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1463 ' — Drr augsburger Allgemeinen Zeitnng schreibt man auS Berlin vom 3. Aug : „Ucbrr den Llodus vi vendi mit der Curie bringt eine Depesche auS Rom, die sogar in der Indipedance beige Aufnahme gefunden hat, eine Mittheilung, die nur bei den mit den preußischen Maigesetzen unvertrauten Lesern Glau ben finden wird. Eine Verabredung zwischen dem Papste und dem Fürsten Bismarck, durch welche die preußische Regierung sich verpflichtet, da» Gesetz über die kirchliche DiSciplinargewalt und den geistlichen Ge richtshof nicht mehr anzuwenden, gehört offenbar in da» Gebiet der Märchen. Darüber, daß eine Bei legung de» Culturkampfes durch Nichtanwendung be stehender Gesetze nicht möglich sei, hat Fürst Bismarck schon im vorigen Sommer dem Nuntius Masella in Kissingen die erforderliche Aufklärung gegeben. ES ist wol möglich, daß der Personenwechsel in der Mün chener Nuntiatur der Curie die Gelegenheit geben solle, eine entgegenkommende Stellung einzunehmen; aber auf Grundlagen wie die neuerdings gemeldeten wird der Friede zwischen hier und Rom nicht geschloffen werden. Die «Germania» weiß das so gut wie wir und deshalb geht sie mit so vornehmer Manier über , die römischen Erfindungen zur Tagesordnung. Für das Centrum ist die Zeit der Prüfung noch nicht vorüber." — Die Provinzial-Correspondenz schreibt: „«Wer foyte nicht bedauern, daß die Politik des Reichs kanzlers so viele köstliche Kräfte vor der Zeit ver- nutzt?» So lautet der Ausspruch eine» als Patriot und Gelehrter gleich hochachtbaren Abgeordneten (Hrn. v. Treitschke). Man kann sich denken, mit welchem Eifer ein Ausspruch wiederholt wird, der von einer Seite kommt, die, wie man glaubt, nur tadelt, wo drr Tadel auf keine Weise zu verschweigen ist. E» kommt aber auch vor, daß wohlmeinende Männer Und treue Patrioten glauben, nach der Ruthe de» Tadels greifen zu müssen, um nicht als befangene Freunde zu erscheinen. Dabei greift man dann nach dem ersten besten Anlaß, ohne die Thatsachen gründlich zu prü fen Es kommt ja nicht darauf an, einen wirklich festgestellten Fehler zu rügen, sondern darauf, einen Kreis zu beschwichtigen, der um jeden Preis ein Wort , deS Tadels hören will. Eine andere Erklärung ist für den obigen Ausspruch nicht wohl zu finden. Die Erinnerung an die in Betracht kommenden Thatsachen wird dies beweisey. Im December 1862 war das erste Ministerium Bismarck vollständig gebildet. Es zählte außer dem Ministerprästbenten die Minister v. Roon, v. Bodel- schwingh., v. Mühler, Graf Lippe, Graf Itzenplitz, Graf Eulenburg und v. Selchow. Die erste Perso- nalveräyderung erfolgte am 2. Juli 1866, wo der Finanzministep v. Bodelschwingh in dieser Stellung durch v. d. Heydt ersetzt wurde. Die zweite Verän derung erfolgte am 2. Dec. j867, wo der Iustiz- minister Graf Lippe durch Leonhardt ersetzt wurde. Die dritte Veränderung war die Ersetzung des Finanz- Ministers v. d. Heydt durch Camphausen im October 1869; bald darauf wurde auch der Präsident des mit der Gründung deS Norddeutschen Bundes geschaffenen RcichSkanzleramtes, vr. Delbrück, zum Staatsminister ernannt. Eine vierte Veränderung erfolgte im Jahre 1872, wo vr. Falk an Stelle v. Mühler's zum Cul- tuSminister berufen wurde; eine fünfte 1873, wo an die Stelle der Minister v. Selchow und Graf Itzenplitz „Geld", denn da das „Billige" nach Hrn. Reuleaux' Ansicht auch „schlecht" ist, so mußten sich unsere Her ren Industriellen, indem sie das Beste ihrer Branchen ausstellten, durchaus bestreben, jenen geflügelten Wor ten eines ja ganz unbestritten großen Kenners deut schen GewerbfleißeS aus dem Wege zu gehen. Für mich bleiben immer die beiden Gruppen die interessan testen, welche die physikalischen Werkzeuge und die staunenerregenden Fortschritte auf dem in den Dienst Ler Telegraphie genomnienen Gebiete der Elektricität darlegen und die gewaltigen Maschinen zeigen, die mit voller Dampfkraft arbeiten in jenem Rayon, der sich hinter den Bogen der Stadtbahn in offenen Hallen oder auf freien Plätzen hinzieht. Man muß al» aka demisch geschulter Mensch, der seine römischen und griechischen Classiker bestens verdaut und sich aus ihnen jene Weisheit geschöpft hat, welche die alten Stock philologen „hunianiore Bildung" zu nennen belieben, sich doch recht beschämt eingestehen, daß in der Kennt- mß aller dieser neuen Erfindungen der Physik und Chemie jeder einfache Arbeiter uns um viele Kopf längen überragt! Unserer Gymnasialjugcnd erscheinen Physik und Chemie als die Aschenbrödel der Wissen schaft und doch sind beide die nie ruhenden Factoren, auf die sich unser ganzer so immenser Fortschritt gründet! Siemens u. Halske sind die nie rastenden Matadore dieser beiden so wichtigen Factoren des Fortschritts, und man ist es ihnen durchaus schuldig,' eine kurze Fahrt auf der elektrischen Eisenbahn zu machen, zumal der billige Fahrpreis von 20 Pf. einem mildthätigen Zwecke zugute kommt. Punkt 11 Uhr an jedem Vor mittag beginnt die Fahrt. Hinter der ganz eigen- Graf KönigSmarck und Achenbach traten; eine sechste im November desselben IahreS, als die Gesundheit . des KriegSministerS v. Roon ihm die Fortführung des AmteS unmöglich machte. Im Jahre 1875 übernahm Friedenthal ^>aS landwirthschaftlichc Ministerium und im April 1876 trat der erste und einzige Wechsel im Präsidium des Reichskanzleramtes ein. Im Jahre 1878 trat Graf Eulenburg von dem Ministerium deS Innern zurück, welches er 16 Jahre bekleidet hatte; desgleichen Hr. Camphausen von dem Finanzministe rium, welches er 9 Jahre verwaltet, und Hr. Achen bach von dem Handelsministerium, welches er 5 Jahre verwaltet hatte. Im laufenden Jahre ist dann der Rücktritt der Minister Falk, Friedenthal und Hobrrcht erfolgt. Ueberblickt man diese Veränderungen, welche sich auf einen siebzehnjährigen Zeitraum vertheilen, einen Zeitraum überdies der folgenreichsten Entwickelungen und Neugestaltungen, so wird man über ihre geringe Zahl erstaunt sein. Die ausscheidenden Minister waren zum Theil hochbejahrte Männer, wie Bodelschwingh, Heydt, Roon, oder sie hatten, wie Graf Friedrich zu Eulenburg, einen schweren Posten 16 Jahre hindurch unter schweren Zeitumständen verwaltet. Nur einer von den Ministern, welche College» des Reichskanzlers geworden, hat sein Amt wenig über 1 Jahr bekleidet, Hr. Hobrrcht, sonst ist die geringste Zeit im ministe riellen Amte 4 Jahre, wenn man von der ebenfalls kürzer» Amtszeit des Grafen KönigSmarck absteht. Andere Dienstzeiten betragen 9—10 Jahre, wie bei Delbrück und Camphausen; die Rücktritte sind meist wegen langer Anstrengung im Dienste erfolgt, oder die wesentliche Veränderung der politischen Verhält nisse hat, aber dies nur in den seltener» Fällen, einen Einfluß geübt. Kann man da wol im Ernste sprechen von einer massenhaften «Vernutzung köstlicher Kräfte vor der Zeit?« In dem siebzehnjährigen Zeiträume der Amtsführung deS Fürsten Bismarck haben andere Länder 20—30 Wechsel der ganzen Ministerien und außerdem noch Wechsel wichtiger Posten in denselben erlebt. WaS England betrifft, so haben seit Palmer- ston'S Tode, 1865, nach einem kurzen Ministerium Russell verschiedene Combinationen von Toryministerien bis 1868 einander abgelöst, wo das Ministerium Glad stone eintrat, welches 1874 durch das jetzige Ministe rium ersetzt wurde. Innerhalb der Ministerien gleichen GesammtcharakterS haben aber fortwährend zahlreiche Personenwechsel stattgefunden. Es ist keine Uebertrei- bung, sondern die statistisch begründete Wahrheit, daß eine Festigkeit der höher» Staatsämter wie im Deut schen Reiche und in Preußen sich in keinem Lande der Erde wiederfindet." — Die Provinzial-Cörrespondenz enthält einen Artikel mit der Ueberschrift: „Die Bekämpfung des re- formirten Tarifs", in welchem sie sagt: Der Eifer der Gegner, welcher der Ausführung der neuen Tarifpolitik keine Ruhe und keine ungemischte Er fahrung gönnt, die-Waffen, deren sie sich zu diesem Zweck bedienen, alle« zeigt deutlich, daß die WirthschastSreform, ungeachtet sie ein?» gesetzlichen Abschluß erreicht hat, die praktische Hauptfrage der nächsten Zukunft bleibt. Es kommt daraus an, da« Werk in seinem Bestände und iu seinen Wirkungen gegen eine feindliche Agitation zu schützen, die sich aller Mittel bediente Die Dinge stehen in keiner Weise so, daß man dieses gesetzlich abgeschlossene Werk seinem natürlichen Gange überlassen und sich andern Fragen zuwenden könnte. Auch die politischen Wahlen, die zunächst zu erwarten sind, können keinen andern Gegenstand haben. thümlich, abweichend von der gewöhnlichen Form der Lokomotiven, construirten Locomobile befinden sich drei doppelsitzige, offene, kleine Wagen. Der Train kann etwa 30 Personen befördern, wenn je fünf Passagiere dos-L-dos auf jedem Waggon Platz nehmen. Auf der ganz schmalspurigen Eisenbahn geht die kleine Reise schnell und ohne, quälenden Rauch und Kohlen dunst vor sich. Man ist in etwa 3 Minuten am Ziele. Von der Wirkung des elektrischen Stromes, der den Zug befördert, merkt man absolut nichts, es ist, als wenn irgendeine geheimnißvolle Macht (glück lich, daß wir nicht mehr in den finstern Zeiten deS Glaubens an Hexen und böse Geister leben, sonst wären die genialen Erfinder sicherlich verbrannt wor den) diese Diminutivwagen in Bewegung setzte. Ach wie schön wäre es, wenn die Kraft der Elektricität die Riesenkraft des Dampfes ersetzen könnte, wenn wir ohne Kohlenstaub durch die herrlichen Gauen Deutschlands so schnell, so sicher, so geräuschlos, so ohne alle Gefahr, daß einmal ein überheizter Dampf kessel springen oder ein falsches Signal uns auS dem Gleis bringen möchte, fahren könnten! Im FremdenbuLe de« Brockenhotels finden sich die nachfolgenden Verse eingetragen: vr. Falk'S Denkmal, projectirt von Hrn. Cremer, ehemaligem Redacteur der «Germania«. Breslau, 4.Juli1879. Ein steinern Denkmal soll für Falk Der hohe Blocksberg tragen. Gesprochen hat's ein Narr, ein Schalk; Doch, wie die Väter sagen, Den Narren Pflegt manch wahres Wort Voll tiefen Sinns zu glücken, E« gilt, ein gesetzlich feststehende« Werk nicht trotz diese« Abschlusse« gefährden und vereiteln zu lassen. Die Wähler, die da« Werk schützen wollen, werden da« Abgeordneten mandat nicht in die Hände von Feinden der Wirthschaft«- resorm legen dürfen, die ihr nicht einmal die Probe ge statten. Aus der einen Seite steht der Freihandel, der ent weder da« Deutsche Reich durch Verminderung seiner Staats mittel schwächen oder zu unerträglichen direkten Steuern führen muß, während er die wichtigsten Zweige der na tionalen Arbeit einem rasch sich vollziehenden Untergänge überläßt. Auf der Gegenseite steht da« System der mäßigen Schutzzollpolitik, verbunden mit einer Au«bildung der in- directen Steuern, welche den zur Erhaltung der deutschen Selbständigkeit und StaatSbedeutung unentbehrlichen Auf wand aus die für den Steuerzahler mindest drückende Weise einziehen, während den dauernden Quellen de« nationalen Wohlstände« und der nationalen Ernährung die Möglichkeit gewährt wird, sich ungefährdet von einer erdrückenden Lon- currenz zu entfalten und zu behaupten. Die Losung der Wahlen kann keine andere sein al«: nationale Arbeit und Selbständigkeit, oder Abhängigkeit de« Nationalwohlstande von den Handlangerdiensten für den Absatz fremder Er- zeugungSläuder, für die Leistungen fremder Industrien, die e« m der Hand haben, diese Dienste jeden Augenblick aus- zukllndigen und dadurch dem deutschen Volke zugleich mit der wirthschaftllchen die Politische Existenz zu schmälern oder zu rauben. — In einem Berichte, den der Reichstagsabgeordnete Professor vr. BoretiuS in Halle, Mitglied der national-liberalen Faction, seinen Wählern erstattet hat, wird zunächst vom preußischen und norddeutschen Standpunkte aus gegen die neue Zollpolitik angekämpft. So heißt eö unter andcrm darin: Wir in Norddeutschland schneiden un« in unser eigene« Fleisch, wenn wir jetzt unserer altpreußischen Zollpolitik den Rücken kehre» und unter der Leitung eine« würtembergi- schen Minister« unsere Interessen denen von Süd- und Westdeutschland dienstbar machen. Für uns in Norddeutsch land wird unzweifelhaft der Vortheil einzelner weit über wogen werden durch die Benachtheiligung der großen Mehr heit. Es kann gar nicht ander« sein, al« daß durch Ver- theuerung der Rohstoffe und Halbfabrikate viele Erwerbs zweige erschüttert und sieb anders einzurichten haben werden. Unsere Eisenbahnen müssen, indem die Zölle mindesten« doch den Durchgangsverkehr (z. B. von Ungarn nach Eng land) vermindern werden (?), noch unrentabler werden, al« sie vielfach schon bisher waren. Der Verkehr, der früher Memel und Königsberg, Danzig und Stettin zugute kam, fängt schon jetzt an — alles zum „Schutz der nationalen Arbeit" —, russischen und österreichischen Häfen sich zuzu wenden, um von dort seinen Weg nach Skandinavien, Eng land und Frankreich zu suchen, und überhaupt werden un sere industriearmen Ostseeprovinzen am meisten zu leiben haben zu Ehren der Eisenbarone und Spinnereiherren.. Am schwersten fielen für mein Urtheil gegen den Tarif die Zölle auf Getreide, daneben aus Fleisch, Speck und Schmalz ins Gewicht. Daß sie der Landwirthschast nicht Helsen kön nen, haben im Reichstage Landwirthe der verschiedensten Fraciioneuj der altconseivative Hr. Flügge, be^freicoüferva- tive Hr. v. Behr, der fortschrittliche Hr. v. Saucken, schla gend dargethan; andere, wie die Herren v. Wedell und v. Maltzahn, befreundeten sich mit den Kornzöllen nur durch das Argument: wenn alles Zölle einheimst, wollen wir wenigstens auch nicht leer ausgehen. Ich sehe namentlich in dem Roggenzoll einen schweren von den besitzenden Klaffen begangenen Fehler. Mit dem Roggen steht c« ganz ander« wie mit dem Petroleum. Während der Wohlhabende mehr Petroleum al« der Arme bedarf, braucht umgekehrt der Arme mehr Brot al« der Wohlhabende und wird daher, wenn der Roggenzoll überhaupt etwas einbringt, durch ihn stärker als dieser belastet. Zuletzt spricht er sich sehr scharf gegen Bismarck auS, indem er sagt: Eine so gewaltsame, rücksichtslose, das in« Auge ge faßte Ziel nichts weniger als wählerisch in den Mitteln verfolgende Natur wie die de« Fürsten Bismarck bedarf dringend auch de« Widerstandes überhaupt wie der parla mentarischen Opposition insbesondere, wenn sein kühner So soll denn Falk, der Schulen Hort, Getrost den Blocksberg schmücken. Den Berg, defl' stolze« Felsenhaupt Begrüßet jene Lande, Wo dir die Krone ward geraubt, Du stolze Römerband«! Den Berg, der viel berichten kann Von Sieg, trotz eurer Tücken. Wie sollte Falk, der deutsche Mann, Nicht gern den Blocksberg schmücken! Der Teufel hat ja längst geholt Den Teufel, den ihr hegtet, Auch jene Gluten find verkohlt, Die ihr so herrlich Pflegtet. Wen schreckte noch der Teufel Tanz Auf Blocksbergs blauem Rücken? Getrost in unserer Tage Glanz Mag Falk den Blocksberg schmücken. Noch einmal sieht er ohne Qual Um Rothbart'S Berg euch fliegen. Er gönnt euch gern ein Hungermahl Und lacht zu euren Siegen. Den er erwachsen sah, den Geist, Wird keine Macht erdrücken. Der Falk, den unsre Schule preist, Soll schön den Blocksberg schmücken. — Für Briefmarkensammler der ganzen Welt dürfte die Nachricht nicht ohne Interesse sein, daß das General postamt zu Washington neue Postmarken hat anfertigen lassen, welche unvollständig frankirten Briefen aufgeklebt werden und den Portobetrag repräsentiren, welcher vom Empfänger des Briefe« nachzuzahlcn ist. — Der Professor der classischen Philologie in Basel, vr. F. W. Nietzsche, in literarischen Kreisen als Kritiker und Schopenhauerianer bekannt, ist wegen gänzlich erschütterter Gesundheit (Nietzsche zählt erst 34 Jahre) in den Ruhestand versetzt.