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Florinde sah ihm mit einem leisen Lächeln nach. Max Glauber hatte sich nicht verändert nnd war der Alte ge blieben. Unfreundlich und sonderbar. Hatte sie ihn wirk lich einmal geliebt? Hatte er sie in seinen Armen ge halten und geküßt? Wie lange war das her? Eine kurze Zeit war er gut und liebenswürdig gewesen, dann war der alte Adam in ihm wieder erwacht. Ein Jahr lang hatte sie sich mit ihm gequält, sich alle Rücksichtslosigkeit, alle Unfreundlichkeiten gefallen lassen, dann war es nicht mehr gegangen. Die Verlobung wurde gelöst, und sie fiel in eine schwere Krankheit. Max Glauber eignete sich nicht für einen sanften, herzigen Menschen, aber sie hatte ihn niemals recht ver gessen können, obgleich er ihr einen abscheulichen Ab schiedsbrief schrieb. Einen Brief, in dem er sagte, daß er glücklich wäre, nichts mehr von ihr zu hören und zu sehen. Wie lange hatte sie nichts von ihm gehört?! Nun war er hier und wohnte nicht weit von ihr! Doktor Glauber war sehr wohlhabend und ein Privatgelehrter, der lange und gelehrte Aufsätze schrieb. Einmal hatte der Pastor von ihm gesprochen. Ein Mitglied seiner Gemeinde, das niemals in die Kirche ging und nie seinen Fuß in das Pastorat gesetzt hatte. Aber seine Nichte, Helga Bering, kam zu Elwcrs und war ebenso freundlich und liebenswürdig, wie ihr Oheim sonderbar und wenig angenehm. Sinnend ging Florinde weiter. Wie lange war es her, daß sie Max Glauber gesehen hatte? Dreißig Jahre mindestens. Er hatte sich wenig verändert. Sie war mit sich zufrieden. Sie hatte geahnt, daß sie über kurz oder lang ihren ehemaligen Verlobten treffen würde und hatte Furcht davor gehabt. Nun merkte sie, daß diese Furcht un begründet war. Sie war ruhig geblieben, ein wenig mit leidig. Er wqr sicherlich innerlich einsam, und sie hatte ihre Schwester Leontine und die guten Menschen hier in Fritzen- Hagen, die alle nett waren, hilfreich und freundlich. Ver langte man mehr vom Leben? Florinde ging zufrieden ihres Weges. Es gab schlim mere Dinge, als einem Manne zu begegnen, den man einst mals geliebt hatte. Die arme Frau von Lörrach! Es ging ein Gerücht, daß ihr Sohn keine sehr angenehme Frau geheiratet hätte. Dazu ganz überraschend, ohne seine Mutter zu benach richtigen. Und diese hatte ihr Leben lang für ihn ge arbeitet. Ach, eS war heute nicht so leicht, Kinder zu haben. Sie gingen ihren eigenen Weg und fragten nicht nach den Gedanken und Wünschen der Eltern! Florinde freute sich wieder am Sonnenschein und hoffte, daß sie das Frühjahr mit seinen Freuden noch er leben würde. Mittags erzählte sie Leontine ihre Begegnung. „Ich bin ganz ruhig geblieben!' setzte sie hinzu. „Es ist doch gut, daß man in älteren Jahren eine gewisse Distanz von sich selbst erhält. Mit Max Glauber wäre ich sehr unglücklich geworden. Wahrscheinlich hätte er sich bald von mir scheiden lassen. Scheidungen sind heute ja so modern!" Leontine sah nachdenklich in Florindes gütiges Gesicht. „Wir wollen nicht mehr von ihm sprechen!" sagte sie dann. Man kann leicht sagen, daß man von diesem und jenem nicht mehr reden will — niemand ist Herr des Zufalls und der besonderen Gedanken des Schicksals. Als Leontine nach einigen Tagen einem jungen Mann begegnete, der sie anredete und sehr bekannt tat, mußte sie wieder von Dr. Glauber hören. Harald Feldern war sein Privatsekretär und zugleich ein entfernter Verwandter der Frö'tleins Baumann. <>ie liebten ihn nicht besonders, er war immer leicht fertig gewesen. Seinen Vater hatte er früh verloren, seiner Mutier viel Kummer gemacht. Sie war eine weitläufige Kusine der VaumannS, und sie hielten viel von ihr. Hör ten ihre Klaaen über den Sobn. und hielten aus bet ihr in ihre, letzten Stunde, während niemand wußte, wo ihr Sohn sich Herumtrieb. Nun stand er vor Leontine, war elegant gekleidet, und tat unbefangen. Gerade, als hätte er niemals seiner Mutter Schmerzen bereitet. „Famos, daß ich euch hier habe!" sagte er. „Helga Bering hat mir schon von euch berichtet. Ihr wohnt bei Frau von Lörrach, die auf ihr Altenteil zieht. Wen hat der Lutz geheiratet? Helga wußte es nicht oder wollte es nicht sagen. Diese Kleine bildet sich viel ein, obgleich sie ebenso wenig hat wie ich. Wie heißt die neue Frau von Lörrach mit ihrem Jungfrauennamen?" „Ich weiß es nicht!" erwiderte Leontine steif. Diese Begegnung mit dem halben Verwandten und seine Ver trautheit gefielen ihr nicht. _ „Weißt du es wirklich nicht, oder willst du es nicht sagen? Ich kenne den Lutz nämlich von Berlin her. Eine tolle Kruke. Ist eine Zeitlang ziemlich unter den Rädern gewesen. Vielleicht wird er sich jetzt zusammennehmen. Die Mama ist Wohl eine scharfe Dame?" „Frau von Lörrach ist ungewöhnlich gütig und liebens würdig!" erwiderte Leontine, und ging dann ihrem Hause zu. Feldern sah sie an, als erwarte er eine Aufforderung, mit ins Haus zu treten. Sie erfolgte nicht, Leontine grüßte flüchtig und trat allein in den kleinen Vorgarten. Verdrossen sah Feldern ihr nach. Er war ein hübscher Mensch, allerdings mit etwas verlebten Zügen und einem unruhigen Blick in den Augen. „Nun habe ich auch meine Begegnung gehabt!" be richtete Leontine ihrer Schwester. „Harald Feldern! Und er ist bei Doktor Glauber! Hoffentlich benimmt er sich dort einigermaßen, sonst wird er wieder weggeschickt. Die Pastorin sagte gerade neulich, daß Glauber mit seinem Personal sehr schnell wechsele. Nur Helga ist schon zwei Jahre bei ihm, und er läßt sie nicht gehen. Sie ist auch ein besonders nettes Mädchen!" Die Schwestern sprachen nicht mehr von Harald Fel dern. Es war ihre Art, die Menschen, die sie nicht leiden konnten, nicht im Gespräch zu erwähnen. Sie schassten sie damit ja nicht aus der Welt, aber sie wollten ihre Ge danken nicht mit ihnen beschweren. Es war angenehmer, über die gute Pastorin zu reden, über ihre Handarbeiten, über die Bestellungen des Geschäftes und eine neue Ari der Stickerei, als unnötige Worte über Menschen zu reden, die sie doch nicht ändern konnten. * * » Anfang März zog Frau von Lörrach in ihr kleines Haus, das sie Friedheim genannt hatte und das friedlich genug in einem kleinen Garten lag, von den Linden des Kirchhofes noch ein Wenig überschattet. Noch hatten sie keine Blätter, aber in den Zweigen rührte es sich und hin und wieder trat eine Knospe ans Licht. Agathe von Lörrach kam sehr leise. Eines Tages war sie da, räumte vorsichtig in ihren Sachen, hing hier und dort ein Bild auf und begrüßte die Fräuleins Baumann in ihrer gehaltenen Freundlichkeit. Sie sprach nicht von dem jungen Paar, und die Damen mochten nicht fragen, aber die Köchin Kathrine flüsterte ihnen zu, daß es am heutigen Tage erscheinen würde. Die Schwiegermutter wäre gleich mitgekommen. Sie wollte bei der Einrichtung helfen. „Wie heißt die Schwiegermutter?" fragte Leontine. „Wilhelmine Wenninger!" lautete die Antwort. „Wenninger?" Fräulein Baumann wiederholte den Namen, fragte aber nicht weiter. „As ist mir so, als hätte ich den Ramen schon gehört!" sagte sie nachher zu ihrer Schwester. „Die Porticrsleute bei Onkel Studnitz hießen so!" er widerte Florinde, die ein sehr gutes Gedächtnis hatte. „Ach ja, das werden andere Leute sein!"