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- 175 — noch eine-Frage erlauben: Darf ich nicht zu Herrn von Ger lachhausen senden? Dielleichst könnten gnädigste Komtesse einen so treuen Freund jetzt brauchen. Er hat mir selbst gesagt, daß er sofort kommen will, wenn ihn Madigste Kpmtesse rufen lassen." Jutta schüttelte traurig den Kopf. „Nein, liebe Frau Wohlgemut. Sie meinen es gut, ich weiß es, aber es kann nicht sein. Ich mutz mir selbst helfen." — — — Jutta atmete auf, als sie auf „Wunschnmids" Rücken durch den Park sprengte. Am Sattel hatte sie ein kleines Paket befestigt, das das Nötigste für die Nacht enthielt. Sie war ziemlich entschlossen, vor morgen nicht nach Ravenau zurückzukehren. Die Kastellanin würde schon für ein passendes Unterkommen in Schönrode sorgen. Da ihre Mutter und Herbert erst gestern in Schönrode gewesen, war nicht zu fürchten, daß sie heute schon wieder dorthin kamen. Sie wußte nicht, daß auch sie eine Fahrt nach Schönrode planten. In ihren Zimmern in Ravenau hätte es Jutta nicht bis morgen ausgehalten. Sie hoffte so eher zur Klärung ihrer Gedanken und zu einem Entschluß zu kommen. In Schönrode war außer dem Kastellan und seiner Frau niemand zu sehen. Die Leute befanden sich fast alle mit dem Verwalter auf dem Felde, und die wenigen Diener, die im Schloß zu tun hatten, schassten in entlegenen Zimmern. Jutta übergab ihr Pferd dem Kastellan und teilte der Kastellanin mit, daß sie bis morgen in Schönrode bleiben wollte. Diese war äußerst erstaunt und wollt« große Vor bereitungen treffen. Jutta lehnte jedoch ab. „Es findet sich schon ein Lager für mich. Vorläufig besorgen ^Sie mir nur ein Glas Milch und ein Butterbrot. Ich werde in das Turinzimmer gehen, von dem aus man den schönen Ausblick hat. Dorthin bringen Sie mir den Imbiß." „Wie gnädige Komtesse befehlen." „Noch eins. Es wäre mir lieb, wenn die Leute gar nichts von meiner Anwesenheit erführen, damit nicht davon nach Ravenau berichtet wird. Verstehen Sie?" Die Kastel- lanin verstand offenbar gar nichts, aber ihr Mann, der eben aus dem Stalle kam, wo er das Pferd eingestellt, zeigte sich intelligenter. „Gnädige Komtesse wünschen sich inkognito hier auf zuhalten," sagte er verständnisvoll. Jutta nickte. > - „So ist es. Ich möchte ganz ungestört sein." (Fortsetzung folgt.) Sri mlerer Mskine in Mnaem « 1V. An -er Seefrant Noch liegt das Dunkel des frühen kalten Morgens über Lem flandrischen flachen Land, als der rüstig ausgreifend; Marinegaul mich im kleinen Gefährt nach der Seefront bringt. An den Stellungen zur Linken herrscht emsige Artillerie tätigkeit. In gewissen Abständen blitzen Leuchtgranaten auf, zerbersten' über dem Vorgelände und den feindlichen Stel lungen, senken sich dann langsam und buchen mit ihrem strahlend Hellen Lichte die Umgegend in blendende Helligkeit. Wollten die Feinde in diesen Stunden kurz vor der Dämme rung unter dem Schutz der Dunkelheit einen überraschenden Angriff unternehmen, so wird dis Helle Luftsackel zum Ver räter ihrer Pläne. Weiter südwärts zuckt es unaufhörlich gespensterhaft auf wie fernes Wetterleuchten: Das Mündungs- feuer der Feindesgeschütze, deren dumpfes Grollen leise pol ternd herüberrollt. Als der junge Tag zu dämmern beginnt, sind wir am Ziel, dem bekannten belgischen Badeorte. Der Wagen wird entlassen, «in junger Offizier vom». - Schweren Korpsartillerie- Regiment übernimmt die Führung. Westwärts wandern wir. Nahe am Strand durch die Dünen. Hart an der schnur- gemden Straße, die von Ostende kommt, dehnt sich zur Rechten die- weite See, noch, wie fast immer am Morgen, in einen leichten grauen Dunstschleier eingehüllt. Das Meer läßt seine Stimme ertönen. Ununterbrochen rollt die schäu mende Brandung heran und benetzt liebkosend den Hellen Sand des flachen Strandes. Auf der breiten Straße herrscht reger Verkehr. Mannschaften, leere Munitionswagen, Ge- schützzüg«, Vorratswagen kommen aus den Stellungen zurück. Hier begegnet uns ein Haubitzeirzug, der sein Tag- oder rich tiger Nachtwerk vollendet und nun zu weiterer Verwendung in den Standort geht. Dort kommt ein mit altem Bauholz, Brettern, Bohlen und Balken vollbeladener Marinewagen. Brennholz. Oben auf der Fracht thront «in Haufen lustiger graublauer Marinejungen. Auch einige Fußartillsristen hat ' man in guter Kameradschaft mit aufsitzen lassen. Die frohe Schar scherzt und lacht und macht faule Witze über die „Berliner Droschkenklepper" anderer Fuhrwerke, die in steter Folge den Weg bevölkern. Ein Schild fesselt meine Aufmerk samkeit: Straßenpolizei. Auf meine erstaunte Frage höre ich, daß sie aus dieser viel befahrenen Strandstraße für Ordnung sorgt, ftstgefahrene Fuhrwerk- befreit, klaffende Eranattrichter nach nächtlicher Beschießung am frühen Morgen zuwirst und so den Fahrdamm wieder notdürftig' herstellt, um keine Verkehrsstockung eintrrten zu lassen.- I« weiter wir westwärts kommen, je näher heran an die Front, desto eindrucksvoller, grauenhafter wird das Bild von den Spuren des Krieges. Protzige Hotelpaläste und überladen« Badevillen in Middrlkerke und Bad Westende hat der Krieg in Ruinen verwkmdelt. Zerrissen, zerbröckelt und zerbrochen starren die verwitterten Fassaden mit ihren zer trümmerten leeren Fenstern geisterhaft auf die weite ewig- gleiche See. Fast keins der prunkvollen Häuser ist heil- Die englischen „Freunde, Befreier und Beschützer der kleinen Na tionen haben die kleinen Badeort; planmäßig zerstört. Viel leicht nicht nur, um den. verhaßten Deutschen zu schaden, sondern um bei dieser Gelegenheit gleichzeitig eine unbequeme i Konkurrenz der zahlreichen englischen Badeorte zu vernichten. ' Klaffende Riesenlöcher haben die englischen schweren Geschütze in das Mauerwerk gerissen. Ja, eine 38-Ztm.-Granatr ist glatt durch einen Hotelbau hindurchgegangen, so daß man durch den Schußkanal den blauen Himmel leuchten sieht. i Interessiert liest man die Namen dieser Zeugen einer ehemals ! sehr flotten, mehr der Genußsucht als der Erholung gewid« ! meten Zeit: Hotel Exzelsior (in dem manch guter Hundert- i markschein fitzen blieb), Villa Marguerite, Stephanie, Sun-, § shine, La Pair. Eine grausame Ironie, von einer Villa des j „Sonnenscheins" und des „Friedens" hier zu lesen. Diese einst , blühenden Badeorte sind jetzt Trämmerstätten, dank den eng- i fischen Granaten, Und da reden unsere Feinde immer davon, ; daß Deutschland den Schaden in Belgien wieder gutmachrn i müsse. Nun, bis jetzt habe ich aber nur solche Zerstörungen gesehen, die durch englische Granaten angerichtet waren. Hst i nicht auch das hart am Meere gelegene Marinehospital die s Granaten englischer Monitors von See aus gespürt? Und die -Ostender Kathedrale? Und äll die belgischen Häuser und Eutshöfe in dieser Kampfzone? Also mag Belgien die For derung auf Schadenersatz ruhig in London überreichem Wir verlassen die Strandpromenade und stapfen durch den weichen Dünensand, in dem die Knöchel versinken. Neue Zeugen für die furchtbare Wucht des englischen Feuers in jenen sommerlichen Großkampftagen, durchschreiten wir «in Meer von Sprengstücken und Eranattrichtern. Hier ist buch- ! stäblich kein Geviertmeter, in dem nicht verrostete Spreng- ! stücke liegen. Dazu die vielen, vielen Blindgänger, große i und kleine, vom 7-Zentimeter- bis zum mannsgrotzen 38-Zen- s timeter. Sonderbarerweise fehlt bei ihnen allen das Kupfer- und Messingmetall der Führungsringe. Oft auch die Zünder. Dieses wertvolle Metall ist längst den Sammelstellen zuge flossen und hat fleißigen grauen Blaujacken zu einer erkleck lichen Nebeneinnahme verhalfen. Zerschossene Laufgräben, rie sige gähnende Eranattrichter, zertrümmerte Betonständr. In einem von ihnen ist ein 28-Zentimeter-Geschoß krepiert. 100 Meter weit sind die schweren Betonklötze und Eisenträger herumgewirbelt worden. In einem anderen schlug eine 38- Zentimeter-Granate ein, explodierte im Munitionsraum und richtete grauenhafte Verheerungen an. Während noch die Granaten andauernd explodierten, drangen Leutnant d. R- Kott und Artilleristenmaat Haake in die Hölle und hotten drei Mann heraus. Das Eiserne Kreuz 1. Klass« war der wohlverdiente Lohn für die beiden Braven. Bergauf, bergab klettern wir, über Stacheldrähte und Trümmer, durch Trichter und Dünentäler. Aeußerst mühsam ist das Fortkommen; der Flugsand ist kein gutes Marsch gebiet. Aber wie finderficht ist solche Tünenwanderung gegen das Fahren von Pferd und Wagen in diesem tückischen Boden. ! Es muß Titanenarbeit gewesen sein, die schweren Geschütz« i in die Dünenstellungen zu bringen, die Munition und dos Material für die Unterstände; die Marine hat sie aber verrichtet. Wir sind auf dem Rückweg. Meine Wißbegierde fragt ' nach den Möglichkeiten einer englischen Landung. „Ausge-