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Nr. 266 Reilaae zur Wecheritz-Jeitung Freitag, am 15. November 1929 Jahrgang Chronik des Tages — In politischen Kreisen rechnet man mit der Teil nahme der Ministerpräsidenten an der Schlußkonferenz im Haag. — Der Reichsfinanzminister wird den Regierungspar teien in der nächsten Zeit seine Vorschläge zur Reichs finanzreform zugehen lassen. — Der französische Ministerpräsident Tardieu soll dem deutschen Botschafter versichert haben, Frankreich werde alles tun, damit die Räumung der dritten Zone bis zum 30. Juni beendet ist. — Der Ministerpräsident des Irak, Abdul Muhsin, hat sich in Gegenwart seiner Familie erschossen. — Die Tochter des flüchtigen Breslauer Konkurs verwalters Cohn, die Apothekenbesitzerin Kadlikowa aus der Tschechoslowakei, wurde in Breslau verhaftet. Sie steht unter dem Verdacht, Wertgegenstände ihres Vaters für etwa 30 000 Mark beiseite geschafft zu haben. — Bei Sprengungen auf der Zeche Radbod in Hamm kn Westfalen kamen zwei Bergleute ums Leben. — Alexander Subkoff, der Gatte der verstorbenen Frau Viktoria Subkoff, ist in Bonn verhaftet worden. — Die medizinische Fakultät der Universität Frank furt hat Professor Dr. Thorwald Madsen in Kopenhagen, oem Forscher auf dem Gebiete der Jmmunitätsforschuna und dem Gründer und Leiter des serotherapeutischen Instituts in Kopenhagen, den Doktor der Medizin ehrenhalber ver liehen. Die Aufgabe der Weltbank. Verwaltung «ud Verteilung der Tribute. — Schaffung neuer Möglichkeiten für internationale Finanzgeschäfte. — Baden-Bade«, 16. Novbr. Nachdem der Organisationsausschuß der Bank für internationalen Zahlungsausgleich seine Beratungen über das Vertragswert beendet und die in sechs wöchiger Verhandlung zustandegekommenen Abmachun gen unterzeichnet hat, werden jetzt die Statuten des Instituts veröffentlicht. Ter Zwo« der Bank für internationale« Zah lungsausgleich ist danach der, die Zusammenarbeit der Zentralbanken zu fördern und neue Möglichkeiten für internationale Finanzgeschäfte zu schaffen. Als Agent oder Treuhänder der beteiligten Regierungen hat sie ferner die Aufgabe, di« vo« Deutschland aufzubrin genden Tribute in Empfang zu nehmen, zu verwalten «ud zu verteilen, sowie die Kommerzialisierung und Mobilisierung der Reparationen durchzuführe« und zu überwache«. Das Stammkapital der Bank beträgt zunächst 500 Millionen Schweizer Goldfranken; es zerfällt in 200 000 Aktien, die fürs erste mit 25 Prozent «inge- zahlt werden müssen. Sobald 112 000 Aktien gezeich net sind, kann die Bank ihre Tätigkeit aufnehmen. Das Eigentum an Aktien berechtigt weder zur Stimm abgabe, noch zur Teilnahme an der Generalversamm lung. Dieses Recht wird lediglich von den Zentral banken ausgeübt. Erlaubte und verbotene Geschäfte. Die Geschäfte der Bank müssen mit der Politik der beteiligten Zentralbanken übereinstimmen. Um das sicherzustellen, muß die Bank bei Finanzgeschäften auf einem bestimmten Markt der betreffenden Zentral bank Gelegenheit zum Einspruch geben. Zu dem Aufgabcnkreis der Bank gehören ferner Gold-, Devisen-, Wechsel- und Kontokorrentgeschäfte mil den Zentralbanken. Nicht befugt ist die Bank dage gen, Note» auszugeben, Wechsel zn akzeptieren, Ne gierungen Darlehen z» gewähren, für sic lanfende Kon ten zu eröffnen oder beherrschenden Einfluß auf ein Unternehmen zn erlangen. In den weiteren Abschnitten des Statuts — ins- gesamt sind acht derartige Kapitel vorhanden — sind die Bestimmungen über die Verwaltung, die General versammlung, die Rechenschaftsberichte, die Verteilung der Gewinne sowie allgemeine Richtlinien enthalten. Schacht unterrichtet die Presse. In einer Pressekonferenz in Berlin gab Reichs, bankpräsident Dr. SchqM Erläuterungen zu den Ver handlungen in BaderEaden. Dr. Schacht betonte, die Bank für internationalen Zahlungsausgleich soll« ein rein kaufmännisches Institut sein, das keine Po, litischen Aufgaben habe. Die belgischen Delegierten die das Vertragswerk von Baden-Baden noch nicht uw terzeichnet hätten, würden ihre Unterschrift nach einem bei der Abreise hinterlassenen Bries nachträglich Volk ziehen. Räumungstermin und Konferenz Der 8«. Juni bleibt Schlußtermin für die Räumung! Inkraftsetzung des Nonngplans zum 1. März? Während man gestern mit großer Sicherheit noH den 2. oder den 7. Dezember als den wahrscheinlichen Eröffnungstag der zweiten Konferenz im Haag nannte, rst heute erneut von einer Vertagung der Konferenz di« Rede. An und für sich besteht jetzt, nachdem die Ver- handlungen in Baden-Baden über die Weltbank ab- geschlossen sind und die der übrigen Ausschüsse voi dem Abschluß stehen, kein Anlaß mehr, die Haage, Konferenz zu verzögern. Trotzdem mehren sich iu Frankreich die Stimmen für eine Vertagung der Kon ferenz bis zum Januar des nächsten Jahres. Begründet wird diese Forderung damit, daß man noch erst den Ausgang des deutschen Volksentscheids abwarten müsse und daß auch di« deutsche Regierung in ihren Entscheidungen erst frei sei, wenn der Volks entscheid vorüber wäre. Demgegenüber hat die ReichSregterung in dM M plomatischen Erörterungen, die Boffchaster von »SW in Parts mit Briand und neuerdings auch mit dem Ministerpräsidenten Tardieu hatte, zum Ausdruck ÜA bracht, oaß sie nach wie vor Wert auf eine oaS dige Klärung der im Haag aufgeworfenen legt und insbesondere das Recht Deutschlands auf d» endgültige Freiheit des Rheinlandes bis zum 30. Ium 1930 betont. Rach den ««fichernngen Tardieu» «« Briands, will nun die französische Regierung dieser deutschen Forderung Rechnung tragen, auch wen« der Nsungplan erst im März sanktioniert wird. Da» würde also bedeuten, daß das Datum des Haager Konferenz- beginns keinen Einfluß mehr auf die Räumung ha« ben soll. Morgan wieder unterwegs «ach Europa. Offenbar liegt auch den Amerikanern daran, daß die Schlußkonferenz im Haag baldigst zustande kommt. Der Weltbankier Pierpont Morgan, der an der Pa riser Sachverständigenkonserenz lebhaften Anteil hatte, befindet sich erneut aus dem Weg nach Europa. Man bringt diese Europareise mit der Haager Schlußkonfe renz in Zusammenhang und folgert daraus, daß Mor gans frühe Ankunft in Europa ein Zeichen für den baldigen Beginn der Haager Konferenz sei. Haag erwartet die Regierungschefs. Vermutlich will man der Haager Schlußkonferenz einen besonders großen Rahmen geben. Es verlautet, daß die Ministerpräsidenten der betreffenden Regie, rungen selbst zur Unterzeichnung nach dem Haag kom, men wollen. Der französisch« Ministerpräsident Tar dieu jedenfalls hat bereits mitgeteilt, daß er die fran zösische Delegation im Haag führen wird. Verbleibt «S vabei, dann bürste auch Rächskanzler Müller nacb dem Haag reisen. Volksentscheid am 22. Dezember. Rundschreiben an die Länder. — Rücksichtnahme «ms das Weihnachtsgeschäft. In einem Rundschreiben an die Landesregierungen weist der Reichstnnenmintster darauf hin, daß der Volksentscheid gegen den Uoungplan am 22. Dezember durchgesührt werden ird. Gleichzeitig gibt der Mi nister den Ländern von einer Entschließung des Deut schen Industrie- und Handelstages Kenntnis, in der darum gebeten wird, auf jeden Fall auch den Ab« stimmungssonntag für den Verkauf frei zu lassen und mit Rücksicht auf bi« Beeinträchtigung des Verkaufs« geschästs durch die Abstimmung einen weiteren Sonn tag im Dezember für das Weihnachtsgeschäft sreizu- gcben. Der Reichsinnenmintster betont, Bedenken ge gen die Erfüllung dieser Wünsch« bestünden seiner- jeits nicht, er gebe deshalb anheim, ob für die Orte, wo übungsgemäß nur die beiden letzten Sonntage vor Weihnachten für den Weihnachtsverkauf freigegeben wer- ven, auch noch der 8. Dezember freigegeben werden solle. Die preußische Staatsregierung hat in dem von der deutschnationalen Fraktion vor dem StaatsgerichtS- hof angestrengten Prozeß in der Frage der Teilnahme ser Beamten am Volksbegehren dem Staatsgerichts hof einen Schriftsatz zngeleitet. Graf Westarp zum 22. Dezember. Der Vorsitzende der deutschnationalen Reichstags tagsfraktion, Graf Westarp, betont in einer Erklärung, er habe lediglich die Durchführung des Volksentscheids vor Weihnachten gefordert, jedoch nie den 22. De zember als möglichen Abstimmungstermin bezeichnet. Wie die Dinge sich jetzt entwickelt haben, genüge es, wenn die Volksabstimmung nicht vor Mitte Januar angesetzt werde, da nach dem Stand der Verhandlungen die Vorlage über den Uoungplan den Reichstag schwer lich vor Ende Januar beschäftigen könne. — Der GDA. wendet sich in einer öffentlichen Erklärung dagegen, die Ausnahmesvnntage vor Weinachten in der vom Deutschen Industrie- und Handelstag angeregten Weise zu vermehren. Hindenburg empfängt Zapun-Munnschaft. Reichspräsident von Hindenburg empfing die deut sche leichtathletische Mannschaft, die unter Führung Dr. Diems von ihrem erfolgreich durchgeführten Län derkampf Deutschland-Japan in die Heimat zurückge kehrt ist. Es fehlten Eldracher, Engelhard, Molles, die j auf dem Seewege zurückkehren, sowie Dr. Peltzer, der - sich nach Australien begeben und Bücher, der an der < Universität in Mukdcn eine Anstellung gefunden hat. Die siegreiche Mannschaft wurde von dem Präsidenten des Deutschen Neichsausschusses für Leibesübungen, Staatssekretär z. D. Lewald, und dem Vertreter der deutschen Sportbehörde für Leichtathletik, Krause, ein geführt. Der Reichspräsident sprach den Erschienenen seinen Dank und seine Anerkennung für die hervor ragenden Leistungen aus, durch die sie dem deutschen Namen im Auslande Ehr« gemacht hättest und bar auch den abwesenden Mitgliedern der Mannschaft seinen Dank und Glückwunsch zu übermitteln. Fertigstellung der Finanzgesetze. . . Ln einer Besprechung mit den Parteiführern kün digte Reichsfinanzminister Dr. Hilferding die baldige Vorlegung der Gesetzentwürfe zur Finanzreform im Retchskabinett an. Wie wir "erfahren, handelt -s sich um etwa zwölf Gesetzentwürfe. Ihr« hohe Unzahl er klärt sich aus dem Umstano, daß eine große Zahl v-m Stcnc^geset'en geändert wceden m::ß. wobei auk ! oer einen Sette Steuererleichterungen rind auf der an deren Seite Steuererhöhungen für den Luxusverbrauch vorgesehen sind. Bedauerlich dabei ist, daß di« Steuererleichterun gen in einem Zeitraum von fünf Jahren durchgeführt werden sollen. , ; Die Räumung Wiesbaden-. Wann kommt di« RH«inlandkoMMiffiou? Wiesbaden, 16. Rovambep. Seit dem 18. Oktober find keine wW«Ml GM lischen Truppen abmarschiert. In der ZwischouzM kündete nur das Donnern der MlnitloMpvKWttKM an, daß in den Vorbereitungen zum Mmavfch kW Stillstand eingetreten war. Vom Donnerstag ab be ginnen wieder einige Truppenteile, wie die FsrnspreÄ- abteilung, der Train, die Pioniere und auch ZWan- terietruppen nach England zurückzukehren. 180 Woh nungen sind bisher freigegeben worden, sowie das Jso- lierungshospttal und di« zahnärztliche Klinik. Wie mitgeteilt wird, wird das ReichskomMissarstU für die besetzten Gebiete schon am 25. November und nicht erst, 'wie es zuerst hieß, am 1. Dezember nach Wiesbaden übersiedeln. Der genaue Zeitpunkt für das Eintreffen der Rheinlandkommission ist noch nicht be kannt, doch dürfte sie wohl bis zum 20. d. Mts. umge zogen sein. Sie hat für ihr« Zwecke außer dem Hotel Wilhelm« 10 Billen, 103 Wohnungen und einige Garagen beschlagnahmen lassen. Forderungen des Großhandels. Was di« Finanzreform bringen so«. Wie der ReichSverband des deutschen Groß- und lleberseehandels mitteilt, hat der Steuerausschuß do» Keichsverbandes in eingehender Beratung zu den bis her bekanntgewordenen Plänen des Reichsfinanzminir- steriums hinsichtlich «in« Steuerreform Stellung go> nommen. Eine Bekanntgabe und Veröffentlichung v« Forderungen, die im einzelnen zu erheben sind, wird erst nach Abschluß der Haag« Konst««- erstlgen. Der Groß- und UÄaerseevcmdel, der, wie die A»- fammenbrüche in der letzten Mit zeigen, in furchtbar ernst«, Kampf um die Aufvecht«chaüung seiner Exk» stenz steht, bedarf dringend der Schaffung der Mög lichkeit ein« Kapnalneuvildung und eines auf ei« « trägltches Maß herabgeminderten Zinsfußes. DeSMv verden eine grundlegende, di« Kapitaloillmng Min dernde, die Kapitalflucht hemmende Umgestaltung kW Steuerwesen«, also nicht nur einzelne unwesentLkM and daher wirkungslose Erleichterungen für Unbedingt notwendig gehalten. A« erst« Stell« v«s Programm» sicht nobUt VW siwftversiSnvliche«, immer wieder geforderten and dri«- »end erforderliche« Senkung der Ausgabe« von Reicht Länder« «nd Gemeinden ei« wesentlicher Abba« d« Bewerbe- und Grundvernrögenssteu^r, ein« entschiede«! Senkung des Einkommens^« und die BostkH »ung der Aufbringung z«r Jndustriebelasinng. Di«« fleform mutz u«t« alle« Umstände« gleichzeitig «M einer Annahme des Noungplanes im Reichstag be schlossen und festgelegt Werve«. Kaas über Locarno. Di« Bedeutung der territorialen Garantie. Prälat Kaas, der Vorsitzende der deutschen Zen- irumspartei, sprach in Trier im Rahmen der Vorträg« der mittelrheintschen Berwaltungsakademie über dis Bedeutung des Locarnovertrages für Deutschland. Prä lat Kaas beleuchtet« besonders eingehend die Bedeu- lung der territorialen Garantie der Westgrenze, bei ver Deutschland zweifellos der gebende Teil gewesen ei. Allerdings dürfe die Garantierung des territoria- «n status quo nicht so ausgelegt werden, als ob damit ede Grenzkorrektur auf dem Wege gemeinsamer Ver- itandigung ausgeschlossen sei. Zum Schluß führte Kaas aus: Eine den beider- senigen Interessen und dem friedlichen Zusammen- zwischen Deutschland Und Frankreich dien- TÄ^entwicklung sei nur dann möglich, wenn bi« ^anzüsrsche Politik in oer praktischen Anwendung der oaager Ergebnisse sich großzügig und jedem kleinlichen Mißtrauen abgewandt zeige. In wie weit das neu« sische Kabinett bezw. in wi« weit Briand in dem nicht ohne weiter«s günstigen außenpolitischen Gesamt- inlieu dieses Kabinett kn der Lage sein werde, aus dk« Lauer geraden Kurs zu halten, sei abzuwarten. An seinem aufrichtigen Willen sei nicht zu zweifeln. Politische Rundschau. — Berlin, den 15. November 192o. , - Infolge Herzschlags starb in München der frühere Reichstagsabgeordnete Landesökonomierat Merck. : Groß« Koalition in Baben gescheitert. Die Verhandlungen über die Bildung eAer neuen Re- aieruna der Großen Koalition in Baden sind ge scheitert Die Demokraten und die Deutsche Volkspar- e die in.Landtag eine Arbeitsgemeinschaft bilden, hatten ihren Eintritt in die Regierung von der Zu teilung des Kultusministeriums abhängig gemacht. De? Regierungsgemcinschaft gehören nunmehr lediglich Zen trum und Sozialdemokraten an. :: Tic Deutschnational« BolkSpart«i matzregelt Graf Tohna. Der geschäftsführende Ausschuß des Lan-, desverbandes Ostpreußen der Deutschnationalen Volks, Partei erblickt in dem von seinem Mitglieds Grafe« zu Dohna-Brunau veröffentlichten Artikel ..Ku neu««.