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34 MS er sich einigermaßen beruhigt hatte, sagte er, er wolle sich einige Tage nicht im Geschäft sehen lasten. Es sei ihm peinlich. »Mr kommt ei» guter Gedanke, Lotte; weißt du, ich werde eine Geschäftsreise machen, und zwar werde ich nach Oberschlesten fahren. Da haben wir Geschäftsverbindung zu einer Grachenberger Tuchfabrik. Seit Gründung unserer Firma beliefert sie uns. Eine sehr reelle Firma. Absolut zuverlässig. Aber eben ist sie etwas in Druck. Sie hat unS um Kapital angegangen. Ich möchte es schon hin geben. Wenn das Bargeld auch eben knapp ist, so viel haben wir doch noch, daß wir hunderttausend Mark da hineknstecken können. Ich werde mich natürlich genau in formieren, wie die Sache steht. Das Geld habe ich eben zur Verfügung. Was meinst du, Lotte, soll ich?' »Das mußt du wissen, Jakob.' »Run gut, ich fahre, und zwar werde ich Westphal mit- yetzmen; er kann mir bei dem Geschäft nützlich sein. Da Muß doch Einsicht genommen werden in die Bücher, das kann der am Ende besser wie ich. Er kann ja nach zwei Tagen zurückfahren, wett er doch nötig ist im Geschäft. Ich werde mir eine Geschäftstour zusammenstellen, die ich von dort aus unternehmen werde. Es ist ganz gut, wenn man sich mal persönlich bei der Kundschaft zeigt. In Katto- witz haben wir eine Firma, die bezieht auch seit einer Ewigkeit von uns. Na ja — also sag' es Goldmann, was ich vor habe.' Sie stellte die Verbindung her. Ehe der Angerufene am Apparat erschien, fragte sie ihren Mann: »Grachenberg heißt der Ort?' Er nickte. Ein fragender Gedanke durchzuckte ihr Hirn. Wo hatte sie unlängst von diesem Orte gehört? Herr Goldmann meldete sich. Sie trug ihm ihre Sache vor. Dann lauschte sie auf seine Antwort. Während der ganzen Zeit stand die Frage vor ihr: Wo hast du von Grachenberg gehört? »Also Sie sind bereit, meinen Mann im Geschäft zu vertreten? Ja, ich danke Ihnen. Mit Westphal kann mein Mann sich in Verbindung setzen.' Sie dankte noch einmal, und legte dann das Schallrohr in die Gabel. »Grachenberg, Grachenberg', sagte sie, »was ist das für ein Ort?' »Wahrscheinlich ein kleiner dreckiger ' .Industriestadt?' »Ja, so etwas wird es wohl sein. — Also Goldmann Will mich vertreten?' »Ja, gern. Er kommt heute zwischen zwei und drei Uhr her, um alles mit dir zu besprechen.' »Nun, daS kann er bleiben lassen. Ich fahre gleich ins Geschäft; ich muß doch die nötigen Papiere zu mir stecken, muß mir meine Tour zusammenstellen lassen und mir Geld holen. Im Geschäft umsehen will ich mich auch noch. Heute kann ich noch jedem ruhig ins Gesicht sehen — noch Weiß niemand etwas. — Klingele Goldmann noch einmal an, sag' ihm, daß ich vor fünf Uhr nicht zu Hause bin.' Er beeilte sich, fortzukommen. Ein wunderlicher Tag war das heute. Kaum, daß Iakob fort war, kam Ida zu Lotte. Ob Lotte nicht auf ein Stündchen zu ihr kommen wolle, sie habe eine Ueber- raschung für sie. Lotte fah sie mit einem Blick des Be dauerns an. »Ich darf nicht ausgehen, Ida.' Sie führte die Schwester in ihr Wohnzimmer. »Warum nicht — was ist denn los?' Ida sah sie an. Und nun erzählte Lotte, was geschehen war, und daß sie hier sein müsse, wenn man Nora abhole. In JdaS Gesicht War, während sie von dem Geschehnis hörte, ein merkwürdig-fremder Zug gekommen. Es schien fast, als drücke dieser Schadenfreude aus. Sie wollte sich tzicht aufhalten bei der Schwester. Ueber das Voraefallene prrisr sie Kin Wort. »Wir haben Besuch, Lotte; Hans Cleve ist heute srüh hier angekommen. Das heißt, er ist nicht angekommen, um uns zu besuchen, er hat in Berlin Geschäfte, und von hier aus reist er weiter. Er fährt schon heute abend wieder fort, nach Oberschlesien.' Nun wußte Lotte auf einmal, wo ihr der Ort Grachen- bsrg aufgefallen war. Anna hatte in ihrem letzten Briefe an sie erwähnt, daß Hans voraussichtlich in den nächsten Wochen für einige Tage nach Oberschlesien müsse, um das Aufstellen von Maschinen in einer Grachenberger Fabrik zu beaufsichtigen. Wie merkwürdig der Zufall spielte, daß nun auch Jakob dahin fahren würde. Vielleicht konnten sie zusammen fahren. Blitzartig kam ihr der Gedanke; aber sie verwarf ihn ebenso schnell. Sie hatte es nach Möglich keit vermieden, zu ihrem Manne von Hans zu sprechen; sie wollte es auch jetzt. Zusammenbringen wollte sie beide schon gar nicht. Ida fragte, ob sie nicht wenigstens auf eine halbe Stunde zu ihr kommen wolle? „Gegen Abend vielleicht. Wann reist Hans ab?' G^nau wußte es Ida nicht; aber jedenfalls ging der Zug spät. Die ganze Nacht hindurch würde Hans zu fahren haben; er hatte es schon gesagt. Ida hatte es eilig, fort zukommen. »Ich komme im Laufe des Nachmittags noch einmal zu dir.' Hermann ist im Geschäft?' fragte Lotte. »Nein, heute nicht. Er hat sich entschuldigt. Mir sagte er, er habe mit Jakob sehr Wichtiges zu besprechen, und dazu wollte er zu ihm in die Wohnung gehen.' Als Ida nach Hause kam, saß Westphal am Tische, den Kopf in die aufgeflützte Hand gelegt, und sah mit grüb lerischem Gesichtsausdruck vor sich hin. Idas Blick ging über ihn hin. Sie dachte: er sieht wieder einmal wie das böse Gewissen selbst aus. Absichtlich hart warf sie hin: „Frau Hanna Donat ist mit einem ihrer Liebsten durch gebrannt.' Er ließ den Arm sinken, und fah sie mit großen, er schrockenen Augen an. „Was heißt das?' Ida zog die Schultern hoch und lächelte höhnisch. »Ich denke, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben.' »Weißt du den Namen?' „Chatenay — aber warum interessiert dich der so?' Sie sah ihn an, das höhnische Lächeln war noch immer um ihren Mund. In ihren Augen brannte glühender Haß. Westphal wußte längst, daß seine Frau ihn haßte, ihn und seine Mutter. Sie gab ihnen die Schuld am Tode ihres Kindes. „Hättet ihr mich nicht hungern lassen, als ich mein Kind trug, hättet ihr mich nicht gequält mit eurer Niedertracht, so hätte ich mein Kind lebend zur Welt gebracht', hatte sie ihm und seiner Mutter einmal ins Gesicht geschrien. »Und dafür werdet ihr noch büßen müssen!' Westphal grübelte stumpf vor sich hin. Ida kam in die Stube zurück. „Da ist ein Bote aus dem Geschäft; er bringt einen Brief von Geyer', fügte sie. Westphal schien unfähig, sich zu erheben. „Wo ist der Brief?' Ida ging ins Entree, um ihn sich vom Boten geben »u lassen. Sie legte ihn vor ihren Mann hin. „Er soll auf Antwort warten?' Mit zitternden Händen riß Westphal den Umschlag auf. Wußte man schon, daß er gestohlen hatte? Er las die paar knappen Worte, die Geyer schrieb, ohne sie recht zu be greifen. „Na, was denn nun?' fragte Ida ungeduldig, und nahm ihm den Bries aus der Hand. »Geyer verlangt, daß du sofort ins Geschäft kommen sollst, weil er dich sprechen will, also wirst du dich doch bequemen müssen, hinzugehen.' Er erhob sein kalkweißes Gesicht zu ihr. »Ich kann nicht, Ida, bitte geh' und telephoniere von irgendwo an: fraae Gever. was er von mir will!'