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UZ/36 6. Oktober 1989 5 Ein „Großer der Wissenschaft" wurde 80 - Prof. Walter Markov Eine alte Geschichte, doch immer neu... - Sieben Fragen an den Jubilar - K. M.: Lassen Sie mich mit einer oft — und zuweilen wohl in über großer Erwartung — an Historiker gestellten Frage beginnen: Was und auf welche Art läßt sich aus der Ge schichte lernen, und wie sieht dieser Zusammenhang für den Neuzeitspe zialisten mit Blick auf unser Jahr hundert aus? W. M.: Die Greise teilt man ge meiniglich in streitsüchtige und mundfaule. Ich zähle zu letzteren und lege mich nur noch ungern an. Über die Lernfähigkeit unserer Spe zies klaffen die Meinungen aber sehr auseinander: Mit welchen soll ich mich darob überwerfen? Sagen wir vorderhand: Guten Willen vor ausgesetzt (ohne den nichts läuft), vermag (objektiviertes) Geschichts verständnis in bestimmten Entschei dungssituationen zu vertieftem, allseitigem Durchdenken aufzufor dern und anzuregen; nicht aber schnurstracks und unvermittelt fer tige Antworten aus dem Ärmel zu schütteln, heute so wenig wie ehe dem. Zur Feineinstellung im Raum zeitparallelogramm des Jahrhun derts bedarf es immer des Umweges über den eigenen Hinterkopf (was im übrigen freilich bereits Lenin wußte). Eine alte Geschichte, doch immer neu ... K. M.: In diesem Jahr bewegte der 200. Jahrestag der Franzö sischen Revolution durchaus die Ge müter. noch stärker aber rückte eino Aufarbeitung der Geschichte unseres Jahrhunderts und unserer Gesellschaftsordnung ins Blickfeld. Dabei begegnete auch manche Par allele, die auf den ersten Blick ein leuchtend erscheinen mag, wie die folgende von Prof. Moritz Mebel (LVZ, 2./3. September 1989): „Ro- bespierre, unbestritten eine der frap- pierendsten Persönlichkeiten der Französischen Revolution, wurde mit der ihm plötzlich gegebenen Macht auch nicht fertig, miß brauchte sie. Und Stalin? Er hat die zutiefst humanistischen Ideale des Marxismus-Leninismus ausgehöhlt, vergewaltigt sich auf seine eigene Art und Weise eine eigene Arbeits- armee schaffen wollen ..." W. M.: Scheinbar einleuchtend schon, aber eben nur auf den ersten Blick, will sagen, unter einem ganz bestimmten, beschränkten Ein fallswinkel. bei Konzentration auf einen einzelnen — und dazu höchst unerfreulichen — Aspekt unter vie len: die Versuchung durch' unge teilte, unduldsame Macht (..Du sollst haben keine Götter neben mir...“). Jedoch Vorsicht und noch mals Vorsicht beim Ziehen von Ver gleichen zwischen zwei Weltbewe gungen. die gewiß beide roß. ia im mens, universal, aber in Her Sub stanz, im Rhythmus, im Topos ver ¬ schieden waren! Robespierres ge schworene Feinde brauchten nicht erst auf gegenwärtiges (notwendi ges!) Drängen nach Rechnungsle gung über Stalins Taten und Unta ten zu warten, um ihrerseits den „Unbestechlichen“ analog zu ver teufeln. Sie tun das nämlich schon 1981 hielt Prof. Walter Markov anläß lich der Festveranstaltung zum 32. Jah restag der Republik im Festsaal des Alten Rathauses die Ansprache. seit 200 Jahren ausgiebig bei La dung immer wechselnder Zeugen der Anklage. Bei aller dokumentier ten Distanz zum herausragenden un ter den jakobinischen Wortführern, aus der selbstredend der Biograph seines Gegenspielers Jacques Roux nie ein Hehl machte, weigere ich mich aber ganz entschieden, in Tuchfühlung mit einer literarischen Konterrevolution zu geraten, der die Französische Revolution gerade noch als franko-französischer Geno zid herhält. K. M.: Erfolgreiches Wirken wie das Ihrige zieht mit gewisser Fol gerichtigkeit die Frage einer Bilanz nach sich. Was würden .Sie, blicken Sie heute auf Ihre wissenschaftliche Laufbahn zurück, auf jeden Fall an ders machen? W. M.: Auf jeden Fall nicht noch mals auf so vielen Hochzeiten gleich zeitig tanzen wollen. Für Kinder und Kindeskinder mehl' Zeit erüb rigen. Weniger Nachsicht mit mir selber üben. Und, und, und ... Was nicht heißt, daß ich sehr vieles („ohne Rücksicht auf Verluste!“) nicht genauso oder fast genauso an packen würde. K. M.: Welche Werke würden Sie jedem angehenden Geschichtsstu denten zur Pflichtlektüre empfeh len, und welcher Anspruch wäre an inn oder sie über benarrliches Ar beiten hinaus noch zu stellen? W. M.: Der beste Einstieg muß weder für jedermann/jede Frau noch zu allen Zeiten derselbe sein. Man lasse sich von der Denk- und Sprachgewalt eines Marx nicht ab schrecken, doch auch Kostproben guter historischer Prosa: Droysen, Burckhardt oder Ranke und warum nicht auch Conrad Ferdinand Meyer bilden ihre Leute. Und mißachtet mir den Erwerb soliden handwerk lichen Könnens nicht! Als Warnta- fei: Mir fehlte es zeitlebens etwas an ausgefeilter Technik und Me thode, weil ich die in Proseminaren erlernbaren „ Hilfswissenschaften “ sträflich geschwänzt hatte. Merke aber auch, daß ohne eine große Por tion mitgebrachter Neugier und Mordsspaß am „Krimi Geschichte“ dem Historiker sogar der durchge- sessenste Hosenboden wenig nützt. K. M.: Wer sind Ihre Lieblings schriftsteller und jene Historiker, deren W’erke Sie immer wieder mit Vergnügen lesen (würden)? W. M.: (Wenn es verstattet ist, Agatha Christie hier auszusparen): Shakespeare, Dostojewski — und vielleicht Wilhelm Busch oder Raabe. Die engeren Zunftgenossen liest man (so man nicht ex professo mal muß) selten ein zweites Mal. Honni soit qui mal y pense! K. M.: Aus gegebenem Anlaß: An welchen Ihrer Geburtstage erinnern Sie sich besonders und an welchen überhaupt nicht gern? W. M.: An den 5. 10. 1909 über haupt nicht; an den 5. 10. 1935 un gern, weil erstmalig hinter Schwe dischen Gardinen; ah ein „Es ist ge schafft!“ zum 65., wiewohl sich das. nur zur Hälfte bewahrheitete. I K. M.: Was wünschen Sie, möge sich bis zur nahenden Jahrtausend wende an der Leipziger Universität (oder in Leipzig) verändern? W. M.: An der Uni die Zufuhr von Frischluft für neues Denken noch im Auslauf des alten Jahrtau sends. In der Stadt eigentlich (bei nahe) dasselbe: auch ein Mehr an Sauerstoff zum Atmen. (Es fragte Dr. Katharina Middell.) Prof. Walter Markov - ein Porträt des Leipziger Malers Prof. Arno Rink. WALTER MARKOV, geboren am 5. Oktober 1909 in Graz/ Österreich, Sohn eines kauf männischen Angestellten, Abitur 1927 in Suvak/Jugoslawien. Stu dium der Geschichte, Geogra phie, Philosophie, Religionsge schichte, Orientalistik und Sla wistik in Leipzig, Köln, Hamburg und Berlin. Promotion 1934 in Bonn. Widerstand gegen das NS-Regime, Herausgabe der illegalen Zeitschrift „Sozialisti sche Republik 1 '. 1935 verhaftet und zu zwölf Jahfen Haft verur teilt. Leitet 1945 die Selbstbefrei ung der Häftlinge des Zucht hauses Siegburg. 1947 außerordentlicher Pro fessor in Halle, 1949 ordentli cher. Professor für Neuere Ge schichte an der Universität Leip zig und Direktor des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte. über siebenhundert Publika tionen, vor allem zur Geschichte 'der Französischen Revolution. Wiederholte Gastprofessuren an Universitäten Asiens, Afrikas, La teinamerikas. Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften; Vizepräsident der Internationa len Kommission für Geschichte der Französischen Revolution beim CISH. Hohe nationale und internationale Auszeichnungen. ★ Wer über Walter Markovs poli tisches und wissenschaftliches Leben mehr erfahren möchte, sei auf sein in Kürze im Aufbau- Verlag erscheinendes Buch „Zwiesprache mit dem Jahrhun dert", dokumentiert von Thomas Grimm, hingewiesen. E s war im Wintersemester 1948, als ich Prof. Markov erstmals im total überfüllten Hörsaal 11 der alten Universität erlebte. Da stand ein Wissenschaftler hinter dem Katheder, der mich seitdem im mer wieder mit seinen geschliffenen Attacken gegen verstaubte Denk schablonen, der bestechenden Logik seiner Argumente, seinem feinsin nigen Gespür für weit über den All tag hinausgreifende Fragestellungen und einer geradezu einzigartigen fähigkeit des Kombinierens empi risch-historischer Fakten mit theo retischer Verallgemeinerung zu fas zinieren verstand. Irgendwie mußte er in seinen be rühmten und ob ihres hohen An spruchs auch gefürchteten Semina ren auf mich aufmerksam geworden sein, denn er holte mich 1951 als Uilfsassistent an seinen Lehrstuhl. Nun gehörte ich zur kleinen Schar von Jüngern im Stammhaus, war — wie wir unter uns sagten — Marko- vianer geworden. Die Atmosphäre lebte von politischer, fachlicher und menschlicher Gemeinsamkeit. Am härtesten arbeitete der Meister selbst: man konnte die Anspannun- oen der alltäglichen Nachtarbeit an seiner trotz langjähriger faschisti scher Kerkerhaft jung gebliebenen Physiognomie ablesen. Aber auch die Geselligkeit kam nicht zu kurz. Wie kein anderer beherrschte „der Alte“ die hohe Kunst des Skatspiels. Hier ging es ebenso heiß zu wie im Seminar. Manch einer hat fluchtar- Hg die Runde verlassen, weil er sich ien vtrblüffenden Kombinations- Wie kein anderer beherrschte der „Alte" die Kunst des Skatspiels _ Von Prof. Dr. sc. LOTHAR RATHMANN - Zügen des „Chefs im Ring“ nicht ge wachsen zeigte. Als die welthistorische Stunde für die Kolonialunterdrückten schlug, forderte Walter Markov der univer salgeschichtlichen Konzeption von Karl Marx folgend, auf, in die Ge setzmäßigkeiten des antikolonialen Befreiungskampfes, einzudringen. Er entließ uns in die Afrika- und Nah ostwissenschaften, ermunterte zur Übernahme von Leitungsverantwor tung und gab mit seinen Publika tionen Anstöße und Anregungen von bleibender Wirkung für das Im Jahre 1978 verlieh der damalige Rektor der KMU, Prof. Lothar Rathmann an Prof. Markov die Würde eines Ehrensenators. Foto: Archiv junge Wissenschaftsgebiet. Dann wurde ich 1975 zu meiner eigenen Überraschung zum Rektor berufen. Was mag wohl mein alter Chef ge dacht haben, als er das Greenhorn von einst nun in aller Förmlichkeit mit „Magnifizenz“ anredete? Für mich jedenfalls stand fest: Du darfst ihn auch in diesem Amt nicht enttäuschen. Er half mir dabei mit manchem weisen Rat. Ich wiederum konnte durch ihn im Ausland Punkte für die Universität sam meln. Denn an all den 26 Universi täten, mit denen ich namens unse- ter Alma mater Verträge abschloß, bürgte der Name Walter Markov für höchste wissenschaftliche Quali tät. Prof. Markov wohnt wie ich in Holzhausen. Erst seit seinen zwei Herzinfarkten vermochte es seine Frau, ihn bisweilen von seinen Bü chern im Dachzimmer weg zu Spa- zieraängen ins Dorf zu locken. Hier treffen wir uns hin und wieder. . Er vergißt nie zu fragen: „Wie ’ geht’s Charlie, Ihrem Dackel?" Die beiden mögen sich, zwei alte Haude gen. Einmal hörte ich, wie sich zwei Holzhäuserinnen zuraunten: „Das ist Professor Markov; soll ein ganz Großer in der Wissenschaft sein.“ Er ist es, und noch vieles mehr. Ein mal sagte er: „Immer wenn unsere Republik Geburtstag feiert, laßt uns dabeisein.“ So auf denn, lieber Mei ster, zum Fünfzigsten! Und auf dem Wege dahin viel Gesundheit im Kreis Ihrer vielköpfigen Familie und Ihrer Freunde hier und in aller Welt. ---- ses SM8& S 8883 4 8 88.8889 Leistung war kein Schlagwort, sondern Selbstverständlichkeit Walter Markov oder Die Erziehung der Gefühle - Von Prof. Dr. sc. MANFRED KOSSOK - Wer wie ich 1950 das Studium in Leipzig aufnahm, dem begeg nete zunächst eine Stadt, deren Zentrum und viele'andere Vier tel schwer durch den Krieg ge zeichnet waren. Für einen Jün ger der Geschichte Literatur und Philosophie spielte sich das akademische Leben in einem Areal ab. das von den Resten der alten Universität (dem Alberti num), dem Franz-Mehring- und Geschwister-Scholl-Haus bis hin zu den Instituten am Petersstein- weg (heute Teil des VP-Präsi- diums) und der ebenfalls durch Bomben halbierten Universitäts bibliothek reichte. Für die mehr als bescheidene Geselligkeit bo ten sich das Weinhaus Sturm im Keller des Albertinum, das alte Cafe Corso mit seinem sächsisch verfremdeten Wiener Flair, für robuste Typen der Fuchsbau hin ter dem damaligen Ethnolo gischen Institut und die jugend- stilige Kalinin-Mensa an. Der Neuankömmling stand et was hilflos vor den Schwarzen Tafeln mit unzähligen Zetteln von Vorlesungs- und Seminar- und Übungsankündigungen. Be rater, die einem das Denken äb- nahmen, gab es noch nicht. Man kam auch nicht automatisch und schubweise per Studiengruppe in ein Seminar; über die Aufnahme der Kandidaten entschieden die Professoren und Dozenten nach persönlichem Gespräch. Um sich zu orientieren, war der Rat der älteren Semester gefragt. Was da alles auf den Studiosus an Emp fehlungen einstürmte: für die Germanistik unbedingt Frings, Greiner für Sturm und Drang, Hans Mayer über Kultur- und Li teraturgeschichte, Korff, wenn es um den Geist der Goethezeit ging, in die Antike führten O. Th. Schulz und Schubart, fürs Mittelalter gab es Sproemberg, keine politische Ökonomie ohne Behrens, für die Philosophie kam nur Bloch in Frage, Roma nistik bedeutete Krauss, deut sche Geschichte und Arbeiter bewegung galt es, unbedingt bei Engelberg und Bartel zu hören und was Weltgeschichte anging, so strömte alles zu Markov. Es war eine Phalanx unverwechsel barer Persönlichkeiten, die ein großes Stück der neuen Univer sitätsgeschichte schrieben. Wer im Senatssaal des Albertinums Markov hören wollte, mußte sehr früh kommen, um einen Platz zu erhalten oder sein eige nes Stühlchen mitbringen. Walter Markov gehörte zu je nen Lehrern, die Erfahrung und Geist des gelebten Antifaschis mus und das Bekenntnis zu den Idealen des Sozialismus in un sere Erziehung einbrachten. Was wirkte, waren nicht die großen Worte, sondern die Integrität des persönlichen Vorbildes in einer Zeit, da die Frage „Wer — wen?“ durchaus noch in der Schwebe blieb. In Markovs Vorlesungen wurde der Bogen vom 16. Jahr hundert bis in die Zeit der Ok toberrevolution gespannt. Die leise Stimme des Vortragenden forderte den Hörern höchste Kon zentration ab. Freie Rede und spontane Ausflüge in Seiten zweige des historischen Gesche hens verfehlten nicht ihre Faszi nation. Zugeständnisse im Niveau gab es nicht. Wer die Be griffe oder Fremdworte nicht verstand, der mußte eben hin terher die Lexika wälzen. Schon damals zog sich Markovs Vor liebe für die Revolution durch seine Darstellung der Weltge schichte. Wir „erlebten“ den Sturm auf die Bastille und die Tuillerien, fieberten mit den Ja kobinern, und nicht selten wurde am Ende der Vorlesung die „Mar seillaise“ angestimmt, wenn wir auch nicht mehr kannten, als die erste Zeile: „Allons, enfants de la patrie!“ Das Ende Napoleons bei Waterloo drückte uns das Herz ab. Wir erfuhren, daß die junge Sowjetmacht ihren ersten Kreuzer auf den Namen „Marat“ taufte und das erste Robespier redenkmal in der UdSSR und nicht in Frankreich stand. Auch die eindeutige Haltung zum er sten Land des Sozialismus prägte Markovs Gedanken zur Weltge schichte. Schon im zweiten Semester be kam ich die Chance,, am Mar kov-Institut im Peterssteinweg als Hilfsassistent (Hausjargon: „Hilfsbremser“) zu arbeiten. Das brachte die persönliche Begeg nung mit dem verehrten Lehrer und für die späteren Jahre eine kollegiale Zusammenarbeit, die bis in die Gegenwart anhält, da unsere beiden Schreibtische nur durch 50 Zentimeter Luftlinie ge trennt sind. Das Institut für Allgemeine Ge schichte wurde auf den Trüm mern des einstigen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte aufgebaut, soweit es den Faschis mus und den Krieg überdauert hatte. Damit erhielt das Erbe Karl Lamprechts unter neuen hi storischen Bedingungen eine Heimstatt. An Lamprecht, den li beralen Universalhistoriker und einstigen Rektor, der 1911 davon träumte, im Gebiet der heutigen Straße des 18. Oktober eine neue Universität zu bauen, erinnerten zwei Gemälde, ein reichverzier ter Schreibtisch mit hartem Stuhl dahinter, ein riesiger Ohrensessel, von dem aus Mar kov nun unsere Besprechungen leitete, und das Ganze auf einem schon arg zerfaserten angebli chen Orientteppich, den aber keiner zur längst fälligen Reini gung bringen wollte, da man nicht wußte, ob das Traditions stück die Prozedur überstand. Zum Institut gehörten eine, vor allem in ihren kulturhistorischen Beständen einmalige Seminar bibliothek, die allerdings, wie so vieles andere, dem Umzug in den Neubau am Karl-Marx-Platz zum Opfer fiel. Unter Markovs engstem Schü lerkreis fühlte ich mich in einem zweifachen Sinne als Außensei ter. Als passionierter Nichtrau cher wußte ich dem Qualm, der den aus der österreichischen Ta bakregion bezogenen Virginas entströmte, wenig Sympathie ab zugewinnen; das letzte Buch roch danach. Weit schlimmer aber war, daß ich von dem vom Markov-Kollektiv mit Hingabe betriebenen Skatspiel absolut nichts begriff. So übernahm ich gern die Kontrollgänge während der nach dem 17. Juni 1953 übli chen Nachtwachen, um mich dabei mit der Seminarbibliothek bekannt zu machen. An Markovs Seite zu arbeiten, bedeutete vor allem Disziplin aufzubringen, den Achtstunden tag und längeren Urlaub in den Schornstein zu schreiben. Das Honorar dafür war die Ermuti gung zu selbständiger, ungegän gelter Kreativität kritischem Denken, Respektlosigkeit vor tra dierten Dogmen und gesundem Mißtrauen gegen absoluten Wahrheitsanspruch. Leistung war kein Schlagwort, sondern - eine Selbstverständlichkeit (da mals noch ohne Prämienver gabe). Wer nicht konnte oder wollte, der mußte gehen. Mar kovs Wort vom ..tauben Holz“, dessen man sich, wollte man na tional und international be stehen, zu entledigen galt, schlug unter den Predigern der Gleich macherei und des „gesunden“ Mittelmaßes böse Wellen. Viele Jahrzehnte bevor der „Leistungs nachweis“ erfunden und schrift lich eingefordert wurde, gehörte es zu den Selbstverständlichkei ten des Instituts, öffentlich Re chenschaft über Lehre und For schung zu geben. Es gab Zeiten, da das Bekenntnis, ein „Marko- vianer" zu sein, einigen Mut er forderte, den nicht jeder auf brachte, der sich später anders besann. Wie also ehren wir das „Alter“ und mit ihm einen Menschen, dessen physische Kraft und gei stige Leistung nach acht Jahr zehnten noch jeden „Jungen“ herausfordert? Indem die auf genommene Spur weitergeführt und um neue Dimensionen be reichert wird, geht doch die mit dem Wirken Walter Markovs ver bundene Leipziger Schule der Revolutionsforschung inzwi schen in die vierte Generation. Walter Markov und der Schule: Ad multos annos!