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8. Neilaste Sonnabend, L7. März 190S. Leipziger Tageblatt. Rr. 8S. IVA. Jahrgang. Feuilleton. Den Geist, das Licht, die Sonne vernichten sie doch nicht. Cham isso. Luftschiff voraus! Die Scheren zweier roten Laufstegpontons schieben sich aus der Halle vor, Soldaten ziehen ans ihnen an Drahtseilen den Koloß in See. Eine ungeschickte Bewegung, krachend reißt die Verklei dung des reparierten Höhensteuers und des vordersten Laufpanges ein, ein paar Drähte klatschen ins Wasser. Was «nachts! Losgelassen, reckt sich der schlanke Nicicnleib mit seiner Spitze hallenwärts, dann hebt sich auch sein Heck, die Propeller flügeln mit immer rascheren Schlägen, vis sie in kreisendes Fliininern aufgelöst erscheinen, und mir einem wunder vollen Ebenmaß des Steigens entgleitet das Luftschiff dem erdgebundenen Blick. Während wir mit den Soldaten dem vorgesehenen Landungsplätze zueilen, schwillt und verklingt irgendwo im Unendlichen das Tonen der Motvre, gleichwie daS Summen der Telegraphenpfähle dem Wanderer der Landstraße in steten Intervallen treu bleibt. Manchmal, bald im Süden, bald im Osten, Westen, Norden steht das Schiff gegen den goldenen Himmel und ist gleich wieder verschwunden. Seine Ferngläser folgen unserm Schueckengange, seine wartende Ungeduld gefällt sich iu pfeilschnellen Kapriolen. Und kaum ist das Landuugsseld mit Jahne und Jener markiert, so steckt tzcr Riese seinen Kopf über die Kiesernwand, hält über uns, wirft Seile und senkt sich zu uns hernieder, die wir in seinem gewaltig drohenden Schatten stehen, während sein weißer Rücken in der Sonne schimmert. Die Landung ist ein Sviel, elastische Polster schützen die Gvndclinsassen neuerlich gegen einen Uebereiscr der seil ziehenden Soldaten. In sich schwebend, pariert das Schiff jeden Rich- lungsdruck, den daS Kommandowort des Majors in einer eilfertig aus den Idiomen des Militärs, des Seemannes und des Lustschisfers kombi nierten Sprache befiehlt. Luftschiff einholen! Die Gondeln vor dem Ausstößen bewahren! Ganze Abteilung — vorwärts marsch! Luftschiff zum Kopfe — marsch! Halt — cinschwcnken! Luftschiff nach Steuer- bord — marsch! Alle bisher gestellten militärischen Ausgaben bat das Neichslustschiff — das Weber die starken Motoren, noch die verbesserte Heckstcuerung des verbrannten „2 1" und seines Ersatzes hat — spielend gelöst: Passagierwechscl aift See, eine Stunde Halt jenseits der Schieß grenze von 1500 Metern, Trockenlandnngen und Bewegungen aus festem Boden. Wiederholt bereits >st es ohne den Grafen, nur von Militärs ge führt, ansgeslicgen, und losgelöst von der Person des Erfinders, gehört die Erfindung erst der Welt. Ter Fernfahrt nach München, der lieber- führung nach Metz steht nichts mehr im Wege, und die nächsten Kaiser manöver wird das Generalkommando unbesorgt von Nord des „2 1" oder „2 2" ans leiten können. Schon ist für Friedrichshafen eine Lust- schiffschule geplant, ist „2 als Passagierschiff gedacht und für die Frankfurter Ausstellung bestimmt, auf dem Papiere fertig. Die neue Doppclballouhallc und das Fabrikgebäude wachsen aus dem Friedrichs- Hafener Gelände der Lusischiffbaugescllschaft, Straßburg, Mannheim, Köln, Kassel bauen Landungsballen — Manzell war nur Ouvertüre dieser heroischen Oper, die wir mitmachcn dürfen. Ter Wasscrballast wirb aus dem nahen Bache erneuert; während dessen plaudert der Graf, dieser aktivste General der Reserve, immer in der Führergondel, von der Herrlichkeit des Alpenpanoramas, das sich zwischen Säntis und Jungfrau unter ihnen öffnete. Auch die Kunst des Sehens wird durch sein Luftschiff revolutioniert werden: wie der unter gegangene „2 2" in seiner Mittclkabine die Tische an Ketten von der Decke herabhängcu und Fenster im Fußboden hatte, wie eine neue Schiffs artillerie noch uucrfundeue Gcschoßarten abwärtssendcn wird, so wird fortan das menschliche Auge auch darauf eingestellt werden müssen, nach unten zu sehen, und Städte und Landschaften werden sich dieser neuen Perspektive anzupassen haben. Achtung! Anlüsten! Tas Luftschiff steigt senkrecht in die Höhe, die Insassen, mit denen wir eben noch im Gespräch standen, sind zu Punkten eingeschrumpft, der schlanke Niesenlcib, der für sich das weitere Wunder einer »b ovo erfolgten Lösung dqA ästhetischen Prinzips bedeutet, wird, davonschießcnd, kurz und klein uns ist mit cinemmale nicht mehr da, wie aufgesogen vom ewigen Aerber. Nur die Motoren singen: wir sind da! Es ist das Wunder, das wir glauben müssen, ist der Traum, den die Jahrtausende träumten und den wir Kinder des beglückten zwanzigsten Jahrhunderts leben dürfen. Die Melodie der neuen Zeit steht über uns in Lüften, das Lied der Zulunft braust wie Orgelton: Ein Neues ward geboren, andrer Art und andrer Gestalt, als alles vordem war. Der Mensch muß zu ihm erzogen werden, die militärischen Manöver von Friedrichshafen jetzt sind embryonaler Anfang und Symbol: die neue Soldateska der fliegenden Soldaten wird nach und nach in der Gesamt heit einer neuen Menschensolge aufgehen, die die Dinge dieser Welt aus einer andern, höheren und weiteren Perspektive begreift als wir und ... .-.-p, - ..... Atfp-- rileffol rind , Als im Vorjahre endlich Alfred Messel zum Architekten der König lichen Museen ernannt wurde, begrüßte mau das allgemein als eines der Zeichen, die von oben her den Willen kundaaben, der neuen Kunst gegen- über zur Versöhnlichkeit sich zu neigen. Man nahm diese Ernennung Messels also nicht nur als lange vorenthaltene offizielle Anerkennung für den verdienten Mann, man reklamierte in ihr das offizielle Zuge ständnis des Wertes der Moderne. Und stempelte so Alfred Messel zum Träger der neuen Knnstide-.n und zum Vollstrecker ihres Geheißes. Es ist nun überhaupt ein seltsames Ting um diese „moderne" Kunst. In Zeiten, die nicht durchaus steril sind, wird immer der Drang, die Forde rung des gegenwärtigen Lebens zu befriedigen, und die Sehnsucht nach augenblicklich geglaubter Schönheit den Reformator gebären, und immer wird im Künstler, in dem der Sehnsuchtstrieb am stärksten ist, die'e reformatorische Lust am vollsten und tiefsten zum Ausdruck kommen. Und immer wird so die moderne Kunst von heute die alte von gestern werden. Tas ist alles: der Starke schafft sich seinen Stil, und wenn er, wie Messel, inmitten weltstädtischen Lehens steht, wird er sich den hör baren Zurufen seiner Zeit nicht entziehen können. Es kommt dann etwas in seine Kunst, das man leicht mit Modernität, die allzu flüchtig ist, ver wechseln kann. Man sollte von einem, der was kann, nicht suchen, in welche Richtung er gehört. Alfred Messel war ein Nachdenklicher, und manches, was er ge schaffen, deutet auf leise, romantische Neigungen; vieles auf wache Sehn sucht nach bunter Schönheit und reicher Ueppigkeit. Aber er wußte sich immer dem Zweck unterzuordnen, schon weil es die Gesetze der Schönheit bedingen, die vor allem Wahrheit fordert und allem Unzweckmäßigen den Stempel des Anorganischen und Verlogenen aufdrnckt. In Darmstadt hat Messel diesen Grundsatz bekundet, als er dem Großherzog Ernst Ludwig sein Museum in dreizehnjähriger Arbeit hinsetzte, mit kluger An passung an das Schloß, dessen Baustil die Verschiedenheit dreier Epochen anfweist, und mit gütiger Rücksicht auf die Eigenart der grobherzoglichen Sammlungen, denen er nicht einen Aufbewahrungsort, sondern ein Heim schuf, wo sie hingehören. Von Messels monumentalen Schöpfungen zeigt der Thronsaal im Palazzo Caffarelli in Rom die Spuren prunkliebender, romantischer Größe. Der reiche Thronsessel und die sehr dekorativen Kandelahcr zu beiten Seiten verstärken diesen Eindruck. Das Minister- zimmer im preußischen Abaevrdnetcnhause in Berlin war gleichsam ein Probe- und Meisterstück zur Erlangung seines Lehramts im Kunst gewerbemuseum. Gegeben war die Aufgabe: Renaissancestil, in allen möglichen Techniken. Fachleute hohen stets anerkannt, daß die Leistung Messels in diesem Saale kaum zu übertreffen sei. Berlin zeigt auch sonst noch die Wirkung von Alfred Messels Denken über die architektonische Kunst. Bei dem Aufbau der Häuser reicher Bürger gab es mancherlei Aufgaben zu lösen; oft drohten Klippen, an denen ein weniger Feinfühliger sicher gestrandet und in das öde Meer des geistlosen Prvtzentums getrieben wäre. Messel wußte sich so zu fügen, daß es aussah, als könnten in den gegebenen Räumen gar keine anderen Dinge zu finden sein. Bei der Errichtung des Hauses von Eduard Simon, der ein passionierter Kunstsammler ist, batte er mit Gruppen von erstklassigen Kunstwerken der verschiedensten Stile für die Innendekoration zu rechnen. Es mußte alles Erdenkbare angewandt werden; Paneele, Türrahmen, Kamine, Skulpturen, Wand- und Decken- gemälde, Fresken, unter denen sich echte Tiepolo - Malereien vorfanden. Und doch wurde dieses HauS ein Musterbeispiel für die Lösung derartiger Forderungen. Beim Palais Cohn - Oppenheim konnte Messel seiner Neigung zum sorglos verwendeten Reichtum vollauf folgen. Es sollte das Haus einzig für die Bedürfnisse einer alten Dame mit Dienerschaft eingerichtet werden, und dazu stellte man ihm die Summe von 114 Millionen Mark zur Verfügung. Die Besitzerin dieses in Herrlichkeit erstandenen Gebäudes hatte indes ein tragisches Schicksal: sie hatte gerade Zeit, ihre Augen an tue feinsinnige Pracht ihrer Zimmer zu gewöhnen, denn sie starb am Tage nach ihrem Einzug, und der Herzog von Anhalt- Dessau erbte das Palais. Charakteristisch sind Messels Villen, die er im Grünewald oder in Wannsce erbaute. Das sind wundervolle Nester, mit breiten, schützenden Dächern; mit feingetönten Mauern, die sich sacht in die Landschaft ein betten, und rankendem Grün um Balkone und Fenster. Diese Häuser sind meist niedrig, oft nur einstöckig, und von allen Zimmern kann man leicht in den Garten kommen. Am meisten fällt immer das Dach in die Augen, das deckend und kräftig über allem liegt und die Wirkung des Heimlichen, Abgeschlossenen verstärkt. Nirgends ein Prunk, der der Ein Luftsoldaten. Ein Skizzenblatt militärischer Entwicklungsgeschichte. Von Leonhard Adelt sJriedrichshafenj. Wie sich das Zügle eben mit einem erheblichen Aufwand von dampfender Anstrengung und astmatischem Keuchen auf seine runden Beine gemacht hat und ich vom Bahnhof in mein Schweizer Bodenseedorf herabsteige, wirbelt drunten ein erregtes Laufen und Lärmen auf, das Schulhaus reißt aufgeregt das Maul seiner Doppeltür auseinander, und heraus poltert, gleich materialisierten Tönen, die Bcrlinger Kinderschae seewärts. Nm User verfangen sich die verwirrten Töne ineinander, reihen sich, und mit einem Male steht wie Sturmwind das eine große Wort in ben himmelblauen Lüsten des Vorfrühlingsnachmittages: Zeppelin! Drüben aber, über der tausendjährigen Reichenau, über den Höhen, die ihre Füße im Neberlinger See baden, flockt ein schneeiges Wölkchen, geometrisch abgezirkelt und energisch bewegt: das Luftschiff. Es ist kurz und gedrungen, weil es Kurs auf uns hat, doch wie es nun wendet, deynt es sich lang und dünn wie ein Bleistift. Und wendet noch mal, schrumpft ein und ist verschwunden. Tag auf Tag warten wir nun, wir vom Untersee, daß der Zeppelin wieder, wie vordem schon, mit der sieghaften Musik seiner Motorc über uns hin das Rheintal grüßt. Einmal noch, an einem grauen Regen nachmittag, huscht seine graue Silhouette schattenhaft den Horizon: ent lang, näher kommt er nicht. Dann heißt es: er scheut die allzunahc Schweizer Grenze, die zu durchschneiden er sich hüten muß, er ist jetzt Reichsluftschiff und Militär. So vollzieht sich denn auch an diesem neuen und zukunftsreichsten Träger menschlicher Kultur das tragische Geschick aller technischen Er rungenschaft: daß seine erste praktische Verwendung der Trennung der Nationen mehr als ihrer Annäherung zu dienen scheint. Wir aber, wir vom Schweizer Ufer, bitten kleinlaut das voreilig verachtete Zügle um Verzeihung und suchen aus seinem geduldigen Rücken den königlichen Segler der Lüfte, der nicht mehr zu uns kommt, in seinem bajonett gepolsterten Neste auf. In Friedrichshafen hat sich manches geändert seit den erregten Tagen von Echterdingen. Tie Hochflut der Sensationen und Sensations lustigen ist abgeebbt, das Städtchen in seine verschlafene Langweiligkeit zurückgcsunken. Ten Winterschlaf der fremdcnleercn Gasthäuser aber stören militärische Kommandos, und abends füllen sich die Bierstuben mit den Heimatsliedern der abkommandiertcn Soldateska. Im „Deut schen Haus" logieren, Tür an Tür mit dem Grafen Zeppelin, vie Offiziere der Luftschifferabteilung. Wenig beachtet von der Allgemein heit, unter der Hand sozusagen, bahnt sich eine bedeutsame Er weiterung der deutschen Armeeoraanisation an: aus der Gesamt heit aller Truppengattungen schied sich, geprobt und gesiebt, eine kleine Schar — durchweg alte Leute, kein Rekrut darunter, stieß zum Lust schifferbataillon und die daraus heroorgegangene Versuchskompagnic für Motorluftschiffahrt in Berlin, wurde zu einem neuen Kommando aus gesondert und nach Friedrichshafen dirigiert. Wenige Achselklappen dieser Abteilung zeigen das rote „D", die meisten der Soldaten tragen noch die Uniform ihres alten Regiments, und in dem Aluminium gestänge des Luftschiffes klettert, Filzschuhe mit doppelten Leinensohlen an den Füßen, ein Matrose von S. M. S. „Mecklenburg". Mechaniker. Schlosser — Fachleute von Haus aus, scheinen sie prädestiniert, sich ehestens in den Geist der neuen Waffengattung einzulcben, die sich mft dem Zeppelinschen Luftschiff der Armee anzugliedern beginnt. Tenn der starre Flieger fordert, aus der völligen Verschiedenheit seiner Behand lung«!- und Verwendungsweise heraus, auch eine andere Ausbildung seiner Bedienungsmannschaften. Der Halbstarre Militärballon, der un starre „Parseval" komplizieren zwar dem Drochenballon gegenüber das Exempel, wiederholen letzten Sinnes aber in einer höheren Lehrklasse der Luftschiffahrt das gleiche Pensum der Füllungs-. Transport- und - Bergungsarbeiten, ohne den Soldaten vor eine absolut neue Ausgabe zu stellen. Erst mit dem starren System verläßt die deutsche Militärluft- ichiffahrt die Ä-adettenschule des Anfangs und tritt zugleich mit den, zweiten Vierteljahrhündert ihres Bestehens als - neben die andern Kategorien. Während die Ballons alten Systems — und als ihr vollkommenster Typ der Drachenballon Parsevals und Sigsfelds — auf den Zweck der Aushilfe eingestellt sind und mit erfüllter Aufgabe ihre Form verlieren, beharrt das Zeppelin-Schiff in seiner geschlossenen und eigenwilligen Ge stalt, entsprechend seiner ausgedehnteren Bestimmung, die e? zunächst als Aufklärungstruppe und eine Art Kavallerie der Lust dem Parseval- und dem Groß-Ballon beifügt, darüber hinaus aber ihm als Luftkriegsschisf eine selbständige Kampfbetätigung zuweist. Mit dieser auf ein bestimmtes, ibr gleichsam reserviertes Element zugeschnittcnen Kampfart verliert die militärische Lustschiffährt den Charakter einer Hilfstrupvc, der See marine gesellt sich die Luftmarine, dem Seesoldaten der Luftsoldat. In den Gondeln des fliegenden Schiffes, in den Werkstätten von Manzell, im „Deutschen Haus" zu Friedrichshafen arbeiten sich der Major Sperling und seine Offiziere, an der Hand des Grafen und seines Jngenieurkorps, in die Mechanik der Schiffsleitung ein; und mit den Unteroffizieren und Mannschaften, Mechanikern und Monteuren wieder holt sich an den Landungsstätten und im Quartier dieses Bild kamerad schaftlichen Zusammengehens von Zivil und Militär. Dem schlichtesten Mechaniker wird mit jener Hochachtung begegnet, die er sich nicht weniger vielleicht durch den Händedruck des obersten Kriegsherrn als durch seine Mitarbeit am großen Werke gesichert hat. Die Offiziere des Komman dos, an den Berliner Versuchsfahrten geschult, gewannen leichthin die technische Herrschaft über das stolze Fahrzeug — schwerer halt cs natur gemäß, den Mannschaften jene Vorsicht und — ich möchte sagen: Zart heit einzugewöhnen, die der in aller Festigkeit doch möglichst leichtgebautc Riesenleib benötigt. Die kleinen Mißhelliakeiten der bisherigen Probe tlüge sind durchweg auf das allzu derbe Zugreifen der noch ungeübten Soldaten zurückzuführen. Mehrere Tage warte ich nun auf einen neuen Ausstieg. Schlendere durch die drei Straßen Friedrichshafens, ans deren Schaufensterauslagen Zeppelin und sein Luftschiff alle andern Jllustrationsmöglichkeiten für Ansichtskarten, Glücksschweinchen, Tintenfässer, Abwischlappen und Kinderspielzeug verdrängt haben, grübele über dem ungelösten Problem der rauchbaren Luftschiffzigarre, sehe, einer Generalsuniform zur Seite, einen alten Herrn gehen, klein und schlank, mit freundlichen Augen in dem frischen Gesicht und weißem Schnauzbart, und grüße, selbstverständ lich, tief, streiche um die hermetisch geschlossenen Fensterläden des Museums — Funde aus der Pfahlbauzeit, Schlüssel beim Kaufmann Soundso — und strande regelmäßig draußen vor den beiden Luftschiff ballen in Manzell. Hinter dem primitiv gefügten Bretterzaun des Bau platzes bellt daS Hämmern der Arbeit das schmucke Biedermeier häuschen des Baubureaus scharwenzelt um die ruppige und ungeschlachte alte Landungshalle, die, ein wackerer Kriegsveteran, ein Dutzend Feuer- Versicherungsschilder als Orden auf der Brust und in sich das Aluminium skelett des „2 2" — Ersatz für Echterdingen — träqt. Auf See aber, in der leichten Brise dieser ersten milden Vorfrüblmgstage, schwimmt die neue Reichsballonhalle und dreht sich kokett, in ihrer offenen Stirn seite steht das Einaug« dec Luftschiffspitze, mit den sechzehn Strahlen feiner Längsversteifungen und den großen Ohren seiner Stabilitäts flächen. Auch hier ist Arbeit, Mechaniker und Soldaten hantieren an der erneuerten Höhensteuerung rechts, und wie sie so an dem Ungetüm herumkrabbeln und weiterhin abteilungsweise und lasttragend den Brückensteg entlang ziehen, gleichen sie aus der Uferferne Ameisen, die rührig die leckeren Bissen einer toten Riesenraupe nestwärts schleppen. Motorboote schießen her und hin, und auf einem, über dessen schäumendes Kielwasser weiße Rauchballen kugeln, flitzt ein zweiflügliger Propeller, der hier auSprobiert wird und die bisher verwendeten Drei- slügler deS Luftschiffes ablösen soll. ' Der Abend deS zweiten TageS bringt mit der ParoleauSgabe die Gewißheit; andern Morgens, früh um sieben, trete ich in meine alten Fußstapfen gen Manzell. Ueoer See zerflattert daS Schleieraewand des Morgens, daS Pauoranra der Alpenkette ist verschneit und scharfgezackt gegen daS Smaragdgrün deS SeebeckenS und daS Türkisblau des Him mels gestellt. Träge Reifen kreisen um die Schläge meines Ruders, das mich gemächlich der neuen Arche Noah zutreibt. Graf Zeppelin ist im Motorboot von Friedrichshafen eingetroffen, er hat die Muschel der Führergondel bestiegen, militärische Kommandos, blaue Arbeitskittel, lluisormeu schwirren um ihn herum. Weit draußen läßt das Drachenboot „Gua", Deutschland- schnellster Schiff, den ange feilten Versuchsballon steigen, während am Lande ein Unteroffizier mit zwei Soldaten die Flugrichtung eine» entschwebenden Piloten registrier«. fachheit der Natur ins Gesicht schlüge; voll Schlichtheit wachsen die breiten Mauern, an denen viel Holzmaterial verwendet ist, aus der Erde, lassen sich mit gleichmütiger Geduld die kleinen Erker und Balkone und die blitzenden Fensterchen gefallen und strecken sich, bis sie das Dach aus ihre breiten, starken Schultern nehmen. Sehr zum Unterschied von Messels Stadthäusern, die wohl gleich ihnen das scharf betonte Dach haben, aber einen eigenartigen Pfeilerbau zeigen, der streng und stolz in die Höhe streb« und etwas von steifer Würde und hohem Selbst- bewlißtsein in sich birgt. Der Bau des Wertheunschen Warenhauses hat Alfred Messel ge wissermaßen populär gemacht. Mit der Entstehung des Warenhauses tvar da auch der Typ für die äußere Gestaltung gegeben und zwar, wie es schien, uunbertressbar. Diese saubere, selbstgeniigsame und weithin merk bare Architektur schien schlechthin nicht nur dem Zwecke zu dienen, sie schien selber Zweck geworden. Ohne Ornament, aus Glas und Eisen wuchs da ein neuer Teil am Stadtkörper aus dem Boden und hemmte den Hastendei« die Schritte. Durch die immensen Glasflächen, die so viel Raum für Dinge boten, die gezeigt werden sollten, wurde die Hyp nose des maüenhasten Angebotes noch vergrößert. Dieser reinliche Glas palast stand da wie das Symbol unserer Zeit: Glas und Eisen . . . Tann zeigte Messel an Wertheims Filiale in der Nosenthalerstraßc, daß sich seine Träume in anderer Richtung bewegten. Andcntend und leise rankte sich wieder ornamentaler Zierrat an Pfeiler nnd Fassade empor, launisch fanden sich Formen und Ueberschneidungen, die nicht von Zweckes Gnaden, sondern aus Freude am Formlich-Schönen entstanden waren. Schließlich kam der phantastisch schöne Anbau in der Voßstraße und am Leipziger Play mit seiner unerschöpflichen Fülle an launischen Einfällen und dekorativer Schönheit. Die Säle nut den Fresken, den Marmor treppen mit kunstvollen Gittern; die fein gegliederten Driickenübcrgänge und besternten Decken. Springbrunnen senden ihre Strahlen in goldene Wasserrosen, marmorne Becken lassen Parfüms in der Luft zerstäuben, die Erholungsräunic werden zu raffiniert luxuriösen Ruhestätten nm- gewandelt. Und über alles ziehen sich abends .Ketten von Licht, die von der Decke herniederhänge«« wie leuchte-ndcs Geschmeide, die zärtlich herunterstrahlen auf diese Welt tausendfacher Energien und neuer Schön heit. Sv hat Messel auch dem Warcnhause seine Wohnung geschmückt wie die anderen Häuser der Reichen. In romantischer Schönheit, die er jeder Aufgabe anzupassen wüßte und die im letzten Winkel seines Herzens als seine Knnstlersehnsucht stets lauerte, ob sie nicht zu ihrem Rechte kommen werde. T. T. * * Berliner Theater. l„D i e W a h r h e i t s s ch u l e", Komödie in drei Akten von Paul Gutmann. Zum erstenmal an'geführ« im Neuen Theatcr.s Zwei Akte lang lachte man über die naive Unbeholfen- beit des Autors, der Puppen über die Bühne schleifte und Plattheiten sprach, die sicher älter waren als er Im dritten Akte ahcr mußte man sich doch sagen, daß dieser Paul Gutmann Talent hat. Vielleicht ist er der Mann, der uns einmal die ersehnte Gesellschaftskomödie schreibt. Nämlich in diesem dritten Mte zeigen sich dile besten Ansätze für eine Komödie. Eine junge Baronin, die Baronin winde, weil sic ein verarmter alter Edelmann genommen, nm sich einen würdigen Grao- stein zu sichern, wird von einem Wucherer, der die Heirat zusammen- kuppelte, ausgepsändet. Warum? Weil sic, der die „Gesellschaft" förm lich zugeflogen, iu einer Anwandlung von Wahrheitsrausch die Ge schichte ihres Arntokratontums enthüllte. Sie stellt der Gesellschaft ihre ungebildete Mutter vor, eine derbe Böhmin vom Dorfe, die bisher als ihre „Stütze" gegolten, sie weist ans ihren großen Schmuck hin, der brillant gefälscht ist, kurz, sie macht sich in der „Gesellschaft" einfach unmöglich. Und tut dies alles nur, weil ein „Apostel" der Wahrheit «nit seinen Lehren d:e Gesellschaft und mit ihr die junge „Baronin" „gläubig" machen will. Und dem Wucherer, der sie pfänden läßt, deutet sic dann den Sinn ihrer Abkehr. Nun aber hört sie, daß er selbst es gewesen ist, der die Schule des „Mahrheitsapvstels" gegründet hat, uni aus der richtigen Aristokratie ein wenig Geld herauszuichlagen. Zn svät erkennt sie, die bei all ihren Schlösschen doch noch ein Füwkcbeir Echtheit in sich birgt, die faulen Wirkungen einer angefaulten Gesellschafts moral . . . Die Figur der Baronin scheint uns ein wenig verzeichne«. Aber in diesem Schlußakte der „Wahrheitsschule" ist so viel Gutes, daß cs fast die mißglückten ersten zMei Akte austviegt. v. " Ein Brief Gerhart Hauptmanns. Der Direktor des Wiener Burg- theaters Hosrat lor. Schlenther erhielt von Gerhart Hauptmann einen Brief, in 'Venve* nnS«e-«nverm peitztr -s,Es war seh» sch»* pet Euch in Men; ich habe wertvolle und liebe Erinnerungen Lavongetragen. Eure Grisekda wärmt mir noch immer das Herz. Es war etwas Ruhiges, Beherrschtes und etwas Nomari- ' varfN/ chaz-Mwiner Vramatischra-tkWPMnsation sehr tzemaMvUtei« gedieh. Der nette und warme Empfang, den mir die Wiener im Theater be reiteten, hat auch seinen angenehmen Nachgeschmack. Wir haben unS in einem sonderbaren kleinen italienischen „Wirtshaus an der Straße" niedergelassen. Tas Meer kommt bis vor die Haustür. Vielleicht kann ich hier eiwas von meinen griechischen Plänen realisieren. Uebrigens sollen hier überall Eier gelegt werden: auf dem höchüen Punkte von Portofino, in der Nähe sitzt T'Albcrt — Siegfried Wagner in Sancta Margherita." Tie neue RuuSschau (Verlag von S. Fischer, Berlin) bringt in ihren« Aprilbest solaeude Beiträge: Ernst Troeltsch, Modernismus. Thomas Mann, Königliche Hoheit, Roman. Adolph Menzel, Briefe aus Rheinsberg und Freienwalte. R. Francd, Azolla oder das Innenleben der Pflanzen. Moritz Heimann, Der wahre Shakespeare. Hermann Hesse, Die Heimkehr, Erzählung. Heinrich Wölfstiii, lieber kunsthistorische Verbildung. In der Rundschau: Engelbert Pernerstorser, Tie Slawen in Oesterreich. Hermann Bang, Gusta« af Geijerstaii«. Oskar Bie, Elektra. Einil Heilbut, Maröes in der Berliner Sezession. Aisred Kerr, Griselda. Karl Albrecht, Lueger. Junius, Chronik: Potpourri. Jir den Aiiiiiertungeli: Albert Moll, Zur Ethik des Aerzt. streik». S. Eaengcr, Pvbeliiistiiiklc. Karl Schejsler. Wege zur Heimat. Felix Poppen berg, Menschen vom Meere. Norbert Jacques, Eine Äolkskunst-AuSiiellilng. Paul Barchan, Bei der „Dame". Alfred Kerr, Heinrich Heines Denkmal. * TreSdener Musil. Aus Dresden wird uns gemelvet: Als Violetta in Verdis gleichnamiger Oper und als Rosine in Rossinis „Barbier von Sevilla" absolvierte Marcella Seuibrich in Tresdcn eia Gastspiel, das den Abschied der »tünstlerin von der Bühne bedeuten sollte. Ihr Wort in Ehren, aber man mag nicht daran glauben, daß eine Meisterin des Gesanges, deren immer noch be- trächtliche Stimmittel durch eine mustergültige Schulunq gestützt und gesichert werden, sich Lauernd von der Bühne znrückziehen wird. Mau darf daher wohl annehmei«, Laß Fran Eembrich die Periode LeS Abschiednehmens über eine längere Zeit ausdehnen uns auch anderen Städten einen Abschiedsbesuch abstatten wird. Tas Haus mar ai« beiden Abenden trotz der dreifachen Preise fast aus verkauft und Las Publikum bereitete der Gästin stürmische Huldigungen. Auch die heimischen Mitglieder setzten ihre besten Kräfte ein, so daß unter Schuchs elektrisierender Leitung wahre Musyrausfüliruugen zustande kamen. * Ein neuer „Leonardo". Bei der geringen Zahl der erhaltenen Werke Leonardos muß jedes neu auftauchende Werk, das ihm zugc- sch'.icbe«: wird, ein besonderes Auffclwn erregen, und wenn auch meist bei diesen neuen Entdeckungen gewichtige Einsprüche gegen die Eigen händigkeit der in Frage kommende«« Werke erhoben werden müssen, so verdienen sie doch allgemeine Beachtung. Um ein solch bestrittenes, aber bedeutsames Werk handelt eS sich bei der Auffindung eines,Bildnisses, das für Leonardo in Anspruch genommen wird und nm das sich cin reger Streit ciitsponnen hat, wie wir einem Bericht E. Msslaguzzi- Valcris aus Mailand im „Cicerone" entnehmen. Ein Antiquitäten- lnir.dler Hatto um geringen Preis den Halbakt einer Frau mit über der Brust gekreuzten Arme«« erworben, das der Kunsthistoriker Tieg.« St. Ambrogio auf Grund eines alten Wappens mit einem verlorenen Werke Leonardos ans der Sammlung SettLla «dcntisiziertc. Tas Porträt, das die berühmte Freundin des Herzogs Ludovico Moro, Ceciliu Gollccani, darstellen soll, weist viele Nebereinstimmungen mit der Mona Lisa auf, ist aber doch wohl nur eine freie Nachahmung des Leonardvschen Porträts von der Hand eines Schülers. * Hochschnlnachrickiten. In Heidelberg bat sich Tr. A. Salz als Privatdozent für Nationalökonomie habilitiert. — An der Technischen Hochschule in Berlin sind zwei neue Privatdozeuten znqelassen worden: Regierungsbau meister Gers«meyer für das Lehrgebiet Prüfung und Untersuchung elektrischer Maschinenapparate und Konstruktiousteile für Slarkstromanlagen und Dr. ing. Hanemann für das Lehrfach der Metallographie. —.NlS Nachfolger LeS Geheimen Marinebonrats E. Krieger wurde der Geheime Marinrbaurat und Schiffsbaudirektor O. Eichhorn zum Dozenten für KriegsschissSbau an der Technischen Hochschule in Danzig ernannt. — Ter Rektor der Akademia Sclentifico Letteraria FranzeSko Novate feierte am 25. dss. sein 25jäbrigeS Lehrjubiläum. — In Pest ist der ordentliche Professor für Anatomie an der dortigen Universität Dr. Ludwig Thanhosfer im Alter von 66 Jahren gestorben. * Kleine khronik. Jin Trauerbause Messel in Berlin liefen gestern unausgesetzt Beileidstelegramme und Kränz« «in. Die Kaiserin devescbierte an die Witwe MesselS sehr teilnahmsvoll. Auch der Magistrat nnd die Stadtver- ordnetcnversammlung von Ballenstedt sandten der Witwe des verstorbenen Er bauers ihre» Rathauses ein Beileidstelegramm. — Dr. Siel berg wird, wie der „L.-A." au» Straßburg meldet, am Sonnabend diese Stadt verlassen, um am I. April mit Tr. de Quervain und Dr. Balber aus dem nach Grönland segelnden dänischen Regierungsdampfer „Hans Egedc" seine wissenschaftliche Grönlandrrvedition anzutreten.