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ÜMsaruNer Tageblatt Nr. 132^- 2. Matt - S2. Zsdrgang Sonnsbenü / Sonntag 10. / N. November 1Y23 „kestmark ?" Frei nach Heinrich Heine. Leise zieht durch mein Gemüt Liebliches Geläute: Aus nun ist des Scheingelds Lied, Fe st mark krieg' ich heute! Dollarnoten, — Rentenmark, Gold- und Schatzanweisung — — Fort nun mit dem alten Quark, Fort, zur Ofenspeisung! Was, ihr -habt zu früh- gekräht, Ihr Finanzenleiter,. Und um meine Nase weht ' i Der Papierdunst weiter? Meine Hoffnung war umsunst, „F e st" mich- einzu-decken ? — j Dann kö n n t ih r m it eur e r Kun st Mich noch weiter necken! F- Ms Zsiirmg — das tägliche Brot. Von DorotheeGoebeler. Aber haben Sie denn das nicht gelesen? Es hat doch in der Zeitung gestanden. — „Ach, eine Zeitung halten rvst nicht mehr, das ist ja viel zu teuer!" Man hört das Wort sehr ost heute. Wie alles im Preise gestiegen ist, so auch die Zeitung. Sie hat mitgehen müssen mit der Teurung, die weiter und immer weiter um sich greift. Die Not der Presse bildet ja schon lange das immer wiedcttchrende Thema der Zeitungen selbst. Sie beschäftigt die Öffentlichkeit in weitesten Kreisen, man berät darüber in der Negierung, daß aus den „Beratungen" viel heraus- gekommen wäre, läßt sich leider nicht sagen. Noch immer ist das Papier beinahe unerschwinglich, die ganzen Mate rialien, die Löhne, die Gehälter, die vielen unvermeidlichen Nebenausgaben, wie Post, Telephon, Transport, Honorare und was sonst noch so zum Betriebe gehört, belasten das Budget der Zeitung ins Ungeheure. Und nicht bloß die Zei tung, das Buch ist im Preise gestiegen, die Zeitschrift kostet vas Vielfache von dem, was -sie ehemals erforderte. Also! Lesen wir einfach keine Zeitungen mehr, lassen . wir die Zeitschrift beiseite, streichen wir das Buch aus unsere!» Ausgabeplan, es muß ja nicht sein, es geht ja auch so! Geht es wirklich so? Muß es tatsächlich nicht sein??? Ich nn.ch<: drei Fragezeichen hinter die Frage, und ich möchte, geschätzte Leserin, möchte, du Frau, du Mutter, daß du nicht dloß über diese Fragezeichen hinliest, sondern, daß du recht ernsthaft über sie nachdenkst und recht eingehend. Die Frage ist nämnch gar nicht so nebensächlich wie es den Anschein hat, sie ist eng verknüpft mit deinem Leben-, mit dem Leben deiner Kinder und deines ganzen Volkes. Wir sind heute nicht mehr bloß für uns allein verantwortlich, wir sind es einer für den anderen und alle für einen, wir Altert sind es aber vor allem für die kommende Generation. Aus dem Heute soll sich das Morgen entwickeln. Darf es da dem einzelnen wirklich so egal'sein, was in der Zeitung steht??? Ich mache noch ein mal drei Fragezeichen. Es stehen ja nicht nur Unglttcks-- sällc und Verbrechen darin, nicht bloß Sensationsnachrichten, die Zeitung ist das Spiegelbild des Tages, sic gibt uns den Blick in Weltgeschehen und Weltgeschichte, in das Stück Weltgeschichte, das wir selber gestalten helfen sollen, du, ich, jeder an seinem Platze. So wie wir arbeiten, denken, füh len, wird sie. Wir stehen in einer so bewegten Zeit, wie sie noch niemals über unser Volk und Land gegangen. Von jedem wird verlangt, daß er dazu Stellung nimmt, und dann in den, Sinne, der ihm nach eigenem besten Wissen und Ge wissen der wichtigste zu sein scheint, auf seine Umgebung ein- wirken füllst. Das kann er nicht, wenn er nicht oder nur bom Hörensagen weiß, was vorgeyt. Wir haben ja wohl noch alle die Tage in Erinnerung, in denen wir uns einmal ohne Zeitung behelfen mußten. Was für wilde Gerüchts schwirrten da umher und verwirrten die Gemüter, man denke sich diese Zustände einmal als dauernd, und man wird sich die Frage beantworten können, ob wir eine Zeitung brauchen oder nicht. Wir brauchen sie nicht nur, wir haben einfach die Pflicht, sie zu lesen und zu halten — erhalten zu helfen. Ein Volk, das seine Presse eingehen läßt, streicht sich selbst aus der Liste der Kulturvölker und ist nicht wert, überhaupt noch weiter zu bestehen. Dis Zeitung ist ja nicht bloß die Trägerin politischen Geschehens, sie eröffnet uns auch den Blick in das Leben der Kunst, die Arbeit und die Erfolge der Wissenschaft, das Leben und Treiben anderer Völker uud Länder, sie vermittelt uns die Werke der Dichter, erzählt uns von Malern, den Bildhauern, der Musik, der Theater! Wie dumm, wie unwissend steht heute der Mensch in der Gesellschaft da, der von alledem nichts weiß, der sagen muß: „Das habe ich nicht gelesen." Die Zeitung vermittelt dem Durchschnittsmenschen jenes Wissen vom Leben, von der Wissenschaft und Kunst und Industrie und Technik, ohne das ein moderner Mensch nun einmal nicht leben kann. Aber das Brot ist doch so teuer, und die Eier und das Fleisch und ! Es gibt ein altes Wort, das sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!" Er braucht tat sächlich noch etwas anderes, er braucht auch das, was ihn herausreißt aus dem Alltag, er braucht das geistige Brot, Nahrung für dis Seele, oder er verkümmert, und mit ihm verkümmern die, die um ihn leben. Zu was für einem Tief stand sinken wir herab, wenn wir ohne Zeitung, ohne Zeitschrift, ohne Buch leben wollen! Denn es ist nicht bloß das, daß wir damit die Presse selbst zum Untergang ver dammen, wir töten auch jedes geistige Schaffen, oder schrän ken es doch auf das Mindestmaß ein. Wozu soll der Dichter noch Dichten, der Schriftsteller noch schreiben, der Deuker noch die Arbeit seines Geistes niederschreiben und festhalten und auszugestalten suchen, wenn sich keine Stätte mehr findet, wo er seine Arbeit seinem Volk vermitteln kann, wenn sein Volt ihm sagt: „Dafür haben wir kein Geld, das ist überflüssig." Wie würden wir jeder zurückgehen in unserer inneren Entwicklung, wenn wir keine Zeitung mehr hätten, an der wir uns geistig und praktisch weiterbilden können, an der wir wachsen und reifen. Überlege dir nur bloß einmal, liebe Leserin, was du selber so im Lauf der Jahre schon aus dei ner Zeitung an Wissen und Belehrung geschöpft hast! Wie viel praktische Ratschläge sie dir gegeben hat, wieviel sie dir damit sparen half, das Leben erleichterte, Gutes wirken half im Kreise der Deinen, wieviel Erholung, Freude, Genuß und Belehrung sie in deine Feiertage trug, und dann frage dich, ob du das entbehren möchtest. Sieh auf Frauen, die nie Zei tungen lasen — es gab ja auch schon bisher solche — sieh, wie dumm und unwissend sie im Leben dastehen, denke, wie ost du schon über „solch eine" den Kopf geschüttelt hast, mii einem erstaunten: „Wie kann man bloß!" Und dann frage dich, ob du selber über kurz oder lang auch so dastehen möch test. Ich glaube, du sagst: „Nein" und fügst hinzu: „Un! wenn es noch so schwer wird, unser geistiges Brot muß uns erhalten bleiben." Es muß einfach! Hört ihr: Es muß! Ser Zernbrief 10 Miarde» Mark. Ab 12. November. Mit Niesenschritten eilt die Neichspost vermittels alle paar Tage sich wiederholender Erhöhungen auf die Gold rechnung zu. Es ist dabei nur zu sorgen, daß sie nicht, wie die Eisenbahn es bereits getan hat, über das Ziel hinausschießt. Die Eisenbahn hat höhere als Gold preise erreicht und damit wesentlich zur allgemeinen über- teuerung beigetragen, indem sie die Grundpreise gegen den Frieden um 50 A erhöhte und dann diesen Satz jeden Tag mit dem Stand der Goldmark multipliziert. Mit 10 Milliarden für den Fernbrief hält vom 12. Novem ber ab die Reichspost das Porto bei 624 Goldpfennig, während das Friedensporto für den Brief 10 Pfennig betrug. Vom 12. November ab sind die erhöhten Sätze für hauptsächlichste Gebühren im Post- und Postscheckver kehr des Inlandes folgende: Postkarten im Ortsverkehr 2 Milliarden, im Fern verkehr ü Milliarden, ein einfacher Bries im Ortsver kehr. 5 Milliarden, im Fernverkehr 10 Milliarden. Linum wen 2 Milliarden, Pakete bis 3 Kilogramm in der ersten Zone 25 Milliarden, in der zweiten und in der dritten Zone 50 Milliarden, Pakete bis 20 Kilogramm in der ersten Zone 160 Milliarden, in der zweiten Zone 320 Milliarden, in der dritten Zone 480 Milliarden. Postanweisungen bis eine Billion: 5 Milliarden, über eine bis drei Billionen: 10 Mil liarden, über drei bis fünf Billionen: 15 Milliarden, über fünf bis zehn Billionen: 20 Milliarden, über zehn Billionen Matt jede weiteren zehn Billionen oder ein Teil davon je 20 Milliarden mehr. Postscheckgebühren einzahlbar mit Zahl karte bis eine Billion: 3 Milliarden, über eine Billion bis drei Billionen: 5 Milliarden, über drei bis fünf Billionen: 8 Milliarden, über fünf bis zehn Billionen: 10 Milliarden, über zehn Billionpn für jede weiteren zehn Billionen oder einen Teil davon 5 Milliarden mehr. WschenaHZug von Ser Lohnsteuer. Vom 11. bis 17. November. Mit Rücksicht darauf, daß die Löhne bisher zahlenmäßig immer höher geworden sind und daß daher trotz jeder noch so erheblichen Steigerung der Verhältniszahl die Belastung eines Arbeitnehmers mit Normallohn und zwei minderjähri gen Kindern immer wieder über die an sich gewollte Be lastung von etwa 6 A hinausgegangen ist, hat das Reichs finanzministerium die Verhältniszahl, mit der die Ermäßi gungen der zweiten Septemberhälfte beim Steuerabzug vom Arbeitslohn zu vervielfachen sind, für die Zeit vom 11. bis zum 17. November 1923 auf dreihunderttausend festgesetzt. Bei der Berechnung des Steuerabzugs von dem bis zum 17. November 1923 fällig gewordenen und gezahlten Arbeits lohn sind daher die Ermäßigungen der zweiten September hälfte mit dreihunderttausend zu vervielfachen. Unter Zu grundelegung der Verhältniszahl „dreihunderttausend" er geben sich? B. folgende Wochenermäßigungen Mr KI- k Steuerpflicht. für jedes minder- f. WerbungS- und Ehefrau je jährige Kind kosten bis "Kark Mark 16.-30.9. 23 172 800 1152 000 1 440 000 (Grundzahl) 4.-10. 11. 23 /zwanzig- 3 456 000 000 23 040 000 000 28 800000 000 tausendfach) 11.-17.11.23 (dreihundert- 51840 000 OOO 345 600 000 000 432 000 000 000 (tausendfach) Die Anwendung der vollen Wochenermäßigungen wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der bei einem Arbeitgeber regelmäßig beschäftigte Arbeitnehmer für einen Teil der Lohnwoche keinen Lohn bezogen hat. Dies gilt insbefonders in den Fällen der Kurzarbeit. Wird z. B. in einem Betriebs infolge Betriebseinschränkung nur an drei Tagen gearbeitet, steht jedoch die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nach dc:n zwischen diesem und dem Arbeitgeber bestehenden Arbeits verhältnis dem Arbeitgeber während der ganzen Lohnwoche stets und vollständig oder doch hauptsächlich zur Verfügung, so sind bei der Berechnung des Steuerabzuges nicht drei Tagesermäßigungen, sondern die Wochenermäßigungen zu berücksichtigen. Der im Wege des Steuerabzuges einzube haltende Betrag ist in allen Fällen ausvolle Milliar den nach unten abzurunden. sandel unü Verkehr. MrtlMsttSLavlrri Mr Sen November IY23. 1 Goldmark: Berl. Briefkurs . . 150375000000 Papiermatt 1 Dollar Goldanl. (Berliner Kurs) .... 630 Milliarden L Dollar Schatzanw. (Berliner Kurs) .... 680 Milliarden Reichsbankdiskont .... monatlich 7>/2°/o, jährlich 90°/« : Reichsbanklombard .... wertbeständig io°/g jährlich do. . . gegen Papiermatt 108 °/g jährlich ! Goldankaufspreis 640 Dollar p. Kilogr. i Silberankaufsprei« (1-Mark-Stück) 35000000000 z Goldumrechnungssatz für Reichssteuern . . .löooow00000 > Reichsrichtzahl (Steigerung 620,5°o) 98500000000 i Sächsische Gefamtrichtzahl (mit Bekleidung) , 94500000000 (Steigerung 678,0°/p i Großhandelsrichtzahl 129000000000 ; (Steigerung SSt,2°/„) ' Gegenwert des Goldfranken bei Auslandspostsendungen usw 140000000000 i Anzeigenschlüsse! . 200000000 ! Arzneitaxe für Waren u. Gefäße ...... 1500000009 für Arbeitsvergütung 137000000 sz Flammen. Roman von Hans Schulze. „Wir haben heute noch einen lieben Hausbesuch", flötete sie mit einem süßlichen Lächeln. „Eine Bruderstochter mei nes Gustav. Die Gute ist seit einem Jahr mit einem Kollegen meines Mannes verlobt, der uns die große Freude gemacht hat, heute gleichfalls herauszukommen. Die jungen Leut chen erwarten uns seit einem Stündchen in der Kaffeelaube. Ich drücke da gern einmal ein Auge zu. Man war ja doch auch einmal jung", schloß sie, Hella mit sanfter Vertraulichkeit in den runden Arme kneifend. Dann gingen sie gemeinsam den laubüberwölbten Mit- ielsteig des Pfarrgartens entlang, der sich zwischen prächtigen Rosenrabatten terrassenförmig zu dem sanft ansteigenden Kirchberg emporzog und an feinem Ende durch die wehrhaften Bastionen der uralten Kirchhofsmauer abgeschlossen wurde. Ein paar Holunderbäume schmiegten ihre zähen Wurzeln in den Untergrund der ungefügten Feldsteinblöcke, und ver wilderte Stachelbeer- und Johannisbeersträucher machten im Verein mit Hundsrosen und anderem Gestrüpp das ehr würdige Gemäuer zugleich zu einer dichten, romantischen Hecke. Hier lag auf einer vorspringenden kleinen Anhöhe die vielgerühmte Fensterlaube „Sieh dich um", und der festlich gedeckte Kaffeetisch leuchtete verheißungsvoll aus dem sonni gen Helldunkel des knorrigen Weißdornrundes. Ein hochaufgeschossener, semmelblonder Jüngling in einem feierlichen Bratenrock, der mit einem dichten, turzhalsi- gen Wesen zärtlich umschlungen die Schätze der Kuchenschüssel von den unablässig zwirrenden Goldammern behütet hatte, dienerte in hilfloser Bestürzung, als Hellas blendende Erschei nung jetzt auf einmal in das Blickfeld seiner ewig leicht ver liebten Augen trat. Er wurde als Predigtamtskandidat Springer und glück licher Bräutigam von Fräulein Emilie Hagedorn vorgestellt und wagte Hella, die er anfänglich für die Baronin Löhna hielt, vor lauter Ehrfurcht kaum die Hand zur Begrüßung zu reichen. Auch später, als er längst über seinen Irrtum aufgeklärt war, behielt sein blasses Stubengelehrtengesicht, das in seiner grauqeiben Farbe unwillkürlich an ein unabgestaubtes Akten- - regal erinnerte, dauernd einen geistesabwesenden Ausdruck - bewundernder Erstarrtheit bei, so sehr sich seine eifersüchtige Verlobte auch bemühte, ihn duöch gelegentlich leise Fußtritte wieder in die Wirklichkeit zurückzurufen. Dabei entwickelte Fräulein Hagedorn eine Energie und Ausdauer von weiblicher Beredsamkeit, die dem ehelichen Glück des künftigen Gatten ein sehr betrübtes Horoskop stellte und ihn für den Einsichtigen schon heute einem abso luten Pantoffelheldentum verfallen erscheinen ließ. In weitschauender Voraussicht verkündete sie ein Evan gelium von Sparsamkeit, das die persönlichen Bedürfnisse des Ehemannes bis zum Gebot des Selbstrasterens beschnitt, um die täglichen Unkosten in den Etat des Wirtschaftsgeldes einbeziehen zu können, und entwickelte mit bemerkenswertem Freimut allerlei revolutionäre Ansichten über Vereinfachung und Verbilligung der Kinderaufzucht, die in ihrer unge schminkten Aufrichtigkeit dem etwas prüden Verlobten ver schiedentlich eine sanfte Nöte der Scham in die käsigen Wan gen trieben. Auch aus der Skandalchronik ihres Heimatstädtchens Wartenberg wußte sie allerlei pikante Histörchen wiederzu- geben, und während die breiten, lockeren Streifen des vor trefflichen Streuselkuchens in ununbrochener Folge hinter dem Gehege ihres kräftigen Gebisses verschwanden, zerpflückte sie mit der sachlichen Kälte des Anatomen den guten Ruf eines halben DuZsnd ahnungsloser Zeitgenossen, die dem streit baren Superintendententöchterchen wohl in irgend einer Weise einmal zu nahe gekommen sein mochten. Selbst Graf Eickstädt, dessen Name jetzt im Laufe der Unterhaltung fiel, wurde unter die Lupe ihrer scharf-morali schen Kritik genommen und seine Heirat mit Herta Löhna geradezu als eine Forderung des Tages bezeichnet, die in Ansehen seines mehr als lockeren Iunggesellenwandels von berufener Seite schon längst erhoben worden sei. Der Pfarrer, der diese rücksichtslosen Angriffe auf seinen Patronatsherrn in Hellas Gegenwart einigermaßen peinlich empfand, suchte den Redefluß seiner klatschsüchtigen Nichte vergebens ein wenig einzudämmen, bis es ihm nach einigen mißlungenen Anläufen endlich glückte, sie in ein Gespräch über Bienenzucht zu verwickeln, für die sie als eine werbende Kapitalsanlage in ihrer künftigen Pfarre ein großes Interesse bezeigte. Hella saß während all dieser Debatten zwischen dem Ehe paar Hagedorn wie ein gefangener Vogel und übersann im stillen immer wieder, warum sie eigentlich in die Gesellschaft dieser so satten, behaglich schmatzenden Menschen gekommen war, deren spießbürgerlicher Kleinlichkeit das große, wirkliche Leben mit seinem Kämpfen und Nöten so weltfern lag. Es war ihr ja im Grunde so furchtbar gleichgültig, ob die Gattin des Wartenberger Beigeordneten mit einem Som merhut für zwanzig Mart die Verhältnisse ihres Ehemanns überschritt oder nach welchen Grundsätzen eine Bienenweide angelegt werden müsse, damit sich Pflanzen und Bäume stän dig im Blühen ablösten, um den Bienen von April bis Sep tember eine immer wechselnde Nahrung zu bieten. Die quälenden Gedanken des Nachmittags waren allmäh lich wieder in Hella wach geworden, die vernichtende Erkennt nis, daß es einen Mann auf Erden gab, an dem sie nicht vor beikam, mit dem sie sich erst auseinandersetzen mußte, ehe sie überhaupt nur eine Hand rühren, einen einzigen Schritt auf dem Wege zu jenem anderen weitergehen konnte, der der Schlüssel zu einer neuen, glänzenden Zukunft in seinen Hän den hielt. Ob Graf Eickstädt jetzt schon nach Greifenhagen unter wegs war? Um sechs Uhr traf der Berliner Schnellzug in Frankfurl ein und in einer halben Stunde trug ihn sein windschneller Adlerwagen zu feinem Schloß hinüber. Graf Eickstädt. Ihr war's auf einmal, als höre sie das Heulen der Si rene, das kriegerische Trommeln des Motors durch die gleich mäßig malenden Kaubewegungen Fräulein Hagldorns. Drei ganze Tage hatte sie vergebens auf ein Lebens zeichen von ihm gewartet. Aber nun kam er selbst und sie fühlte, daß in diesem Augenblick der Kampf'begann, in dem sich ihr Schicksal vol lenden würde. — „Ich muß heim!" sagte sie unvermittelt, durch das große Querfenster der Laube zum Turm der nahen Kirche empor spähend, den die Schwalben auf ihrem abendlichen Fluge mit endlosem Gezwitscher unablässig umschwenkten. „Die Uhr geht auf sieben." Ein bedauerndes Stimmendurcheinander war die Ant wort. (Fortsetzung kolgtä