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(34. Fortsetzung.) Scholzchen tat an ihrem jungen Schützling, was sie nur irgend konnte, und Gerlinde dankte es ihr in ihrer rühren den Art nach Hester Kraft. Nun waren die tausend Mark, die Gerlinde sorglich auf die Sparkasse getragen hatte, für so andere Zwecke aüs- gegebcn worden, als sie es sich damals erträumt Hatje. Die Begräbniskosten, die hohe Rechnung des Spczialarztes hatten noch mehr als das verschlungen, und Gerlinde war mit einem Male in Schulden gekommen, die sie von ihrem kleinen Gehalt nur mühsam abtragen konnte. Scholzchen hatte Gerlinde mehr als einmal von ihren eigenen Ersparnissen angcboten; sie hatte ja ein stattliches Sümmchen auf der Bant. Aber Gerlinde brachte es nicht über sich, von ihrer Wohltäterin auch noch Bargeld zu nehmen. So sah denn die gütige alte Dame mit wehen Blicken, wie Gerlinde sich mühte, wo sie doch ohne viel An strengung hätte entspringen können. Aber sie verstand die Hemmungen in Gerlinde vollkommen und war viel zu feinfühlend, um sich gewaltsam aufzudrüngen. Die kleine Steinbrücksche Wohnung war inzwischen auf gegeben worden. Gerlinde war ganz zu der Direktrice übergesiedelt. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren verkauft; nur von einigen hatte Gerlinde sich nicht trennen können. Es waren die Lieblingsmöbel der Verstorbenen, die in Fräulein Scholz' Wohnung ausgestellt wurden. „Damit mein Herzchen sich ein bißchen daheim fühlt", hatte die Gute gesagt. Aber davon konnte wohl noch keine Rede sein. Zu frisch noch war der Schmerz um die Mutter in Gerlinde, um nicht bei jeder Gelegenheit auss neue wieder wach zu werden, und dann — noch eine furchtbare Sorge schleppte sie mit sich herum. Gerlinde zermarterte sich oft vor Angst j um das Schicksal ihrer Schwester Gisela. j Aus Paris waren ja aus diesem Krankenhause Saint t Jeanne zwar günstigere Nachrichten gekommen. Gisela hatte die Krisis überstanden. Ihre Jugend hatte den Sieg ! über den Tod davougctragcn; aber noch immer Ivar ; Gisela sehr schwach, und ihren Beruf auszuübcn, daran j konnte sie überhaupt nicht denken, wie sie erst heute wieder j mit schwacher Hand der Schwester mitgeteilt hatte I „... Zudem bin ich auch mit meinem Geld am Ende, ! Linde. Ich weiß ja, das; es Euch selbst nicht gut gehl; aber kannst Du mir nicht wenigstens eine kleine Summe Von den tausend Mark schicken, diedu aus der Sparkasse hast? Ich mutz die Krankenhauskosten hier bezahlen und dann sehen, wie ich wcitcrtomme..." Gerlinde war wie zerschlagen, als sic diesen Brief ge lesen hatte, zudem drehte sich ihr Herz bald um, wenn sie die ahnungslosen Worte der Schwester las. Sic hattc es nicht fertig gebracht, Gisela den Tod der Mutter während ihrer Krankheit mitznteilen. Die Schwester sollte sich erst kräftigen, damit der harte Schlag nicht ihre Gesundheit erneut schwer gefährdete. Die tausend Mark? Oh, wenn Gisela ähnle, datz sic schon längst verschlungen ware^! Ja, wenn die fünfhundert Mark von Doktor Sachs nur gekommen wären, die noch als Rest aus den Wagen zu zahlen waren. Sie waren schon am 30. Januar fällig gewcseu. Ob sie doch — Scholzchen bat? Aber Gerlinde schüttelte mit dem Kopse. Nein! Sie mußte versuchen, wie sie es söNigbrachtc. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sic würde zu Doltor von Sachs hingehcn. Er war ja schon lange wieder in Berlin. Vielleicht hatte er es nur vergessen oder besaß ihre neue Adresse nicht. * Klopfenden Herzens machte sich Gerlinde an einem Sonntagmorgcn aus den Weg. Es war der einzige Tag, der ihr für Privatzwccke zur Verfügung stand. Sie hatte die Wohnung aus dem Adreßbuch festgestellt und befand sich bald in einem der vornehmen Miethäuser des Bayri schen Viertels. Der Fahrstuhl führte sie schnell hinauf in die zweite Etage des hochherrschaftlichcn Hauses. Sic hatte Glück. Doktor von Sachs war zu Hause. Er empfing Gerlinde mehr als erstaunt, ließ sich aber nichts merken und war äußerst liebenswürdig. Köstlich! Treibt mir der Wind auch noch diese herrliche Blume gerade ins Haus!, dachte er schmunzelnd. „Nun, meine Gnädigste? Freut mich ja ganz außer ordentlich, Sie in meiner Wohnung begrüßen zu dürfen." Er reichte ihr sein elegantes Etui: „Zigarette, bitte?" Gerlinde stutzte und wehrte dankend ab. „Oh!, ganz andere Passionen scheinbar als das F?äu- , lein Schwester? Die Gisela raucht wie ein Schlot, und ! dabei pscist sic bloß noch auf der halben Lunge. .Sie wird i bald wieder hier sein. Ist ja nicht ganz gesund. Sic wird ' auf die Dauer den Beruf nicht durchhaltcn!" sagte von ! Sachs in seiner näselnden, lässigen Art. „Ja, meine Schwester — die — die ist doch so sehr krank gewesen. Schwere doppelseitige Lungenentzündung. Sie ! liegt doch schon seit Wochen im Krankenhausc Saint ! Jeanne!" sagte Gerlinde erregt und starrte Doitor von Sachs mit großen Augen an. Der wurde vielleicht einen Schein bleicher im Moment; dann aber sagte er ruhig: „Das ist mir allerdings nicht bekannt!" „Das... das ist Ihnen nicht bekannt? Ja, kümmern Sie sich denn gar nicht mal um meine Schwester? Steht sie denn nun so ganz mutterseelenallein da in dem fremden Lande?" fragte das junge Mädchen fast tonlos. „Kümmern? Aber, meine Gnädigste, um wen sollte ich mich denn da alles kümmern? Ich bin doch kein Fiir- sorgeinstitut!" Seine Augen flackerten aber plötzlich be gehrlich auf, und er neigte sich so dicht zu Gerlinde hin, daß sein Heitzer Atem ihre Wangen streifte: „Die Gisa, ach, die kümmert sich schon um sich selbst. Ist resolut genug. Aber — um Sie würde ich mich lünnncrn — Sie süßes, kleines Baby!" „Herr Doktor!" Gerlinde sprang auf, und ihre Augen schimmerten dunkel vor Zorn. „Hoho!, mein Kleines! Nur ruhig! Das Schwesterchen war doch nicht so... so kalt!?" „Meine Schwester? — Oh, meine arme, verirrte Schwester!" brach es jäh ans Gerlinde heraus. „Geben Sie mir bitte die fünfhundert Mart, die mir noch zustchcn. Ich will sofort nach Paris fahren. Ich habe solche Augst um Gisela!" „Für den Wagen? Hm! Der ist schon lange ün Chausseegrabcn gelandet. Dem Schwesterchen konnte cs nicht toll genug gehen. Sie ist unbegreiflich glimpflich davongekommen. Aber... nach Paris wollen Sie fahren? Hm! Interessant! Sie kennen Paris nicht?! Ich würde Ihnen gern Paris zeigen. Ah!, Parisi Paris! Am Tag — und noch mehr bei der Nacht!" Gerlinde stand wie auf glühenden Kohlen da. Sie war kaum imstande, sich noch länger zu beherrschen. Das widerliche, teuflische Gelächter dieses Mannes schien ihr unerträglich. Wenn sie doch nur erst hier heraus wäre! „Bitte, ich möchte jetzt Ihre Wohnung verlassen. Wamr darf ich mit dem Betrag rechnen?" Sachs zog seine Brieftasche hervor und lächelte gemein. „Wenn Sie ein liebes Mädchen sind — sofort! Nur einen einzigen, ganz kleinen, bescheidenen Kuß, dann lege ich noch einen blauen Lappen draus, Kleines!" näherte sich Doktor von Sachs Gerlinde, und seine Hände griffen be gehrlich nach ihr. Gerlinde aber stieß seine Hände zurück und floh nach der Tür. „Ja, haben Sic denn nicht einmal Achtung vor meinem Traucrkleid?!" rief sic schmerzlich. „Habe schon festgestellt, daß Schwarz Sie ganz vor züglich kleidet!" sagte der Mann kalt. Seine Niederlage empörte ihn. Dann aber riß er vor Gerlinde mit spöttischer Ver beugung die Tür ans. lFarlsetzung fsiqt.1