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8MMU W AWei AmtszÄW Nr. 27. zu Nr. 277 des Hauptblattes. 1929. veauftragt mit der Herausgabe ReglerungSrat vrauße in Dresden. Landtagsverhandluugen. (Fortsetzung der 1». Sitzung von Dienstag, den 2«. November 1929.) Abg. Frau Nischwitz (Komm. — Fortsetzung): Auch wennein Fall noch so normal verlaufen ist, kann es unter solchen Umständen ganz schwere Kompilkationen geben. Es ist wirklich eine Ironie, wenn man ein^Loblied auf den sozialen Fortschritt und auf die Errungenschaften in der deutschen Republik singt. Diese Tatsachen und überhaupt das ganze Leben der proletarischen Frau spricht eine andere, eine nüchterne und harte Sprache und es ist eine Verhöhnung, wenn man von Mutter- schütz in Deutschland spricht. Einer der größten Ubelstände in der Klinik in Chemnitz ist der Umstand, daß es nur einen gemein samen Gebärsaal gibt. Es vollziehen sich dort an manchen Tagen gleichzeitig 10 Geburten. In meiner Gegenwart vollzogen sich 8 Geburten, und es ist eine unerhörte Qual für die Frauen, weil diefe Schmerzens äußerungen einer Frau, die entbindet, die andere mit erleben muß und fo die schwere Stunde eine der größten Qualen werden muß. (Sehr wahr! b. d. Komm. u. Soz.) Hervorzuheben sind auch die völlig unzureichenden Operationssäle, die in keiner Weise auf der Höhe siud. Dazu kommt noch das vollständige Fehlen von Nebenräumen zur Vorbereitung von Operationen. Es muß alles in diesen Operationssälen gemacht werden. Es ist ferner infolge des Raummangels unmöglich, die Trennung von Kranken und Wöchnerinnen vorzunehmen, und so liegen tuberkulöse, krebskranke und syphilitisch- kranke Frauen nebeneinander. Hier liegen die Gefahren herde für die gesamte Volksgesundheit. Die Unterbringung des Personals muß man buchstäblich als skandalös bezeichnen. In Räumen wiederum, die höchstens 2 oder 3 Vette« fassen, werden 4 und 5 Menschen zusammengepackt. Mitten drin steht das Gepäck der Pflegerinnen, Reisekörbe usw. Diese Räume sind alles andere als wohnlich. Auch in den Kelterräumen hat man Wohnräume ür das Pflegepersonal uutergebracht. Ich habe mich elbst davon überzeugt. In den Kellerräumen müs- ^fL» infolge von Raummangel Pflegerinnen wohnen. Ls fehlen ferner Schlafräume für das Persoual, die den aufreibenden Dienst der Nachtwachen durch führen müssen. Diese Pflegerinnen, diese Schwestern müssen am Tage in den allgemeinen Aufenthaltsräumeu des Personals schlafen. Es ist klar, daß unter solchen Umständen das Pflegepersonal körperlich nicht auf der Höhe sein kann. Es ist ferner kein Krankenzimmer für das Personal vorhanden. Es ist nicht vorhanden ein Sterbezinimer, und es ist wiederum unmenschlich, wenn eine Frau die Augen zutun muß inmitten der anderen Wöchnerinnen, die genesen wollen. Es ist kein Raum vorhanden, in dem der Arzt mit den Angehörigen von Kranken besprechen kann, wie die Sachen mit den Kranken stehen; diese Dinge werden zwischen Tür und Angel erledigt. Ich möchte nur noch anziehen, daß z. B. in die Baderäume, die auch ganz eng begrenzt sind, noch die Eisschräuke hineiugepropft sind, in denen man die Lebensmittel aufbewahrt. Ich weiß nicht, wie sich das mit den primitivsten Grund sätzen der Hygiene verträgt. Das ist in groben Umrissen das Bild, das ich über die Chemnitzer staatliche Frauen klinik bekommen habe, und es ist selbstverständlich, daß es nur unter den größten Anstrengungen des gesamten Personals vom Pfleger bis hinauf zur verautwortlichen Leitung möglich ist, den Anforderungen gerecht zu werden, und daß es noch unmöglicher ist, fortlaufend die Verantwortung für eine folche Anstalt zu übernehmen. Das Allerschlimmste ist, diese Zu stände sind der Regierung schon lange bekannt, die Direktion hat schon manche Schritte unternommen, sie ist bei der sächsischen Regierung vorstellig geworden, sie hat die Dinge geschildert, hat Unterlagen gebracht für diese Zustände, und sie hat bei der Regierung nur Interesselosigkeit gefunden, kein offenes Ohr für dies Dinge und noch viel weniger Abstellung die er Ubelstände erreicht. Wir haben beim Haus- haltplan schon über diese Dinge beraten, und der Regienmgsvertreter hat dort erklärt, die Finanz not der Länder verhindere die Abhilfe. Seine Ant wort bewegte sich in derselbe» Richtung wie heute die Antwort des Herrn Ministerpräsidenten vr. Bünger, auch der Herr Abg. vr. Blüher hat dies Klagelied von der Finanznot der Länder und des Reiches angestimmt, und die Antwort wird sich auch heute erneut — davon bin ich fest überzeugt —, in dieser Richtung vollziehen Dieselbe Berschleppungspolitik ist zu verzeichnen in der Frage der Plauener Frauenklinik. Es steht fest, daß die Frage nicht scheitert an der Platzfrage, sondern heute ist es uns bestätigt, daß diese Frage verschleppt wird, weil die Geldfrage mit der Stadt Plauen noch nicht geregelt ist! Ich möchte hier in den Vordergrund rücken, daß wir nicht eine städtische Frauenklinik in Plauen errichten wollen, sondern eine staatliche, und daß man unter derartigen Verhältnissen wie sie in der Chemnitzer Frauenklinik bestehen, diese Dinge nicht verschleppen oder gar an der Geldfrage scheitern lassen darf. Wir sagen der Regierung heute erneut mit allen Nach druck, daß wir absolut kein Verständnis haben für ihre finanzielle Rot. Wir haben schon wiederholt bei anderen Beratungen gezeigt, wo man Mittel auftreiben kann und wo man vor allen Dingen Mittel einsparen kann werden können; denn alles theoretische Reden dar- Fug und Recht gesetzt worden sind. Solche Ler über, daß man die Arbeitslosigkeit in irgend einer der Sowjetunion keine Dienste leisten, können anderen Form beseitige» könnte, ist ja vollkommen I noch unterstützt werden. Das ist natürlich eine 1 Abg. Tiegel (Komm.): Wir erwarten nicht von den verschworenen Feinden der Sowjetunion, daß sie auch nur die geringste Objektivität für die Verhältnisse aufbringen, wie sie wirklich in der Sowjetunion be stehen. Die Ausführungen des Herrn Arndt sind die logischen Fortführungen der Lügenkampagne während der ganzen Wahl. Was die Sozialdemokratie in Flug blättern zum Ausdruck gebracht hat mit der Aufstellung von Statistiken über die Verhältnisse in der Sowjet union, wird Lügen gestraft. Wie sieht es denn in der Sowjetunion wirklich aus? Im Jahre 1927/28 wurden für Bildungswesen 1279 Mill. Rubel ausgegebeu, für Gesundheitswesen 665,2 Mill. Rubel, für Sozialversicherung 99,1 Mill. Rubel. Demgegenüber steht im Voranschläge der nächsten Jahre eine Steige rung im Bildnngswesen auf die Summe von 2570 Mill., für das Gesundheitswesen 1258 Mill Rubel, in der Sozial versicherung eine Steigerung auf 298,5 Mill. Rubel. Wenn gesagt wird, in Rußland bestehen dieselben Ein richtungen wie hier in Deutschland, so ist das eben nicht der Fall. In der Sowjetunion, dort wo die Arbeiter und Bauern die Macht haben, haben sie nicht notwendig, eine solche Sozialversicherung einzusühren wie hier in Deutschland, dort haben sie alle die Großfürsten ent thront, haben ihre Paläste beschlagnahmt, stellen die Frage der Wohlfahrtsfürforge auf eine ganz andere Grundlage als hier in Deutschland. Und wenn man selbst gesehen hat, wie drüben die Leute, die unter dem Zarismus wirklich in Salts und Braus gelebt haben, hellte von der Sowjetunion keine Unterstützung erhalten, so ist das nicht mehr wie recht und billig. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Was sollen die Leute noch unter stützt werden von einem proletarischen Staat, die alle Maßnahmen ergreifen, um die Sowjetunion zu dis kreditieren, ja zu unterminieren. Da gibt es gar keine Veranlassung für den russischen Rätestaat, überhaupt die Frage der Arbeitslosenunterstützung so zu stellen, wie sie hier von Herrn Arndt gestellt wurde. 60 Proz. voll ihnen sind ehemalige Popen, also Pfaffen, Großbauern usw., alle Ke, die durch das proletarische Regime außer olche Leute, die und Textilarbeitern sagt: Ihr müßt euch umschulen, ihr müßt in das Baugewerbe gehen, denn das Baugewerbe ist besser beschäftigt. Für den Chemnitzer Bezirk ist es nicht so, daß das Baugewerbe besser beschäftigt wäre. Aus diesem Grunde bringen wir hier ganz dringend zum Ausdruck, daß die Regierung beson ders für diesen außerordentlich notleidenden Bezirk zunächst etwas tun muß. Freilich wird es notwendig sein, daß eine große Anzahl Arbeiter sich umschult; denn sie werden als Metall- und Textilarbeiter nicht wieder beschäftigt werden können. Freilich wird das möglich sein, wenn besonders der Wohnungsbau mehr gefördert wird, lind wenn vor allen Dingen unserem Antrag ent sprochen wird, daß auch Mittel aus der produktiven Erwerbslolenfürsorge zur Förderung des Wohnungsbaues zur Verfügung gestellt werden müssen. Darüber hinaus werden aber Tausende von Arbeitern arbeitslos bleiben müssen, wenn nicht noch andere Maßnahmen in Angriff genommen werden. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Drese anderen Maßnahmen sind eben im Allgenblick nur Notstandsmaßnahmen, Notstandsarbeiten, die gemacht werden können; denn alles theoretisch zwecklos. Die Arbeitslosen stehen ja jetzt schon auf der Straße (Sehr richtig! links), sie warten schon seit Monaten auf Arbeit, sie gehen alle Tage ins Arbeits amt und verlangen Arbeit, nicht Unterstützung. Aus diesem Grunde, sage ich, ist eben die einzige Möglich keit, die sächsischen Landesmittel bereitzustellen, damit die Notstandsarbeiten gemacht werden können. Es ist ja nicht so, daß die Dinge nicht vorbereitet wären. Ich habe hier eine ganze Menge Eingaben, die ich wegen der vorgerückten Zeit jetzt nicht zum Bortrag bringen will. Aber ich will doch immerhin darauf Hinweisen, daß aus diesen Eingaben hervorgeht, daß eine große Anzahl von Notstandsarbeiten so vorbereitet sind, daß sie tatsächlich sofort in Angriff genommen werden könnten (Sehr richtig! b. d. Soz.) Wir haben heute aus den Ausführungen der Be richterstatter und auch aus den Ausführungen de^errn vr. Blüher und anderer Redner gehört: Ja, wir mochten ja gerne, aber wir können nicht, wir haben kein Geld zur Verfügung. Und letzten Endes fagt man uns noch: Na, eure Parteigenossen von der Sozialdemokratie, die sitzen ja in der Reichsregieruna, sitzen ja im Finanz ministerium usw., und da helft ihr doch. Ja, eigentlich ist das doch ein Armutszeugnis, das sich da die Regie rung ausstcllt, vor allen Dingen der Herr Finanzminister. Er ist doch nun einmal Finanzminister und hat doch nun einmal die Verpflichtung vom Landtag und auch von, ganzen Land bekommen, die Mittel dafür zu be schaffen, und ich bin der Auffassung, daß, wenn er das nicht kann, er auch die Konsequenzen ziehen muß. (Lachen rechts.) Es nützt uns doch nichts, wenn der Herr Finanz minister dauernd hierher tritt: Ich kann keine Mittel beschaffen! Es nützt auch gar nichts, wenn sich der Wirtschaftsminister nicht um die leerstehenden Betriebe in Sachsen bekümmert. (Abg. Dieckmann: Sie müssen Hilferding nach Sachsen bringen!) Ich bin der Auffassung, man müßte nur einmal den ernsten Willen haben, und wenn es beim erstenmal nicht gelungen ist, die Reicks regierung davon zu überzeugen, daß Sachsen ein be sonderes Notstandsgebiet ist, muß «ran eben noch einmal bohren. Wir haben jetzt schon wiederholt erklärt, wir sind bereit, Sie, Herr Finanzminister, in diesem Be ginnen zu unterstützen. Aber ich habe das Gefühl, daß der Finanzminister gar nicht den ernstlichen Willen hat. Aus diesem Grunde bin ich leider auch sehr pessi mistisch gestimmt, wenn auch hier alle Parteien und auch die Regierung und der Herr Ministerpräsident heute ihr Bedauern ausgedrückt haben, daß es in Sachsen so schlimm ist und daß die Arbeitslosen so große Rot leiden müssen. Ich bin um dessentwillcn so pesfimistisck gestimmt, weil ich bisher immer noch nicht von der Regierung ge hört habe, daß sie nun einmal das ganze Volk aufrufen will, daß sie auch der Reichsregierung gegenüber be weisen will, daß sie nun die ernste Absicht habe, dieser Not zu steuern. Ick meine also, daß es doch nötig ist, daß die Regierung einmal vor das Land tritt und diese Not, die der Landtag anerkannt hat, in aller Öffentlich keit zum Ausdruck bringt; und es müßte mit dem Teufel zugehen, »venu wir nicht bei der Reichsregierung er reichen sollten, oaß für das Notstandsgebiet Sachsen größere Mittel bereitgestellt werden. Wir sagen der Regierung, daß sie sich unter solchen Verhältnissen ganz ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen muß, um die Beschlüsse des Landtages bei der Haus haltplanberatung in die Tat umzufetzen. Ich möchte hier einmal auf die Verhältnisse in Rußland Hinweisen. Ich habe in Rußland andere Anstalten gesehen; ich habe in Rußland gesehen, was man übrig hat (Zuruf b. d. Soz.: Potemkinsche Dörfer!) für die Frauen des Proletariats. Da nützen all die Zwischenrufe nichts; das sind feststehende Tatsachen. Und wenn inan von Mißständen spricht, dann muß Ich schon sagen, daß es wohl ein Unterschied ist, wenn ein Land zu kämpfen hat mit Schwierigkeiten (Abg. Neu: Deutschland wohl nicht durch den Krieg?) — ja, Deutsch land auch —, aber daß es ein Unterschied ist, ob ein Volk Schwierigkeiten beim Aufbau seiner Wirtschaft hat, oder ob es, wie es in Deutschland ist, zu kämpfen hat mit den Schwierigkeiten des Niederganges und des Zerfalls. Doch zurück zur Sache! Ich muß nochmals unter streichen, daß wir auch heute von hier aus mit allem Nachdruck, mag die Antwort der Regierung ausfallen, wie sie will, verlangen, daß Abhilfe geschaffen wird. Wir verlangen, daß bei der Durchführung des Programms der Beschaffung von Notstandsarbeiten diese Projekte: Erweiterungsbau der Chemnitzer Frauenklinik und Neu bau in Plauen, in den Vordergrund gerückt werden. Zu beraten hat man noch über den Bau einer Klinik in der Lausitz. Doch das steht heute nicht zur Diskussion. Wir wissen genau, daß, trotzdem wir heute die Durch führung dieser Bauten und Abstellung dieser Ubelstände verlangt haben, auch das nur Stückwerk sein kann. Des halb muß man den Kampf um die politische Macht in Deutschland führen, und wir werden diesen Kampf organisieren, um der Wurzel des Übels zu Leibe zu gehen (Bravo! b. d. Komm.) Abg. Tiegnoth (Soz.): Ich möchte im Anschluß an die Ausführungen meines Freundes Arndt noch darauf aufmerksanr machen, daß besonders der Chemnitzer Bezirk im gegenwärtigen Augenblick über all das, was in Sachsen sowieso schon größer ist als in den übrigen Bezirken Deutschlands, hinausragt. Ich habe bereits im Ausschuß L auf diese Tatsacke aufmerksam gemackt und will das auch hier tu». Wir habe» in Chemnitz eine direkt katastrophale Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit bekommen. Während wir im vorigen Jahre uni diese Zeit nur 3000 Arbeitsuchende hatten, ist die Zahl der Arbeitsuchenden nn gegenwärtigen Augenblick auf 20 000 gestiegen (Hort, Hört! b. d. Soz.) Nun könnte nm» ja vielleicht der Auffassung fein, daß die Zahl der Arbeitslose» auch in den übrige» Bezirke» Sachsens groß ist und größer geworden ist, aber für Chemnitz liegen die Dinge noch etwas ernster. Es steht ohne Zweifel fest, daß dort die Arbeitslosenziffer auf längere Zeit, und zwar auf Jahre hinaus, i» einer ziemlichen Höhe bleiben wird, denn i» Chemnitz handelt es sich tatsächlich darum, daß die Metallindustrie von dort abwandert. Der Lokomotivbau der Firma Hartmann ist «ach Berli« gegangen, rind die Elite werke sind von Opel aufgesoge« worden, und so geht es weiter und weiter. Aber nicht nnr die Metallindustrie wandert ab, sonder« auch die Textil industrie folgt dieser Abwanderung nach. Wir haben seit Monate« eine der größte» u»d modernsten Fabriken der Textilindnstrie stittstehen, die Aktienspimwrei. Es ist sehr interessant, daß der Mann, der dort die Verhand langen jetzt führt, um die Sache wieder in Gang zu bringen, erklärte, daß sich monatelang überhaupt keine Behörde darum gekümmert hätte (Abg. Graupe: Hört, hört!), daß dieser Großbetrieb stittsteht. Weder das Ministerium noch die Stadt hätte sich darum gekümmert, daß da 1200 Menschen arbeitslos geworden sind und der Betrieb nicht weitergeführt werden kann. Wir haben aber in Chemnitz und im Erzgebirge noch ganz besondere Verhältnisse. Hier ist es nicht einmal möglich, wenigstens für eine große Anzahl von Bau arbeitern, den Sommer über so lange zu arbeiten, daß sie dann im Winter in der Lage wären, die Arbeits losenversicherung in Anspruch zu nehmen. Es nutzt also auch da gar nichts, daß man den arbeitslosen Metall