Volltext Seite (XML)
Frankenberger Erzähl er UnterhaltungsbeUagr z«m Frankenberger Tageblatt Ur. 114 Sonvtag de« 10. November 1918 G Vie Mllwördeus Roman von Fr. Lehne 10 Nachdruck verboten ! Sissi war sehr überrascht und niedergeschlagen. Tränen ' standen in ihren Augen. „Dott, hab' dich dach nicht so, Sissi! Richtig albern bist du," schalt Titi. Freundlich beruhigend nickte der Graf seiner jüngeren Tochter zu. „Es ist ja nicht für immer, Kleine! Nur die wenigen Wintermonate, und in München wird es dir sicher gefallen, dort, wo Onkel Rüdiger wohnt." „Fräulein Lore kommt aber auch mit uns nach München?" fragte sie eifrig und erleichtert darüber, datz die Abwesenheit von Lengefeld nur eine vorübergehende sein sollte. „Se.bstverständlich. Oder glaubst du, in München hättet ihr nicht nötig, zu lernen? Ihr müßt fleißig sein." . * „O, wir sind fleitzig, Papa. Fräulein ist zufrieden. Soll ich dir mal nachher meine Schulbücher zeigen?" . „Damit kannst du wohl bis morgen warten," sagte Gräfin Lella scharf, während Thekla höhnisch lachte, „übrigens ist es jetzt Zeit für dich, ins Bett zu gehen. Fräulein Berger mag dir helfen." Sofort erhob sich dck^ junge Mädchen. „Komm, Sissi! Sage gute Nacht!" Gehorsam stand die Kleine aus. Sie kützte der Mutter die Hand, den Baler umhalste sie stürmisch. „Kommst du nachher noch mal an mein Bett, Papa?" fragte sie leise. Er njckte, strich ihr das dunkle Haar zurück und drückt« einen Kutz auf ihre Stirn. Mit einem glücklichen Lächeln fahle Cäcilie di« Hand ihrer Lehrerin und hinkte hinaus. Sinnend folgte Ottokar Allwördens Blick den beiden. * „Sissi scheint sehr an Fräulein Berger zu Hängen." „Kein Wunder, die Berger zieht sie pns vor und küm- m«rt sich wenig um mich und Ossi," warf Thekla gereizt ein. „Bist du mit der Erzieherin zufrieden, Lella?" „Gott ja, Ossi lernt sehr gern und auch gut bei ihr, das ist die Hauptsache. — Titi ist ihr ja wohl schon ent wachsen — da werden wir später in München Ersatz finden müssen." „Ein schönes Mädchen," bemerkte der Graf, fast in Ge danken. Ihm war diese Aeuherung sofort leid, oenn höhnisch lachte seine Frau: „Das habe ich sofort gemerkt, datz sie Eindruck aus dich gemacht hat! Du scheinst in Verlegenheit um «in neues Modell zu sein, wie —?," „Lella, ich bitte dich!" wehrte er ab, mit einem Blick auf Thekla, die gespannt, mit halb offenem Munde, die Eltern beobachtete, «inen wenig kindlichen Ausdruck aus dem hübschen Gesicht. Lächelnd wiegte Lella den Kopf hin und her und filierte ihren Gatten mit einem spöttischen Blick. „Ich kenne dich, mein Freund. Warum so eifrig dagegen protestieren? — Zeige, mir nun, bitte, noch einmal den Woh nungsplan." „Sofort, wenn ich Sissi „gute Nacht" gesagt habe! Ich möchte sie nicht vergebens aus mich warten lassen." Geräusch.os becrat er das Schlafzimmer seiner Töchter, ohne datz man ihn bemerkte. Lore kniete neben Sissis Bett und sprach mit ihr das Abendgebet. Ihr junges Gesicht trug einen so andächtigen, heiligen Ausdruck, datz es ihn un willkürlich ergriff. Errötend erhob sie sich, als sie hie Anwesenheit des Grasen bemerkt«. Er neigte sich über sein Kind, das die mageren Aermchen um seinen Hals schlang und, glücklich über sein Kommen, ihn mit Worten und Streicheln liebkoste. Ilm Lella nicht Anlatz zu den von ihr beliebten spitzigen Bemerkungen zu geben, entfernte er sich bald wieder nach einigen freundlichen Worten an das Kind und seine Er zieherin. Ihm war seltsam zumute. Weh und.weich. Eine zufällige Aehnlichkeit hatte ihm Mit Macht die Vergangenheit ins Gedächtnis zurückgerufen, vor deren.'Erinnerung er sich immer so ängstlich gewehrt hatte. Und nun zogen, hervor gerufen durch den Anblick des »fremden, schönen Mädchens, Gedanken durch seinen Kops, die ihn verwirrten und ängstlich machten. Begrabenes zieht man nicht gern ans Tageslicht. Am Abend konnte Lore nicht einschlafen. Der Gedanke, einige Wochen in München zu sein, erregte sie in hohem Matze. Sie mutzt« sofort ihrem lieben Mütterchen mitt«ilen, welches Glück ihr bevorstand. Eilig glitt die Feder über das Papier. „ Der Graf ist übrigens sehr freundlich. Er hat auch Sissi sehr lieb, und das freut mich für sie. Mit jedem Tage gewinne ich das Kind lieber, und sie lohnt es mir durch ihre Anhänglichkeit. Titi ist launenhaft und hochmütig, wie ihre Mutter; sie ist ein schwer.zu behandelndes Kind. Ich sah die Herrschaften von der Bahn kommen. Als der Gras aus dem Wagen stieg, dachte ich, Erich wäre es — so ähnlich sah er ihm von weitem. Solche schlanke, jugend liche Frgur hat er. Aber in der Nähe sieht man doch, datz er ein Fünfziger ist. Sein interessantes Gesicht Utgt viele Falten; sehr nervös sieht er aus, wie unser Geschfchtsprofessor ans dem Seminar. Du erinnerst Dich, Mutter!; der Doktor Arnold, für den wir alle schwärmten. Nun gute Nacht, liebes Mütterchen! Morgen schreibe ich mehr. Gut, datz ich das Ueberseepapier habe; ha kann ich dir für einfaches Porrd immer eine ganze Menge be richten. Der Mond scheint gerade über die Baumwipfel in mein Zimmerchen — ich sage ihm viele Grütze für Euch, Ihr Lieben . . . Erich ist jetzt vielleicht gerade noch mal in seinem Revier. Ach, ich denke so viel an Euch! In den nächsten Tagen wird Graf Rüdiger erwartet, der Bruder meines Chefs. Auf ihn bin ich sehr neugierig. Sissi spricht be geistert von ihrem Onkel! — Nun gute Nacht und schöne Grütze! Eure Lore." Zehntes Kapitel. Der Diener setzte die Obst- und Konfettschalen nebst de» dazugehörigen Tellern auf den Tisch, nachdem er mit dem silberbeschlagenen Tischbesen die Krümel von dem weitzeu Damasttuch entfernt hatte. Gräfin L«lla nahm eine Almeriatraube, pflückte mit den zierlichen Fingern eine Beere nach der andern ab und führte sie langsam zum Munde. „Bitte, Fräulein Berger, wollen Sie mir den Apfel zurechtmachen?" Graf Allwörhen legte einen köstlichen Lalvilleapfel auf «inen Teller und sah zu, wie Lores schlanke Hände ihn schälten- „Möchtest du dich nicht bedienen, Rüdiger? Das Obst ist wirklich zu empfehlen. Bitte, lasse den Onkel jetzt essen, Sissi." Gräfin Lellas schleppende, scharfe Stimme unterbrach das Getändel des Schwagers Mit ihrer jüngeren Tochter. Auf deren Wunsch belud der Legationsrat seinen Teller mit Knackmandeln und Datteln, weil sie mit Onkel Rüdiger gern ein Vielliebchen essen wollte; dann nahm er für sich einen Apfel. Die jung« Erzieherin hatte jetzt Ossi »zu bedienen; sie mutzte ihm Nüsse und Mandeln öffnen. „Onkel Rüdiger, schau, ich habe eine Doppelmandel:" jubelte Cäcilie, und lächelnd lietz er sich den braunen Kern zwischen die Lippen schieden.