Volltext Seite (XML)
«MMU zur AWm slMWikW Nr. 271. - zu Nr. 268 des HauptblatteS. 1925. Beauftragt mit der Herausgabe, RegierungSrat Braußs in Dresden. LmdlatzsverhaMMgtl». 15». Sitzung Dienstag, den 17. November 1925. Präsident Winkler eröffnet 1 Uhr 9 Minuten nach mittags die erste Sitzung nach der Sommerpause. Am Regierungstisch Ministerpräsident Heldt, die Minister Bünger, Elsner, vr. Kaiser, Müller- Chemnitz und Müller-Leipzig sowie Regierungs- Vertreter. Vor Eintritt in die Tagesordnung widmet der Präsident dem verstorbenen Abg. Noack (Dtsch. Vp.) ehrende Worte des Gedächtnisses, die das Haus stehend anhört, und weist die beiden neuen volksparteilichen Abgg. vr. ing. Hartwig-Dresden, der an Stelle des verstorbenen Abg. Noack, und Bürgermeister Donath. Olbersdorf, der an Stelle des ausgeschiedenen Reichs- tagsabg. vr. Schneider eintritt, mit begrüßenden Worten ein. An Stelle des Abg. Noack wird in den Verwaltungs- ausschuß für die Gebäudeversicherung der Landes- und Brandversicherungsanstalt Abg. Röllig (Dtsch. Vp.), in den Aussichtsrat der Landessiedlungsgesellschaft „Sächsisches Heim" als Stellvertreter Abg. Voigt (Dtsch. Vp.) ge wählt. Da die Wahlperiode der Abgg. vr. Niethammer (Dtsch. Vp.) und Wirth (Soz.) in den Landes eisenbahnrat abgelaufen ist, macht sich eine Neu- wähl notwendig. Beide werden gegen die Stimmen der Kommunisten, die ihren Parteigenossen Gäbel vor geschlagen hatten, wiedergewählt. Zur Geschäftsordnung schlägt Abg. Lieberasch (Komm.) vor, auf die Tagesordnung an erster Stelle die kom munistischen Anträge und die Notverordnung der säch sischen Regierung über die Amnestie und die Anträge und Anfragen zu setzen, die die Zustände in den säch sischen Gefängnissen behandeln. Der Antrag wird gegen wenige Stimmen abgelehnt. Dann folgt die erste Beratung über den Antrag des Abg. vr. Seyfert u. Gen., den Entwurf eines Reichsschulgesetzes betr. (Drucks. Nr. 1503) und ge meinsam damit die erste Beratung des Antrags Hick- mann, Voigt (Dtsch Vp.) u. Gen., denselben Gegen- stand betr. (Drucks. Nr. 1524). Der Antrag Nr. 1503 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, im Reichsrat dafür ein zutreten, daß der veröffentlichte Referentenentwurf eines Reichsschulgesetzes nicht zum Gesetz erhoben wird. Abg. vr. Seyfert (Dem. — zur Begründung): Der Reichsschulgesetzentwurf ist zwar nur ein Referentenent- Wurf, aber die Verhandlungen über diesen Entwurf sind doch so weit fortgeschritten gewesen, daß tatsächlich eine Überraschung erfolgt wäre, wenn der Entwurf nicht vorher der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden wäre. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Die Rechtslage nach der Reichsverfassung ist die: der erste Absatz des Art. 146 sieht als Allgemeinschule die für alle gemeinsame Grundschule vor, in der die Kinder aller Stände und aller Bekenntnisse vereinigt sein sollen; der Abs. 2 dieses Artikels bestimmt, daß auch Bekenntnisschulen und weltliche Schulen als Sonder schulen auf besonderen Antrag entstehen können. Die Simultantschule ist also die Regelschule, die Bekenntnis, schule und die weltliche Schule die Sonderschulform. Die für alle gemeinsame Schule, die Simultanschule, wie man sie früher nannte, die Gemeinschaftsschule, wie man sie jetzt nennt, wird merkwürdigerweise in der öffentlichen Diskussion jetzt als eine Schule erklärt, die sich wesentlich von dem alten Begriff der Simultan schule entferne. Ich als Beteiligter an der Gestal tung dieser Sätze stelle fest, daß in Weimar bei Beratung dieses Artikels niemand an eine andere Schulform gedacht hat als an die, die bereits an einigen Stellen unseres deutschen Reiches bestand. Diese für alle gemeinsame Schule ist zugleich durch die Verfassung selbst verpflichtet^bekenntnismäßigen Reli- aionSunterricht zu erteilen. Neben diese Gemeinschafts schule stellt man als Sonderformen die Bekenntnis schulen und die weltlichen Schulen. Da muß ich ein Wort über den Gegensatz zwischen weltlicher und Welt anschauungsschule sagen. Bei Beratung der Verfassung hat niemand an die Weltanschauungsschulen des heutigen Entwurfes gedacht, sondern in Abs. 2 war unter der Schule der Weltanschauung die Schule verstanden, die heute als weltliche Schule bezeichnet wird. Die Welt- anschauung-schulen sind als eine Art Bekenntnisschule aufcufassen, ihr steht die weltliche Schule mit einem eindeutigen Charakteristikum gegenüber, daß sie nämlich keinen pflichtmäßigen Religionsunterricht erteilt. Nun umschreibt der Gesetzentwurf den Begriff der Bekenntnisschule, und man kann dieser Kennzeichnung vollständig zustimmen. Tut man da- aber, dann ist damit zugleich ausgesprochen, daß sie als eine Sonder schulform scharf gekennzeichnet ist und in dieser Form nicht geeignet sein kann, eine für alle gemeinsame Schule zu bilden. Der Entwurf will aber tatsächlich diese Schule zu einer allgemeinen machen, und dagegen wenden wir unS. Es ist sehr bezeichnend, daß der Gesetzentwurf von der für alle gemeinsamen Schule überhaupt nicht spricht. Er begründet das, er sagt: die Reichsverfassung selbst schreibt ja garnicht vor, daß ein Reichsgesetz etwa über die Gemeinschaftsschule erlassen werden solle, sie fordert nur eine gesetzliche Festlegung über die Sonderformen. Das ist richtig. Aber wir verlangen auch gar kein be sonderes Gesetz für die Gemeinschaftsschule, denn diese ist durch die Reichsverfassung gesetzlich festgelegt (Sehr richtig! b. d. Dem.), dazu bedarf es keines Gesetzes (Sehr richtig! b. d. Soz.). Aber als Grundlage für diesen Ent wurf mußte von der Gemeinschaftsschule ausgegangen werden, denn damit hätte er ein ganz anderes Gesicht bekommen, und es ist deshalb von der Gemein schaftsschule überhaupt nichts erwähnt worden, weil damit verdeckt wird, daß man an ihre Stelle einfach die Bekenntnisschule schiebt. Die Bekenntnisschule ist an sich die, die für ein Bekenntnis und nur für dieses gilt. Der Entwurf sagt: aber nein, das trifft nicht zu, sondern eine Bekenntnisschule kann auch die Kinder anderer Bekenntnisse aufnehmen,kann sogar denReligions- unterricht in einem ganz anderen Bekenntnis erteilen und bleibt trotzdem diese eine Bekenntnisschule. Damit ist doch der Charakter der Bekenntnisschule völlig auf gehoben. (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Dem. u. Soz.) Und warum, zu welchem Zwecke? Um eben dieser Schule den Charakter einer für alle gemeinsamen Schule zu geben und sie an die Stelle der Gemeinschaftsschule zu setzen. (Sehr gut! b. d. Soz.) Das ist der klare, er kennbare Zweck. Ja, noch etwas weiteres! Die Verfassung sagt ganz ausdrücklich: Eine solche Sonderschule bekenntnismäßiger Art kann nur entstehen auf besonderen Antrag der Er ziehungsberechtigten. Das ist ein so wichtiges, ent- scheidendes Merkmal, daß inan es als ein unbedingtes gesetzliches Kriterium für die Bekenntnisschule anerkennen muß. Was tut aber der Gesetzentwurf? Er verwendet plötzlich den Ausdruck „gesetzliche Regelschule",meint aber dabei nicht die reichsgesetzliche Regelschule, sondern die irgendwo und irgendwann landesgesetzliche Regelschule, und verwischt durch diese Begriffsvertauschung einfach die Tatsache, daß die gesetzliche Regelschule der Ver fassung die Gemeinschaftsschule sein muß und ist. Er beseitigt also auch gelegentlich das Antragsrecht und sagt, es kann auch eine Schule dort, wo sie bisher auf grund des Landesrechts bestand, einfach fortbestehen, wie die Begründung sehr naiv sagt: es bedarf ja in diesem Falle des Antrages nicht, denn die Schule ist ja da. Ich meine also, das Antragsrecht und die Antrags pflicht darf auf keinen Fall für die Einrichtung der Sonderschulen beseitigt werden. Der Entwurf macht sogar aus dem Antragsrecht, eine solche Schule für fein Kind zu fordern, ein Mehr heitsrecht und sagt: Wenn in einer Gemeinde, wo nur eine Schule ist, die Mehrheit eine solche Schule ver langt, so ist sie einfach einzurichten. Damit ist natür lich diese Schule einfach zur Gemeinschaftsschule, zur gemeinsamen Schule geworden, und zwar wider die Verfassung! (Sehr richtig! b. d. Soz.) Und damit wird ganz selbstverständlich die gesetzliche gemeinsame Schule ihres Rechtes beraubt, es rückt an ihre Stelle eben die Bekenntnisschule. Man gibt damit der Gemeinschafts schule etwas, was einem großen Teile des Volkes nicht zusagen würde, und vergißt dabei ganz und gar, daß man gleichzeitig der Bekenntnisschule einen anderen Charakter gibt, als sie ihn bisher gehabt hat. Während wir bis zum Übergangsgesetz im wesentlichen evan gelische Bekenntnisschulen unter staatlicher Oberhoheit und mit staatlichem Charakter hatten, wird — es mag bestritten werden oder nicht — damit der Charak ter einer kirchlichen Schule festgelegt. (Sehr richtig! b. d. Dem.) Es ist nicht zufällig, daß die Verhandlungen über diese Dinge mit dem Satz eingeleitet worden sind, daß durch den westfälischen Frieden von 1648 die Schulen zu einem Lnuexug seolvsiae, zu einem An hängsel der Kirche erklärt worden sind. Wer den langen Kampf zwischen kirchlicher und staatlicher Macht einmal geschichtlich sieht, der erkennt deutlich, daß auch der Kampf um diesen Entwurf ein Stück diefes Kampfes zwischen Staatshoheit und Hierarchie ist. Es ist durch aus, in dem Lichte gesehen, ein, ich möchte sagen, aus dem Konkordatsgeiste herausgeborenes Bestreben, das gesamte Schulwesen im Reiche wiederum zum Anhängsel oder doch zum Einflußgebiete der Kirche zu machen. Der Entwurf gesteht den kirchlichen und den Bekennt nisgemeinschaften sogar daS Aufsichtsrecht zu, und was damit für die Schule und auch für die Elternschaft heraufdämmert, das weiß derjenige, der nur ein Jahr hundert oder zwei Jahrhundert zurückgeht in der Ge schichte der Volksschule. Es muß an dem Satze der Verfassung festaehalten werden, daß die Staatsgebiete und die kirchlichen Ge biete zu trennen sind. Das weiß auch die Hierarchie aller Bekenntnisse und Weltanschauungen. Sie bedient sich aber nunmehr eine- neuen Mittels, und da- ist der Wille der Erziehungsberechtigten. So beklagens wert es ist, daß der Wille der Erziehungsberechtigten in der bisherigen Entwicklung unserer Schule so wenig zur Geltung gekommen ist, so kann er doch nun nicht auf einmal zur ersten und obersten Instanz in allen diesen Fragen gemacht werden; das ist sachlich nicht berechtigt, ist auch gar nicht die Absicht der Verfassung. Sachlich kann doch der Wille der Erziehungsberechtigten nur in dem Umfange und in dem Maße mitwirken, wo er nicht mit dem Staatswillen und dem Willen des Ganzen in Widerspruch steht. Die katholische Lehr meinung erkennt ja den Willen des Erziehungsberech- tigten gar nicht als die eigene und höchste Erziehungs instanz in Erziehungssragen an, sondern geht dahin, daß Vater und Mutter ihre Erziehungspflicht nicht aus eigenem Rechte, sondern im Auftrage der Kirche aus- üben. Und die Anschauung der evangelischen Kirche geht noch näher heran, indem man durch die Taufe das Kind eben in die kirchliche Gemeinschaft aus genommen weiß. Es handelt sich also in dem Er- ziehuugsgeschäft Itatsächlich auch nach der Theorie der Bekenntnisse nicht um den Willen des einzelnen Er ziehungsberechtigten, sondern um den hier gemeinschaft lich durch das Bekenntnis vertretenen Willen, und darauf muß man Hinweisen, wenn man diesen Willen als die letzte und oberste Instanz etwa hinstellen will. Aber auch nach der Verfassung ist es garnicht die Absicht gewesen, den Willen des Erziehungsberechtigten schrankenlos maßgebend zu machen. Ter Wille ist ein geschränkt einmal durch die Bestimmung, daß die Grund- und Regelschule ein für allemal gerneinsam sein soll, weiter durch deu Hinweis auf den 'geordneten Schulbetrieb und schließlich durch den Hinweis auf das Antragsverfahren. Wenn die Begründung des Entwurfs den Begriff des geordneten Schulbetriebs iu einer lang- wierigen und vielleicht scharfsinnigen, deshalb aber vielleicht nicht ganz verständlichen Ausführlichkeit be gründet und sagt, daß auch eine einklassige Schule ein geordneter Schulbetrieb sei, so meine ich, gibt sich die Begründung eine ganz überflüssige Mühe, denn wer die einklassige Schule schon als einen geordneten Schul betrieb anerkennt, soll sich um keinen Grund weiter bemühen (Sehr richtig! b. d. Dem. u. links); das ist eine Sache des Glaubens. Aber ich muß darauf aufmerksam machen, daß wir damit zurückkämen in Verhältnisse, die wir überwunden zu haben glauben. Wenn man so weit geht, so stellt inan eben über alle pädagogischen Erwä gungen, über alle anderen Erwägungen das rein Kon fessionelle. Und diese Überspannung des Prinzips be kämpfen wir. Damit treten wir weder der Bedeutung, noch der Würde, noch der Wahrheit des Bekenntnisses irgendwie zunahc, sondern wir sagen nur, es soll nicht überspannt werden und soll nicht auf Verhältnisse aus gedehnt werden, daß darunter die Erziehung selbst leiden muß. Teun das ist selbstverständlich: wenn wir dahinkommen, einklassige Schulen für geordnete Schul betriebe zu erklären, werden unsere Schulen ausgelöst in Atome, und das kann und soll nicht der Sinn einer Schulentwicklung sein. Wir wollen nicht etwa, daß die Neichsschulgcsetz- gebung irgendwie verzögert oder aufgeschoben wird, sondern wir verlangen ein Reichsschulgesetz; wir verlangen aber ein Reichsgesetz, das die Verfassung ausführt und das nicht irgendwelchen zufälligen politischen Konstellationen die Möglichkeit gibt, ihre Ansicht durchzusetzen. Wir wünschen eine Schul gesetzgebung, die zunächst einmal der Einheits- und Gemeinschaftsschule die Stellung gibt, die ihr verfas- ungsmäßig gebührt, und die dann die Möglichkeiten chafft, in besonderen Fällen eben jene Sonderschulen j U schaffen. Wir fordern zweitens, daß der Staats- wheit der Anspruch auf die Schule erhalten bleibt, und )ie Gewissensfreiheit und die staatsrechtlich durch die Verfassung gewährleisteten Rechte des Lehrers gewahrt und über dem Trennenden das Einende betont bleibt. (Bravo! b. d. Dem.) Der Antrag Nr. 1524 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, bei der Reichsregierung auf die unverzügliche Verabschiedung eines Ausfüh rungsgesetzes zu Art. 146 der Reichsverfassung (Reichs schulgesetz) hinzuwirken. Abg. Hickmann (Dtsch. Vp.—zur Begründung): Die Reichsverfassung hat dadurch, daß sie oem Reiche die kulturpolitischen Aufgaben angewiesen hat, dem Reiche eine unerhört schwere Verantwortung aufgelastet. Bisher hat das Reich auf diesem Gebiete im wesentlichen ver sagt, was in den schweren Jahren, die hinter uns liegen, ja ohne weiteres verständlich ist. Aber auch die kulturellen Aufgaben sind brennende Aufgaben, ganz befonders die Schulgesetzgebung. Hier ist der Zustand daß das Reich auch weiterhin seinen Verpflichtungen nicht nach kommt, um so weniger haltbar, als auf diesem Kultur gebiete der Sperrartikel Nr. 174 der Reichsverfassung jede weitere Entwickelung abschneidet und tatsächlich un- haltbare Zustände entstehen müssen. Besonders macht sich das m Sachsen bemerkbar, weil sich in unserem Lande der Sperrartikel des 8 174 gerade in dem ent- gegengesetzten Sinne auswirkt gegenüber dem, was mit diesem Artikel beabsichtigt war. Der Artikel wollte das früher bestehende Schulwesen erhalten bis zur end gültigen reichsgesetzlichen Regelung der Schulfrage., Für uns steht nun unter dem Schutze dieses SperrartikelS daS Schulübergangsgesetz, da- sich als eine völlig un brauchbare Grundlage für den Ausbau unseres Schulwesens erwiesen hat. Darum muß es gerade für uns in Sachsen die wichtigste Aufgabe sein, dafürzusorgen, daß endlichein mal die Schulgesetzgebung zu ihrem Ziele geführt wird, und daß gerade aus Sachsen an das Reich der Ruf er geht: Schnell zur Tat! (Zuruf b. d. Dtschnat. Vp) Um so bedauerlicher ist eS, daß die ganze Sache durch die Umbildung der ReichSregierung wieder verzögert wird. ES ist gar keine Frage: als der christliche Teil unserer Bevölkerung hörte, cS sei endlich der Reich--