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95. Jahrgang Nr. 90 Donnerstag, am 18. April 1929 Beilage zur Weitzeritz-Zeitung Zwischen-Bilanz . Bollversammlung -es Industrie- und Hanvelstags. - Berlin, den 18. April. Im Plenarsaal des Reichswirtschaftsrats trat der deutsche Industrie- und Handels tag, die Spit- zenorgamsation sämtlicher Industrie- und Handelskam mern, zu seiner 49. Vollversammlung zusammen. Eine Reihe bekannter Wirtschaftsführer schilderte die hin reichend bekannten Wirtschaftsverhältnisse Deutschlands und behandelte die Sorgen der einzelnen Gruppen der Volkswirtschaft. Die Neparationsfrage blieb — ab gesehen von den Ausführungen des Ministers Cur tius — im Hintergrund, und das war gut so. Die Reparations-Konferenz in Paris ist in ihren entscheidenden Abschnitt eingetreten. Beide Parteien haben ihre Karten aufgedeckt und dabei ge zeigt, wie tiefgreifende Differenzen nach zehnwöchiger Berhandlungsdauer noch bestehen. Gibt es eine Brücke zwischen den Forderungen der Gläubiger und den möglichen Leistungen Deutschlands? Hat Owen Joung noch einen Vermittlungsvorschlag in Reserve? Ist diese Konferenz noch zu retten, oder ist eine Vertagung un vermeidlich? Das sind Fragen, die heute den deutschen Arbeit nehmer ebenso bewegen, wie den deutschen Unterneh mer. Aber es ist zwecklos, in diesen entscheidenden Tagen bloße Ansichten zu äußern. Das ist auch über flüssig. Man darf zu den deutschen Sachverständigen das Vertrauen haben, daß sie Rückgrat besitzen und klug genug sind, um als ehrliche Kaufleute keinen Wechsel zu unterschreiben, den selbst der Gerichtsvoll zieher nicht in bares Geld umwandeln kann. An Beratungsstoff hat es dem deutschen Jndustrie- und Handelstag in seiner 49. Vollversammlung trotz dem nicht gefehlt. Präsident Franz v. Mendels sohn erinnerte wieder einmal an die alte Weisheit, daß man die Einfuhr nur mit der Ausfuhr oder mit Diensten für das Ausland bezahlen kann. Also heißt es für uns: Ausbau der internationalen Absatzmög lichkeiten, Erschließung neuer Märkte! Eine andere dringliche Aufgabe besteht darin, die Kapitalarmut der deutschen Wirtschaft zu beseitigen. Eine Auswir kung dieser Kapitalarmut sah Präsident v. Mendels sohn auch darin, daß das Arbeitslosenheer groß und der Aktienkurs niedrig ist. Die Lage der Landwirt schaft wurde auf der Tagung des Industrie- und Han delstages als ausgesprochen ungünstig anerkannt. Der Präsident der Breslauer Handelskammer, Dr. Grund, befaßte sich mit aktuellen Fragen des Finanz wesens und des Steuerrechts. Nach seinen Darlegungen bedingt der Wiederaufbau der Wirtschaft — und da mit hat er sicher nicht unrecht — eine Verbesserung des Steuersystems und eine wesentliche Herabsetzung der Steuerlasten. Dr. August Weber sprach über das persönliche Unternehmertum im Dienste der Volkswirtschaft. Nur der Glaube an die Zukunft unseres Volkes, die Aus nutzung der Verantwortung des Arbeitswillens, des Spürsinns und der Initiative der Unternehmer aus allen Gebieten, auf denen ein Staatssozialismus un berechtigt sei, werde Deutschland wirtschaftlich und da mit politisch wieder freimachen. — Das Schlußreferat hielt Rudolf H. Petersen, Hamburg, über das Thema „Ziele und Wege der Weltmarkt-Erweiterung". Will man alle Referate auf einen gemeinsamen Nenner bringen, dann kann ckian sich dazu der Formel bedienen: Deutschlands Wirtschaftslage ist ernst, aber nicht hoffnungslos! Die Regierungen waren aus der 49. Vollver sammlung des Industrie- und Handelstags durch die Reichsminister Dr. Curtius, Dr. Hilferding, Groener und Wrssell sowie den preußischen Handelsminister Dr. Schreiber vertreten. Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius, der im Verlaufe der Tagung das Wort nahm, unterstrich die Notwendigkeit, in der Ncpara- tionsfrage Zurückhaltung zu üben und fuhr fort, Wirt schaftspolitik zu machen ohne Kenntnis der Repara tionsregelung würde Theorie sein. . Bei den gegen wärtigen Verhandlungen in Paris handele es sich um die Lösung eines für die deutsche Wirtschaft, das deutsche Volk und den Wirtschastsfrieden der ganzen Welt entscheidendes Problem. Alles hänge davon ab, daß sich die Sachverständigen in Paris ihrer Aufgabe unter unpolitischer Sachlichkeit entledigten. Es dürfe nicht nach Art eines Handelsgeschäftes über Schulden und Zahlungen verhandelt werden, sondern «S gelte, nach rein sachlichen Grundsätzen eine für Schuldner und Gläubiger tragbare Lö sung der Reparationsfrage zu finden. Chronik des Tages. — Reichsbankpräsident Dr. Schacht hat den Sachver ständigen eine schriftliche Niederlegung des deutschen Stand punktes überreicht. — Der Deutsche Industrie- und Handelstag trat in Berlin zu seiner 49. Vollversammlung zusammen. — Im Beidenflether Bauernprozeß ist am Mittwoch das Urteil verkündet worden. — Der Verteidiger des Grafen Christian hat gegen die Ablehnung des Haftentlassungsantrages Beschwerde er hoben. — Der Pariser D-Zng ist im Bahnhof Hal auf der Strecke Brüssel—Mons verunglückt. Bisher wurden 10 Tot« und 30 Verletzte aus den Trümmern geborgen. — In London sind 7 Personen an den schwarzen Pocken gestorben. 175 Personen befinden sich in ärzt licher Behandlung. — In ganz Belgisch-Kongo wüten Ruhr, Cholera und Pocken. Schacht antwortet den Alliierten. Schriftliche Rie-erlegung -es -rutschen Stan-Punktes. — Erhebliche Differenz zwischen Forderung und An gebot. — Paris, den 18. April. Reichsbankpräsident Dr. Schacht hat als Führer der deutschen Delegation den Sachverständigen im Hotel Georg V. eine schriftliche Niederlegung des deutschen Standpunktes in der Reparationsfrage über reicht. Aus der Kürze der Zeit, die den deutschen Sachperständigen für die Ausarbeitung des Vorschlags zur Verfügung stand, ergibt sich, daß auch die deut sche Denkschrift nur als ein „interessanter Beitrag" zu dem Thema der Reparationen zu werten ist. Neber -en Inhalt -er -rutschen Denkschrift vcr- lantct, daß Vie deutsche Delegation gestaffelte Jahres leistungen «»geboten hat. Die Differenz zwischen -cm -rutschen Angebot «n- -er letzte» Fordernng der Sach- verstä»-igen -er vier alliierten Hauptgläubiger ist groß »nv beträgt mehrere hnn-ert Millionen Mark im Jahre. Vergrößert wir- -iesc Klnft noch -«durch, daß die deutsche Delegation Zahlungen über das 87. Jahr hinans strikte abgelehnt habe« dürfte. Die Alliierte» hatten bekanntlich gefordert, -aß wir nach -ein 37. Jahre noch weitere 2l Jahre jährlich etwa 1,7 Mil liarden M. für die Abdeckung -er interalliierten Schnl-en zahlen sollten. Eine amtliche Mitteilung über den Verlauf der Mittwoch-Sitzung der Sachverständigen liegt bis zur Stunde noch nicht vor. An der Richtigkeit der bis herigen Verlautbarungen ist aber wohl kaum zu zwei feln und ebenso nicht daran, daß die deutschen Ge genvorschläge sachlich wenig Neues enthalten dürften. Man hat sich eigentlich nur noch einmal das schrift lich bescheinigt, was man bisher mündlich vorgebracht hat. Bildet das den Anfang der Lösung oder hat man darin etwa schon eine Tatbestandsaufnahme zu erblicken, die die Verhandlungen der Noung-Kom- mission für eine neue Reparations-Konferenz nutzbar machen soll? Während die deutschen Sachverständigen mit der Ausarbeitung der Gegendenkschrift beschäftigt waren, empfingen die übrigen Delegierten Vertreter der Mächte, die in der Kommission nicht vertreten sind, nämlich Südslawiens, Rumäniens, Griechenlands und Portugals. * Amerika rechnet mit dem Scheitern. — New York, 17. April. Die „Evening Post" beschäftigt sich in einem Leitartikel mit der Repa rations-Konferenz und bemerkt dabei, ein Fehlschlag der Konferenz, der immer noch wahrscheinlich sei, lasse die Tür für weitere Konferenzen mit der Möglichkeit besserer Bedingungen offen. Für Deutschland Handele es sich um schicksalsschwere Fragen. Eine Endregelung -er Reparationsfrage schasse uuabän-erliche Tat sachen, un- -as erfor-ere selbstverständlich eine frei willige Znstimmnng. Kreuzer „Königsberg" in Dienst. Als neues Flaggschiff -cs Befehlshabers -er Ostsee streitkräfte. Das Charakteristische an der „Königsberg" ist die Verschiebung der Aufbauten nach vorn, wodurch der Kreuzer etwas Wuchtig-Vorwätsdrängendes bekommt. Im Vergleich mit der bisherigen Bauart der Kreu zer weist die „Königsberg" manche konstruktive Neue rungen auf. Trotz seiner Vergrößerung — die Läng« beträgt 169, die Breite 15,2 Meter — verzeichne: der Kreuzer einer stärkere Maschinenleistung und ein« bessere Armierung. Bei der Königsberg" hat di« Marine zum ersten Male Triple-Türme ange wandt; jeder Geschützturm enthält drei 15 Zentimeter- Schnellfeuer-Geschütze. Ferner besitzt das Schiff vier 8,8-Zentimeter-Geschütze und zwölf Torpedorohre. Der Hintere Gefechtsmast, wie man ihn sonst sieht, fehlt bei der „Königsberg". Der alte Kreuzer „Königsberg" hat sich im Welt kriege als Kaperschiff einen Namen gemacht. Im ost afrikanischen Rufidji-Fluß eingekesselt, wurde das Schiff nach heldenmütigem Kampfe von der Besatzung schließlich gesprengt. Die Kanonen konnten zuvor noch von Bord gebracht werden; sie kamen Lettow-Vorbeck zustatten und boten in seinen Reihen den Engländern bis zum Kriegsschlutz Trotz. Rußlands Aktion gescheitert. Keine Mehrheit für die russischen Abrüstungsvorschläg«. — Die Stellungnahme Graf Bernstorffs. Die Aussprache über den von Litwinow eingebrachten russischen Abrüstungsvorschlag nahm in der vorbcrelter den Abrüstungskommission einen recht bewegten Verlauf. Aller dings stand das Schicksal des russischen Entwurfs von An fang an fest. Die Feind« jeder wirklichen Abrüstung haben in Genf die Mehrheit, und diese Mehrheit will auch von : Teilabrüstungsvorschlägen nichts wissen. Der russische Entwurf gipfelte in den Vorschlag, Heere über 200 000 Mann und Flotten über 200 000 Tonnen auf die Hälfte und die stärkeren Heere auf ein Drittel! ihres jetzigen Bestandes herabzusehen. j Graf Bernstorff forderte, daß die Abrüstnngstechniker i sich immer bescheidenere Ziele abfteckten. Ma« Gnu« i» Etap. pen vorgehen, dann aber müßt« schon -k« erste Etappe ein« , fühlbare Herabsetzung der Rüstungen bring«.«. Graf Bern- storff schloß mit der Erklärung, daß er für die sofortig» > und eingehende Prüfung der Sowjetvorschläge «intret«. Politische Rundschau, j — Berlin, den 18. April 1929. — Der GemeindeauSschuß des Preußischen Landtag«» tritt am 23. Mai eine 14 tägige Reise in das westliche Um- gemeindungsgebiet an. Erlaß -er R«ichSregier»ng zum 1. Mai. Da» Reichskabinett hat beschlossen, den Dienst in den Reichs-, : behörden und Reichsbetrieben am 1. Mai wie im Vor- j jahre zu regeln. In Sachsen, Hamburg, Braunschweig, j Lübeck und Schaumburg-Lippe, wo der 1. Mai als. - landesgesetzlicher Feiertag gift, sollen die Reichs behörden daraus Rücksicht nehmen. In den übrigen ! Gebieten müssen Beamte, Angestellte und Arbeiter, j die an den Maifeiern teilnehmen wollen, bei ihren § Dienstvorgesetzten um Urlaub nachsuchen. — Rundschau im Auslande. L Die belgische Regierung will den Spionen das Hand werk legen; sie hat aus Beamten und Offizieren einen Aus schuß eingesetzt, der besondere Maßnahmen treffen soll. , ; Infolge einer weiteren Verzögerung der Bauarbeiten können die neuen englischen Riesenluftschiffe ihre ersten Flüge j erst im Herbst unternehmen. k Der amerikanische Senat hat der Ernennung des ' Präsidenten der ersten Reparationskonferenz, Generals Da wes, zum Botschafter in London zngestimmt. * War- Hermans verhaftet uu- wie-er freigelassen. ; Der Flamenführer Ward Hermans, der durch die Veröffentlichung der Utrechter Dokumente bekannt geworden ist, wurde in Belgien verhaftet, um zur Aussage gezwungen zu werden. Ward Hermans, der dem übel berüchtigten Frank-Heine gegenübergestellt wurde, verweigerte jedoch hart näckig die Aussage und erklärte, er werde sich erst in der Gerichtsverhandlung äußern. Ward Hermans wurde darau? wieder freigelassen. Das Arteil im Bauernprozeß. Für zwei Angeklagte 8, kür 24 Angeklagte 6 Monat« Gefängnis. Für die Verkündigung des Urteils im Beiden, «reryer Bauernprozeß waren von der Polizeibehörde umfangreiche Sicherungsmaßnahmen getroffen worden. Alle zur Stadt führenden Straßen waren durch Posten abgeriegelt. Auch die Landjägerei war im ganzen Kreis bereit und übte einen ausgedehnten Sichecungs. dienst aus. Die Itzehoer Abteilung der Landespoli» zei lag in Bereitschaft. Die Artetlsverküudigrmg. wurde mit fieberhafter Spannung erwartet. Trotz de« scharfen Absperrungsmatznahmen hatten sich viele Hun- derte aus nahen und entfernten Dörfern eingefunden. Das Urteil lautet: Die Angeklagten Heinrich Sock «ich Albert Kühl werde» zu je acht Monaten Gefängnis, 24 Angeklagte, -«runter AhsbahS, Wesecke un- Bahlmann wegen Ver gehens gegen Par. 11S Str.G.V. (Deffentliche Zn- sammenrottung, Widerstand gegen Beamte ««- Nöti gung) zu sechs Monaten verurteilt. Der »«geklagt« Hanse» erhält 1SV Mark Gel-ftrafe, im Falle veS Unvermögens 10 Tage Gefängnis. 31 Angeklagte wer-en freigesprochen. Den zu sechs Monaten Verurteilten wird ein« Bewährungsfrist von drei Jahren zugestanden. Ob die beiden zu acht Monaten Gefängnis Verurteilten Bewährungsfrist erhalten, ist noch nicht entschieden. Die zu sechs Monaten Verurteilten werden 150 Mark Geldstrafe zu zahlen haben. Die Kosten des Pro zesses trägt die Staatskasse. Schlußbericht über Jannowitz. Die Ermittlungen -er Berliner Mordkommission be endet. — Beschwcrdc gegen die Ablehnung der Haft entlassung. Lie Berliner Mordkommission hat ihre Ermitt lungen in der Jannowitzer Angelegenheit nunmehr ab geschlossen. Die Beamten fertigen zur Zeit ihren Schlußbericht an. Der Verteidiger des Grasen Christian Friedrich hat, nachdem sein Haftentlassungsanttag abgelehnt wurde, gegc» die Ablehnung Beschwerde beim Ober landesgericht in Breslau eingereicht. „Der Bauer ist frei!" Die Verteidigung im Beidenflether Bauernprozeß. Die Verteidigung im Beidenflether Bauernprozeß nucs u. a. darauf hin, daß Lie Steuerzahlungen dic einzige Verkehrsader Ler Behörden zu Leu Gehöften seien. Daß ein solches Verfahren das Mißtrauen Lei -Sauern Hervorrufe, sei nicht zn verwundern. Dci Kampf Les Bauern um die Erhaltung seiner Scholl« sei letzten Endes eine Weltanschanungsfrage, denn es gehe nicht nur un: die Erhaltung Les Vermögens und des Berufes, sonder» um Lie Erhaltuug Ler Familie und des Staates. Der StauLpvukt des Staatsannmlts, baß bi« Am geklagten -es Aufruhrs schuldig feien, ginge vo« grundsätzlich falschen Voraussetzungen ans, sonst hat»« der Staatsanumlt nicht nnr die 55 ans -er Anklagebank befindlichen Bancrn «nter Anklage stellen müsse« sondern sämtliche 20» Teilnehmer an der Beidenflcthe, Kundgebung.