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Er spricht Französisch. Leicht? Sehr leicht. Korrekt? Sehr korrekt, spricht er mit Akzent? Ohne allen Akzent. Derjenige von unS beiden, der das reinste Französisch sprach, u>ar er. Denn ich habe ein wenig, vielleicht sehr wenig in meiner Spraci>c doch den bretonischen Akzent, und der Kaiser spricht wie ein Pariser. Er fragte mich, wie ich seine Aussprache fände. „Sie sprechen wie ein Pariser." „Das ist nicht verwunderlich!" sagte er. „Ich habe einen Freund ser wendet diesen Ausdruck gern an, auch wenn er von seinen Dienern spricht!. der mein Lebrer während zehn Jahren gewesen ist und der sich setzt noch bei mir aufhält. Es ist ein Franzose und ein Purist. Haben Sic mich jemals einen inkorrekten Ausdruck brauchen gehört?" (Simon, der dies schreibt, war nicht allein Mitglied der Akademie, 'andern auch Mitglied der Kommission für die Herausgabe des groben französischen Wörterbuches.! „Ein einziges Mal!" sagte ich. Ich sah, vaß der Kaistr überrascht schien. „Und wann war das?" fragte er. „Damals, als Eure Majestät mir sagten: Wir versammeln uns, um zu kneipen («rcxIniUsrl." „Naclnill^i- ist ein guter französischer Ausdruck. Er steht im Wörter buch der Akademie." „Er steht im Wörterbuch. Man wendet ihn aber weder in der Akademie, noch in den Talons der Akademie an." „Ich werde mir das merken. Und das war das einzige Mal?" „Ich schwöre Euer Majestät, Tie sind wie Ihr Lehrer ein Purist!" 8>ir, vcnrs öte« <lu ^kicki. Und dieses Urteil findet seine Bestätigung in allerneuester Zeit. Der frühere sranzösiichc Kriegsminister Etienne war Gast des Kaisers bei den diesjährigen Regatten in Kiel. Der Kaiser n>«r so lebhaft in keinen Aeubcrungen und drückte seine Ansicht mit so schwungvollem Gebärdenspiel aus, dab Etienne, nachdem er lange überra'cht zugebört, voller Perblüksung ausrief: ,,5Hr«, vari-i e-ta« ein ^kicki! (Sire. Tie sind aus dem Süden.) Dieser Vergleich wirkte deshalb io drastisch, weil die ^Gegenüberstellung Wilhelms H. mit ven Winzerunruben und die Wahlverwandtschaft mit Marcelin Alberts Landsleuten durchaus originell war. Zeppelin, der Held. Der Kaiser, der, wie gemeldet, vorgestern wieder in Berlin eintraf, bat sich jetzt gegenüber einer bekannten Berliner Persönlichkeit über die Eckterdinger Katastrophe ausgesprochen. Der „B. L.-A." berichtet dar über wie folgt: Der Kaiser und Zeppelin. Wer in den gestrigen Morgenstunden den Tiergarten passierte, be merkte neben dem auf seinem Spazierritt befindlichen Monarchen den neben ihm herreilenden Generaldirektor der Allgemeinen Elektrizitäts- ge'ellschait Geh. Baurat Rathenau. Der Kaiser hatte ihn gesehen und zu sich herangerufen, und man sah ihn im eifrigsten Gespräch. Ge heimrat Rathenau hatte die Freundlichkeit, unseren Mitarbeiter zu cmp. >angen und ihm die oon allen Augenzeugen gehegte Vermutung zu be stätigen, dab der Kaiser mit ihm auch die Zeppelinschc Katastrophe be- prochcu hatte. „Der Kaiser", so berichtet Geheimrat Rathenau, „war auch aufs tief st e bewegt über die Katastrophe. Zugleich aber sprach er mit hoher Befriedigung von der Teilnahme, die in der ganzen deutschen Nation so opferfreudig vom ersten Augenblick an, da sie Kunde ins Volk drang, sich gezeigt habe. Der Kaiser schenkte dann meinen Ideen Gehör, die ich über die Fortführung deS Zeppelinschen Werkes zu entwickeln mir gestattete. Ich sprach davon, dab man ein Kuratorium einsctzen möge, das gleichsam als Beirat dem Grafen in Zukunft dienen -oll. Was nun dieses Kuratorium betrifft, von dem ich mit dem Kaiser sprach, so möchte ich Ihnen darüber folgendes mitteilen: Lie deutschen Städte sollen ausgerufen werden, je einen ihrer hervor ragenden Mitbürger für dieses Kuratorium zu ernennen. Dieses grobe Komitee soll befugt sein, sei es aus seiner Mitte oder von auben her, einen Ausschub für die eigentliche Arbeit zu bilden. In diesen Aus schuß gehören dann allerdings nur Männer, die der Sache nützen kön nen, also Konstrukteure, Ingenieure, Meteorologen usf. Dieser Aus schuß und Zeppelin oder Zeppelin unb dieser Ausschuß würden in Zu kunst gemeinsam das Werk fortzusetzen haben. Das Kuratorium, wie ich es mir denke, würde also gleichsam bie Vertretung der Nation in dieser Frage darstcllen. Mein« Anregung schien den Kaiser offenbar zu interessieren, wenn ich auch über den Eindruck nichts zu sagen vermag. Daß der Monarch über die Katastrophe genau unterrichtet war, brauche ich wohl kaum besonders zu betonen. Der Kaiser selbst sagt« mir, baß er vom Reichsamt des Innern einen Bericht empfangen habe, der di« bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen enthalte." Die Einleitung zu diesem Gespräch hatte eine Bemerkung des Kaisers gegeben, daß er auf seiner letzten Reise in Norwegen fcstgelegtc Ballons gesehen habe, deren Verankerung ihn interessiert hätte und die ihm auch für Zeppelin als Sicherung nutzbar erschienen wäre. Wie ferner die „Nordd. Allg. Ztg." meldet, überwies der Kaiser dem Deutschen Neichskomitee zum Dau eines neuen Luft schiffes für den Grafen Zeppelin 10 000 ^k. Zeppelin über die Katastrophe. * Stuttgart, 8. August. Angesichts der von verschiedenen Seiten ergangenen Anklagen, das Fortreiben des Luftschiffes durch den Sturmstoß wäre vermieden wordcL, wenn die technische Lei tung besser gewesen oder die Soldaten, statt andere Dinge zu treiben, ihre Kräfte zur sofortigen Hilfe hergegeben hätten, tele graphiert Graf Zeppelin an das „Neue Tageblatt": Meine bisherigen Ermittlungen stellen schon fest, daß alle Be teiligten ihre volle Schuldigkeit getan haben, und bitte ich meine Landsleute dringend, mit ihrem urteil zurückzuhalteu, bis ich einen vollständigen Bericht veröffentlichen werde. Weitere Kundgebungen für Zeppelin. * Friedrichshafen, 8. August. Der König von Sachsen sandte folgendes Telegramm an Zeppelin: „Von meiner Nordland reise zurückkehrend, hat mich die betrübende Nachricht von dem Un glück Ihres Lustschistes schmerzlich berührt. Ich bin aber überzeugt, dab Sie ebenso wie ich das Vertrauen zum endgültigen Erfolge Ihres großen Werkes nicht verloren haben. Friedrich August." * Berlin, 8. August. Der Präsident des Reichstages richtete an Zeppelin folgende Depesche: „Verehrte Exzellenz! Wenn der Reichstag versammelt wäre, würde ich voraussichtlich in der Lage sein. Ihnen un Namen desselben Worte der Teilnahme und — wenn es deren be dürfen sollte — des Trostes zu senden, so kann ich Ihnen nur in meinem eigenen Namen zurusen: Du us ovcks mall», Kock «mdra auckoutüor ito. Udo Graf von Stolberg, Präsident des Reichstages." Die Nationalspende. * Stuttgart, 8. August. Der „Schwäbische Merkur" meldet aus Friedrichshafen: Die bis jetzt für den Grafen Zeppelin gezeichnete Summe beträgt nach oberflächlicher Zusammenstellung etwa 1800 000 Mark. Beständig lausen ganze Stöße oon Wertbriefen und Postan weisungen für den Grafen Zeppelin ein. Die heutige Post konnte bis heute mittag noch gar nicht erledigt werden. Die Aufräumungs arbeiten in Echterdingen sind vollendet. Tas Aluminium gerüst wurde zersägt. Zwei Waggons gingen sofort nach Manzell und zwei weitere in die Fabrik zum Einschmelzen ab. Die Gondeln sind noch recht gut erhalten. , . * Stuttgart, 8. August. Das Thüringer Waldsanato rium Schwarzeneck im Schwarzatbal übersandte Graf Zeppelin einen Betraa von 700 .4, der von den Aerztcv, Patienten und Angestellten gesammelt worden ist. Es ist das deshalb bemerkenswert, weil sich unter diesen Patienten zahlreiche Ausländer, wie Russen, Amerikaner, Oesterreicher, Italiener und sonstige befinden. * Greifswald, 8. August. Der hiesige Magistrat beantragte beim bürgerschaftlichen Kollegium, 1500 Zl für Zeppelin zu bewilligen. Zahlreiche pommersche Blätter erhallen Aufrufe zu Sammlungen. * Greiz, 8. August. Wie die „Greizer Zeitung" meldet, bat die von ibr nnd dem Vaterländischen Verein eingeleitete Sammlung für die Nationalspende für den Grafen Zeppelin bis beute einen Betrag von 2500 Mark ergeben. * Altenburg, 8. August. Herzog Ernst ließ als Beitrag zur Zeppelinspende 500 Mark überweisen. Die hievselbst eingeleitete Sammlung ergab auch sonst bis jetzt schöne Resultate. Die Schüler des Seminars sammelten allein über hundert Mark. V7. Landau (Pfalz), 8. August. (Privattelegramm.) Landtagsabge ordneter Franz Buhl in Deidesheim spendete 2000 Mark für Zeppelin. In Speyer ergab eine Haussammlung seitens der Damen des bayrischen Jrouenvereins 3061 Mark. * Planen i. V., 8. August. Die vom „Vogtländischen Anzeiger" ver anstaltete Sammlung zu einer Ebvenspende für den Grafen Zeppelin bat bereits bie Summe von 11000 Mark überschritten. H. Eilenburg, 8. August. (Privattelegramm.) Auch in unserer Stadt bat sich ein Komitee, bestehend aus den Bankgeschäften Paul Schauseil L Eo., Magdeburger Privatbank und dem Verlag des „Eilen burger Nachrichtsblattes" gebildet, um eineu Aufruf zu erlassen, der um reiche Spenden für eine Zeppelin-Sammlung bittet. Zcppeliu-Markeu. * Berlin, 8. August. DieMotorluftschissstudiengesellschaft ventiliert die Idee, Zeppelin-Marken einzuführen und zu verlaufen: Für diejenigen, die nicht mit einem Male einen Betrag von mindestens drei Mark aus zugeben beabsichtigen, werden wir eine Zeppelinmarke iu kun st voller Ausführung mit dem Porträt des Grafen Zeppelin in allernächster Zeit ausgeben. Diese Marken, die mit ihrem lupfer druckähnlichen Verfahren und ihrer ansehnlichen Größe von 5 zu 7 Zen timeter einen schönen Schmuck für die Briefumschläge oder den Brief bogen darsiellen, werden für den Preis von 10 Pfennig für kaS Stück zu erwerben sein. Sofern ausländische Post in Betracht kommt, sollen diese Zeppelinmarken dem Auslande dartun, daß daS deutsche Volk nur mit doppelter Spannkraft aus allen Prüfungen des Schicksals hervorgeht. Endlich sollen die Marken ein Vertrauensvotum des gesamten deutschen Volkes für den Grafen Zeppelin darstellen. Eiu Zeppelin-Denkmal. * Stuttgart, 8. August. (Telegramm.! Ein Zeppelin-Denk mal, das zugleich die jetzige Werdoepoche des lenkbaren Luftschiffes verkörpert, in Gestalt eines Luftschiffahrtsmuseums, regt die „Würt- tem bergische Zeitung" an, indem sie einen früheren Vorschlag angesichts des Unglücks von Echterdingen uud der Begeisterung für die Idee des Luftschiffes neu auftreibt. Deutsches Reich. Leipzig, S. August. * König Eduards Besuch. Die „F. Z." laßt sich aus Berlin melden: Nicht der Staatssekretär v. Schoen, der Wohl einen Er holungsurlaub antreten muß, sondern der Gesandte Freiherr v. Jenisch wird denn Besuch des Königs von England iu Friedlichshof als Ver treter des Auswärtigen Amtes zugegen sein. * «eine Norderney-Fahrt. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Durch die Blätter fleht die Nachricht, der Reichs kanzler habe an bestimmte Parlamentarier und Journalisten eine Ein ladung nach Norderney ergeben lassen, um mit ihnen über die bcvor- stebendcn parlamentarischen Arbeiten, insbesondere über die Reichsfinanz reform, Rücksprache zu ballen. Der Berliner Gewäbrsmann der „Köl nischen Volkszeitung", der schon vor acht Tagen von einem vollen Dutzend mit einer Einladung bedachter liberaler Parlamentarier und Journa listen zu erzählen wußte, versicherte auf das bestimmteste, daß die Ein ladungen bereits ergangen waren, als er sie als ergangen meldete. Trotz dieser bestimmten Versicherung deS Gewährsmannes der „Kölnilchen Vollszcitung" müssen wir feslstellen, daß das ganze Gerede völlig haltlos ist. Es sind keinerlei Einladungen der erwähnten Art ergangen uud keine solcher ist beabsichtigt gewesen. * Tie RcichSsteuern. Von den im Iabre 1906 eingeführten neuen ReichSsteucrn hat sich bisher die Zig ar et teuft euer am besten be währt. Sie brachte dem Reich im Rechnungsjahre 1907 rund 13 Millionen, das sind l'/r Millionen mehr als im Etat vor gesehen waren, und 2 Millionen mehr, als an Tabaksteuern eingingen. Auch in den ersten drei Monaten des lausenden JayreS war' der Ertrag der Ziflarettcusteuer erheblich höher als der EtalSansatz. Weniger günstig war dagegen das Ergebnis der neuen Brausteuer. Diese lieferte mit Einschluß der Uebergangs- abgabe in den ersten drei Monaten des laufenden Rechnungsjahres 11^27 Millionen, das sind 2,55 Millionen weniger, als ein Viertel res Etatsansatzes ausmacht. Dabei muß allerdings berücksichtigt weiden, daß die Einnahmen aus der Brausteuer im ersten Vierteliabr regel mäßig geringer zu sein pflegen als in den folgenden drei Vierteljahren, weil die Steuerlätze mit der Menge des verbrauchten Malzes steigen. Bei der Erbschaftssteuer beträgt der Etatsaniatz jür 1908 42 Mill. Mark, so raß auf drei Monate 10,5 Mill. Mart kommen. In den ersten drei Monaten sind aber nur 4,9 Millionen eingegangen; eS ist also kaum daraus zu rechnen, daß für das ganze Rechnungsjahr der Elalsaniatz erreicht werden wird. Auch die Ein nahmen aus dem Person en fah rkart cnstempel Und dem Tantieme- stempel schließen mit Fehlbeträgen gegenüber den Etatsansätzen ab. Ebenso bleibt die Einnahme aus dem Automobilstempel etwas Feuilleton. Lin Aeisetagebuch Montaigne». Durch eine vom Münchner Verlag Georg Müller unternommene erste deuriche Gesamtausgabe der Schriften des großen Michel de Mon taigne, deren Besorgung in den Händen Otto Flakes unb Wilhelm Weigands liegt, wird die Aufmerksamkeit auf die wenig bekannte Tatsache gelenkt, daß der Verfasser der „Essais" gegen Ende seines Lebens eine große italienische Reise unternommen und darüber ein vas wertvollste Material enthaltendes Tagebuch geführt bat. Diese Reise ist um so bemerkenswerter, als sie zuerst durch Südoeutschlomd, die Schweiz und Tirol ging unb bei diesen Ländern mit ausführlicher Vorliebe verweilt. Die Geschichte dieses NeiAournals gehört in das große Kapitel romantischer Bucherschick'ale. Bis zum Jahre 1774 — Montaigne war 1592 gestorben — war seine Existenz unbekannt gewesen. Ter erste Herausgeber, der „Bibliothekar des Königs" und Schriftsteller Meusnicr de Querlon, erzählt in einem Vorwort die Entdeckung folgendermaßen: Als der Kanonikus Prunis, mit einer Geschichte der Landschaft PLr gord beschäftigt, Nachforschungen in dieser Prvvinz anstellte, kam er auch auf das Schloß Montaignes, das sich im Besitz eines Nachkommens des Schriftstellers, des Grafen Segur de la Roquettc, befand. Im Archiv zeigte man ihm eine Kiste mit alten, ausrangierten Papieren; unter ihnen war das Manuskript des Reisc- :agebuches. Die spätere Untersuchung ließ keinen Zweifel darüber be stehen, daß es das Originalmanuskript Montaignes war. Zwei Drittel waren von des Essayisten eigener Hand geschrieben, der Rest oon der Hand eines als Sekretär fungierenden Dieners, dem Montaigne in kurzen Zwischenräumen oder gar täglich seine Beob achtungen diktierte; wie weiland Julius Cäsar, sprach er davei von sich mmer in der dritten Person: der Herr von Montaigne meinte dies und der Herr von Montaigne lobte das. In der Partie, die Montaigne elbst schrieb, ist mehr als die Hälfte in italienischer Sprache abgefaßt. Denn sobald er sich in den Bädern oon Lucca zu längerem Ge brauche niedergelassen hatte, besann er sich, daß er in der Gegend des reinsten Toskanisch war, und er beschloß, zur Uebung im Italienischen sich der Landessprache bei seinen Aufzeichnungen zu bedienen. Das ist freilich ein seltsames Italienisch, beschränkt im Wortschatz und daher auch gehemmt in der Ausdrucksfähigkeit. — Das Manuskript war bis au? die ersten zwei Blätter vollständig und wies zahlreiche nachträglich zu Hause gemachte Randbemerkungen Montaignes auf. Es ist auf der Königlichen Bibliothek, wohin es der Graf Segur gab, inzwischen, wohl noch :m achtzehnten Jahrhundert, verloren gegangen, ohne daß die näheren Umstände bekannt geworben wären. Ter äußere Anlaß zu der großen Reise war der Wunsch Mon- raigncs, sein schweres Nierenleiden, für das er vergebens in französi- chen Bädern Heilung gesucht hatte, durch eine gründliche Luftverände rung, die Heilkraft der berühmtesten ausländischen Quellen und nicht zuletzt durch die Ablenkung täglich neuer Eindrücke zu lindern. Dazu kam ein innerer Drang. Montaigne besaß die für einen Franzosen er staunliche Eigenschaft der nationalen Vorurteilslosigkeit; er hing dem Gedanken einer Verbrüderung der Völker an. Einrichtungen, Sitten und Sprache fremder Nationen reizten ihn. „Für mich sind alle Menschen Landsleute", sagt er in den Essais. Und zu-letzt wollte er wohl auch in dem Augenblick, als sein Lebenswerk, diele Essais, die Druckerei verließ (15801, einem vergangenen Abschnitt einen äußerlichen Abichnitt geben. Tie Rcncgc'ell'chast bestand aus mindestens sechs Reitern und c:wa der gleichen Anzahl Dienern, die mit dem Gepäckesel zu Fuß kolgten. Die Reise begann am 5. September 1580 in Beaumont an der Lite und suchte aus dem Wege über Plombiäres, dem damals be rühmten Vogesenbad, das Elsaß und di« Schweizer Grenze. Mül bausen und Basel waren die wichtigsten Orte vor Bad Baden in der Schweiz, das zur damaligen Zeit das berühmteste und besuchteste Bad diesseits der Alpen war. Neber Komfort, Einrichtungen, Sitten und Leben solcher Bäder er fährt man allerlei. Anfang Oktober ging die Reise weiter. Zürich, wo die Pest herrschte, wurde liegen gelassen und Schaffhausen als nächstes Ziel gewählt. Ja Lindau, Konstanz, Ravensburg begleitet die Reisenden der schönste Herbst und sie bekommen auch etwas von der Weinernte zu sehen. Von Kempten an nimmt Montaigne besonderes Interesse am Studium der religiösen Verhältnisse. Man muß sich an di« Zustände Europas zur Zeit dieser Reise erinnern. Frankreich wurde eben von den Hugenottcnkriegen zerrissen und die Bartholomäusnacht hatte erst vor acht Jahren gewütet; in Deutschland war seit dem Augsburger Religionsfrieden mehr Ruhe eingetreten, aber sie war nur vorläufig und überall standen sich die Konfessionen gegenüber, wurde alles über haupt von ihrem Verhältnis bestimmt. Bayern, das Montaigne nun betrat, schickte sich gerade an, seine katholische Führerrolle als Haupt der Liga anzutreten und einer der Hauptsätze der Gegenreformation zu werden: in München herrschten die Jesuiten und erzogen den jungen Maximilian, den ipäteren ersten Kurfürsten, in ihrem Sinne. Es ist daher ebenso natürlich wie für uns interessant, zu sehen, wie Mon taigne sich in jedem der Orte, in denen die Reisegesellschaft Halt mochte, um die konfessionellen Dinge bemüht, wie er die Kirchen besucht, den ihm fremden lutherischen Gottesdienst studiert und überall mit Geist lichen ins Gespräch zu kommen sucht. Es hat sich vieles seit damals geändert und eS berührt merkwürdig, eine Stadt wie Kempten als ganz protestantisch bezeichnen zu hören. Am 15. Oktober kam Montaigne in Augsburg an, „das als die schönste Stadt Deutschlands gilt, wi« Straßburg als die stärkste". Nach allgemeiner Zeitsitte wurde den Fremden von Stand von der Stabt der Willkommen geboten. Als die Franzosen in der Linde ab gestiegen waren, überreichte ihnen der Magistrat durch sieben Stadt- wcibel und einen Offizier vierzehn „Gefäße" einheimischen Weines. Der Offizier, der von ihnen zum Essen geladen wurde, erzählte, sie wären zu dritt in der Stadt mit dem Amte betraut, den Fremden von Qualität aufzuwarten, und ihre erste Aufgabe bestehe darin, den Rang des Fremden ausfindig zu machen, denn die Ehren stuften sich ab: bei einem Herzog z. Ä. überreichte einer der Bürgermeister den Ehrenwein persönlich. Das Kapitel über Augsburg ist das längste, das einem deutschen Orte im Reisetagcbuch gewidmet ist, und wir erhalten ein anschauliches Bild der Stadt der Fugger und des Glaubensbekenntnisses. Wertvoll sind die Beobachtungen, die Montaigne als guter Franzose hier wie überall über Esten und Trinken, Bequemlichkeit — er konnte nur im geheizten Zimmer und unter einem Bettbimmel schlafen und mußte für beides stets erst Sorge tragen —, Sauberkeit, Geräte, Bauart, Kleidung, Preise und Klima anstellt«. Als Mann, der mit sechs Jahren einst besser Latein als Französisch sprach, verfolgt er auch allenthalben die Spuren des Altertums, und bie .Heibenschanz" in Lindau entgeht seiner Aufmerksamkeit so wenig wie Reliefs, Inschriften und Säulen im alten Römerbad Baden. Di« Lokalgeschicht« von Orten wie Jsny (Allgäus, Ravensburg, Markdorf, Wangen, Pfronten, Füssen, Schongau, Lands berg wird manche recht wichtige Notiz im Tagebuch finden. München war eine »stark katholishe, volkreiche, schön« uud han deltreibende Stadt". Die Residenz stand noch nicht, dafür fand die Herzog-Max-Burg Montaignes Beifall. Von München ging die Reise südwärts am Kochelsee, Walchensee und Mittenwald vorüber nach der Schanze von Scbarnih, dem „Eingang zum Land Tirol". In Inns bruck machte Montaigne dem Erzherzog Ferdinand H. auf Schloß Ambras einen Besuch, wurde aber unhöflich ausgenommen, vielmehr nicht ausgenommen. Vielleicht war der Erzherzog, dem seine morga natisch« Gemahlin Philippine Welser eben gestorben war, ein wenig menschenscheu geworden. Montaigne meint, er babe die Franzosen nicht leiden mögen. Tirol, zumal das Eisacktal, war Montaigne als wild, unkultiviert uud rauh geschildert worden: er erlebte die an genehmste Enttäuschung, und Südtirol hat iu ihm den ersten Bewun- derer gefunden. Ueberbaupt fand Deutschland sein Lob. Er hebt die Sauber keit und Wohlhabenheit der Bewohner hervor und ist der Lieblichkeit der Gegend stets zugetan. In seinem Reisetagebuch spiegelt sich das reiche Deutschland des 16. Jahrhunderts noch einmal vor dem furchtbaren Niedergang deS 17. Montaigne trat mit einer bewunderungswürdigen Bereitwilligkeit, andere Verhältnisse als berechtigt neben denen der eigenen Heimat anzuerkennen, dem Neuen entgegen. Er wird zwar nie mit ausgesprochener Neigung oder Abneigung für oder gegen eine Sache Partei ergreifen, und er war selbst kein Freund der Reformation, die ihm mehr Elend veranlaßt als Befreiung gebracht zu haben schien, aber er wahrte immer eine wohlwollende Reserve. Diese Objektivität ist jür einen Menschen des 16. Jahrhunderts etwas Einzigartiges, und man kann wohl von ihm als dem ersten modernen Menschen sprechen. Der Mann, der sich in den „Essais" so freimütig dar- legt, der so prachtvoll gleichmäßig wirkt uud der so unabhängige Ge danken hat, daß der gai^e „Emile" Nousseaus nichts bringt, was nicht schon in dem berühmten 25. Kapitel des 1. Buches der „Essais" gestan- den hätte, spricht auch aus dem Tagebuch, dieser Ergänzung deS Haupt werkes. Viele der Nachträge in den späteren Auflagen der „Essais' sind Resultate der deutsch-italienischen Reise. Die Flake-Wcigandsche Gesamtausgbe brin'gt die „Essais" in dem revidierten klassischen Text Joachim Christoph Bo des (17931, des Weimarer Zeitgenossen Goethes, das Tagebuch in neuer Uebersetzung. die Briefe. Einleitungen zu den „Essais" und dem Tagebuch und reiches wissenschaftliches Material. Sie ist auf 8 Bände angelegt, von denen die beiden ersten erschienen sind. T. * Prof. Olbrich Aus Darmstadt meldete uns ei» Privat, telegramm unsere» L-Korrespondenten unter« 8. August: Heute nachmittag starb an den Folge« einer Galleusteinoperatio» daS bekannte Mitglied der hiesigen Künstlerkolonie Professor Olbrich. Ter brdeutrude Kunstgewerbler Prof. Joseph M. Olbrich, der besonders der deutschen Baukunst neue Wege eröffnet bat, wurde am 22. Dezember 1867 in Troppau geboren. Nachdem er das dortige Gymnasium besucht batte, bezog er die Wiener Bauschule und die k. k. Akademie der bildenden Künste in Wien. AlS er seine Studienzeit beendet hatte, unternahm er größere Reisen durch Italien, Frankreich und England, um die Architektur dieser Länder näher kennen zu lernen. Nachdem er zurückgekehrt war, arbeitete er unter Otto Wagner an den Entwürfen zum Ban der Wiener Stadtbahn mit. Sein erstes selbständiges Werk war das HauS der Sezession in Wie». Ferner ist er der Schöpfer des Künstlerlokals iu Darmstadt, de« AuSstellungSpalaste« der Stadt Darmüadt, sowie deS Warenhauses Tietz in Düsseldorf. Olbrich war Mitglied der Wiener Sezession, korr. Mitglied de- Institute- amerikanischer Architekten und Ehrenmitglied der Kgl. Akademie zu Mailand. * Johannes Trojan, der bekanntlich von einem bedanrrllchen Unglücksfall betroffen worden ist, befindet sich, wie au- Berlin gemeldet wird, auf dem Wege der Besserung. Sein Zustand war gestern recht zufriedenstellend, und nach ärztlicher Aussage ist zu hoffen, daß der greise Dichter die Charits bereits in nächster Zeit wird verlasse» können. * „Richard Wagner-Theater" wird Direktor Gregor seine für daS Jabr 1913 in Berlin geplante neue Bühne neunen. Ueber seine künstlerischen Ab sichten äußert er sich wie folgt: Im Jahr« 1913 werde ich in Berlin mein Richard « Wagner - Theater eröffnen, danebcu aber di« Komische Oper beibehaltrn. Während im Richard - Wagner - Theater neben den Werken Wagners die Opern großen Stils gespielt werden, wird die Komische Oper die Stätte für die intimen Kompositionen bleiben. Da- Wagner- Theater wird 2200 bis 2500 Personen fassen. Da ist »S dann möglich, durch eine Kombination der beiden Opern-Thrater solche Ersparnisse zu machen, daß die Ausführung von BolkSoprrn selbst bei billigen Preisen realisierbar ist. So kann bei dem Orchester von 72 Mann und einem Chor von 50 Personen in jedem der beiden Theater, während z. B. in der Wagner-Oper die beiden Chorpersonale zusammengezogen werden und da- Orchester verstärkt wird, in der Komischen Oper al- VolkSoper rin chorlostS Opernwerk mit vermindertem Orchester zur Aufführung gelange». Auf diese Weise werde ich, da ich sie für die einzig mögliche halte, die Idee der VolkSoper realisieren." * Kleine Chronik. Die Errichtung eine- Denkmal« für Friedrich Franz Chopin (geboren am 1. März 1809 in Zelazowa Wola bei Warschau) wird in Warschau vorbereitet. Als Tag der Enibüllung wird der 1. März 1909. der hundertste Geburtstag de» Künstler», in Aussicht genommen. — Für da» Berliner Kleine Theater bat Direktor BarnowSky eine Anzahl neuer Kräfte verpflichtet, unter anderen die Damen: Anna Schindler vom Hof- buratheater in Wien, Hanny Steinman» vom Thaliathrater in Hamburg und Lotte Klein, die schon früher am Kleinen Theater debütierte; ferner die Herren: Max Marx, Max Adalbert vom Intimen Theater in Nürnberg und Dr. Thnmser vom Meininger Hostbrater. — Wie au» Lübeck geschrieben wird, ist Walter Fiele« große« Gemälde „Die goldene Hochzeit" vom Lübecker Museum erworben Word«.