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Ganz konkret bezieht sich Strauss auf dessen Schrift »Der Antichrist. Fluch auf das Christentum«. Dem Philosophen und dem Musiker war die Ansicht gemein, dass in der Überwindung des Christentums die Lösung für zahllose Menschheitsprobleme läge. Und so schrieb Strauss seine Alpensinfonie letzten Endes als eine musikalische Analogie auf das Werk des von ihm verehrten Nietzsche. Schlussendlich geht Strauss’ Alpensinfonie folglich weit über schlichte Programmmusik, also das bloße Schildern einer Handlung durch Instrumentalmusik, hinaus. Vielmehr handelt es sich um litera rische Bilder, wie sie auch immer wieder in Nietzsches Schriften zu finden sind. Häufig begegnet dem Leser hier das Motiv des einsamen Wanderers, der in der Natur, regel mäßig ganz konkret in den Bergen, zu der geistigen Stärke gelangt, mit Gott eins zu werden. Eine Position, die Strauss im Übrigen mit Nietzsche teilte. Musikalisch findet sich dieses Streben im Sinne einer kontinuierlichen Be wegung in einem Wandermotiv wieder, das das gesamte Werk durchzieht. Strauss hat dieses Motiv als einen punktierten Schreitrhythmus angelegt, der sich als Basis für alle klangfarblich-tonmalerischen Passagen — das Plätschern des Baches, das Flirren des Wasserfalls, das Herdengeläute auf der Alm oder die Brachialgewalt von Gewitter und Sturm — entpuppt. Darüber hinaus knüpft Strauss immer wieder an wegweisende Werke seiner Kollegen an: Der Anfang erinnert in seiner Klangfarbe an Schönbergs »Verklärte Nacht«, der jubelnd hervorbrechende Sonnenaufgang ist an Wolframs Passage »Dies ist ihr Fragen, dies ihr Flehen« aus Wagners »Tannhäuser« angelehnt, und die am Gipfel aufleuchtende Melodie hat Strauss sich im langsamen Satz von Max Bruchs erstem Violinkonzert abgelauscht. Doch Strauss wäre nicht Strauss, wenn er sich nicht um eine raffinierte Kostümierung dieser Anleihen bemühte. Insgesamt ist die bewusste Arbeit mit dem immensen Orchesterapparat eine der großen Stärken der Alpensinfonie und zeigt Strauss als den genialen Sinfoniker, der er war. Dass er in seiner letzten Tondichtung äußerst effektvoll Komponisten im Übrigen bestens bewusst gewesen zu sein, schließlich schrieb er an einen jungen Dirigenten: »Viel Vergnügen zur Alpensinfonie, die ich auch besonders liebe. Sie ist von der hohen Intelligenz stets unterschätzt worden. Sie klingt allerdings auch zu gut!« ISABEL SCHUBERT zu Werke gegangen ist, scheint dem ÜBER DIE AUTORIN Isabel Schubert (*1987) studierte Historische Musik wissenschaft (M.A.) und Finnougristik (B.A.) an der Uni versität Hamburg. Nach einem Forschungsaufenthalt in Budapest sowie Tätigkeiten für das Festival Hamburger Ostertöne, die Hamburg Musik gGmbH und die NDR Media GmbH ist sie seit 2016 Programmheftredakteurin bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern.