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266 Eine frische Brise hat sich in dieser sauren Gurkenzeit erho ben und schwellt die Segel, der Himmel wird verhindern, daß sie nicht zum Sturm heranwächst. Graf Beust plaudert ein Bischen viel; nach rechts und links, mündlich und schriftlich, hat er geflüstert: Leider, leider, es steht nicht so zwischen Oestreich und Preußen, wie cs sein sollte, und setzte, die Hand auf der Brust, hinzu: aber nicht ich bin der Schuldige, ich bin die Versöhnung selbst! — Er hat's sicher nicht so bös gemeint, er wollte nur etwas kitzeln, und leider ist Bismarck etwas stark kitzlicher Natur, er fährt leicht auf und durch die Parade. So ist er denn trotz seiner Einsiedelei in Varzin aufgefahren und hat in Wien sich also hören lassen: „Graf Beugst veröffentliche alle vertrauliche Documente, welche bewei sen, daß eine freundlichere Gestaltung des Verhältnisses zwischen Preußen und Oestreich von Preußen vereitelt worden ist." Hoffentlich bleibts bei Dinte und Feder und kommt nicht zu Blut und Eisen; denn in Paris ist Jemand, dem damit wie mit einem Zauberschlagc aus großer Verlegenheit geholfen wäre. Die Lüge der „Sächsischen Zeitung" in Leipzig, daß König Wilhelm im Jahre 1866 dem Kaiser Franz Joseph vorgeschlagen habe, gemeinsam nach Frankreich zu ziehen und Deutschland zu thei- len, wird vom Preuß. Staatsanzeiger als „plumpe Lüge", an der kein wahres Wort sei, bezeichnet. Auch Freiherr v. Gablenz, der die Briefe getragen haben soll, bezeichnet diese Behauptung als Lüge. In Frankfurt brennts wieder lichterloh. Als Preußen Frank furt in Besitz nahm und jedem gesunden und graden Jungen die Pickelhaube zeigte, ließen viele reiche Leute ihre Söhnlein auswan dern, d. h. sie kauften ihnen in der Schweiz das Bürgerrecht um 1000—1500 Frcs. Die Söhnlein (viele konnten damals kaum erst laufen) blieben aber in Frankfurt und jetzt hat Preußen sie beim Wort genommen und ihnen befohlen, binnen 6 Wochen Frankfurt zu verlassen. Lettin eritz, 15. August. Der hiesige deutsch-politische Verein hat in seiner heutigen Versammlung außer den die Klöster betreffen den Resolutionen noch eine dritte beschlossen, welche die unbedingte Aufhebung des Concordals als geboten erklärt. Sämmtliche Reso lutionen wurden einstimmig angenommen. Der Kriegsminister Marschall Niel ist am 13. August Nachts verstorben. Frankreich verliert in ihm einen Soldaten von seltenen Eigenschaften. Mit persönlicher Bravour, die besonders im italie nischen Kriege sich zu bethätigten Gelegenheit fand, verband er große strategische Talente und hervorragende Befähigung für das Genie- wesen. Seiner Tapferkeit waren wesentlich mit zu verdanken die Er folge bei Magenta und Solferino. Seine Laufbahn als Ingenieur begann er im Jahre 1836 bei der Erstürmung von Constantine. Dreizehn Jahre später war er Generalstabschef bei der Belagerung Roms unter General Vaillant thälig, und im Jahre 1855 war die Einnahme des Malakoff hauptsächlich der unter seiner Leitung ge führten Belagerung zuzuschreibcn. Der Verlust eines so bedeutenden Generals mutz den Kaiser zu einer Zeit doppelt schmerzlich berühren, wo seine innere Politik so gewagte Schritte einzuschlagen sich genö- thigt sieht. Die Kölnische Zeitung meint, daß sein Tod jedenfalls die Aussichten auf einen künftigen Angriffskrieg Frankreichs gegen das unter Preußens Führung geeinigte Deutschland um Vieles verringert. In Hietzing wird man ziemlich Grund haben, den Tod des Mar schalls zu bedauern. So große Gerechtigkeit wir aber auch dem Wirken und den Talenten des nun Heimgegangenen Marschalls an- gedeihen lassen können, die kaum auszusüllende Lücke, die er in der zranzösischen Armee zurückläßt, .ist schwerlich geeignet, uns, im Inte resse der Ausrechthaltung des Friedens, seinen Hintritt als eine all gemeine Calamitäl auffassen zu lassen. Im Gegentheil: der euro päische ^Friede hat einen seiner Gegner verloren und je größer seine Talente waren, die bereitwillig anerkannt werden, desto größer ist auch die Beruhigung, die inan darüber empfinden kann, daß nun die Kriegspartei in Frankreich gleichzeitig des Kopfes und des Arines beraubt ist. Napoleon III. hat den 15. August, den 100. Geburtstag Na poleon 1., mit einer vollständigen Amnestie gefeiert. Alle politischen Verbrechen und Vergehen wurden amnestirt, auch alle Ausreißer des Heeres und der Flotte. Am Sonntag vor hundert Jahren, den 15. August 1769, wurde Napoleon Bonaparte, Sohn des Prveurators Carl Bonaparte und der Lätitia geb. Ramolini, zu Ajaccio auf Corsika geboren. Mag der 100jährige Geburtstag des genialen Mannes in Frankreich mit noch jo grvyem militärischen Pomp gefeiert worden sein, so werden doch iit dem Lande, dem er angehörle, die meisten Herzen, und zwar die edelsten unter ihnen, bei drejer Feier eben so kalt geblieben sein, wie außerhalb Frantreichs. Er, der reichbegabte Mann, das Schovßkind des Steges und des Glücks, der Kriegsminister und Herrscher ohne Gleichen, der überall nach dem Größten und Höchsten strebte, hätte, wenn er seine seltene Aufgabe zum Wohle der Menschheit erfüllt hätte, sich den bleibenden Dant seines Vaterlandes und aller Völker Euro pas verdienen tonnen. Nachdem er durch fast wurderbare Waffenthatcn zur höchsten Ge walt in Frankreich gelangt war, so wäre es seine Aufgabe gewesen, nicht blos die Freiheit Frankreichs durch die Ordnung zu sichern, son dern sich auch gegen die Fürstenlhrone Europas, die sich gegen Frank reich verschworen hatten, zum Siege zu erheben. Aber da er, selbst süchtig und unersättlich wie kein anderer Sterblicher, Alles nur auf das eigne Ich, auf seinen Ruhm und seine Macht bezog, die Men schen verachtete und der Ideen spottete, so hat er die Freiheit in Frankreich nicht befördert und erhalten und sie außerhalb Frankreich niedcrgetreten. Und so verdient er, obwohl er die größte Umwälz ung in unserem Jahrhundert hervorgebrachr hat, das zweifelhafte An denken, mit welchem die wahren Freunde der Menschheit auf die Feier seines 100jährigen Geburtstages blicken. Was die vom Kaiser am Napoleonstage erlassene Amnestie anbelangt, so geht dieselbe so weit, als sic nur irgend gehen kann, denn sie löscht die ganze Vergangenheit aus, und es giebt im Augen blick in ganz Frankreich Niemandem mehr, welcher wegen politischer Vergehen und Verbrechen oder wegen Preßvergehen verurtheilt oder auch nur in Untersuchung wäre. Von der Amnestie bleibt Ledru Rollin ausgeschlossen, weil er bekanntlich mit Recht oder Unrecht in ein Complot gegen das Leben des Kaisers verwickelt und mit Maz zini in contumaciam verurtheilt wurde, so daß man ihn nicht als politischen, sondern gemeinen Verbrecher behandelt. Was Rochefort anbelangt, so sind demselben die Pforten Frankreichs noch nicht voll ständig geöffnet. Derselbe wurde nämlich wegen der Stockschlüge, die er dem Drucker Rochette ertheilte, zu 6 oder 8 Monaten Gefäng- niß verurtheilt, und er muß diese erst absitzen, ehe er sich wieder frei in Frankreich bewegen kann. Der Eindruck, welchen die Amnestie- Decrete machen, ist selbstverständlich ein sehr guter, wenn er auch nirgends Begeisterung hervorrief. Wir haben geglaubt, die Nonnen strikten das ganze Jahr, d. h. sie hätten nie zu arbeiten angefangen und könnten nie die Arbeit böswillig einstellen. Dennoch haben die Nonnen in Framwellgate in England einen Strike gemacht, d. h. sammt und sonders das Kloster verlassen. Der Grund dieses Strikes war der aller Strites: ein knurrender Magen. Auf der Jagd. Erzählung von Ludwig Habicht. Erstes Kapitel. Der einzige Sohn. Es war still, ganz still in der Hütte, wie draußen in der freien, schönen Gottesnatur, die ordentlich nach dem vorangegangenen hefti gen Gewitter recht tief und friedlich Athem holte. Der Mond stand am Himmel und warf ein flüssiges Silber über den nahen Wald, daß es wie ein blitzendes Perlenmeer durch die dunkeln Zweige sickerte, und der krhstallklare Himmel schmiegte sich anmuihig an die von Thauwolken umsäumte Erde. Licht und Friede lag da draußen, Himmelslächeln in jedem Athmcnzug und das Herz, das in dieses wunderbare Gottesschwcigen hinausgetrcten, wäre friedensstill geworden, wie ein schluchzendes Kind, das die Mutter au ihren Busen nimmt. Drinnen in der Hütte war es auch still, aber eine Stille, wie sie einem fürchterlichen Unwettter drohend vorangeht, denn dort rang ein junges, blühendes Leben mit dem Tode, und das schwache, kaum noch flackernde Lebens-Lämpchen drohte jedem Augenblick zu ver löschen. Es war ein langer, blasser Mensch, der dort mit dem Tode kämpfte, und ein Bild des Jammers und tiefsten Elends, lag er auf seinem Lager von Stroh, während neben ihm eine herkulische Grei- sengestatt kniete und schweigend Verbände bald am Kopfe, bald an den Füßen auflegte und sich nichts im Zimmer rührte, als der Pen- delschtag der alten Schwarzwälder Uhr, die dem dort liegenden Kran ken die letzten Stunden zuzuzäh len schien. „Ach, wie das hämmert und bohrt!" jammerte der Kranke; ich Halts nicht mehr aus; schaff' mir die Uhr aus der Stube, die bringt mich son,t noch um." Der alte Mann stieg auf einen Stuhl und brachte mit einem einzigen Griff das Räderwerk zum Stehen. Es war nun ganz still in der Stube, nur im Kopfe des Unglücklichen hämmerte es noch immer fort und nach einer Weile klagte er wieder: „Ich glaubte, es wäre die Uhr, aber es Hörl nicht auf. Vater, es klvpst gewiß Jemand an den Laden und lätzt mich nicht schlafen." Der "Alte blickte mitleidig auf den Leidenden und öffnete, um ihm zu willfahren, den Laden. Das Mondlicht floß in breiten, vol len Strömen herein und gerade auf das Gesicht des Kranken, das davon noch bleicher und todesblässer wurde und kaum noch in den weißen, kalten Zügen Leben verrieth. Der arme Mensch wendete die Augen nach dem plötzlich hereindringenden Licht; er wollte den Kopf etwas erheben, um die ganze volle Scheibe des Mondes zu erblicken, sank aber bei der leisesten Bewegung wimmernd wieder auf sein Lager zurück. Der Atte legte jetzt einen neuen Verband um den Kopf des Kran ken, der dabei laut ausschrie und dann leise fortwimmerte, und doch verrichtete der alte Mann sein trauriges Geschäft mit einer Sorgfalt und Schonung, als ob seine groben, derben Hände stets nur auf den Tod Liegende gehegt und gepflegt hätten. Ein Paar starke Schrotkörner mußten von hinten in den Kopf des jungen Menschen eingedrungen sein, denn hinter dem Ohre tröpfelte aus einigen Wunden noch immer Blut, so oft sie auch der alte Mann mit kaltem Wasser ausgewaschen halte. Es waren Wun den, die den Tod brachten, und schon umflorte sich das Auge des Leidenden und der Tod wob seine finstern Netze um dies arme, wunde Haupt .... Aber nicht nur der Kopf, auch die Füße des Unglück lichen waren jämmerlich zerschossen und dort schien eine volle Ladung sich tückisch eingewühlt und sie völlig zerschmettert zu haben, so daß sie ihn sür immer zum Krüppel gemacht, wenn ihm nicht die Wun den am Kopf bald, gar bald Erlösung versprochen hätten. Es wa ren keine Füße mehr, nur zerfetztes, verstümmeltes Menschengebein, dessen Anolick das Blut im Herzen mutzte stocken machen. Aber die Hand des Alten zitterte nicht, wenn er einen neuen Verband anlegte