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Beilage zur WettzerH-Jettung M.119 Sonnabend, am 28. Mai 1929 98. Jahrgang Chronik des Tages. — Di« Denkschrift der Alliierten wird zur Zeit von den maßgebenden Stellen nachgeprüft. — Der Reparationsagent Parker Gilbert, der sich in letzter Zeit wieder in Paris aufgehalten hat, ist nach Berlin zurückgekehrt. - Die am Freitag begonnen« Zeichnung auf di« neue Reichsanleihe hat bisher kein« sleberraschungen, weder nach oben noH nach unten, ergehen. ! - Das schwedische Küstenpanjerschiff „Oskar N." ist zu einem zweitägigen Besuch im Kieler Hasen etngelaufen. — Geheimrat Dr. Duisberg ist von seiner sechsmona tigen Weltreise nach Leverkusen zurückgekehrt und hat seine Arbeiten als Vorsitzender des Aufsichtsrates der I. G. Far- ben-Jndustrie und des Reichsverbandes der Deutschen In« dustrie wieder ausgenommen. — Marschall Feng hat sich zum Diktator von Novd- china ausrufen lassen. — In Berlin hat ein« 44 jährige Kaufmannsfrau sich und ihre drei Kinder aus wirtschaftlicher Rot mit GaS vergiftet. — In Falkenberg in der Altmark sind neun Per sonen unter Vergiftungserscheinungen erkrankt. — Bei einem Motorbootunglück auf dem Rhein er tranken bei Boppard drei Personen. — Bet dem D-Zug-Unglück in Kerzell sind sechs Men schen schwer und sieben leicht verletzt worden. — Das Luftschiff' „Graf Zeppelin" ist nach neun- ; stündiger Fahrt von Cuers nach Friedrichshafen im Heimat- > Hafen glatt gelandet. j Von Woche z« Woche. ! Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Zn dem Aus und Ab der Pariser Sachverstän digenkonferenz sind wir jetzt wieder einmal auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Ernst der gegenwärtigen Lage kann nicht deutlicher gekennzeichnet werden als durch den Rücktritt des zweiten deutschen Haupt vertreters Dr. Bögler, der nach den neuen unsin nigen Zahlungsforderungen der Alliierten und der Zurückweisung der wichtigsten deutschen Vorbehalte offenbar jede Hoffnung aufgegeben hat, daß es unter diesen Umständen überhaupt noch zu einer für die deutsche Wirtschaft tragbaren Lösung der Reparations frage in Paris kommen kann. , Daß der sauber ausgeklügelte Plan der Alli ierten übrigens auch von den anderen Mitgliedern der deutschen Abordnung als unannehmbar angesehen wird, braucht wohl kaum besonders betont zu werden. Schon allein die Zumutung an Deutschland, daß bis zum Ende des Jahres die Zahlungen nach dem Dawesplan fortgesetzt werden sollen, also gerade in einer Zeit, wo die Reichsfinanzen einer dringenden Entlastung bedürfen, würbe schon genügen, um unser« Zustimmung zu dem alliierten Zahlungsplan zu ver- weigern. Aber das ist noch nicht das schlimmste. Abgesehen von dem Betrag in Höhe von etwa 1800 Millionen Mark, den wir bis zum 31. Dezember d. Jahres zu zahlen hätten, hätten wir vom 1. Januar bis 31. März 1930 eine Vierteljahresrate der ersten , Young-Zahlung, das heißt 420 Millionen, zu leisten. ! Von diesen beiden Zahlungen aber sollen nur 420 > Millionen angerechnet werden. Die Leistungen nach ! dem Dawesplan werden nicht nur vollkommen un- ! berücksichtigt gelassen, sondern man tut so, als ob j Deutschland bisher überhaupt noch nichts bezahlt habe j und legt die an der ersten Young-Annuität „fehlenden" I 1255 Millionen auf die folgenden 36 Jahresraten um, ! die dadurch um 80 Millionen Mark im Jahre erhöht werden. Auf Grund dieses Rechenmnst- stücks wird erreicht, daß trotz der Erhöhung der Durch schnittsannuität die Ziffern des Young-Planes nicht überschritten werden und die Gläubiger 1800 Mil lionen zur Befriedigung ihrer Sonderansprüche erhal ten. Hinzu kommt noch die belgische Forderung einer Sonderzahlung von 25 Millionen während 37 Jah ren als Entschädigung für die während der Besetzung ausgegebenen Marknoten. Außer dieser glatten Verfälschung des Youngschen Planes, die man nicht mit Unrecht als Schieberstück übelster Art bezeichnet hat, haben die Pariser Re- parationsmathcmatiker noch ein übriges getan und die wichtigsten Vorbehalte, von denen Deutschland , seine Zustimmung zu dem Youngschen Plan überhaupt abhängig gemacht hat, rundweg abgelehnt. Das Auf- , bringungsmoratorium, die Freigabe der Reichsbahn, die Begrenzung des ungeschützten Teiles der deutschen ! Zahlungen, gerade diese drei wichtigen Punkte hat - man einfach unberücksichtigt gelassen. Nun haben ja Dr. Schacht und Dr. Kastl den Vertretern der Gläu- ! biger deutlich auseinandergesetzt, daß die Konfc- renz scheitern muß, wenn nicht in letzter Stunde wesentliche Aenderungen an den Forderungen der - Alliierten Vvrgenommen werden. Die Gläubiger sind ! also gewarnt; ob sie allerdings dieser letzten Mahnung ; Folge leisten und den deutschen Bedenken Rcchnuna tragen werden, wird sich in den nächsten Tagen zeigen müssen. Beharren sie starrsinnig aus ihren Forde rungen, dann bleibt den deutschen Sachverständigen nichts anderes übrig, als dem Beispiel Dr. Böglers zu folgen und eine bessere Zeit für die Regelung der Re parationsfrage abzuwarten. Daß man uns wieder die Schuld an dem Miß lingen der Konferenz zuschieben wird, wird natür lich nach bewährtem Muster auch diesmal geschehen. Schon jetzt äußert die französische Presse unverhüllt ihren Unmut über die ablehnende Haltung, die die deutschen Sachverständigen gegenüber den Forderungen der Alliierten einnehmen, und versucht, die Deutschen mit Drohungen etnzuschüchtern, daß sie allein die Ver- antwortung für einen etwaigen Mißerfolg der Kon- ferenz auf sich nehmen müßten, und zwar nicht nur gegenüber Europa allein, sondern auch gegenüber Ame rika. Uns Deutsche kann diese Tendenzmache kühl las sen. Wenn die Franzosen mit Rücksicht aus ihre Zah lungsverpflichtungen gegenüber den Bereinigten Staa- ten — die gerade in diesen Tagen wieder auf Rati fizierung des SchuldenabkommenS drängen, andernfalls die Franzosen die am 1. August fälligen 400 Mil lionen Dollar für das in Frankreich zurückgelassene Heeresgut in bar zahlen müssen — an dem Zustande kommen einer Einigung in Paris interessiert sind, so liegt es in ihrer Hand, durch einen Verzicht aus ihrs unbilligen Forderungen den Weg für eine Verständi gung frei zu machen. Die Prüfung der Denkschrift. Ministerbesprechung in der Reichskanzlei. — «ein offi zieller Beschluß. — Schachts Fühlungnahme mit den Gläubigermächten. — Parts, den 24. Mai. Lie Denkschrift der Gläubigerstaaten ist durch einen Sonderkurter von Paris nach Berlin gebracht worden und unterliegt einer eingehenden Prüfung durch die Reichsregierung. Am Donnerstag nachmittag hat bereits «ine Besprechung der an der Tributfrags in erster Linie interessierten Fachminister des Aus wärtigen, der Finanzen und der Wirtschaft statt gesunden. Am Freitag wurde in der Reichskanzlei ein« Ehefbesprechung «-gehalten, der außer dem Reichs kanzler und den beteiligten Fachministern auch meh rere andere Mitglieder des ReschAabinetts beiwohnten. Eine ausdrückliche Stellungnahme des Reichskabinetts zu der alliierten Antwort kommt nicht in Frage, da man der Entscheidung der deutschen Abordnung in Paris nicht vorgreifen und ihre Stellungnahme ab warten will. Gleichwohl kann schon jetzt auf Grund der ersten Prüfung der Denkschrift gesagt werden, daß anch i» Berliner Regiernngskreisen Einmütigkeit darüber besteht, daß die Forderungen der Alliierte« weit über die Grenzen der deutschen Leistungsfähig keit hinausgehen. Die neuen Verhandlungen, die Dr. Schacht und Geheimrat Kastl inzwischen in Paris eingeleitet haben, verfolgen den Zweck, die Gegenseite genau dar über ins Klare zu setzen, daß eine Annahme des Zah lungsplanes der Gläubigermächte nicht in Frage kom men kann und eine Ablehnung der deutschen Vorbe halte aus deutscher Sette zu den schwersten Bedenke« Anlaß geben mutz. Hierbei soll die deutsche Word- nung, wie die „Times" zu berichten Weitz, vor allem die Anregung, das Datum für die Anwendung des neuen Planes hinauszuschieben, um auf diese Weis« «ine deutsche Mehrleistung zur Befriedigung der alli- terten Forderungen zu erhalten, entschieden abgelehnt haben. Irgendwelche Anzeichen für das Bevorstehe« einer Annäherung in den zahlreichen tiefgehenden Meb nungsverschiedenheiten haben sich bei dieser Fühlung- nähme nicht ergeben. Mit dem deutschen Standpunkt werden sich die Delegationen der Gläubigernatione« nunmehr zu befassen haben. Und es wird sich in de« nächsten Tagen entscheiden, welche Stellung sie einzu nehmen gedenken. * Di« Deutschnationalen zur Pariser Krise. Die deutschnationale Reichstagsfraktion teilt mit „Der Rücktritt Böglers hat die Lage blitzartig beleuch. tet. War das deutsche Memorandum vom 17. April durch welches die Zahlung von 1650 Millionen auj 37 Jahre unter ganz bestimmten Voraussetzungen all möglich erklärt wurde, wenn auch die Leistungsfähigkeit Deutschlands weit überschreitend, so doch noch ein sach verständiges Gutachten, so hat man mit dem Pla« des Vorsitzenden Owen Young, mit der deutschen Zu- stimmung und mit allen weiteren Verhandlungen de« Rahmen einer sachverständigen Begutachtung verlasse« und sich unter starkem Druck politischer Stellen aus das Gebiet politischen Aushandelns, für Deutschland aber aus die schiefe Ebene begeben. Das kann auch die verantwortungslose demagogische Hetze nicht ver schleiern, die von der Linkspresse wegen des Rück tritts Böglers gegen ihn und die Schwerindustrie ent facht worden ist. Die Fraktion fordert Schluß diese« Verhandlungen. Wie sie sich jetzt gestaltet haben, muß ihr Ergebnis für Deutschland ein falsches „Fa" sein anstatt des ehrlichen deutschen „Rein", das allein di« Möglichkeit bietet, der hereinbrechenden Katastroph« Herr zu werden. Die Fraktion wird der verhäng nisvollen Entwicklung mit allen ihr zu Gebote ste hende» Mitteln Widerstand leisten." Zentrum und Wahlreform. Stegcrwaldrede auf der Tagung der Windthorstbünde. Auf der Reichstagung der deutschen Windthorft- bünde, der Jugendorganisationen des Zentrums, i« Osnabrück wurde von allen Seiten die Wahlresorn als ein dringendes Gebot und ein unabweisbares Be dürfnis zur Besserung der parlamentarischen Ver hältnisse, zu einer Wiederannäherung der Abgeord- neten und Wähler bezeichnet. Teilweise wurde aus der Versammlung heraus den Parlamentariern der Vor wurf gemacht, daß sie nicht mit dem nötigen Ernst a« eine Reform des Wahlrechts Herangehen wollten. Reichsverkehrsminister Dr. Stegerwald wies aus die großen Aufgaben hin, die dem Parlamentarts- mus nach Erledigung der Pariser Verhandlungen er- wachsen würden. Nach der Meisterung dieser Aufgabe« würde auch die Stunde für die organische Erneuerung des politischen Lebens kommen. Wir müßten uns SÄ mühen, wieder Volks- und Staatsbürger zu werden. Er, Stegerwald, sei sehr dafür, daß der Jugend in er» heblichem Umfange die Möglichkeit zur Betätigung gegeben werde. Unter stürmischem Beifall -er Tagung erklärt« Stegerwal-, ihm sei die ReichStagsfraktton zu all, Wenn man erst mit äO Jahren in da» Parlament elntrete, könne man ans diesen Menschen keine po litischen Führer «ehr machen. Jung« Menschen miiss« man vor Aufgaben stellen, durch deren Erfüll««- fi« ihre politische Fähigkeit erweisen können. Beginn der Anleihezeichnung. Ruhiger Verlauf des ersten Zeichnung», tages. — Der Vorschuß der Banken sicher» gestellt. Am 24. Mai hat die Zeichnung auf die neue 7prozentige Reichsanleihe begonnen. Der erste ZeiH nungstag ist normal verlaufen. Ein regelrechter Ani- sturm, wie er sonst bei großen Anleihen festzusteller ist, war nicht zu verspüren. Bielmehr vollzog sich das Zeichnungsgeschäft in ruhigen Bahnen. Es wäre verfehlt, aus dem Verlauf des «ritz« Zeichnungstages sofort aus das Gesamtergebnis schM tzen zu wollen, zumal die Zeichnungsfrift sich über ach Tage erstreckt und die Banken erst einen Tag vot Zeichnungsbeginn durch Rundschreiben ihye Kunden zru Zeichnung eingeladen haben. Am 28. Mai wird dü Reichsbank aus den bis dahin gesammelten Meldunget ein Zwischenergebnis feststellen. Von dem Ge samtbetrag der 5 0 O-Millionen-Anleihe sind bekannt lich zunächst nur 300 Millionen zur Zeichnung auf! gelegt. Der Vorschuß der Banken auf die Anleih« in Höhs von 125 Millionen Reichsmark, der teils ist Mark, teils in Devisen gegeben wird, dürfte als sicherge stellt anzusehen sein. Schlichtungsverhandlungen bei der Day«. Die Reichsbahn gegen Lohnerhöhung. . Unter dem Vorsitz des Schlichters für Nieder sachsen, Dr. Völker, haben jetzt im ReichSarbeitSi Ministerium die Schlichtungsverhandlungen in dem Lohnstreit bei der Reichsbahn begonnen. Di« Gewerk schastsvertreter hielten ihre LohHorderungen aufrecht und verwiesen auf den neuen Schiedsspruch für die Staatsarbeiter, mit denen sie bisher gleichgestellt waren und die nun eine durchschnittliche Stundenlohnerhöhung von 4,4 Pfennig erzielt hätten. Der Vertreter der Deutschen Reichsbahngesellschaft vertrat demgegenüber den Standpunkt, daß ohne Deckungsmöglichkeit keiner lei Mehrausgaben gemacht werden dürften. Jeder Pfen nig Stundenlohnerhöhung bedeute eine Steigerung der Ausgaben um 13,5 Millionen Mark jährlich. Die Deutsche Reichsbahngesellschaft sei bereit, Me gesamten Bücher zwecks Nachprüfung ihrer Finanzlage vorzu- legen. Frankreich bleibt harthörig. Paris bestätigt Amerika nur -en Eingang -er An frage. — Die Sorge «m -ie «nfbringung -er 400 Millionen Dollar. Das amerikanische Staatsdepartement in Wa shington erhielt eine kürze französische Antwortnote, die jedoch lediglich eine Bestätigung der amerikani schen Note bedeutet, ohne näher aus die ameriHanische Anfrage einzugehen, die bekanntlich Aufschluß dar-- über verlangte, wann (Frankreich endlich daran denke, das bereits vor mehreren Jahren vereinbarte Schul- dentilgungsabkommen zu ratifizieren. In Pariser diplomatischen Kreisen wird die Note Amerikas trotz ihres liebenswürdigen Tones als ein Druck auf Frankreich aufgefaßt, in den Reparations verhandlungen eine nachgiebigere Haltung einzuneh men. Man hätte sich in französischen amtlichen Krei sen anscheinend der Hoffnung hingegeben, daß die Re gierung der Vereinigten Staaten aus die am 1. August fällige Zahlung der 400 Millionen Dollar für das nach dem Abzug der amerikanischen Truppen in Europa zurückgelassene Heeresgut verzichten würde, falls Frankreich regelmäßig seinen Verpflichtungen aus dem neuen Verenger-Abkommen nachkäme, selbst wenn dieses Abkommen nicht ratifiziert würde. Wenn die Sachverständigenkonferenz zu einem günstige,» Ab schluß gelange, werde allerdings Deutschland diese 400 Millionen Dollar zahlen, denn, obgleich es sich hierbei um keine Kriegsschuld handele, sei sie doch in das Ab kommen Mellon-Berenger ausgenommen worden, dessen Verpflichtung Deutschland übernehmen werde. Sollte dagegen -ie Konferenz ergebnislos verlaufen, dann werde Frankreich sich in einer schwierigen Lage be finden, diese 400 Millionen Dollar aufzirbringen. Politische Rundschau. — Berlin, den 25. Mat 1929. — Dr. Bögler wird sich in einigen Tagen von Berlin aus zur Kur nach Karlsbad begeben. — In Hamburg findet gegenwärtig ein« aus allen Teilen des Reiches beschickte Tagung des Verbandes deut scher evangelischer Schulgemeinden, Eltsrngrup- pen, Lehrer- und Üehrerinnen-Vereine statt. — Der Münchener Stahlhelmtag wird am