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364 — Waffen unv flohen zur Armee. Des andern Ta ges saß ich bei den Meinigen — Eines suchte bei dem Andern eine Hoffnung zu erwecken,, die es selbst nicht hatte. Plötzlich kündigte uns der Ka nonendonner das Anrücken der Feinde an, und da der Schall immer näher kam, so blieb uns kein Zweifel über das Schicksal der Hauptstadt. Alles flüchtete aus seinen Wohnungen; wir thaten das selbe, geriethen aber beim Kremml in ein unge heures Gedränge — ich wurde von meiner Mut- i»r und meinen Schwestern getrennt, und all mein Rusen, alle meine Anstrengungen, sie wieder zu finden, waren umsonst. Zm Geräusch der Was sen und im Lärm des tobenden Bölkes verlor sich meine schwache Stimme. Der Feind näherte sich dem Kremml -7- die höchste Angst machte mich 'kalt und besonnen. Ich nahm meine Zuflucht in die Kirche des heiligen Michael? zu den Gräbern der Czaare und bat ihre Schatten, mich zu schir men und ihr Land und die Stätte ihrer Ruhe. Sie hörten mich nicht. Aus dem heiligen Frieden der Lodten wurde ich hinweggerissen!" Bei diesen Worten brach die arme'Kathinka in einen Strom von Thränen aus, und gab sich nickt die Mühe, sie zu trqcknen. Sie warf sich zu den Füßen des Generals^ und beschwor ihn, ihr Un glück zu ehren, und M den Ihrigen wieder zu ge ben. Auf diesen aber wktkte Kathinka's Schön heit mächtiger, als ihr Jammer; doch wußte er sich zu verstellen. Er-bot ihr in seiner Wohnung eine Freistätte an, und gab ihr das feierlichste Ver sprechen, seinen ganzen Einfluß anzuwenden, um den Aufenthalt ihres Vaters und ihrer Mutter zu erfahren. Kathinka lies sich täuschen von den glatten Worten, denn sie war offen und unschul dig, und dem Verführer konnte es nicht schwer werben, ihr argloses Herz zu umstricken. Er be wies gegen sie so viel Lheilnahme und Zartheit, es schien ihm so angelegen, Nachricht von ihren Eltern einzuzkehen, er war dabei so bescheiden, so aufmerksam auf alle ihre Wünsche und Bedürfnisse, daß er ihre höchste Dankbarkeit und ihr ganzes Vertrauen gewann. Sie glaubte, ihre Ehre nicht besser verwahren zu können, als wenn sie solche, unter einem geheiligten Namen, in seine Hand legte. Die arme Kathinka! Während sie sich als die Gattin des schändlichen Räubers betrachtete, sah jedermann in ihr nur eine unglückliche Gefallene. Der General war vkrheirathet und seine Gattin lebte in Frankreich. Auf dem schrecklichen Rückzüge von Moskau folgte Kathinka ihrem vermeinten Gatten, und thellte mit ihm alle Mühen und Beschwerden. Am. 6. November erreichte die französische Armee Do- roghobui; von da hatte sie noch drei Tagemärsche bis Smolensk. Das Elend war unsäglich. Der Schnee siel in dicken Flocken, und Himmel und Erde schien in einander zu stäuben. Der Sturm heulte fürchterlich durch die öden Wälder, und wo hin das Auge sich wendete, erblickte es eine un r- meßliche Schneewüste. Lausende sanken um ror Hunger und Kälte. Einige riefen sterbend den Namen ihrer Eltern, ihrer Heimath, viele stießen Verwünschungen aus gegen den Urheber all' die'er Drangsale. Zahllose Leichenhügcl erhoben sich un ter dem Schnee. Schwärme von Naben zogen von der Ebene her nach den Wäldern, und ihr furchtbares Gekrächz weiflagte dem flüchtigen Heere sein Verderben. Schaarrn von Hunden folgten von Moskau her den einzelnen Haufen nach, und stürzten sich gierig auf die, welche als Leichen zu- rückolieben. In solchem Zustande langten die Fran zosen in Doroghobui an, von welcher Stadt nur noch wenige Häuser standen. Es fehlte aber nicht Nur an Wohnungen, sondern auch an Lebensmit teln, besonders an geistigen Getränken. Die Lei den des Augenblicks wurden noch dadurch vermehrt, daß auch Smolensk mit seinen Magazinen größ- .tentheils zerstört und an Winterquartier daselbst nicht zu denken war. Auch die Tapfersten verzag ten jetzt in dieser hülflosen Lage. Nur die unglück liche Kathinka bewies eine seltene Standhaftigkeit. Sie trug unter dem Herzen die Frucht einer Ver bindung, welche sie für rechtmäßig hielt, und dies machte sie so stark. Ein neues, schönes Band hatte sich um sie und den Mann geschlungen, der ihr so theuer war! Doch kaum erfuhr dieser Elende, daß der Rückzug unaufgehalten bis Wilna gehen sollte, als er den Entschluß faßte, sich ihrer zu entledigen. Mit einer Seele voll Treulosigkeit und einer Brust ohne Mitleid näherte er sich dem schuldlosen Geschöpfe, und kündigte ihr unter schein barem Vorwande an, daß sie sich trennen müßten. Ein Todtenschauer durchlief Kathinka. Nein, rief sie, ich habe Dir Alles geopfert, Vaterland, Eltern und Ehre, der Himmel kann mich verstoßen, denn gegen ihn habe ich gesündigt, aber Du kannst es nicht, oder Du mußt mir meine Treue zum Ver brechen machen. Vor Gott bin ich Deine Gattin, und kein Elend, keine Leiden und Entbehrungen sollen mich abhalten, Dir zu folgen. Der Unmensch versicherte ziemlich kalt: Die Um»