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DIE ENTWICKLUNG DER Das türkische Volk der Seldschuken beherrschte seit dem 11. Jahrhundert ganz Vorderasien. Von ihm löste sich ein Stamm unter Osman ab und machte sieh selbständig. Diese Osmanen dehnten im 14. Jahrhundert ihr Gebiet in Kleinasien bis an die Meerengen aus. Im Jahre 1353 überschritten sie die Dardanellen und begannen sich mit erschreckender Geschwindigkeit auf der Balkanhalbinsel auszudehnen. In kurzer Zeit unterlagen Bulgaren und Serben den Eindringlingen. Auf mehrfache Hilferufe der Byzantiner kamen Kreuzheere heran, wurden aber abgeschlagen. Konstantinopel wurde 1453 erstürmt, der letzte Kaiser fiel im Kampfe. Gleich darauf wurde Griechenland unterworfen und damit die Eroberung der Balkanhalb insel vollendet. Noch lange verteidigten die Ungarn die Donaugrenze. Auf den Inseln des östlichen Mittelmeers herrschten die Venezianer dank ihrer überlegenen Flotte. In Rhodos hielten sich noch die Johanniter. Eine neue, gewaltige Maehterweiterung erreichte das Osmanische Reich der Türken nach 1500: Mesopotamien, Syrien, Ägypten und die Inseln wurden er obert, die sogenannten Barbareskenstaaten in Nordafrika, Tunis und Algier, in Abhängigkeit gebracht. Schon wälzten sich auch die türkischen Horden gegen Mitteleuropa. Belgrad fiel, Ungarn wurde erobert, und 1529 erschienen die Türken zum erstenmal vor Wien. Fortan bildeten die Habs burger in Österreich, zugleich Könige von Ungarn, die Schutzwehr Euro pas. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann die rückläufige Bewegung. Die Kampfkraft der Türken erlahmte, es fehlten hervorragende Feldherrn, wie es die früheren Sultane waren. Jetzt saß der türkische Herrscher aus der Familie Osmans in Konstantinopel und schickte seine Paschas in die Provinzen. Noch einmal war Wien 1683 schwer bedroht. Die heldenhaft verteidigte Stadt wurde entsetzt, und von jetzt ab ging es unaufhaltsam vorwärts. Dem Kaiser standen eine Reihe begabter Feldherrn zur Verfügung. Der berühmteste ist Prinz Eugen von Savoyen. Ganz Ungarn und zeitweilig sogar Serbien wurden habsburgisch. Inzwischen war den Türken aber noch ein zweiter gefährlicher Gegner erstanden: im 18. Jahrhundert begann Rußland die Reihe seiner Türken kriege, die ihm einen doppelten Gewinn einbrachten, den Besitz der Küste bis zur Donaumündung und den Schutz über die christlichen Völker der Balkanhalbinsel, vor allem die Griechen. Diesen Schutz baute Rußland ORIENTALISCHEN FRAGE weiter aus und mischte sieh dabei immer tiefer in die inneren Angelegen heiten der Türken ein. Als nächstes Ziel erstrebte es den Besitz der Moldau und Walachei; aber hier trat ihm der nachbarliche Neid Österreichs ent gegen. Als Schützlinge Rußlands wurden 1829 Serbien, das seit 1804 um die Freiheit kämpfte, Moldau und Walachei autonom, während Griechen land die Unabhängigkeit erhielt. Sultan Mahmud II. bemühte sich, durch Reformen den Staat vor dem Untergang zu retten. Er ließ durch preußische Offiziere, darunter den später so berühmten Moltke, das Heer nach euro päischem Muster organisieren. Der schwache Punkt war die Finanzwirt schaft. Man sah die Türkei mehr und mehr als den „kranken Mann“ an, dem kein langes Leben mehr bcschieden sein konnte. Zar Nikolaus I. hoffte es bis zu einer Teilung zwischen den Großmächten zu bringen. Er träumte von der Festsetzung an den Meerengen, weil deren Besitzer den russischen Handel auf dem Schwarzen Meer jederzeit sperren konnte. Er machte auch mit erneutem Eifer die Beschützerrolle Rußlands gegenüber den Balkanslawen geltend. England war aber nicht gewillt, die Macht Rußlands im Orient ins Uferlose wachsen zu lassen. Der Ehrgeiz Kaiser Napoleons III. von Frankreich kam ihm zustatten. Rußland unterlag im Krimkrieg 1854-55 den Engländern und Franzosen. Kurz darauf wurden Moldau und Walachei zu Rumänien vereinigt. Die panslawistische Bewe gung in Rußland, der die Vereinigung aller Slawen unter russischem Szepter vorschwebte, drängte Kaiser Alexander II. 1877 wieder zum Eingreifen in die Verhältnisse auf dem Balkan. Rußland erzwang von der Türkei nach verlustreichem Kriege vor den Mauern von Konstantinopel die Abtretung fast ihres ganzen europäischen Besitzes an die Balkanstaaten. England und Österreich konnten die Vernichtung der Türkei durch Rußland nicht dulden. Bismarck vermittelte, und auf dem Berliner Kongreß wurden die Streit fragen geschlichtet: Rumänien, Serbien und Montenegro wurden völlig un anhängig, Bulgarien blieb Tributärstaat. Österreich aber nahm Bosnien und Herzegowina in seine Verwaltung. Es annektierte diese Länder 1908, als Bulgarien sieh von der türkischen Oberhoheit befreite. Alle Balkanstaaten fielen 1912 gemeinsam über die Türkei her, die in Europa auf ein kleines Stück Land beschränkt wurde; dank der Eifersucht der Großmächte blieb Konstantinopel türkisch.