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Besage zur Weitzerttz-Zettung Nr. 211 Dienstag, am 10. September 1S29 SS. Jahrgang ! Chronik des Tages. ' — Reichsaußenminister Dr. Stresemann entwickelte in Genf ein Programm deutscher Völkerbundspolittk. — Der Reichsverkehrsminister hat den Antrag der Reichsbahn auf Erhöhung der Tarife endgültig abgelehnt. — In Lemburg wurde ein Bombenattentat auf da» Auto des polnischen Handelsministers verübt. — Die Brandenburger Jahrtausendfeier hat am Sonn tag ihr Ende erreicht. — Der Bolkhardsche Raketenwagen ist in Heid« (Hol stein) mit Erfolg gestartet. Die Kurven wurden mit gro ßer Sicherheit genommen. — Die in der Näh« von Appelhülsen im Münsterland gelegen« kathottsche Erziehungsanstalt Martinsttft ist nie- vergebrannt. Menschenleben find nicht zu beMags». — Die Schauspielerin Maria Orska, die in Wien ein- getrosfen ist, mutzte aufs neue in eine NervenhetlanstM gebracht werden. — ES steht nunmehr einwandfrei fest, datz das Uebev- landflugzeug „Stadt San Franzisko" am Tahlorberge in Neu-Mexiko zerschellt ist und datz alle acht Insassen den Tod gefunden haben. Deutschlands Programm. Tte zweite Woche der Herbstversammlung des -Völkerbundes wurde mit einer großen Rede des deut schen Außenministers Dr. Stresemann eingeleitet. Tas Interesse für die deutsche Rede war groß. Der Reformationssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, auch hatten sich auf den Tribünen zahlreiche Zu schauer: Botschafter, Offiziere und Journalisten, ein gefunden. Während des ersten Teils seiner Ausführungen hielt sich Stresemann etwas eng an die vor ihm liegende Ausarbeitung seiner Rede, um dann zum Schluß frei und recht temperamentvoll über den Plan der Ber einigten Staaten von Europa zu sprechen. Der Beifall, den die Völkerbundsversammlung Stresemann zollte, war stark. Es fiel jedoch auf, daß Stresemann beim Verlassen des Rednerpults nur von den Vertretern der kleineren europäischen Mächte beglückwünscht wurde. Briand, der bekanntlich fast kein Wort deutsch versteht, wartete erst die Uebersetzung ab. Zum Ausgangspunkt hatte Minister Stresemann Las Ergebnis der Haager Konferenz gewählt. Tas be deutendste Ereignis dieser Verhandlungen sah Reichs außenminister Stresemann in der Erfüllung des deutschen Verlangens auf Räumung des Rheinlandes. Gleichzeitig erinnerte der deutsche Außenminister aber mit ernster Stimme daran, daß leider auch nach dem Haag noch ein großes Stück deutscher Erde, das Saargebiet, fremder Verwaltung untersteht! Und die gerechte Lösung der Saarfrage ist eine der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn die Barriere zwischen Deutschland und Frankreich, von der Stresemann noch sprach, fallen soll. Sie ist aber nicht die einzige! Auch sonst gibt es zwischen Deutschland und Frankreich noch Streitfragen und Gegensätze mehr als genug. So erinnerte Strese mann z. B. daran, daß es mit dem Bekenntnis zum Gedanken der Schiedsgerichtsbarkeit und mit der An passung der Völkerbundssatzung an die Bestimmungen dcs Kriegsächtungspaktes nicht sein Bewenden haben darf, notwendig sei vielmehr der Ausbau der Methoden für die friedliche Lösung von Streitfragen jeder Art und die Durchführung der allgemeinen Ab rüstung. Einen erheblichen Teil seiner Rede hatte Strese mann dem Minderheitenproblem gewidmet. Man hatte erwartet, daß der Leiter der deutschen Außenpolitik, um die Minderheitenfrage nicht einschlafen zu lassen, den formalen Antrag stellen würde, den Madrider Minderheitenbericht des Rates der zuständigen Kom mission der Vollversammlung zu überweisen. Tas ist nicht geschehen. Dafür hat Reichsaußenminister Dr. Stresemann der Reichsregierung das Recht zur Wieder aufrollung der Minderheitenfrage gewahrt und den deutschen Standpunkt mit aller erforderlichen Deut lichkeit dargelegt. Stresemanns Minderheitenerklärung gipfelte in der Feststellung, der Friede unter den Völkern werde um so besser gesichert sein, je mehr das unveräußerliche Menschenrecht auf Muttersprache, Kultur und Religion unbeschadet der staatlichen Grenzziehung : geachtet werde. ..... Tas größte Interesse und die stärkste Aufmerk samkeit erregten jedoch Stresemanns Ausführungen über die Vereinigten Staaten von Europa. Mit Entschiedenheit lehnte der deutsche Außenminister es ab, an einem Pan-Europa mitzuwirken, das von politischen Erwägungen eingegebcn ist und sich gegen andere Erdteile oder Weltmächte richtet. Tas bedeutet, das; Deutschland nichts mit Nlänen zu tun ^ab-u Will, deren Kernpunkt letzten Endes eine europäische Allianz gegen Amerika oder das britische Weltreich bildet! , , Stresemanns Ausführungen über das Pan- Europa-Projekt waren deshalb lediglich wirtschaftspoli tischer Natur und mündeten dahin aus, zur Beseitigung der wirtschaftlichen Zerrissenheit Europas und zur Ver kürzung der Zollgrenzen beizutragen. In ihrer Gesamtheit betrachtet, stellt die Rede des Außenministers eine Art Programmentwurf der deutschen Völkerbundspolitik dar. Tie Kernpunkte die ses Programms sind: TurchMhrung der allgemeinen Abrüstung, Wahrung der Rechte der Minderheiten, Be kämpfung des europäischen Wirtschaftschaos und fried licher Ausgleich politischer Differenzen. — Die Lösung der Saarfrage muh außerhalb des Völkerbundes durch direkte deutsch-französische Verhandlungen erfolgen. Stresemann-Nebe in Genf. Freiheit auch für das Saargebiet! - Deutschlands Ab- rüstrtngS- und Minderheiten-Programm. — Panenropa der Wirtschaft? Reichsaußenminister Dr. Stresemann hielt in der Vollversammlung des Völkerbundes eine große Rede über die deutsche Völkerbundspolitik. Saal und Tri bünen waren dicht besetzt. Einleitend verwies Minister Dr. Stresemann aus die Haager Konferenz und erklärte, was dort ent schieden worden sei, das feien für das deutsche Volk Fragen, die sowohl die Grundlage seiner materiellen Existenz als auch die Grundlage seines Daseins als souveräner und unabhängiger Staat auf das stärkste berührten. Tie Tatsache, daß höchste deutsche LebenS- interessen aus dem Spiele ständen, erkläre, daß auch zu dieser Stunde in der Oeffentlichkeit Deutschlands ein fertiges und einheitliches Urteil über die Ergebnisse dieser Verhandlungen nicht zum Ausdruck komme. Ter Kardinalpunkt dieser Ergebnisse sei aber die im Haag nun endlich beschlossene Erfüllung des deut schen Verlangens, daS deutsche Staatsgebiet von mili tärischer Besatzung zu befreien. Seit dem Beitritt Deutschlands znm Völkerbund habe die deutsche Re gierung di« fortdauernde Besetzung deutschen Landes jeden Augenblick auf das schmerzlichste empfunden. Kein Volk, daS sich selbst achte, habe anders empfinde« können. Heute könne Deutschland nicht stillschweigend daran vorübergehen, daß ein anderer Teil deutschen Landes noch unter fremder Verwaltung stehe, ei« Ge biet, dessen Wiedervereinigung mit vem Heimatland der einmütige Wunsch seiner Bevölkerung sei. Er freulicher Weise seien die ersten Schritte zink Beseitigung dieses Zustandes bereits getan worden. Auch der Völkerbund habe alles Interesse an der Verwirklichung dieses 'Gedankens. Falle die Barriere, die seit dem Kriegsende tren nend zwischen Deutschland und seinen westlichen Nach barn stehe, so werde der Weg frei, um die Zusammen arbeit zwischen Deutschland uno den Ländern, die ihm einst als Kriegsgegner gegenüberstanden, so eng und fruchtbar zu gestatten, wie das gemeinsame Interesse aller Völker und das ureigenste Interesse des Völker bundes dies erfordere. Für allgemeine Abrüstung. ReichSaußenminister Dr.. Stresemann begrüßte so dann Englands und Frankreichs Bereitwilligkeit zur Unterzeichnung der Schiedsgerichtsklausel und stellte fest, daß Deutschland diese Klausel als erste Großmacht unterzeichnet hat. Weiter berührte Dr. Stresemann die Vorschläge, die eine Klärung des Ver hältnisses des Kelloggpaktes zum Völkerbundspakt her- bciführen sollen. Deutschland habe stets den Standpunkt vertreten, daß der Ausgangspunkt aller Bemühungen um die Friedenssicherungen der Ausbau der Methoden für die friedliche Bereinigung jeder Art von Streitig keiten zwischen Staaten sein müsse. Der Krieg lasse sich nicht dadurch verhüten, daß man den Krieg vor bereite, sondern nur die Beseitigung der Kriegs ursachen. Mit größtem Interesse Verfolgs Teutschland de« Gang der Verhandlungen über die Beschränkung der Flottenrüstungen. Mit dem gleichen tatkräftigen Witte« müßten jetzt auch die Arbeiten an der Abrüstung zn Lande gefördert werde». Tie deutschen Vertreter seien > gezwungen gewesen, von den Beschlüssen des Vorberei- ! tcuden AbrüstungSausschnsses ausdrücklich abzurücke«, ! um Deutschland nicht mit verantwortlich zu machen an « einem Verfahren, das der deutschen Anffassung nach j mit den Bestimmungen des Bölkerbündspaktcs nicht in Einklang zu bringen sei. Es sei zu hoffe», daß I man aus diesem Stand der Abrüstuugsarbeiten durch i die Verhandlungen der Seemächte schnell heransge- § führt werde. Es handele sich nicht um eine Etnzelfrage, sondern j um einen Treiklang: Verhinderung jeder Kriegsmög lichkeit, die allgemeine Abrüstung als Konsequenz aus ! dieser Verhütung, die Verhinderung der Erstarrung aller Zustände durch eine fortschreitende Entwicklung auf friedlichem Wege. Die Menschenrechte der Minderheiten. Zur Minderheitenfrage führte Minister Dr. Stresemann aus, ihm liege daran, die geltenden Ver träge, die vom Völkerbund übernommenen Garantie« und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten in ihrer Gesamtheit und ihrem grundsätzlichen Cha rakter einer ernsten Prüfung zuzuführen. Tie Ver besserungen, die man bisher durch den deutschen und kanadischen Vorstoß erzielt habe, seien unzureichend Ter Völkerbund dürfe sich in der Ausübung seiner Gerantiepflicht nicht auf die Erledigung einzelner aN ihn herantretender Beschwerden beschränken, sondern er müsse daraus Bedacht nehmen, sich fortlaufend Ge wißheit darüber zu verschaffen, wie sich das Schicksal der Minderheiten unter den in Kraft befindlichen Ver trägen gestalte. Mit einem Hinweis daraus, daß Teutschland zunächst die Auswirkung der letzten Be schlüsse — unter Wahrung seines Rechtes zur Wieder- ! aufrollung der Minderheitenfrage — abwarten wolle, ! erklärte Minister Stresemann wörtlich: Bei der Minderhelwnfrage handelt es sich um ein ' Problem, das gerad« nach dem Grundprinzip de» nach dem Kriege geschaffen«« neuen Regimes den Völkerbund in seiner Gesamtheit angeht. Ter Fried« unter de« Völker« wird um so besser gesichert sein, je mehr da» ««Verzicht- bare Menschrnrecht auf Muttersprache, Kultur und Religion unbeschadet der staatlichen Grenze« geachtet und gewünscht wird. Der Völkerbund mntz sich jedensatt» «u«r alle» Umstände« dauernd mit de« Minderheitenfrage« befass««." » Der europäische Zusammenschluß. Was die Pan-Europa-Bewegung betreffe, gebe K sehr viele, di« diesen Gedanken von vornheMt M lehnten. Das seien die „Pränumerando-Pessimistere', die jeden Gedanken zur Unfruchtbarkeit beMmtre«, wenn er nicht in das allgemeine Normaldenken hinein» Passe. Dr. Stresemann fuhr fort: Weshalb follte Per Gedanke, daS, was die «uro, Päisch-n Staaten einig«« kann, von vor«herein «stö mögttch sei«? Politische Gedanke«, «ama»tlich t« le- gendeixer Tendenz gegen andere Erbteile lehne ich «st aller Entschiedenheit ab. Wohl aber scheint mir viele- durchführbar zu sein, da» Henle Vee Erfüllung harrt. Ist es nicht grotesk, daß wir auf Grund neuse technischer Errungenschaften vom Süden Deutschlands nach Tokio die Entfernung um 20 Tage verkürzen, aber in Europa selbst stellenweise fortwährend mir der Lokomotive anhalten müssen, weil irgendwo einss neue Grenz« kommt, weil irgendwo eine neue Zoll revision kommt, als wenn das Ganze ei« kleine- Krämergeschäst wäre, was wir in Europa Hier in der ganzen Weltwirtschaft zu führen hätten. Ich will hier nicht das politische Gesicht Ve- Versailler FriedensvertrageS diskutier««. Uber auf da» Wirtschaftliche muß ich denn doch «-her eingehe«. Ma» hat zwar eine große ««zahl «e«er Staate« geschafft«, aber hat die alte« Beziehungen der europäische« Wirt schaft vollkommen beifeiftgelasse«. Witt man i« diese« Gedanftngang weiter fortgeh««, fo mühte der Völker bund Verhandlung«« anknüpse« und Vereinbarungen schaffe», die dem Austausch der Güter diene« und die den Zweck habe«, de« internationale« Wettbewerb ein zuschränken. Wir sinv jederzeit bereit, a« diese« Ar beite« teilzunehmen. Reichsäußenminister Dr. Stresemann beendet« seine Rede mit einem Appell an die Jugend. (M >et richtig, so erklärte er, daß der Heroismus des Krieges die Jugend bis in die Gegenwart hinein be herrsche. Er freue sich, daß der Heroismus noch nicht ausgestorben sei, glaube aber, datz dem persönlichen Heroismus in zukünftigen Kriegen wenig Betätigung gegeben sei. „Wir in unserem Kreis," so schloß Dr. Stresemann seine Rede, „haben die nüchterne Auf- gäbe, Völker einander näherzubringen, ihre Gegensätze zu überbrücken. Zweifeln wir nicht daran, sk gibt starke und heftige Gegensätze. Es handelt sich um eine schwere Arbeit. Ausdehnung der VersichernngsauffichL. Ein entsprechender Gesetzentwurf st» »or-ereitung. Wie das ReichSwirtschastsministerium bestätigt, ist rm Hinblick auf verschiedene Vorkommnisse im Äer- sicherungsgewerbe ein Zusatz zum Berficherungsgesetz geplant, wonach durch bas Aufsichtsamr eine stärke« ueberwachung der Versicherungsgesellschaften erfolgen soll. Außerdem soll eine private Treuhand-Gesellschaft das vorliegende Material von Fall zu Fall prüfen. Tie Vorbereitungen sind soweit gefördert, daß man st» der nächsten Zeit entsprechende Vorschläge erwarte«! kann. Vermutlich wird sich dann der Reichstag schon bei seinem Zusammentritt damit beschäftigen rönnen. Erhöhung der Bahntarife abgelehnt. Wie amtlich mitgeteilt wird, hat der ReichSV«« tehrsminister den Antrag der Reichsbahn auf Erhöhung der Eisembah«tartse abgelehnt. Die Ablehnung «v folgte unter Hinweis auf die inzwischen eiugetrotene anhaltende Besserung des Verhältnisses Mische« U»M« gaben und Einnahme«. In der Oeffentlichkeit kann die Ablehnung deS Tariferhöhungsantrags nur begrüßt werden. Sollt« die Reichsbahn aus Grund der Ablehnung des Reichs- Verkehrsministers sich nicht entschließen, den Antrag aus Tariferhöhung zurückzuziehen, so bleibt ihr ledig- llch der Weg, das Reichsbahngericht anzurufen. WelcA wetteren Schritte die Reichsbahn nunmehr un ternehmen wird, ist noch nicht bekannt. Bombeuattentate tu Lemberg. «ei der Eröffnung der polnischen Ostmesse. Die Eröffnung der polnischen Ostmesse in Kem- verg wurde durch mehrere Bombenattentat« gestört. Ein ukrainischer Schüler wollte ein Paket mit Spreng- Nl Ef das Auto des polnischen Handelsministers Kwiatkowski werfen. Das Paket explrwierte jedoch in den Händen des Schülers; der Minister blieb unverletzt. Einige Stunden später wurde in das Direktionsgeväud« Ler Ostmesse eine Bombe geworfen. Tie Hauptkasfiereri« ""ddrei Beamte sind schwer verletzt, drei Beamte leicht verletzt worden. Ter Sachschaden ist groß. Die Täter sind noch unbekannt. Polttifche Rundschau. - dm — Der Deutsche Buchdruckerveretn trat M Mainz M einer T^ung zusammen^de^unden. damit ist die Feier de« 60jährtgen Verbandöjubtläums. des Hiudcnbnrg'Adlers a«s Hek» gola«». Erlesenheit von Vertretern des JAchW und Preußens wurde auf Helgoland der vom Nord- deutsänm Lloyd und vom Seebäder-Tienst der Hau»» N-Äm-rikaLtnft gestiftete Hindenburg-Adler «L bültt. Geheimrat Sttmming würdigte in seiner Fest ansprache die Persönlichkeit deS Reichspräsidenten al» Führer der Schlachten M Weltkriege und ajs Führer