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ZUR EINFÜHRUNG Zeitdokumente Aus Clara Schumanns Tagebuch 1. Oktober 1 856 Johannes hat einen prächtigen ersten Concertsatz componirt, der mich ganz entzückt durch seine Großartigkeit und Innigkeit der Melodien. Johannes Brahms an Clara Schumann Düsseldorf, 30. Dezember 1 856 Ich schreibe dieser Tage den ersten Satz des Konzerts ins Reine, erwarte den letz ten Satz begierig von Joachim. Auch male ich an einem sanften Porträt von Dir, das dann Adagio werden soll. Johannes Brahms an Clara Schumann Hamburg, 28. Februar 1 858 Mein Konzert wird also auch nicht hier gemachtl Alles echt hamburgisch . . . Heute abend spiele ich Ave und Gräde- ner (der es noch gar nicht kennt) mein Konzert vor. Am ersten Satz habe ich fürchterlich geübt. Ich glaube nicht, daß Du ihn aushalten wirst. Oder ob meine Angst vor dem Zusammenspiel mir alles vergrößert. Aber ich möchte, ich könn te einmal das Adagio und Rondo von Dir öffentlich hörenI Joseph Joachim an Clara Schumann Hannover, 24Januar 1859 Liebe Frau Schumann, wir haben ge stern Abend also Johannes Concert vor einem hohen Hannoverschen Adel und sonstigem Publicum, ja selbst vor sämtli chen allerhöchsten Herrschaften ge spielt. Und es ging sehr gut! Es wurde das Concert sogar durch Hervorruf des Spielers und Componisten geehrt, des sen Bücklinge so aussahen, als wollte er nach Untertauchen im Wasser die Feuch tigkeit aus den Haaren schütteln. Er hat sich aber sonst sehr aut aufgeführt, na mentlich sehr erträglich und im Tacte ge spielt, und ist wirklich ein ganzer Kerl! Sie wissen, wie sehr ich das Concert lie be, und ich kann sagen, daß im gan zen meine Neigung dazu durch die Auf führung bestätigt wurde, obwohl ich empfand, daß Einiges im ersten Satz ru higer, gedrängter werden muß. Aber herrlich ist das Adagio und voll wunder barer schöner Einzelheiten der letzte Satz, namentlich der Schluß von präch tiger Ursprünglichkeit und Frische. Lang sam, aber desto sicherer wird sich die Empfindung für das Genie unseres Freun des Boden bei den Musikern und in im mer weiteren Kreisen erringen, das ist mir klargeworden. Denn wer ist, selbst unter Musikern klar und tief genug, um gleich alle reichen Verschlingungen für wahre, aus der Tiefe einer mächtigen Phantasie entspringende organische Ge bilde, und nicht als Gesuchtheit zu er fassen? Wer wird denn das rücksichts lose Schwelgen in der angeborenen En ergie seines Characters gleich als den natürlichen Contrast einer bedeutenden Kraft gegen das weiche, träumerische Versenken verstehen, dessen Johannes mit seinem liebevollen Verständniß der leisesten Regung in dem Menschenher zen und der Natur fähig ist ?. . . Johannes Brahms an Clara Schumann Hamburg, 2. Februar 1 859 Ich hatte in Leipzig bis zum Konzerttag geglaubt, Du müßtest kommen! Ich war sehr enttäuscht, als ich bis zuletzt verge bens gewartet hatte. Ich fand es in Leip zig so ennuyant wie sonst, wüßte auch nichts und niemand, das oder der mir besondere Freude gemacht hätte. Mein Konzert ging sehr gut, ich hatte 2