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OrkeberrecbtZsckutr: /Vukcvürts-Verla^ 6. m. b. bl. Lcrlin tj Nachdruck verboten. Sie dachte, das käme von der großen, überraschenden Neuigkeit, in die sie so jäh und unvorbereitet hinein gerissen worden war. Sie flüsterte vor sich hin: Ich habe dich lieb, Onkel Alfred! Und dann fiel ihr ein, Onkel durfte sie ihn nun nicht mehr nennen, dessen Frau sie werden wollte. Sic sagte leise: Alfred! Aber es klang ihr fremd. Sie grübelte: Man muß sich an solche Dinge Wohl erst gewöhnen, und eigentlich lohnte es nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen — das fand sich schließlich alles von selbst. Vorläufig wußte sie nur, ihr war ein großes Glück beschieden, um das man sie glühend beneiden würde. Und herrlich war es, daß sie nun immer hierbleiben durfte in dem alten feudalen Hause, und daß sie einen berühmten Namen tragen würde, und daß er gerade sie begehrte, er, den man so feierte und verehrte. Du törichtes Bangen in der Brust, schweige endlich. Was drängst du dich in die Glücksstunde der blonden Maria Franz' Viertes Kapitel. Alfred Heldberg saß Maria am Frühstückstisch gegen über; aber er fühlte deutlich, die unbefangene, fröhliche Stimmung, die sonst immer während der ersten Tages mahlzeit geherrscht hatte, wollte sich heute nicht einstcllen. Maria kam ihm fast ein wenig steif vor. Sie nannte ihn mehrmals „Onkel" und verbesserte sich dann errötend „Alfred". Aber auch er fand nicht mehr den Ton von früher, seit er Maria von seiner Liebe gesprochen. Doch schließlich war das wohl alles ganz natürlich. Tie Hochzeit sollte bald stattfinden, und damit ging das jetzt etwas peinliche Verhältnis sofort zu Ende. Er überlegte — eigentlich durfte er jetzt auch nicht mehr mit Maria unter einem Dach leben. Bis zur Hochzeit würde man sich trennen massen. !> Er besaß eine angeheiratete Kusine, sie war Witwe und fünfzehn Jahre älter als er, also bald eine Sechzigerin, an sie wollte er in der Sache schreiben. Wenn sie, was recht selten geschah, alle Jubeljahre einmal nach Berlin kam, besuchte sie ihn, und sie kannte natürlich auch Maria. Sie Würde Maria wohl für einige Wochen bei sich aufnehmen. Sic wohnte in Frankfurt am Main, und er hatte sie ein mal mit seiner Frau besucht. Am Mainufer stand ihr Haus, und dunkelsilbern zog der alte Strom dicht daran vorbei. Es war ein historisches Haus, uralte Geschehnisse knüpften sich an seine Mauern, die so stark und fest waren, daß sie, die schon zwei Jahrhunderten getrotzt, wohl noch einmal die gleiche Zeit und länger aushalten würden, wenn es nötig wäre. Bei Berna Sickhardt würde Maria gut aufgehoben sein — der matte Briefwechsel, der ihn und Berna Sickhardt verband, war immer herzlich ge blieben. Er sprach zu Maria davon, daß sie nun bis zur Hochzeit fori müsse, da meinte sie traurig: „Das sehe ich eigentlich nicht ein, cs wäre doch lächcr- liw, daß ich, weil ich deine Frau werden will, hier weg soll." Ihr Blick wurde feucht von jäh anfsteigcndcn Tränen. „Ich werde mich dort am Main gar nicht wohl suhlen und immer Sehnsucht haben nacb allem hier und nach dir, Onkel!" Er verbesserte sie lächelnd: „Onkel? Ist der Name Alfred so schwer?" Sie errötete. „Ich muß mich erst daran gewöhnen." Er lachte und befahl: »Jetzt sagst du, damit du es behältst, sechsmm ymter- «ander meinen Namen." Da lachte sie auch und zählte betont sechsmal seinen Namen aus. Er küßte sie dafür wie ein ganz Junger, der seine erste Liebe erlebt. Sie dachte mit leichtem Frösteln: Eigentlich wäre es viel schöner, wenn sie das Jmmer- beisammenscin mit dem von ihr so sehr verehrten Manne nicht mit Küssen bezahlen brauchte! Gleich nach dem Frühstück schrieb Alfred Heldberg an Berna Sickhardt, und drei Tage danach empfing er ihre Antwort. Sie schrieb in ihrer etwas kurzen, derben Weises Mein lieber Alsred! Daß Du ein großer Schauspieldichter bist, haben Berufenere als ich längst anerkannt, daß Du nun aber ein wirtliches Schauspiel in Szene setzen willst, gefällt mir nicht. Der Altersunterschied zwischen Deinem Mündel und Dir ist sehr groß, nach meiner Ansicht sogar zu grob; aber das wäre vielleicht nicht das Schlimmste. Viel schlimmer ist's, daß Maria seit sieben Jahren wie eine Tochter bei Dir im Hause lebt. Es ist fast, als ob einer seine Tochter heiraten will. Sie kann doch in dem Manne, zu dem sie als noch halbes Kind gekommen, nicht plötzlich den Galten sehen. Glaube mir, irgend elwatz stimmt an Deiner verliebten Rechnung nicht, und ich möchte Dich warnen. Sollte Dich Maria aber wirklich lieben, mag sie kommen und bei mir leben, bis Du sie „heimführst". Von mir wird sie kein aufsässiges Wort hören. — Kannst sie mir ruhig anvertrauen; ich freue mich sehr, für kurze Zeit ei» LstNges Weibgeschöps bemuttern zu dürfen. Was ich vorhin äußerte, war meine persönliche Meinung, die ich Dir für alle Fälle nicht vorenthalten wollte. Meine Meinung braucht ja nicht zu stimmen! - Es grüßt Dich und Maria herzlich Deine Bernhardine, genannt Berna Sickhardt. Mit sehr gemischten Gefühlen las Alfred Heldberg den Brief, und eine Stelle fraß sich förmlich in sein Hirn ei», tat ihm weh wie eine Wunde. Die Stelle: Es ist fast, als ob einer seine Tochter heiraten will! Tagelang kam er nicht darüber hinweg; doch schließlich beruhigte er sich mit einer anderen Stelle des Briefes: Sollte dich aher Maria wirklich lieben... Er atmete befreit auf. Ja, Maria, die junge, lichtblonde Maria, liebte ihn wirklich — und er entschloß sich, Maria zu Berna Sickhardt zu bringen. Dort war sie am besten aufgehoben. Eines Morgens reisten sie dann zusammen nach Frank furt am Main, und Maria, die erst gar nicht fort gewollt, schien unterwegs überhaupt nicht mehr daran zu denken, wie schwer ihr der Abschied von daheim geworden. Viel frischer und lebendiger war sie jetzt. Alfred Heldberg freute sich, weil es war, als ob das reizende Mädchen während der Fahrt noch schöner aufblühte. Und heimlich sann er, ob das vielleicht die Liebe machte. Frau Sickhardt war die Witwe eines Landgerichtsrats. Sie war dnrch ein Telegramm vorbereitet und holte beide vom Bahnhof ab. Sie war schlank und mittelgroß» ihr hellbraunes Haar schimmerte nur über der Stirn ein wenig silbern, und ihre klugen braunen Augen hatten sich Jugend glanz bewahrt. Sie umarmte Maria. „Wir kennen uns eigentlich nur recyt flüchtig, wollen aber jetzt gute Freundschaft schließen!" Ein Kuß auf die Wange bekräftigte die letzten Worte, und danach reichte sie dem Vetter die Hand. Drei Tage blieb Alfred Heldberg in dem alten Hause am Main, dann mußte er Heimreisen. Er wollte einen Roman vollenden und zugleich alles vorbereiten für Maria, wenn sie dicht vor der Hochzeit zurückkehren würde. Das Aufgebot war schon bestellt. Die Hochzeit sollte im Hause fein. Berna Sickhardt hatte zu Alfred Heldbcrg gesagt: „Weißt du, ich möchte das in meinem Briefe Gesagte zurücknehmen. Marias Augen hängen immer mit so strahlend gläubigen, Blick an dir, daß ich überzeugt bin, sie liebt dich wirklich. Ein Gotteswunder wäre das für dich! Deine Frau, Gott hab' sie selig, war etwas zu derb und haustüchtig für deine Künstlernatur — Großreine machen schien ihr wichtiger als eine Erstaufführung deiner Werke, und du brauchst Verständnis. Das zarte, feine Mädel kann dir das sicher geben. Also ich hoffe und glaube, die Ehe wird für euch beide das große Glück!" Zufrieden war er abgereist. Maria stand auf dem Bahnsteig und winkte ihm mit schneeweißem Tüchlcin nach, so lange sie ihn sehen konnte, der sich weit aus dem Abieilfenster lehnte und ebenfalls ein weißes Tüchlcin schwenkte. Wohl fühlte sich Maria in dem alten Hause am Main. Sie stand gern in dem vorgebauten Erker ihres Zimmers und schaute hinaus auf den Main, der wunder voll schimmerte und gleißte, wenn die Morgensonne ihn übersonnte oder das Tagesgestirn sich im Westen neigte und rötliches Gold auf das lcise Wogen des Wassers tupfte, daß es aussah, als lohttn Flammen aus der Tiefe. Herrlich war das, und wenn cs dämmerte, funkelten die Lichter des anderen Ufers herüber über den nun dunklen Strom, auf dem Hie Kähne ausruhten, die am Tage hier vorüberfuhren, stromauf und stromab. Fünftes Kapitel. Berna Sickhardt war sehr gut zu Maria uno ging ost mit ihr aus. Sie kleidete sie sehr elegant, Alfred Heldberg hatte ihr zu dem Zweck Geld hiergelasscn. So apart und schön sah Maria jetzt aus, daß man auf der Straße den Kopf nach ihr wandte und Berna Sickhardt stolz auf ihre junge Begleiterin war. Aber sie dachte dabei oft, an Marias Seite gehörte eigentlich ein anderer Mann als der untersetzte, etwas dickliche Alfred Heldberg, und wenn cr tausendmal ein ganz Berühmter war. Aber auch allein ging Maria aus, es gab ja so viel in der alten Krönungsstadt am Main zu bewundern. So stand sie eines Tages vor dem Römer und schaute über den Platz, den die alte Häuser so romantisch be grenzten. Vor Hunderten von Jahren hatte es hier nicht viel anders ausgesehen, nur die Menschen hatten sich seit dem gewandelt. Versonnen stand sie und ließ das Gesamt bild des Platzes, den man Römerberg nennt, aus sich wirken. Sie merkte in ihrer Versunkenheit nicht, daß sie beob achtet wurde. Ein großer schlanker Herr, so um die Dreißig herum, stand dort, wo eine der Gassen auf den Platz cin- mündete, und blickte wie gebannt zu ihr hinüber. Herr gott, War das ein bezauberndes Mäbell Und da er nicht zu den Schüchternen seines Geschlechts gehörte, überlegte er, auf welche Weise er ihre Bekanntschaft machen könnte. Sie schien fremd hier - nur Fremde stehen so in Ge danken eingesponnen aus dem Römerderg herum, der Ein heimische trabt einfach darüber weg. Ihm fiel keine Anknüpfungsart ein, außer einer sehr alten. Aber vielleicht fiel sie doch darauf herein. Mit sicherem Schritt, ein freudig überraschtes Lächeln aus dem Gesicht, ging er auf Maria Franz zu und streckte ihr die Recht« entgegen, rief vergnügt: „Welch ein Zufall, mein Fräulein, daß Wir uns hier Wiedersehen!" Marta erschrak bei der plötzlichen Anrede, und mechanisch gab sie dem ihr Fremden die Hand. Sie glaubte im ersten Moment, daß er sie von Berlin her kenne, oder daß er einmal bei Alfred Heldberg gewesen. Es kamen ja manchmal Herren zu ihm, die seiner Arbeiten wegen mit ihm zu verhandeln hatten, oder Bewunderer von ihm waren, die ihn sehen wollten oder ein Autogramm er baten. Der Fremde hielt die schmale Mädchenhand fest. „Ich freue mich ungemein; aber nun bleiben wir natür lich gleich ein wenig beieinander. Ich schlage vor, wir wollen zusammen Alt-Franksnrt neu entdecken!" Sie entzog ihm jetzt die Hand. „Verzeihen Sie, mein Herr, ich kann mich beim beste» Willen nicht an Sic nnd Ihren Namen erinnern!" Seine scharf geschnittenen Lippen lösten sich zu ver gnügtem Lächeln. „Name ist Schall und Rauch, mein Fräulein! Die Hauptsache ist doch, daß wir uns so unerwartet be gegneten. Für mich ist das wie ein großes Geschenk, über das ich mich mordsmäßig freue, und Sie sollten das auch tuu. So viel sei verraten: ich bin nämlich e5n sehr netter Kerl, und wenn Sic sich meiner auch nicht erinnern, ist das ja weiter nicht schUium. Wir können das richtige Kenncnlcrnen gleich nachbolen. Es ist zehn Uhr vor mittags. Wenns zwölf schlägt, w.'tDcn wir schon die besten Freunde der Welt jein. Außerdem bin ich ein famoser Führer. Ich kenne Frankfurt sehr gut, und Sic dürfen sich mir ruhig anvertranen. Mein Name ist..." Sie hatte sich endlich gefaßt und unterbrach ihn mit leichtem Stirnrunzeln: „Ihr Name interessiert mich gar nicht; aber ich begreife erst jetzt: Sie haben mich vorhin nur geblufft und kennen mich gar nicht." Sie wandle ihm schroff den Rücken und ging auf eines der nahen Gäßchen zu. Sic war nicht so verstimmt, wie es schien; ihr war eher nach Lachen zumute — die Frech heit des Fremden belustigte sie sogar. In dem Gäßchen blieb sie vor einem Antiquitätenladen stehen und zuckte zusammen, als der Fremde neben ihr austauchte. „Meine Allerungnädigstc, ein ganz Zerknirschter, von Neue völlig Zermürbter, bittet um Vergebung! Ich will meinen Ramen für mich behalten, ich will auch nicht forschen nach dem Ihren; aber erlauben Sie einem armen Sünder, der eigentlich verdient hat, gerädert zu werden, Ihnen eine Vormittagsstunde lang als Führer zu dienen. Sie sind doch hier fremd — nicht wahr?" Maria Franz hatte, so sehr sie dagegen ankämpfte, doch lachen müssen, und nun hatte der Dreiste aewonnencs Spiel. Sie erklärte: „Ja, ich bin hier fremd, und nichts macht mir mehr Vergnügen, als durch das alte Frankfurt zu wandern." Er fragte nicht mehr um Erlaubnis, er blieb einfach an ihrer Seite, und sie mußte zugeben, er wußte hier in all dem Gäßchengewinkel um den Römer und Dom herum gut Bescheid. Wie nett wußte er zu erzählen von den uralten Häuschen, an denen man vorbeiging. Ihre Namen und ihre Geschichte kannte er. Mittelalterliche Tage be schwor er herauf und bevölkerte die schmalen Wege, die sie schritten, mit bunt gemischtem Volk von damals, als cs noch Ritter und Reisige gab, Bürger in farbigem Wams und Frauen mit geschlitzten Aermeln und Hauben. Sie dachte nicht mehr daran, ihn zu verabschieden, und die Zeit verstrich wie im Fluge. Sie schaute und lauschte und warf auch gelegentlich einen Satz ein; manchmal lachten sie dann beide, wenn er etwas Drolliges sagte. Als es vom Domturm zwölfmal schlug, blieb Maria stehen und unterbrach ihren Begleiter: „Ich muß jetzt nach Hause. Nehmen Sie schönen Dank» und auf Wiedersehen!" Sie neigte den Kopf und bog in die nächste Haupt straße ein. , Er blieb an ihrer Seite: -Ich fasse das ,Auf Wiedersehen' als ein Verspreche., auf. Wann und wo darf ich Sie Wiedersehen?^ Sie errötete ein wenig. „Auf Wiedersehen! — das ist doch zum Grutz g«. worden wie irgendein anderer. Ich sagte es gedankenlos." Er bat: ' „Ich möchte Sie aber Wiedersehen. — Oder reisen Sie vielleicht ab?" .Sie verneinte: „Ich bleibe noch in Frankfurt. Aber ich habe keine Zeit, Sie wiederzusehen!" Sie sann dabei, ein bißchen traurig gestimmt; es war eigentlich schade, daß sie den Fremden nicht mehr Wieder sehen konnte — die zwei Stunle« mit ihm hatten ihr so viel Erleben in den engen Gassen der alten Kaiserstadt vermittelt, daß sie cs heimtrug wie einen Schatz, den sie unterwegs geschenkt erhalten. Sie grüßte noch einmal und ging. Er wagte es nun doch nicht mehr, neben ihr zu bleiben; aber er folgte ihr in einiger Entfernung. Sie wandte nicht ein einziges Mal den Kopf, und glaubte wohl, er wäre zurückgeblieben. Er beobachtete, daß sie einmal jemanden befragte, anscheinend nach dem Wege, und wunderte sich» baß sie dem Mainufer zuschritt. Er hatte sich vorgestellt» sie wohne in irgendeinem Hotel am Bahnhof. Er sah sie in einem Hause am Main verschwinden, einem alten, hübschen Hause, das die Gediegenheit des PatriziertumS umwitterte. Ob sie darin wohnte? Ob ^!c da^in „ur einen Besuch machte? --folgt.)