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MpMerTaMM HaudelszeUung Amtsblatt -es Rates und -es Valizeiamtes -er Lta-t Leipzig. »WeIM»-Veri« Reklame i> l ->M>tr»« 3V ^k; »»MMWch Sv^ ftnane. »n^tgeu 7b-!h, Neglamai U20 IBernteU-Behdcden,» amtlichen DetlM-h. Betlagegebäbr 5 ak P. Dausrnd «kl. Post» Aedühr. «eschisltanzergr» an bevorzugtrr Stell« i» Preis« ertztht. Rabat! nach Lari da« scheinen an kiimmtm^Da^a uu» Mtch-n^wtk» keiue «tuzeigen-Ana-bm«: Ana»st»«platz 8, bei sämtlichen Filiale» u. allen Anaoncrn- itMedttronen de« Ju- und «urlaube«. Ha-Pk-Mlale Berliu: «orl Duncker, Herzog!. Baor. tzosbuch- handlung, Lügowstrahr 10. (Delevbon VI, Nr. 4603). Haupt-Siltal« Lresden: Seestraör 4,1 (Telephon 48dl1). Nr. 32«. Donnerstag 19. November 1908, Nachmittag. 1V2. Jahrgang. Das wichtigste. * Der nattonalliberale Landtagsabgeovdnete Dr. Rühlmaun- Döbeln ist am Dienstagabend gestorben. (S. Dtschs. R.) * In der Städtischen Gasanstalt zu Reichenbach i. Vogtl. ereignete sich am Mittwochmittag eine schwere Explosion, bei der drei Arbeiter getötet und sine größere Anzahl Personen zum Teil sehr schwer verletzt wurden. sS. d. bes. Art.s * Aus Wien konrmt die Nachpicht, daß ein Angriff der Montenegriner auf di« österreichischen Truppen un mittelbar bevor st eht. (S. d. bes. Art.) , * Aus Madrid wird gemeldet: Der Deutsche Kaiser, das englische Königspaar, der Thronfolger von Oester reich, sowie wahrscheinlich auch König Manuel von Portu gal werden dem KönigAlsonsim Laufe des näclstcn Jahres Be suche abstatten. Di« Zeitpunkte und Orte der verschiedenen Zu- sammenkünste sind noch nicht festgesetzt. * Aus Sizilien -und Süditalien kommen Meldungen von einer schweren W« t t e r t a ta st r o p h e. lS. Perm.) Hundert Jahre städtischer Selbst- Verwaltung in Hrenszen. „Den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Biirgcrgcmcine einen festen Bercinigungspuntt zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Perwallung des Gemeinwesens beizulegcn und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zn erhalten" — das war Absicht und Zweck der Städtcordnung vom 19. No vember 1808. Dar FreiherrvomStein gab sie den preußischen Städten und ist so, nach einem feinen Worte des Historikers Dahlmann, in tieferem Sinne als König Heinrich I. Deutschlands Städteerbauer ge worden. Denn die deutschen Staaten folgten dem Beispiele Preußens und sie bvauchen's nichr zu bereuen, daß der „praktisch»« Anarchismus" d« Dezentralisation Bresche schlug in daS landesvätcrlich regierte Preußen-Deutschland. Das 19. Jahrhundert zeigt uns ein Aufblühen des deutschen Itäd-tewcsens, das den Vergleich mit der wundervollen Blüte bürgerlicher Gemeinwesen im 15. und 16. Jahrhundert nicht zu scheuen hat. freilich, man soll den Wert von Institutionen nicht über- scl-ätzen. Glied an Glied reiht sich zu einer Kette von Umständen, die alle der Eigenart des herrschenden Wirtschaftssystems entstammen und uns eines der seltsamsten der sozialen Phänome, die rasche und riesen hafte Zunahme des Stadtvolks, in diesem Zusammenhang« begreifen lehren. Aber daß zu einer Zeit, da dieses Wirtschaftssystem für Praußen- Deutschland noch kaum geboren war, die rechte Form gefunden wurde, welche die Städte für die kommenden Tage „erzbereit" machte und daß das deutsche Bürgertum die Kerngcdanken der Städtcordnung organisch weiterzueutwickcln verstanden hat — das gibt uns volles Recht zu einer Gedenkfeier, an der wir uns rückwärtsschauend -des Erreichten freuen und vorwärtsblickend voll Zrsversicht auf unsere Kraft das Wünschens wert« als Ziel setzen sollen. Was haben die Städte in diesem Jahrhundert der Selbstverwaltung geleistet? Die im preußischen Städtetage vereinigten 110 preußischen Stadtgemeiuden mit mehr als 25 000 Einwohnern geben aus dies« Frage in einem Rechenschaftsbericht Antwort. Im Auftrage des Vorstandes des preußischen Städtotages hat Pros. Silbergleit, der Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Berlin, ein« Denkschrift*) zum 100 jährigen Jubiläum der Städteordnung vom 19. No vember 1808 veröffentlicht. Aus dieser Denkschrift tönt kein Phrasen geklingel an unser Ohr. Sie ist ein mit Worten sparsames, dafür mit Zahlen um so freigebigeres Tabellenwerk — abgesehen von einem historischen Teil, in dem jede Stadt kurz ihre Entwicklung während der vergangenen hundert Jahre skizziert —, allein dieser Zählenreichtum wird, trotzdem an statistischen Publikationen üb-r alles, was nur irgend wie zählbar ist, kein Mangel besteht, nicht als störend empfunden. Denn in diesen Tabellen stoßen wir auf kein« Tendenzstatistik; ihre Rede ist: Ja, ja — Nein, nein. Sie brauchen allerdings statistische Ehrlichkeit auch nicht zu scheuen. In jeder Tätigkeitsprovinz, die neu erobert wurde, hat di« Kommunalpolitik Erfolge aufzuweisen; sic ist wirklich „an Ehren und an Siegen reich". Zahlen beweisen: An einigen Stichproben läßt sich der Unterschied von «inst und heute deutlich erkennen, am besten vielleicht, wenn wir die „verstadtlichten" Wirtschaftsbetriebe anschen. Denn gerade Lama, daß die Gemeinde die Befriedigung von Bedürfnissen, ohne die ein ges«ll- schaftliches Zusammenleben undenkbar ist, selbst in die Hand nimmt, weil sie die Ueberzeugunz gewonnen hat, daß hier privatwirtschaftliche Unternehmungen versagen oder der Allgemeinheit zu schwere Opfer aus- bürben, zeigt sich, in wie hohem Grade sich in un'eren Städten Ge- meinsinn regt. In immer schnellerem Tempo werden die Städte zu den alleinigen Lieferanten von Wasser, Licht und Kraft und sorgen sie für V e r k eh r s a n sta l t e n. Das erste städtisch« Wasserwerk weist Frankjurt a. M. auf. Es stammt aus dem Jahre — 1607, dann eine 2H4. Jahrhunderte lange Pause: Das Berliner Wasserwerk wird 1853 errichtet. Heute finden wir in 106 Städten Gemeinden deS preußischen Städtetages, die über diesen Punkt Auskunft geben, nur 16 nicht städtische Wasserwerke; die Mehrzahl davon in den jungen Städten de» rheinisch-westfälischen und des oberschlesischcn Industrie bezirks. Die älteste städtische Gasanstalt besitzt Minden; sie wurde im Jahre 1828 eröffnet. Gegenwärtig lassen sich 92 städtisch« Gas werke zählen, deren Gründung zumeist in den 50er und 60cr Jahren des vorigen Jahrhunderts erfolgte. Auffallend schnell sind dann die Städte dem Beispiel Elberfelds gcfolgt, wo 1887 daS erste städtische *) „Preußens Städte" sBerlin, Carl Heymanns Verlag, 1903). Elektrizitätswerk errichtet würbe. Don den Gemeinden des Preußischen Städtetages besitzen zurzeit 76 städtische Elektrizitätswerke. Hand in Hand damit geht die Uebernahme privater Straßen bahnen in städlischen Betrieb ober die Errichtung eigner elektrischer Straßenbahnen. Im ganzen sind bisher 23 Gemeinden zum städtischen Straßenbahnbetrieb übergegangen, der teils ohn«, teils noch in Kon kurrenz mit privaten Gesellschaften erfolgt. Den Anfang machte 1882 Köpenick mit einer inzwischen „elektrisierten" Pferdebahnlinie, 1897 folgte Mühlheim an der Ruhr, wo man inzwischen ebenfalls -um elek trischen Betrieb übergegangen ist; in allen übrigen Städten lhat der städtische Betrieb erst nach dem Jahre 1900 begonnen. Neber die be deutendsten Straßoubahnanlagen verfügen Frankfurt a. M. und Köln mit l1907) 26 resp. 20 eigenen Linien. Ein anderes Bild: Die sich ins Weite reckenden und streckenden Städie sind vielfach zu Steinwüsten geworden, das „Grün" ist aus ihnen verschwunden. Aber man hat erkannt, wie sehr das Stadtvolk der öffent lichen Park-, Garten- und Schmuckanlagen bedarf, wie namentlich im Interesse der Stadtkinder, die so gut wi« niemals vor die Stadt, in die freie Natur, kommen, nötig ist, daß wieder grüne Plätze in ihr erstehen. Das gilt vor allem für die Großstädte. In ihnen finden wir auch die beträchtlichsten Aufwendungen für diese Zwecke. Mehr als 50 000 F an ordentlichen Ausgaben leisteten 1907: u. a. Berlin mit 692 000 .«, Breslau mit 368 000 -l, Köln mit 304 000 — insgesamt 27 Städte. Vergleicht man allerdings — wie dies eine Enquete für 1903/04 tut — die Anlageflächen sstädtische, staatliche und private) mit der Einwohnerzahl, so entfallen auf einen Einwohner in Essen 0,7 Oua- dratmeter, in Frankfurt a. M. 1,2, in Hamburg 1,7, in Berlin 2,3, in Köln 5L. in Dresden 7,1, in Magdeburg 10,9, in Charlottenburg 10L sdic wohl auch den Berlinern zugute kommen werden), in München 12,2 und in Mannheim 15. Nebenbei bemerkt: die große Anlagefläche Mannheims verdient um so mehr hervorgehoben zu werden, weil sich der weitaus größte Teil dieser Fläche l11,6 Quadratmeter pro Einwohner) in städtischem Besitz befindet. Alles in allem zeigt sich hiernach aber dennoch, daß man nur bei recht bescheidenen Ansprüchen mit dem Um fange der öffentlichen Garten- und Parkanlagen in unseren Städten — in Preußen, wie in Deutschland überhaupt — zufrieden sein kann. Indes die Erwerbung von Grund und Boden zu derartigen Zwecken ist auch entschieden das kostspieligste Stück der Voliswohlfahrtspflcge, und man wird daher nicht zuviel verlangen dürfen. Wenn es aber auch jenseits der Möglichkeiten unserer Kommunalpolitik liegt, die moderne Stadt in eine Gartenstadt zu verwandeln, so sollte sie doch nach Kräften dafür sorgen, daß es den Städtern nicht an — Zeit fehlt, den Weg ins Freie zu finden, wenigstens müßte die Stadtverwaltung da, wo sie dazu in der Lage ist, mit gutem Beispiel vorangehen. Allein dies Gebiet praktischer Sozialpolitik wird noch nicht genügend beachtet. Die Mitteilungen über Urlaubsbewilligungen städtischer Arbeiter, die in der Denkschrift gemacht werden, lassen dies deutlich erkennen. Da hören ivir z. B., daß in Bielefeld Arbeiter, welche 3 bis 10 Jahre in der Stadt beschäftigt sind, einen Urlaub bis zu 4 Tagen, bei mehr als zehn-- jähriger Arbeitszeit bis zu 6 Tagen, aber ohne Lohnzahlung er halten. In manchen Gemeinden besteht überhaupt Recht auf Urlaub sKönigsberg i. Pr.). In anderen wird er nur in dringenden Fällen be willigt (Oppeln, Kattowitz). Zahlreich sind auch die Städte, die, wie Bielefeld, einige Tage Urlaub gewähren, aber unter Fortfall der Lohn zahlung. Die Maximalleistungen in dieser Beziehung finden sich in Düsseldorf, wo ein ständiger Arbeiter in städtischen Diensten nach 20 Jahren Aussicht auf einen 14tägigen Urlaub hat; bei kürzerer Dienst zeit auch entsprechend weniger. All diese Daten mußten gegeben werden: Denn es kann ja hier nicht darauf ankommen, zu zeigen, daß mit Einführung der Städteordnung für Preußens Städte ein goldenes Zeitalter hercingcbrochen ist, und daß man dort wie im Himmel lebt. Es ist neuer schlechter Brauch, die Be deutung jedes Gedenktages maßlos zu übertreiben und allen seitherigen Fortschritt auf die gefeierte Person oder das gefeierte Ereignis zurückzu führen. Das deutsche Bürgertum bedarf solchen Ruhmredcns nicht, wenn es in berechtigtem Selbstbewußtscin die Bilanz dieses Jahrhunderts zieht. Es wird sich nicht in gesättigter Zufriedenheit mit dem Geleisteten begnügen, denn es wird nie vergessen, daß das Wünschenswerte den Maßstab für das Erreichbare bedeutet, und daß es auch in preußischen Städten immerhin noch einiges zu wünschen gibt. Nach -er Unterredung. Bei der Beurteilung des Ergebnisses der Unterredung Mischen Kanzler und Kaiser ergibt sich in der Presse das gleiche Bild, das schon die letzten Tage vor dieser Entscheidung holen. Die Blätter, die nach anfänglich scharfen Angriffen eine über raschende Schwenkung vollzogen, sind natürlich von dem Ausgang völlig befriedigt. Blätter wie die „Täg l i ch e R u n d s cha u", die „Kreuz zeitung", die sogar noch ganz anmaßlich über die kritisierende Presse den Stab bricht, die „V os si sch e Zeitung": sie alle finden sich zu- sammen in ihrem Urteil, das reinste Genügsamkeit atmet. Diesem Teil der Presse gesellt sich auffälligerweise die nationalliberale „Mägde- bürg er Zeitung" bei, die bis vor kurzem eine der lautesten Ruferinnen im Streite war. Auch die „Frankfurter Zeitung" erklärt in sonderbarer Bescheidenheit, man soll das Ergebnis nicht überscl-ätzen, aber noch viel weniger unterschätzen. „Wem dieser Tag nicht genug gebracht hat, der mag sich fragen, ob er das, was er gebracht Hot, vor wenigen Wochen noch für möglich gehalten hätte." Leise Zweifel äußert eine andere.Gruppe von Zeitungen. In erster Linie sei d,e agrarische „Deutsche Tageszeitung" genannt, die Mar im wesentlichen die sog. Errungenschaften des Dienstags rühmend hervorhebt, dann aber einschränkend dinzufügt: „Zwar will auch jetzt die bange Sorge nicht ganz schweigen; aber wir wollen sie überwinden, wir wollen neues Hoffen hegen, — die Hoffnung daß ähnliche Erfahrungen uns und unseren Kindern-erfpart bleiben." Auch di« nationalliberale und bülowosfiziöse „Kölnische Zeitung" kann nicht jeden Zweifel restlos unterdrücken. In feierlichen Worten spricht sie zwar dem Kanzler wie dem Kaiser den Dank der Nation aus, aber sie kann sich's dabei nicht versagen, diele trüben Novembertoge mich als „Mahnung und Warnung für die Zukunft" zu dezexhneu. Das rheinische BloU schließt; „Das Wort ,^in Laist-r eul Volk" ist ein stolzes Ziel, es kann leichter erreicht werden auf dem Wege der durch moderne Verhältnisse bedingten Selbstbescheidung. Mit seiner Erfüllung wird auch dos Ansehen des Deutschen Reiches steigen und mit ihm das Ansehen und die Mach, des Kaisers, der nur zu wollen braucht, um in Wirklichkeit das zu werden, was er sein will: der mit Liebe und Vertrauen anerkannte Führer der erstarkenden im In- und Ausland geachteten deutschen Nation." Die ultramoutane „Germania" dankt -war dem Kaiser für seine Zusicherungen, glaubt aber nicht an das Ewo« der Krisis und deutet besonders auf eine Gefährdung der Stellung des Kanzlers hin; im gleichen Sinne bemerkt die „Kölnische Volkszeitun g", erst rm Reichstag müsse sich zeigen, ob in den dem Kanzler gemachten Vor schlägen eine gewisse Bürgsclioft kür di« Zukunft liege. „Ter Reichs tag wird sich aufs neue mit der Sache zu bäichäftigen haben, wenn die Anträge auf Erlaß eines Ministerverantwortlichkeits- gesetzes, vor allem der bezügliche Antrag des Zentrums, zur Be ratung gelangen. Das wird in aller Kürze geschehen müssen. Dann ist auch der Augenblick da, wo deutlicher flemacht werden muß, was die Kundgebung im „Rcichsan-eiger" mit hinreichender Klar heit nicht erkennen läßt." Keine Befriedigung zeigen die Preßorgane, die gerade wie wir von allem Anfang die ganze Schwere der deutschen Krisis erkannt hatten und demgemäß in der Entscheidung des Dienstags nicht eine Lösung der Spannung, sondern nur sine Verschiebung Lieser Lösung erblicken können. Gleich uns tadelt die „Freisinnige Zeitung" den Mangel sachlicher Garantien in der Kundgebung des „Reichs anzeigers", und bitter enttäuscht schreibt das „Berliner Tage blatt": „Jetzt ist im Volke allgemein die Notwendigkeit erkannt, die Verfassung vurch die für die Ausschaltung der persönlichen Politik nötigen Garantien auszug« st alten. Dieser Augenblick darf nicht versäumt werden. Die Erklärung des „Reichs auzeigers" ändert an einer derartigen politischen Notwendigkeit nicht daS geringste." Der .Hannoversche Kurier" kann nur einen Stillstand der Krisis erkennen, den» man müsse sich stets gegenwärtig halten, daß „die Zukunftsbefürchtungen sich vor allem auf die Er wägung stützen, daß die ganze Natur deS Kaisers ihm die geforderte Zurückhaltung erschwere, wenn nicht unmöglich mache. Wie weit man von einer vorläufigen „Erledigung" der Krise sprechen darf, kann erst nach Len bevorstehenden Erklärungen des Kanzlers beurteilt werden. Auch dann wirb freilich abzuwarten sein, wie weit l i ch die Theorien in Praxis, die Worte in Tat«» umsetzen. Eine oberflächliche Verkleisterung der Kluft, die sich aufyeton, wäre eine Versündigung an der Krone und der Nation, zu der sich hoffentlich keine Partei im Reichstage hergeben würde. . . Die Kanzlerkrisis haben wir stets nur als einen Teil der gro ßenKrisis betrachtet. Ihre vorläufige Beilegung kann jetzt insofern günstig wirken, als daS Novum eines neuen Kanzlers eine Klärung weiter erschwert hätte . . . Eins aber wird und soll unter allen Umstanden bleiben als bas gute Ergebnis böser Tage: das Erwachen deS SelbstbowußtseinS der Nation, die gewillt ist, aktiver und selbständiger als bisher an der Gestaltung ihres «igencn Schicksals mitzuarbeiten/ Die „Hamburger Nachrichten" glauben ebenfalls nicht „baß di« Mitteilung des „RcichsanzeigerS" über das Ergebnis der Unterredung zwischen Kaiser und Kanzler ausreichcn wird, die Beun ruhigung zu beseitigen, die sich des deutschen Volkes wogen der Ein griffe des Monarchen in die amtliche Politik bemächtigt hat . Si« sagen sann weiter: „Einstweilen zeigt die Veröffentlichung im „Reichsan-eigcr", daß die Hoffnung, die Debatten des Reichstages würden starken Eindruck auf den Kaiser machen und ihn -ur Selbstbeschränknny ver- cmlassen, auf sehr schwach«» Füßen st eht, und daß mithin die Versuche, in diesem Sinne auf ihn einzuwirken, sich in keiner Wei'e erübrigen. Si« werben fortgesetzt werben müssen, falls der Reichs tag sich nicht doch noch entschließt, ein höheres Maß von Garan tien zu fordern, als in der Erklärung des „Reichsan-oigers" ge währt wirb. Am schärfsten von allen Blättern, auch d«n bisher vorliegenden sozialdemokratischen Stimmen, die zu keiner Bemerkung Anlaß bieten, spricht sich wiederum die „R b ei n isch - W e stf ä l i sch« Zeitung" aus, die ihre schwere Enttäuschung über den Ausgang der Unterredung in folgende Drohwort« kleidet: „Di« kaiserliche Antwort stellt sich demnach als eine sch r o ffe Abs age dar an den Willen d«s Volkes, des Reichstages und des Bundesrates. Der Kaiser will sich mit diesen Faktoren nicht verständigen, sonders den Kamps gegen sie aufnehmen. Der Fehdehandschuh ist nun hingeworfen, er muß blutenden Herzens ausgenommen werben. Denn es handelt sich nm Sein oder Nichtsein bes Deutschen Reiches, es bandelt sich um unsere wirtschaftlichen Interessen, um unser Ansehen in der Welt und um unsere Ehre. Wirb der Kampf weitcrgeführt, dann wird die Frag« praktisch werden, über die kein Politiker zweifelhaft iein kann: Was steht höher, der augenblickliche Träger der Krone oder die Her r s ch er f am i l i «, die Herri'cherfamille oder die Ver- fassungsform, die Verfassungsform oder bas Volkstum? Wir geben schweren Zeiten entgegen, furchtbare Wirren stehen uns bevor, aber das Volk darf diesen Kampf nicht scheuen, wenn es endlich aus der jetzigen unerträglichen Lage hera-nSkommen will. Wir erwarten vom Reichstag mit Bestimmtheit, daß er sofort de» Dampf auf- nimmt und ihn mit allen verfassungsmäßigen Mitteln bis zum siegreichen Ende durchführt." Die Presse Bayerns endlich ist nur sehr bedingt befriedigt, zum Teil ist mich si« arg enttäuscht. U ebereinstimmend hält man dorr weitere Erklärungen Bülows im Reichstage hur erforderlich. Der nationalliberale Abg. Bassermau» veröffentlicht dagegen im „Tag" einen kurzen Artikel, worin er Bülows Verbleiben im Amte mit Freuden begrüßt, das kaiserliche Wort als „ausgezeichnetes Ergebnis der ernsten und wichtigen Debatten des Reichstages" hinstellt und zum Schlüsse erklärt: „Das Fazit des gestri gen Tages ist, daß die Patrioten »ach schweren Stunden aufatmen und nunmehr eine Zeit fester und geräuschloser Politik erhoffen und er warten. Daß zu diesem Ergebnis der skaifer geholfen, werden viele deutsche Herzen ihm heute danken." Boa den aasländischen Pressestimme« gibt — das ist außerordentlich charakteristisch, das offiziöse Wölfische Depescheubureau nur die zustimmenden Aeußerungcn wreoer. In Wien sind das „Fremdenblatt", die „Neue Freie Presse" und das „Neu« Wiener Tagblatt" sehr entzückt und werden auch ausführlicher Zitate gewürdigt; daS „Neue Wiener Journal", daS scharfe An griffe enthielt, wird dagegen totgeschwiegen. Auch auS London und aus Rom klingt bisher das Echo dem Kaiser und dem Kanzler günstig. In New Aork rühmt die gesamte Presse des Kaisers mannhaftes Eingeständnis seines FHlerS und beglückwünscht daS Deutsche Reich zu dem ersten Schrstt zu einer parlamentarischen Regierung. „World" sagt, daS größte Verdienst habe di« deutsche Presse. * * * Neber Fürst Eulenburg als „politischen Regisseur" erzählt die „Information" folgend« unkontrollierbar« Geschichten: Trotz der Krankheit, an der Fürst Eulenburg augenblicklich in Lieben- berg danieder liegt, hat er noch Mittel und Wear gefunden, sein« Regic- tättgkeu, die er bisher noch bei jeder politische« Krije auSübte, auch