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DAS ZEITALTER DER ENTDECKUNGEN Indien war im Mittelalter ein sagenhaftes Land mit unermeßlichen Reich tümern. Nicht das Gold seiner Fürsten schien den Europäern begehrens wert, sondern die Gewürze, die jeden Kaufmann, der damit handelte, zum reichen Mann machten. Man hatte einen großen Bedarf dieser Erzeugnisse, was sich mit der mittelalterlichen Küche erklären läßt. Auf dem Landwege über Mesopotamien und Syrien bezog Venedig dieses „indische Gold“, um es über ganz Europa zu verteilen. Es kam nicht aus dem heutigen Vorder indien, sondern von den malaiischen Inseln weiter im Osten. Auch andere hätten im Handel den Venezianern gern Konkurrenz gemacht. Die Portu giesen kamen auf den Gedanken, ihr Glück auf dem Seewege um Afrika herum zu versuchen. Beharrlich stießen sie längs der Küste dieses Erdteils südwärts vor, bis 1487 das Kap der Guten Hoffnung erreicht wurde. Da trat der Genuese Christoph Kolumbus in Lissabon auf und entwickelte seinen Plan, nach Westen über den Atlantischen Ozean Japan und Indien zu erreichen; nach seiner Berechnung auf Grund der Kugelform der Erde mußte dieser Weg näher sein als der um Afrika. In Portugal abgewiesen, wandte er sich nach Spanien, wo ihm geringe Mittel zur Ausführung des Planes gewährt wurden. Mit drei Schiffen fand er nach einer Fahrt von zehn Wochen die Insel Guanahani der Bahama-Gruppe, nach seiner Über zeugung vor der Küste Asiens, und entdeckte dann weiter Kuba und Haiti. Auf drei weiteren Reisen erreichte er das Festland von Süd- und von Mittel amerika. Die Bewohner dieser Länder wurden Indianer genannt; den Inseln ist bis heute der Name der Westindischen geblieben. Kolumbus starb 1506 ohne zu wissen, daß er einen neuen Erdteil entdeckt hatte. Dies stellte erst in den nächsten Jahren die Wissenschaft fest. Amerigo Vespucci erforschte und beschrieb die neue Welt. Nach ihm wurde sie Amerika genannt. Es war in Vergessenheit geraten, daß schon die Normannen im 11. Jahrhundert in Nordamerika gelandet waren, nachdem sie Island und Grönland ge funden und besiedelt hatten. Heute wird fast übersehen, daß noch bevor Kolumbus das Festland erreichte, 1497 Cabot, ein Italiener in englischen Diensten, Kanada entdeckte. Alle diese kühnen Fahrten mit den nach heu tigen Begriffen winzigen Schiffen wurden durch das gleichzeitige Fort schreiten der Wissenschaft gefördert. Der Kompaß, das wichtigste Hilfs mittel dos Seefahrers, war allerdings schon im 14. Jahrhundert erfunden worden. Jetzt stellte der Nürnberger Behaim den ersten Globus her. Die Schußwaffen verbreiteten Entsetzen vor den Eindringlingen. Andrerseits wurden die Weißen oft als Götter freundlich empfangen. Ihre Habgier machte sie aber schnell verhaßt. Auf der Jagd nach dem Gold drangen sie immer weiter vor. Planmäßig begannen sie das Land auszusaugen, in un bedachtem Raubbau wurden die Schätze der neuen Welt erschöpft. Jahr für Jahr kamen die spanischen Gold- und Silberflotten über den Ozean und überschwemmten Europa mit Edelmetall. Die Folge war eine schnelle Ent wertung desselben und eine schwere Wirtschaftskrise, die Spanien bald am stärksten zu fühlen bekam. Die Portugiesen hatten mit den Spaniern nicht Schritt halten können. Bei der Teilung der Welt in zwei Interessensphären 1493/94 kam in Amerika nur Brasilien, das jedoch erst später zufällig entdeckt wurde, auf ihr Los, in Afrika beschränkte sich ihre Ansiedlung auf die Küsten, und nur in Indien besaßen sie ein wirkliches Kolonialreich. Das vorderindischc Fest land war von Vasco da Gama endlich 1498 erreicht worden, von hier dehnte sich die portugiesische Herrschaft auf die malaiischen Inseln aus, und auch an der hinterindischen Küste wurden Kolonien gegründet. Noch mußte Portugal sich mit Venedig in den Gewürzhandel teilen, bis die Türken durch Eroberung von Syrien und Mesopotamien den Landweg abschnitten. Von jetzt an sank der Handel Venedigs; Portugal wurde das reichste Land der Welt. Durch die Entdeckungen und Eroberungen der Spanier und Portugiesen wurde europäische Kultur und christliche Religion über die ganze Erde ausgebreitet. Die Umwälzung in Geographie und Naturwissenschaft wurde für das europäische Geistesleben von Bedeutung. Zu den wirtschaftlichen Folgen gehört das Bekanntwerden vieler neuer Nutzpflanzen wie des Ta baks und der Kartoffel. Andere, wie Kaffeebaum und Zuckerrohr konnten erst in der neuen Welt im Großen angebaut werden. Politisch wirkte sieh die Wandlung des Weltbildes durch die Änderung der Handelswege aus, die wieder eine Verschiebung in der Bedeutung einzelner Staaten zur Folge hatte. Wenn auch Mittelmeer und Ostsee große Handelszentren blieben, so wurden doch die See- und Kolonialmächte in der Welt maßgebend, im 16. Jahrhundert in erster Linie Spanien.