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DAS ZUNFTWESEN Die Städte in Deutschland leiten ihren Ursprung auf sehr verschiedene Quellen zurück. Die ältesten, im Rhein- und Donauland, können sich römi scher Gründung rühmen. In der Zeit der Frankenkönige und des Deutschen Reichs hoben sieh weitere Ansiedlungen aus dem umgebenden Lande her aus, wenn sie durch Königs- oder Bischofssitze ausgezeichnet waren. An dere Städte entstanden um Burgen und Klöster. Schon früh findet man plan mäßige Gründungen durch Fürsten. Dies wird dann im Kolonialland des Ostens die Regel. Der König und später auch die Fürsten verliehen den Orten Stadtrecht. Dadurch erhielt die Stadt eigene Gerichtsbarkeit, Selbst verwaltung, das Recht, Märkte abzuhalten, Handel und Gewerbe zu treiben, Befestigungen anzulegen. Im 13. Jahrhundert erwarben sich viele Städte weitere königliche Rechte und damit die Reichsfreiheit und Gleichberech tigung mit den Fürsten. Ihren Aufschwung verdankt die Stadtwirtschaft dem Unternehmungsgeist der Kaufleute, die sich nicht mehr darauf be schränkten, Fertigwaren mit andern Ländern auszutausehen, sondern aus dem Osten Rohprodukte bezogen, die dann zu Hause verarbeitet wurden. Das Handwerk begann auch für die Ausfuhr zu arbeiten und erhielt da durch erhöhte Bedeutung. Es bildeten sich größere gewerbliche Betriebe. Die Kaufleute schlossen sich wegen des großen Risikos beim Handel mit fernen Ländern zu Gesellschaften zusammen, schickten ihre Vertreter ins Ausland, gründeten dort Niederlassungen. Aus einer solchen Gesellschaft entstand die Hanse. Die oberdeutschen Städte trieben über Venedig mit dem Orient Handel. Allmählich übernahmen in den Handelsgesellschaften Ein zelne die Führung; die andern, auch Nichtkaufleute, überließen ihnen ihr Kapital. So entstanden Kapitalgesellschaften und große Handelshäuser, die zugleich Unternehmer, Bergwerksbesitzer und Banken waren. Am mächtigsten und berühmtesten wurden die Fugger und die Welser in Augs burg. Jene finanzierten die Unternehmungen Karls V., diese versuchten sieh sogar in einer kolonialen Unternehmung in Venezuela. Schon lange vor dem Aufkommen von Handelsgesellschaften schlossen sich die Handwerker zu Zünften zusammen. Hier wurde der Beitritt Zwang. Durch Monopole sicherten die Zünfte ihren Mitgliedern den Lebensunter halt. Sie achteten darauf, daß jeder nur ein Handwerk ausübte, duldeten keine Außenseiter. Der Betrieb eines jeden Meisters wurde streng über wacht; die Zahl der Gesellen und Lehrlinge wurde vorgeschrieben und das Meisterwerden sehr erschwert, um eine Überproduktion zu verhindern. Die Preise waren von der Zunft festgesetzt. Das alles bedeutete aber noch lange keine Ausbeutung des Landes und der andern Stände. Als Gegenleistung wurde streng auf Qualitätsarbeit geachtet. Jede Ware wurde auf ihre Güte untersucht, ehe sic freigegeben wurde. Die Zunft übte also zugleich Gewerbe polizei und Musterschutz aus. Sie verbilligte aber auch die Produktion und half ihren Mitgliedern dadurch, daß sie Ankauf von Rohstoffen und Ver kauf der Waren vermittelte, Verkaufsstätten schuf und in ihrem Haus die maschinellen Einrichtungen anlegte, die der Einzelne sich nicht leisten konnte, so die Walk-, Färb-, Getreidemühlen und andere mit Wasser- oder Windkraft betriebene Werke. Infolge ihres größeren Reichtums und oft adli ger Abstammung nahmen die wenigen Geschlechter der Kaufleute, die sich als Patrizierstand absehlossen, die Stadtregierung in die Hand. Mit dem Wachsen ihrer Bedeutung und ihres Wohlstandes begannen aber auch die Zünfte nach einer Vertretung im „Rate“ der Stadt zu streben. Unter heftigen Kämpfen gelang es ihnen seit dem 14. Jahrhundert zuerst im Süden. Im Norden, vor allem in den Hansestädten, blieben die Kaufleute, entsprechend ihrer überragenden Stellung, länger im Alleinbesitz der Macht. Als die Städte durch den Dreißigjährigen Krieg und die Machtentfaltung der Fürsten ihre Selbständigkeit größtenteils einbüßten, verloren auch die Zünfte ihre politische Bedeutung. Sie behielten noch die Polizeigewalt über das Handwerk. Aber sie verknöcherten in Äußerlichkeiten. Im 18. Jahr hundert entstand die Gegenbewegung, die Abstellung der Mißbräuche und dann auf Grund der neuen nationalökonomischen Lehren sogar Aufhebung der Zünfte forderte. Die Gewerbefreiheit wurde zuerst in Frankreich 1791 verkündet. In Preußen wurde sie in der Reformzeit, die der Befreiung 1813 vorausging, von Stein und Hardenberg eingeführt. Aber noch einmal er reichten die Handwerker 1849 Bestimmungen zum Schutz gegen Kon kurrenz. Erst im Norddeutschen Bund wurde der Grundsatz der Gewerbe freiheit 1869 durchgeführt. Der Liberalismus hatte auch auf diesem Gebiet gesiegt, aber nicht für lange. Einige, wenn auch „freie“ Innungen hatten sich gehalten. Noch vor dem Ende des Jahrhunderts griff man auf sie zu rück, um dem Handwerk wirksamen Schutz zu verschaffen. Zu diesem Zweck wurden Zwangsinnungen gegründet, die die freien allmählich ganz zurückdrängten. 29