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vor die Front!" Stürmische Heiterkeit) — — da brach der ganze Ingrimm der Sozialdemokraten „über ihn" lo« und der Abg Frohme griff ihn aufs leidenschaftlichste per sönlich an unter tosenden Zustimmungen seiner Genossen In der Entgegnung de» Krieg-mimster» fiel jene vieler örterte Äußerung: „Ja, Ihre persönlichen Angriffe sollen vor mir nieder; sie berühren noch nicht einmal die Spitzen meine« Stiefel«." (Große Unruhe Rufe bei den Sozial demokraten: „Da« ist ja unverschämt!") ... Bei der Verteidigung de« LffizierScorp» und der Armee ward dann der KriegSminister sehr ernst; er rief der radikalen Linken zu: „Den guten Rat gebe ich Ihnen: mäßigen Sie sich in Ihren Angriffen auf die Armee, und wenn Sie sie vorbringen, dann verlangen Sie nicht von mir, daß ich wie ein Zeremonienmeister mit Ihnen verhandle " Dann aber sand er den guten Humor wieder, wie er denn stet« die schwül gewordene Stimmung durch eine glückliche Wendung zu lösen wußte. So auch nach der Rede Auer« vom 8 Mai l 895, der den militärischen Kreisen die Unter stellung machte, daß sie die Sozialdemokraten herauS- forderten, um sie vor die Clewehrläufe de« Heere« zu t.eiben Der Kriegsminister kämpfte sichtlich mit sich selbst, welche Form der Erwiderung er wählen sollte Da siel der glückliche Ausspruch: „Tie Armee sieht e« al« ihre Aufgabe an, an die Grenze zu eilen und da« Vaterland zu verteidigen; sie weiß, daß der Lorbeer, mit dem sie ihre Fahnen schmückt, nicht auf der Straße wächst, auf der man unbotmäßige Mafien zu Paaren treibt Wir be trachten es als angenehme Pflicht, das der Polizei und der Feuerwehr zu überlassen " . . . Später kam er noch einmal auf die Angelegenheit zurück und sprach von „nassen Cylinderhüten". Eine seiner letzten prächtigen Reden hielt er am l 4. Februar d. Js. über den Militär- etat, wo er den Abgeordneten Bebel mit jeder einzelnen Beschuldigung gegen die Militärverwaltung aufs gründlichste abführtc. Eine kecke Rechtsverletzung haben sich fran zösische Soldaten an der reichsländischcn Grenze beim Wurzelstein erlaubt Dieselben überschritten die deutsche Grenze um fast einen Kilometer und drangen in die einem deutschen Bauern gehörige Molkerei Schupfern ein, woselbst sie, unbekümmert um des Bauern Einsprache und Wehren, von einem deutschen Soldatenrocke seines Bruders zunächst die Knöpfe und Achselklappen schnitten und diese fremden Sachen in der Absicht rechtswidriger Zueignung weg- und mitnahmen Nicht genug damit, kehrten sie auch noch zurück und nahmen den beschädigten Soldatenrock selbst mit. Diese Handlungen der Franzosen charakterisieren sich nach dem deutschen Strasgesctzbuche als Diebstahl. Es wird von Interesse sein, zu erfahren, wie die französische Heeresverwaltung dieser groben Aus schreitung gegenüber sich verhalten wird. „Als vor längerer Zeit", schreibt die „Straßb. Post", „einige Soldaten eines deutschen Iägei bataillons die französische Grenze überschritten, um in einer nächst derselben gelegenen Wirtschaft gegen Be zahlung ein Glas Wein oder Bier zu trinken, wurden die selben sofort zur Anzeige gebracht und französischerseits wurde auf energische Bestrafung gedrungen, und zwar mit Er folg, denn die betreffenden Soldaten haben ihre Ver fehlung mit erheblichen Arreststrafen zu büßen gehabt. Es steht zu erwarten, daß die dem deutschen Bauers- manne in seinem Hause von französischen Soldaten wider fahrene schnöde Rechtsverletzung baldigst eine entsprechende Sühne finden wird." — Die Handwerkerorganisationsvorlage bringt den Innungen im allgemeinen eine Erweiterung der Kompetenzen, eine jedoch nimmt sie ihnen Im 8 97» der bisherigen Gewerbeordnung wird unter der Ziffer 4 aufgeführt, daß den Innungen zur Förderung des Gewerbebetriebes der Jnnungsmitglieder auch die Ein richtung eines gemeinschaftlichen Geschäfts betriebes zusteht Unter den Befugnissen der Innungen, wie sie in der neuen Vorlage unter 8 84 a anfgesührt werden, fehlt diese oder eine ähnliche Bestimmung Ein solches Vorgehen wird durch die Natur der Zwangs innung selbst erklärt. Gegenwärtig, wo die Bildung der Innung in das Belieben der einzelnen Handwerker gestellt ist, steht es auch jedem frei, sich einer solchen zu gemein samem Geschäftsbetriebe errichteten Innung anzuschließen oder nicht. Wer beitritt, weiß, welche Folgen seiner bei einem eventuellen schlechten Ausgange des Geschäftes warten, und kann durch Nichtbeitritt denselben vorbeugen Wenn jedoch die Zwangsinnung eingcführt ist, würde jeder Geschäftsbetrieb der geschilderten Art die ganze Innung mit ihrem Vermögen haftbar machen Wäre ein solches nicht vorhanden, so würden die Mitglieder zur Zahlung erhöhter Beiträge herangezogen werden müssen. Es würde also den Handwerkern, denen später nicht mehr die Entscheidung über den Eintritt in die Innung frei gestellt sein soll, eventuell ein großer Nachteil aus einem solchen Geschäftsbetriebe erwachsen können, ohne daß sie selbst durch Nichteintritt demselben hätten vorbeugen können Der Zwangscharaktcr der Innungen schließt eine solche Kompetenz aus Im übrigen würde gerade dieser Änder ung der Gewerbeordnung zuzustimmen sein, weil es heut zutage uud namentlich nach der Schaffung der Genossen schaften und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, so viele weit bessere Unternehmungsformen giebt, in denen die Handwerker eine gemeinschaftliche geschäftliche Thätig- keit entfalten können, daß der Wegfall dieser Jnnungs- kompetenz einfach eine Konsequenz der in den letzten Jahren auf dem Gebiete der Unternehmungsformen vorgenommenen gesetzgeberischen Arbeiten darstellen würde — Auch auf den Frieden in Deutsch-Afrika hat die Hinrichtung des englischen Händlers Stokes ihre ungünstigen Folgen gehabt Der jüngst von Uganda nach England zurückgekehrte Missionar Hubbard berichtet dar über dem „Reuterschen Bureau": „Es haben Kämpse bei Bukoba im deutschen Gebiet westlich vom Viktoria-See stattgefunden Sic waren eine direkte Folge der Hin richtung des StokeS Als der mächtige Häuptling in der deutschen Sphäre, Rwoma, den Tod Stoke« vernahm, meldete er ihn den umwohnenden Sultanen, u. a. auch dem berüchtigten Luconge, und fordert, sie auf, den Deut schen keinen Tribut mehr zu zahlen, sondern sich den Belgiern zuzuwenden, welche ihre Macht gezeigt hätten, indem sie den „großen Meister StokeS" töteten Die Deutschen sollten sie au» dem Lande vertreiben. Luconge griff sofort Ukerewe — die Stokesschc Station am See — an. Nach seinem Tode hatten die weißen Patres die Station erworben. Eine Anzahl französischer und eingeborener Ehristen wurde ermordet Die Station selbst ging in Flammen auf. Die Deutschen sandten darauf zwei Züge aus, einen gegen Rwoma und den anderen gegen Luconge. Rwoma wurde getötet, Luconge aber wurde verbannt und sein Land einem anderen Häuptling gegeben Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Hinrichtung Stokes' das Ansehen der Weißen in Mittelasrika tief untergraben hat Die Eingeborenen verstehen nicht, warum ein Weißer den anderen töten sollte Änfang» des Jahre» wurde ein deutscher Streifzug gegen den mächtigen Häuptling Kitangule ausgesandt, weil er Gewehre geraubt hatte.". .. Wie der „Post" mit Bezug auf den letztgenannten angeblichen „Häuptling" von kolonialer Seite mitgeteilt wird, ist Kitangule kein „Häuptling", sondern eine bedeutende Handels stadt hinter Bukola; doch hat bisher auch, wenigstens nicht amtlich, verlautet, daß dort neuerdings die Schutztruppe in Aktion getreten sei. Man wird aber wohl bald erfahren, ob die Angaben de« englischen Missionars auf Wahrheit beruhen — Hosprediger a. D Stöcker äußert sich in der „Deutschen Evangel. Kirchenztg" zu dem christlich sozialen Aufruf, daß durch diese Kundgebung eine Grundlage für eine neue politische Parteistellung nicht ge schaffen, auch eine Anwerbung neuer Kräfte für die christlich-soziale Partei nicht bewirkt werde Tie Kund gebung sei rein kirchlicher Natur. In die Sozialpolitik solle auch nicht Dogmatik eingeführt, noch der theologische Gegensatz an und für sich als ausschlaggebend betont werden Gegenüber Prof. Adolf Wagner, der mit anderen ausdrücklich behauptet hatte, daß bei der Aktion gegen Stöcker die Gegensätze der „alten" und der „modernen" Theologie nicht mitspielten, betont Stöcker, daß diese Be hauptung nur Wagners Arglosigkeit in kirchenpolitischen und theologischen Angelegenheiten zuzuschreiben sei Zum Schluß bemerkt Stöcker: „Nichts kann falscher sein, als die Meinung, die älteren Christlich-Sozialen wollten wieder in die konservative Partei zurück Kein Gedanke ist in dieser Richtung gehegt, kein Wort dafür ausgesprochen Aber wir müssen den unermeßlichen Schaden, den die „Jungen" der besonnenen christlichen Sozialresorm an- gethan haben, offen aussprechen, um unsere Freunde vor falschen Ideen zu behüten " — Dem „D-B. H" zufolge ist der Anarchist und frühere Rabbiner Alexander Eohen, welcher auch zum Londoner Kongreß als Delegierter entsandt war, in Änt- werpen wegen Majestätsbeleivigung verhaftet worden. Cohen war in Paris bereits in contumaciam zu fünfzehn Jahren Deportation verurteilt worden Er betrieb in den verschiedensten Ländern anarchistische Propaganda. Österreich-Ungar«. Wien Die „Neue Freie Presse" veröffentlicht eine Darstellung des gegenwärtigen Standes der diplo matischen Verhandlung zwischen den Mächten über die kretensische Frage, welcher das Folgende zu entnehmen ist: Zwischen dem Ministerpalais auf dem Ballplatze in Wien und dem an der Sängcrbrücke in St. Petersburg findet jetzt ein äußerst lebhafter Gedankenaustausch in Sachen Kretas statt. Dieser Gedankenaustausch bewegt sich in der Richtung einer Einflußnahme ganz Europa» aus die Türkei, daß diese sich entschließe, sich den wich tigsten Forderungen der Kretenser zu fügen. Die Groß mächte, und zwar alle ohne Ausnahme, machen in Kon stantinopel Vorstellungen, daß die Pforte den Krctensern eine weitgehende Autonomie einräume. Es soll nicht nur der christliche Statthalter unter Garantie der Mächte für fünf Jahre ernannt werden, sondern der Türkei werde auch nahegelegt, daß sie sich in die auf eine autonome Finanzvcrwaltung der Insel bezüglichen Ansprüche der Kretenser füge Des weiteren heißt es in den Mit teilungen des Blattes: Wenn man sich in Wien der von dem Fürsten Lobanow so warm betonten Anschauung, daß der 8tatu>; guo im osmanischen Reiche erhalten werden soll, mit ganzem Herzen anschließt, so legt anderseits Graf Goluchowski Gewicht aus die Sym pathien Griechenlands sür Österreich-Ungarn, und pein lich war e» ihm, zu bövn, daß das Eintreten Österreich-Ungarn» für die Blockade Kretas in Griechen» land eine gewisse Verstimmung gegenüber unserer Monarchie hcroorgerusen hatte. Diese Erregung der Griechen war einer mißverständlichen Auffassung der Wiener Politik ent sprungen Graf Goluchowski ließ nun neuestens das griechische Kabinett versichern, daß die Blockade durchaus nicht gegen das nationale Empfinden und gewisse berech tigte Forderungen der Kretenser hätte gerichtet werden, sondern ausschließlich eine opportunistische Maßregel zur Pacificierunq der Insel hätte sein sollen. Heute sei man in Athen von den guten Absichten Österreich-Ungarns überzeugt. So ver trete man denn jetzt hier in Wien das Programm der Pression auf die Türkei als Mittel zur Pacificierung Kretas Dieses Programm habe heute ganz Europa für sich, und aus diesem geeinigten Europa trete besonders plastisch das enge Einverständnis zwischen Österreich-Ungarn und Rußland hervor. Das Einvernehmen dieser beiden Mächte in der gegenwärtigen Phase der orientalischen Frage, deren Brenn punkt Kreta geworden, sei jetzt das markanteste Phänomen der europäischen Politik Älle Mächte verlangen heute in Konstantinopel, daß der Sultan nicht zögere, den Kretenser» eine autonome Verfassung zu geben Diese Verfassung soll weit über das Statut von Haleppa hinausgehen — in den Forderungen der Mächte sei Haleppa« überhaupt nicht mehr Erwähnung gcthan. Die neue Verfassung soll auch Garantien für die mohammedanische Minorität auf Kreta statuieren. Ararlreich. z?»? Paris Der Generalresident von Madagaskar, Laroche, hat vom Kolonialminister einen Urlaub erbeten, der ihm auch bewilligt worden ist. Hr. Laroche gedenkt jedoch Tananarivo nicht vor der An kunft des Generals Gallicni, des neuernannten Oberbefehls habers der Truppen auf Madagaskar, zu verlassen, um mit diesem über die Lage d7r Kolonie konferieren zu können General Galliöni ist vor einigen Tagen von Marseille abgereist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Hr. Laroche nicht mehr nach Madagaskar zurückkehren wird. Nach Ablauf seines Urlaubs wird ihm jedenfalls al» Entschädigung für den ResidentschaftSposten in Paris ein höheres Amt im Verwaltungsdienst anvertraut werden. Es ist vorauszusehen, daß General Galliöni nach Antritt seines neuen Amtes zur Festigung der französischen Autorität auf Madagaskar in militärischer und politischer Hinsicht die energischsten Maßregeln ergreifen wird Bi» zu seiner Ankunft in Tananarivo ist über diese Stadt der Belagerungszustand verhängt worden * Paris Die französische Westbahn läßt für jden Empfang des Zarenpaares eine Bahnhofhalle er richten, und zwar zwischen Courbevoie und Puteaux, von wo der Einzug in Paris durch die großen Avenuen erfolgt. Tie Bahnhofshalle soll erhalten bleiben und den Stations namen „Zar Nikolaus" führen — Zwischen dem Abbe Lemire, auf dessen Anlaß in Reims ein Priesterkongreß zusammentreten wird, und dem Bischof von Annecy ist ein Federkrieg auSge- drochen, der nicht ohne Jnterefie ist Ter Bischof bezeichnet einen solchen Kongreß von Priestern, der unabhängig von dem hohen Klerus tage, als sehr bedenklich Wiewohl man sich darin nur mit kirchlichen Fragen beschäftigen wolle, so werde es vielleicht doch nicht zu verhindern sein, daß auch soziale und politische Fragen, wie bei den Christlich- Sozialen in Deutschland, zur Verhandlung gelangten Wie dem auch sei, es scheint, daß die Bischöfe, zu denen der niedere französische Klerus schon längst im Gegensatz steht, nicht die genügende Autorität besitzen, um jenen Kongreß zu verhindern, welcher der Ausgangspunkt einer Bewegung von großer Tragweite sein könnte — auch für die vati kanische Politik in Frankreich. Belgien. Brüssel. „Etoile Beige" erklärt alle vom „Soir" veröffentlichten Mitteilungen über eine gegen die Mah- disten organisierte Expedition, die vom Baron Dhanis befehligt werde, für unrichtig. Gerade zu der Zeit, zu welcher Baron Dhanis nach der Darstellung des „Soir" die Offensive gegen die Derwische ergreife, müsse er sich in der Nähe der Stanley-Fälle befinden, wo der auf einer Inspektionsreise begriffene Generalgouverneur Hauptmann Wabis mit ihm ein Zusammentreffen für den 1. September verabredet habe. Itatte». Rom. Die „Tribuna" bespricht die Gerüchte, die von Freunden Visconti - Venostas und anderer Minister ausgestreut werden, nach welchen die Heirat des Kron prinzen beschleunigt werde, weil der König um keinen Preis den Vertrag mit Menelik unterschreiben werde und lieber abzudanken gesonnen sei. Da« Blatt bedauert, daß die Minister des Königs ihm Ratschläge betreffs Afrika gäben, welche mit der Würde und dem Ansehen de» König!. Hause» und Lande« und dcn Interessen de« letzteren unvereinbar seien. — Der Zustand de« Kardinals San Felice ist sehr ernst; man besorgt eine baldige Katastrophe — Die Regierung bestätigte gestern die dem General Valle« seit dem März d. I«. insolae Vorschlages de« Generals Baldifiera übertragene Mission, als Be vollmächtigter mit Menelik über die Autlieserung der Gefangenen und den Abschluß eine« sür Italien und Äthiopien günstigen Friedens zu unterhandeln Sofia. Es ist bekannt, daß der Tintenfisch (8epj» otlicioalis), wenn er die Lage für bedenklich hält, einen schwärzlichen Säst von sich giebt, der da« Wasser ver dunkelt und da« Tier selber unsichtbar macht. An diese« Manöver de« klugen Geschöpft« wird man jedesmal er innert, wenn im Staate Bulgarien irgend etwa« faul ist. Es erscheint dann jedesmal ein solcher Schwall von offi ziösen und offiziellen Mitteilungen, von inspirierten Artikeln von Dementis und von Ableugnungen der Dementis, daß schließlich ein Zustand vollkommener Unklarheit geschaffen wird, in dem überhaupt nichts mehr deutlich zu erkennen ist. So geht es auch jetzt wieder mit der Minister- krise. Seit Monaten spukt die Geschichte schon Jeder mann weiß, daß es sich um die russische Forderung wegen der bulgarischen Emigranten handelt. Schon während der Reise des Fürsten Ferdinand nach St. Petersburg war davon die Rede. Nun ist der Fürst endlich heimgekehrt Älz Geschenk hat er seinen getreuen Bulgaren eine Minister krisis mitgebracht. Aber kaum ist e» au-gepackt, so ver schwindet der Fürst wieder in die Berge, nach Rilo Tie MinisterkrisiS ist aber in einer so seltsamen Verpackung, daß man gar nicht recht klug daraus werden kann Natscho- witsch ist also endlich durch Geschow ersetzt. Nun abcr Petrow! Seine Beseitigung soll wegen „Insubordination" nötig geworden sein, also nicht wegen der Einstellung der bul garischen Emigranten Wenn dies letztere aber nicht der Fall, woher die Schwierigkeiten, die offenbar hei der Neubesetzung der Stelle sich erheben? Woher da» Gerücht, daß auch der Ministerpräsident zurücktreten wolle! Woher die Widersprüche der verschiedenen Nachrichten? Erst heißt es, Zankow sei zum Fürsten nach Rilo gereist, dann heißt es wieder, Zankow habe nicht daran gedacht; er sitze ruhig in seinem Landhause bei Sofia. Ter „Progreß" bestreitet überhaupt den Ausbruch einer allgemeinen Krisis und ver steigt sich zu der Behauptung, ein Austritt von zwei Mit gliedern aus dem Kabinett sei etwas ganz Alltägliches; Bulgarien habe niemals eine „stetigere" Politik gehabt, als es gegenwärtig habe. Man sieht! Der Tintenfisch! Zum Glück können wir unsere Ungeduld bemeifiern Warten wir also, bis die Trübung sich verzogen hat. Der Fürst wird ja wohl wieder einmal heimkehren. Türkei. I- Konstantinopel. Die seinerzeitige Nachricht von dem Eintreffen mehrerer Kurdenregimenter in Kon stantinopel, die bei der nicht mohammedanischen Be völkerung eine nicht unberechtigte Aufregung zur Folge hatte, ist nun zur Thatfache geworden. Sonntag und Montag brachten zwei Kriegs- und ein Prioatdampfir zehn Eskadronen aus Trapezunt, deren fünf waren bereits vor vierzehn Tagen eingetroffen Im Auftrage des Sultans wurde die Truppe im Waffenhofe des Artillerie arsenals von Tophane bewirtet, erhielt bei diesem Anlässe auch Henry Martinigewehrc und Tscherkessendolche, sowie neues Sattelzeug, da die mitgebrachten Pferderüstungen so verschiedenartig sind, daß nicht zwei einander gleichen. Mit Äusnahme von 3 m langen Piken mit Bambus schäften, von deren Spitze allerlei Metalltand herabhängt, hatte die Truppe während der Fahrt keine Waffen bei sich, man sagt, daß man diesen Halbwilden nicht traue, auch hate inan denselben mit der Versetzung nach der Hauptstadt keine angenehme Überraschung gemacht, da es hier mit dem Plündern doch nicht so leicht gehen wird, wie in dcn entlegenen armenischen Vilajets, deren eigent licher Schrecken bekanntlich die Kurden sind Wenn man die Front dieser verwegenen blutdürstigen Gesellen ab- schreitet, deren Alter zwischen 20 und 60 Jahren variiert, so kann man sich annähernd einen Begriff machen, mit welcher Grausamkeit diese Halbwilden in den Lrtschast-n, namentlich Wehrlosen gegenüber, hausten. Die Mannscbast trägt das Tscherkesienkostüm aus dunkelblauem Tuche mit roten Achselklappen, den Lamfellkalpak der Linienkavallerie mit Messingcmblemen an der Stirnseite und den Tscher- kefiendolch um die Hüfte. Eine Ausnahme macht nur in jedem Regiment« die aus syrischen Kurden bestehende fünfte Eskadron, welche die Beduinenkopfbedeckung mit vier Reihen Roßhaarwülsten um den Kopf gewunden trägt und da durch einen noch wilderen Eindruck macht. Die Offiziere bestehen aus kurdischen Notablen, schöne kräftige Ge stalten in Phantasieuniformen. Einen auffallend un günstigen Eindruck macht das durchweg» elende Pserde- material Wie es heißt, sollen diese drei Regimenter jährlich durch andere, der aus 59 Regimentern bestehenden Hamidiö-Kavallerit ersetzt werden Über die Motive, welche sür deren Transferierung nach Konstantinopel maßgebend ratur kein Lustspiel! Luftigkeit unv Humor kommt zwar in einigen Situationen unserer Dramen gelegentlich vor ES giebt aber kein ganz und gar humoristisches Stück, kein Lustspiel in unserer Litleratur I« neuerer Zeil ver suchte man solche nach europäischem Vorbildc einzuführen, was aber gänzlich mißlungen ist. 88 Anknüpfend an die Stelle aus Nansens Bericht, wo dieser meldet, daß die Chronometer der Reisenden stehen geblieben seien, schreibt der Adjunkt der Wiener Sternwarte, I)r. Joh Palisa, der „N. Fr. Pr ": Wa» vielleicht vielen aufgefallen sein mag, ist, daß Nansen in dem Momente, al« seine Uhren stehen geblieben sind, fast alle Orientierung im Eismeere verloren zu haben an- giebt Die» mag Veranlassung sein, in kurzen Umrissen zu erläutern, wie sich Reisende und speziell Nord» polreisende orientieren können Es wird vielleicht manchen geben, der glaubt, daß die Magnetnadel einen wichtigen Anhalt giebt, und daß Nansen au« ihr die Richtung Norden erkennen konnte. Das ist nicht voll kommen richtig. Nur in wenigen Gegenden der Erde, und da auch nur zeitweilig, fällt die Richtung, welche die Magnetnadel zeigt, mit der Richtung des astronomischen Norden» zusammen. E» giebt einen Punkt auf der Erde, und derselbe liegt in dem Archipel nördlich von Amerika, wohin im allgemeinen die Magnetnadel hinweist In nördlichen Gegenden wird also die Magnet nadel nur dann einen kurz dauernden Anhalt bezüglich der Richtung eine» Marsches bieten, wenn sie enec fort währenden Kontrolle durch astronomische Beobachtunqcn unterworfen ist. Es sind somit in erster Linie astronomische Beobachtungen, welche der Reisende anstellen muß, um die Lage eines Ortes aus der Erde festzustellen. Ein Ort ist abcr bestimmt durch seine geographische Breite und Länge. Beide Angaben werden auf Reisen am bequemsten au« der Beobachtung von Sonnenhöhen ermittelt. Zur See bedient man sich des Sextanten, eine» kleinen Instrument«, da« in der Hand gehalten werden kann und bei dem die Schwankungen de« Schiffes sowie die unvermeidliche Unruh« de« Beobachter« so gut wie unschädlich sind, denn er sieht in dem Fernrohre des Sextanten zwei Objekte gleichzeltig, die Sonnenscheibe und den Meereshorizont, und da beide die Schwankungen der Hand gleichmäßig mitzumachcn scheme«, so ist die Beobachtung von denselben unabhängig. Der Beobachter hat mittel« Drehung eines kleinen Spiegels das Bild des einen Gegenstände«, der Sonne, mit dem Bilde de« anderen zum Zusammenklappen zu bringen. Die Ablesung des am Sextanten angebrachten Kreise« giebt ihm sofort den Winkel, um welchen die Sonne über dem Meereshorizont steht. An dieser Größe sind gewisse Korrektionen anzubringen, um die Höhe über dem wirk lichen Horizont zu erhalten Zu Lande hat der Beobachter keinen solchen Anhalt, wie ihn der Meeres- Horizont bietet, und er muß sich daher auf andere Weise helfen. Die» geschieht, indem er eine Schale aufstellt, in dieselbe eine Flüssigkeit — in der Regel Quecksilber — gießt und dann den Winkel zwischen der Sonne und ihrem Bilde in der Flüssigkeit mißt. Er erhält so den doppelten Höhcnwinkel. Zu Lande ist noch ein anderes Instrument, der Theodolit, verwendbar, der aber voluminöser ist und dessen Behandlung sich viel schwieriger gestaltet. Es ist wohl anzunehmen, daß Nansen sich nur mit einem der Instrumente auf seiner großen Tour über» Ei« belastet hat Von den beiden Instru menten ist die Breite sehr einfach zu bestimmen Der Beobachter hat nur um die Zeit des Mittag» die Sonne zu verfolgen, und sobald er merkt, daß die Sonne ihre Höhe nicht mehr ändert und die Tendenz zu sinken an nimmt, mit der Verfolgung innezuhalten und die Kreise abzulesen Die geographische Breite ist dann rasch ge funden; sie ist gleich 90 Grad mehr der Deklination dcr Sonne, welche au« dem mitzuführenden astronomischen Jahrbuche entnommen wird, weniger der beobachteten Höhe Man kann die Breite auch au» Höhenbeobachtungen von Sternen im Meridian ableiten, aber diese Methode hat Ninsen während seiner Reise über« Ei« gewiß nicht be folgt, weil er fortwährend Tag hatte Zu dieser Be obachtung ist eine Uhr nicht notwendig, und Nansen konnte somit die geographische Breite auch bestimmen, nachdem seine Uhren stehen geblieben waren NichtSdrstowenigrr dürfte er mil einigen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt haben In südlichen Gegenden ändert die Sonne ihre Höhe über dem Horizont sehr rasch, und man kann daher auch den Moment der größten Höhe leichter konstatieren Weiß man außerdem, wann beiläufig die höchste Höhe ein tritt, so genügt e«, zehn Minuten vorher mit der Be obachtung zu beginnen Änders im hohen Norden Dort ändert die Sonne ihre Höhe nur langsam, und der Be obachter muß große Geduld haben, wenn er ohne Kenntnis der beiläufigen Zeit de« Mittag«, wie e« bei Nansen der Fall war, die größte Höhe der Sonne finden will; aber immerhin kann er zum Ziele kommen. Viel schwieriger ist die Bestimmung der geographischen Länge. Hierzu be darf man außer dem Höheninstrument auch noch einer guten Uhr. Die Uhr hat den Zweck, dem Reisenden stet« anzugeben, wie viel e« in Greenwich, bezw an allen Orten, die im Meridian von Greenwich liegen — von welchem Meridian die Längen auf den Seekarten ge rechnet werden, an der Zeit ist. Vor der Abreise wird konstatiert, um wie viel diese Uhr von der Greenwicher abweicht, und dann muß der Reisende wissen, um wie viel seine Uhr täglich voreilt oder zurückbleibt. Der Be trag dieser letzten Größe ist von weniger Belang; es ist aber von wesentlichster Bedeutung, daß die Größe de« Voreilens oder Zurückbleiben«, Gang genannt, konstant bleibt. Kommt der Reisende in Gegenden, deren Länge bereit« anderweitig bestimmt ist, so macht er einige Höhen beobachtungen der Sonne, aber nicht in der Nähe de« Mittag«, und berechnet au« denselben, um wie viel seine Uhr von der Ort«zeit abiveicht Au« der bekannten Länge und au« dem Resultate seiner Beobachtung findet er dann wieder, wie viel seine Uhr von der Greenwicher Uhr abweicht und ob der „Gang" seiner Uhr derselbe wie zur Zeit seiner Abreise geblieben ist oder um wie viel sich diese Größe geändert hat Wenn der Gleisende lange Zeit in Gegenden weilt, wo ihm diese Kontrolle nicht zu Gebote steht, so ist er zunächst vollständig auf die Konstanz de« Uhraange» angewiesen Die Astronomie kennt nun einig« Beobachtungen, au« denen sich Kontrollen Herstellen lassen Solche sind in erster Linie die Beob- achtung des Mondes, unv zwar vcr Winkelentfernung des selben von der Sonne oder anderen Hellen Fixsternen usw Dann können auch die Verfinsterungen der Jupiter- Trabanten dazu verwendet werden Die letzteren Beob achtungen erfordern aber bereits die Mitnahme eines größeren Fernrohres, und es kann einem über das Eis der Polargcgenden ziehenden Forscher nicht zugcmutet werden, einen solches Instrument mitzuführen, außerdem wäre eS zwecklos, weil diesi Beobachtungen nur des Nachts angestellt werden können. Al« Nansen« Uhren stehen ge blieben waren, fehlte ihm da« Hauptersorderni« zu einer Längenbestimmung. Da zur Zeit seiner Reise übers Ei» die Sonne stet« über dem Horizont stand, so war die Beobachtung der D'stanz des Monde« von Fixsternen ab solut unmöglich, aber auch die Beobachtung der Distanz des Mondes von der Sonne schwer durchzuführen, weil zu dieser Beobachtung der Mond schon etwas weiter weg von der Sonne entfernt sein muß, damit er bei Tage er blickt werden kann, und der Mond in dieser nötigen Distanz und in jenen Gegenden sich schon sehr nahe dem Horizont oder zumeist unter dem Horizont befindet Da somit Nansen kein Mittel besaß, um da« Malheur, daß ihm seine Uhren stehen geblieben waren, Halbwegs gut zu machen, so muß er sich in einer fürchterlichen Lage be funden haben, denn er hatte fast die ganze Orientierung verloren. Man wird die« bester begreifen, wenn man sich unseren Reisenden an den Nordpol versetzt denkt Tort ändert sich die Höhe der Sonne nur infolge der Dekli nationsänderung und überall ist Süden Im Besitze einer Uhr, die Greenwicher Zeit giebt, kennt er aber die Richtung, in der Greenwich liegt, denn dort, wo die Sonne steht in dem Moment, wo seine Uhr Mittag in Greenwich angiebt, dort liegt Greenwich Und mit dieser Richtung kennt er alle anderen Richtungen Da», wa» strenge nur für den Nordpol gilt, gilt auch nahezu für die nächste Umgebung derselben Nansen konnte mit Hilse seincr Uhr ziemlich genau angeben, wo Greenwich liegt, und die Richtung, in der zu marschieren war. In dem Momente aber, wo die Uhren stillstanden, war er ein Wanderer in der Wüste, der den Pfad zur rettenden Last