immer an dich denken müßte. Basil ist damit einverstanden; es ist ihm ganz recht, wenn du mitgehst."